Retour au Caire

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2011 besuchte unser Autor Jule das revoltierende Ägypten. 2018 kehrt er dorthin zurück und findet ein politisch und sozial verändertes Land wieder, in dem staatliche Repression und Gewalt herrschen und brodelnde Stimmungen noch unterdrücken. Eindrücke einer Reise in ein sich wandelndes Land.

„Du hättest dir wirklich keine beschissenere Zeit aussuchen können, um nach Kairo zu kommen. Die Lage könnte schlimmer kaum sein und das auf allen Gebieten. Ob auf der politischen, der ökonomischen oder der kulturellen Ebene; überall finden Verschärfungen statt.“ So eröffnete Jano, eine linker Aktivist und Journalist, unser Gespräch zur aktuellen Lage in Ägypten. Wir sitzen an einem Samstag Ende März 2018, wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen, in seinem Apartment in einem südlichen Vorort von Kairo. Bereits seit mindestens einer halbe Stunde waren wir zusammen und hatten uns etwas kennen gelernt. Doch nun sollte es um das gehen, weswegen ich zu ihm gekommen war: Ich wollte aus erster Hand über die Entwicklungen des Landes erfahren, das ich zuletzt vor sieben Jahren besucht hatte.

 

Tahrir 2011 / 2018

Janos Eröffnung bestätigte den Eindruck, den ich mir bereits in der Nacht zuvor bei einem ersten Spaziergang durch Downtown Kairo gemacht hatte. Nichts erinnerte mehr an diesen Morgen Ende März 2011, als wir uns mit dem Taxi unserem unweit des Midhan Tahrir gelegenen Hostels nähernd, Rauchwolken aufsteigen sahen, die wohl einem abgebrannten Militärwagen entstammten. Nichts war mehr übrig von den überall prangenden revolutionären Parolen auf den Wänden in der Innenstadt. Und auch keine von den damals so zahlreichen Verkäufer*innen von T-Shirts mit dem Aufdruck „25th January – Revolution“, also jenem Datum, an dem zum ersten Mal hunderttausende in der Innenstadt in der Commune des Tahrir-Platzes zusammenkamen, waren mehr zu sehen. Damals, im März 2011, als wir in Kairo eintrafen, hatten die Ägypter*innen bereits das Unglaubliche geschafft: Sie hatten einen seit vielen Jahren das Land regierenden und ausplündernden Despoten aus dem Amt gejagt. Doch der Hass auf die Polizei war aus guten Gründen noch groß und es war noch alles andere als ausgemacht, wie es politisch mit dem Land weitergehen würde. Also dauerte die Besetzung des Platzes an - ebenso wie die Straßenschlachten. Philip Rizk zitiert in einem Artikel einen vom ihm im Frühjahr 2011 gefilmten Mann. Dieses Zitat gibt die Bedeutung des Tahrir-Aufstandes für das Selbstbewusstsein der Menschen eindrucksvoll wieder: „I swear I used to walk here scared. Today, look, I am walking freely. I feel safe. Should I feel safe in these days, or are these supposed to be days of fear?“ [1]

Im März 2018 ergab sich mir ein ganz anderes Bild: Der Platz ist wieder fest in der Hand der Polizei und des Militärs. Einzelne Menschengruppen sitzen inmitten der ununterbrochen von Autos umrundeten Verkehrsinsel. Auf diese ist ein Bildschirm gerichtet, der 24 Stunden am Tag entweder Reden Al-Sisis abspielt oder Manöver des ägyptischen Militärs zeigt. Von vielen, den kreisförmigen Platz umgebenden, Gebäuden hängt ein Banner mit Portraits des neuen Despoten. Eines wurde offensichtlich für Touris wie mich aufgehängt und verkündet in englischer Sprache ganz bescheiden: „Al-Sisi is the best“. Andere Banner wurden von privater Seite bezahlt und tragen neben Wahlwerbung für den gerade genannten auch Logos von Firmen, die wohl auf zusätzliche Aufträge durch diese kleine Gefälligkeit hoffen. Auch gegenüber meiner Kairoer Lieblingskneipe „El Horreya“, wo damals Porträts der Märtyrer der Revolte hingen, deren junge, lebensfrohe Gesichter sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt haben, baumeln nun lange Banner mit dem Portrait des Präsidenten, eingerahmt von riesigen Nationalflaggen. Auch dessen Gesicht werde ich so schnell nicht vergessen.

 

Die Wahlfarce

Bekanntermaßen gewann Al-Sisi die Wahl einige Tage später mit 97% der abgegebenen Stimmen. Die ca. zwei Millionen ungültigen Wahlzettel, die die Zahl von ca. 800.000 abgegebenen Stimmen für den einzigen Gegenkandidaten Moussa Mostafa Moussabei (ein Unterstützer Al-Sisis) bei weitem übertrafen und dafür sorgten, dass der zweite Kandidat auf dem dritten Platz landete, waren in dieser Prozentzahl jedoch nicht mit eingerechnet. Doch den Ausschlag für dieses Ergebnis hatte sicherlich nicht die an jeder Ecke angebrachte Wahlwerbung gegeben, sondern seine seit dem Amtsantritt gnadenlos angewandte Lieblingsmethode: blanke Repression und Gewalt. Alle ernsthaften Gegenkandidaten wurden vorsichtshalber bereits im letzten Jahr ins Gefängnis gesteckt. Dementsprechend gingen sowieso nur die Unterstützer*innen Al-Sisis zur Wahl.

