Die Linke und die Impfpflicht: Ein Streitgespräch

Im Rahmen eines Streitgesprächs über die Einführung einer Impfpflicht in der BRD haben wir versucht unterschiedliche Positionen innerhalb der revolutionäre Linken darzustellen. Hierbei ist uns wichtig zu betonen, dass uns allen klar ist, dass die Impfung mit getesten Impfstoffen eine wirksame und sichere Methode zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist und jegliche Art von Verschwörungstheorien bezüglich einer Impfung an sich von uns allen abgelehnt wird. Die menschenverachtende und antisemitische Ideologie die hinter vielen solcher Verschwörungstheorien steckt, darf nicht Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit der Einführung einer Impfpflicht bilden. Diese Diskussion muss in der revolutionäre Linken geführt werden, um sich mit einer der gravierendsten Einschnitte in unserem Gesundheitssystem und unserem täglichen Leben auseinanderzusetzen.

 

(Die Diskussion, die der Text wiederspiegelt, hat schon Mitte Februar stattgefunden, entsprechend orientierten wir uns an dem damaligen Stand. Die komplette Aufgabe jeder Corona-Politik, wie das Streichen der PCR-Tests für die meisten, verändert die Situation natürlich, ebenso wie der alles überschattende Ukraine-Krieg - trotzdem läuft im Hintergrund die Diskussion weiter und wird demnächst entschieden. Die revolutionäre Linke wird sich dazu positionieren müssen.)

Im Rahmen eines Streitgesprächs über die Einführung einer Impfpflicht in der BRD haben wir versucht unterschiedliche Positionen innerhalb der revolutionäre Linken darzustellen. Hierbei ist uns wichtig zu betonen, dass uns allen klar ist, dass die Impfung mit getesten Impfstoffen eine wirksame und sichere Methode zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist und jegliche Art von Verschwörungstheorien bezüglich einer Impfung an sich von uns allen abgelehnt wird. Die menschenverachtende und antisemitische Ideologie die hinter vielen solcher Verschwörungstheorien steckt, darf nicht Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit der Einführung einer Impfpflicht bilden. Diese Diskussion muss in der revolutionäre Linken geführt werden, um sich mit einer der gravierendsten Einschnitte in unserem Gesundheitssystem und unserem täglichen Leben auseinanderzusetzen.

Ein kaputtes Gesundheitssystem

Im Rahmen der Diskussion wurde das Argument hervorgebracht, dass die Impfung die realistischste Maßnahme sei die Pandemie zu bekämpfen. Denn die Erneuerung des Gesundheitssystems ist zwar zwingend notwendig, kann jedoch nicht in so kurzer Zeit durchgeführt werden. Die Durchseuchungspolitik, die aktuell stillschweigend von der BRD durchgeführt wird, hat absehbar negative Folgen. Insbesondere die Durchseuchung in Schulen und Kindergärten kann zu schweren Folgeerkrankungen führen, die in den nächsten Jahrzehnten die Gesundheit der Menschen nachhaltig beeinflusst, konkret PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome).
Gleichzeitig argumentierten andere Genoss:innen, dass die Impfung eine begrenzte Wirkung habe, sowohl zeitlich, als auch in Bezug auf das Pandemiegeschehen. Menschen können sich weiterhin anstecken und Überträger:innen sein, auch wenn sich die Impfung deutlich positiv auf Schwere der Erkrankungen, Viruslast und damit Ansteckungsgefahr auswirkt. Der Eingriff in die persönliche Entscheidung, der in regelmäßigen Abständen von nur wenigen Monaten wiederholt werden muss (anders als zum Beispiel bei der Masern-Impfung), und die massiven Überwachungsmaßnahmen des Staates stünden in keinem Verhältnis zu den begrenzten Schutzwirkungen durch die Impfung.

Die praktische Durchführbarkeit einer verpflichtenden Impfung und die damit einhergehende Überwachung und Repression haben die Diskussion dominiert. Defacto wird gerade über eine Sanktionierung der Ungeimpften und Teilgeimpften durch Geldstrafen diskutiert. Die Arbeiter:innenklasse wäre davon besonders stark getroffen, während andere sich schlicht freikaufen könnten. Ein Mittel, das diskutiert wurde, um zumindest dieses Ungleichgewicht zu umgehen, wäre die Bußgelder an die Einkommen zu knüpfen, so dass sich die herrschende Klasse und Menschen mit hohem Einkommen nicht allein durch den finanziellen Vorteil einer Impfpflicht entziehen könnten.

Die Gefahr, dass der Staat die Mittel zur Kontrolle einer Impfpflicht als Vorwand nutzt, um weitere Grundrechtseinschränkungen vorzunehmen, muss bei der Positionierung der revolutionären Linken zur Impfpflicht bedacht werden. Durchaus denkbar wäre beispielsweise, dass Bullen durch die zusätzliche Abfrage des Impfstatus bei Demonstrationen oder "verdachtsunabhängigen" Kontrollen ein weiteres repressives Werkzeug an die Hand bekommen um zu drangsalieren. Besonders betroffen wären davon nichtweiße Personen und Personen mit unsicherem Aufenthaltstatus, die durch Racial Profiling eh im Fokus der Polizei stehen. Unter anderem Franziska Giffey hat - erwiesenermaßen wahrheitswidrig - in den migrantischen Communities ja schon die wahren Schuldigen für die pandemische Lage identifiziert - warum sollte die Polizei das anders sehen?

Massive 2G- und 3G-Kontrollen an öffentlichen und halböffentlichen Orten, wie Bahnhöfen, Restaurants und Kneipen, die wir zur Zeit auch schon erleben, behindern zudem jede subversive Bewegung in und zwischen Städten. Es ist schon mehr als ein Fall bekannt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft auf Kontaktdaten zugegriffen haben und es gibt wenig Grund zur Annahme, dass es bei Kontrolleinsätzen aufgrund einer Impfpflicht diesbezüglich eine Veränderung gäbe. Das wäre insbesondere der Fall, wenn man eine Impfung auch weiterhin in Cafes etc nachweisen müsste.

Bei einer Todesquote von über 300 Personen am Tag, steigenden Infektionszahlen und Intensivstationen, die deutschlandweit von fast ausschließlich Ungeimpften unter den Corona-Patient:innen belegt werden, gehen allerdings Teile der Diskussiongruppe davon, dass nur die Impfpflicht den Trend der Entwicklung brechen kann. Der Schutz und die Überlastung des medizinischen Personals hängt maßgeblich am Infektionsgeschehen bzw. den Belegungen der Intensivstationen durch Corona-Patient:innen. Dies führt seit über zwei Jahren zu massivsten Folgeschäden wie Todesfällen durch verschobene OPs und nicht- oder zu spät erkannten Krankheiten. Der Ausnahmezustand im kaputt-gesparten Gesundheitssektor wurde zur Regel!

Dass die Impfung nicht bei jedem völlig unproblematisch oder ohne Symptome abläuft, sollte längst klar sein. Zwar treten in der