 

Das Al-Sisi Regime

Angetreten war Al-Sisi kurz nach seinem Putsch am 03. Juli 2013 mit einem riesigen Blutbad. Am 13. August 2013 versammelten sich immer noch tausende Anhänger*innen des gerade abgesetzten Präsidenten Mursi in den Straßen. Im Laufe des Tages rief das Militär die mehrheitlich aus Unterstützer*innen der Muslimbrüder bestehende Menge dazu auf, sich zu zerstreuen und warf Flyer mit derselben Forderung aus einem Helikopter ab – allerdings ohne Ultimatum. Kurz darauf sollte ein beispielloses Massaker beginnen. Militärs rasten mit Bulldozern in die Menge. Maschinengewehre wurden angesetzt und Soldaten schossen ohne Unterschied scharf in die Versammlung. Einige Stunden später waren über tausend Menschen tot. Es war die klare Ansage des Militärs: Jede*r, der*die sich ab jetzt gegen unser neues Regime wehrt, kann damit rechnen, erschossen zu werden. Seitdem herrscht Friedhofsruhe im Land. Zehntausende politische Gefangene sitzen im Gefängnis und Folter gehört zum (Polizei-)Alltag. Für die Militärs war der größte von Mubarak begangene Fehler der, dass er die Opposition – wenn auch in sehr begrenztem Maße - gewähren ließ. Sie sind nun entschlossen, mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich dieser „Fehler“ wiederholt.

Wie Jano erzählte, hat es das Militärregime mit dieser Methode geschafft, innerhalb kürzester Zeit die mit dem Aufbruch von 2011 verbundene Hoffnung zunichte zu machen. Es sei inzwischen ganz normal, dass Menschen für Jahre ohne Anklage hinter Gittern landen. Daher nehme auch niemand mehr an Demonstrationen teil. „Wer hat schon Lust mit gerade mal 50 Hanseln ein paar Meter die Straße runterzulaufen und dafür für fünf Jahre im Gefängnis zu verschwinden?“, fragt er lakonisch. Nach der Revolution seien linke Zirkel aufgeblüht, ein lebhaftes linkes Milieu sei entstanden und zum ersten Mal seit Jahrzehnten sei wieder öffentlich über Themen wie Anarchosyndikalismus diskutiert worden. Heute ist davon nichts mehr übrig. Alle Linken, die er kenne, sitzen entweder im Gefängnis, sind ins Ausland geflohen oder haben sich vollkommen aus dem politischen Leben zurückgezogen. Auch er selbst hat konkrete Pläne, demnächst das Land zu verlassen. „There is no hope left.“, fasst er die Lage kurz und prägnant zusammen.

 

Neue Repression

Dass es soweit kommen konnte, sei bis zum Tag des Putsches aber alles anderes als ausgemacht gewesen. Denn die Muslimbrüder installierten zwar ohne Zweifel ein erzreaktionäres Regime, sie konnten dieses aber nur sehr begrenzt entfalten, da sie sich die Macht immer noch mit dem Militär teilen mussten. Und dieses setzte vieles, was von den Muslimbrüdern angeordnet wurde, einfach nicht um. Durch dieses Machtgleichgewicht entstanden ungeahnte Freiräume, in denen sich auch diskriminierte Minderheiten wie LGBTIs zögerlich entfalten konnten. Gerade im Umgang mit dieser Gruppe zeigt sich, wie repressiv das aktuelle Regime ist. Während sich bis 2013 vor allem in Downtown eine homosexuelle Subkultur entwickeln konnte, hat das Militär damit schnell Schluss gemacht. Auch deren letztes Refugium, das Internet, wurde durch die Infiltration geschlossen. Hunderte sind im Gefängnis gelandet, etwa weil sie sich über Flirt-Apps wie Grindr mit Polizeiagenten verabredet hatten und nun mit dem Vorwurf der „Ausschweifung“ konfrontiert sind (Homosexualität selbst ist im Land gar nicht verboten). Am deutlichsten zeigt ein Vorfall aus dem Herbst letzten Jahres, welch obsessiven Charakter die Verfolgung aller Zeichen homosexuellen Lebens angenommen hat. Bei einem Konzert der libanesischen Band „Mashrou’ Leila“ zeigten Zuschauer eine Regenbogenflagge. Das Bild ging als empowerndes Signal durch die sozialen Medien, was den Militärs gar nicht passte. Mehrere Leute, die um die Flagge standen, wurden ausgemacht, Verhaftungen folgten und eine Person wurde inzwischen unter dem Vorwurf der „Ausschweifung“ zu einer sechsjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Auch wenn diese äußerste Repression (und zwar nicht nur gegen LGBTIs) darauf schließen lässt, dass sich das Regime nur durch blanke Gewalt an der Macht hält, konnten die Militärs anfangs durchaus noch auf eine populäre Unterstützung zählen. Mursi hatte etwa 50% der Stimmen erhalten, der Rest der Gesellschaft stand seinem Programm der Durchislamisierung der Gesellschaft eher kritisch gegenüber (natürlich außer den noch radikaleren Salafisten). Daher konnten sich die Militärs als zwar auch frömmelndes aber dennoch irgendwie säkular wirkendes Gegengewicht präsentieren, so überzeugte Anhänger*innen hinter sich scharen und große Mobilisierungen gegen die Muslimbrüder für ihre eigene Agenda vereinnahmen. Doch nach fünf Jahren sind nur noch sehr wenige überzeugte Anhänger*innen übrig geblieben. Denn die Probleme des Landes sind unübersehbar. So schreitet die Inflation mit einem ägyptischen Pfund, das in kurzer Zeit mehr als die Hälfte seines Wertes verloren hat, stetig voran, während gleichzeitig die Preise für Grundnahrungsmittel kontinuierlich steigen. Eine Situation, die in einem Land, in dem bereits das Gerücht über die Kürzung der Brotsubventionen tagelange Aufstände auslösen kann, nicht ewig gut gehen kann. Zumal auch die Sicherheitssituation trotz des Gebahrens des Militärs als Hüter von Recht und Ordnung überhaupt nicht rosig ist. Besonders das Problem der im Sinai operierenden IS-Ableger ist längst nicht unter Kontrolle und stellt eine weitere tickende Zeitbombe dar. Und auch die mörderischen Angriffe auf koptische Christ*innen vermehren sich. Erinnert sei hier nur an das Massaker am 29. Dezember 2017, dem 11 Kopt*innen zum Opfer fielen. Der Schluss, dass es früher oder später wieder zu Aufständen kommen muss, liegt daher alles anderes als fern. Doch dieses Mal werden sie wohl nicht mehr den Charakter einer Platzbesetzung haben, sondern von vornherein sehr viel militarisierter von statten gehen. Das Regime konnte genau diesen Aspekt, der vielen im Land bewusst ist, bislang in einen ideologischen Trumpf für sich selbst verwandeln. Denn obwohl sich die soziale Lage stetig verschlechtert, können sie darauf verweisen, dass ohne ihre harte Hand das Land in einem Bürgerkrieg zu versinken drohe. Die Situation in Syrien oder in Libyen bildet hierfür die bedrückende Blaupause.

 

Epilog

Mit diesen düsteren Eindrücken einer Revolution, die innerhalb von wenigen Jahren durch ein konterrevolutionäres Regime ersetzt wurde, das noch repressiver agiert, als das einige Jahre zuvor gestürzte, fahre ich einige Tage später weiter Richtung Süden. Dabei habe ich die Intention, mich nicht mehr mit der beschissenen aktuellen politischen Lage zu beschäftigen und mir stattdessen die Wunder des antiken Ägyptens anzuschauen. Mit Befriedigung stelle ich fest, dass auch die Pharaon*innen nicht so allmächtig waren, wie sie immer erscheinen. Spätestens wenn sie mit dem Tod konfrontiert waren, mussten sie sich überlegen, wie sie den Reichtum, den sie in das nächste Leben mitnehmen wollten, möglichst ohne Wissen derer, durch deren Auspressung sie sich all die Schätze überhaupt erst aneignen konnten, neben ihrer Leiche platzieren konnten. Und so entschieden die Pharaon*innen des „Neuen Reichs“, sich als Tote nicht mehr in protzigen Pyramiden mit ihren Reichtümern einzuquartieren, sondern ihre Grabkammern in ein karges, östlich von Luxor gelegenes Gebirge schlagen zu lassen, sowie die Eingänge so gut wie möglich zuzumauern und zu verstecken. Doch dies half alles nichts. Denn irgendjemand musste die Grabkammern ja auch in den Berg schlagen und das Wissen über ihre Lage und Architektur haben. Und so eigneten sich die Arbeiter*innen des ägyptischen Altertums noch vor dem Ende dieser Zeitepoche wieder das an, was ihnen sowieso zusteht. Die Pharaon*innen mussten zusehen, wie sie im nächsten Leben ohne ihre Reichtümer zurecht kamen. Wenn die politische Lage auch noch so aussichtslos erscheint, wissen wir doch, dass die Unterdrückten und Ausgebeuteten immer Wege finden werden, den Herrschenden ein Schnippchen zu schlagen. Irgendwann werden sie wieder in der Lage sein, die Herr-Knecht-Dialektik zu ihrem Gunsten zu nutzen. Hoffen wir, dass die arbeitende Klasse Ägyptens nicht erst auf den Tod ihres aktuellen Despoten warten muss, sondern demnächst ihr Schicksal wieder selbst in die Hände nehmen wird.

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[1] Philip Rizk, Fear the everyday state, in: Emotional Architecture (Hrg.), No fantasy without protest, Kairo 2015

 

 

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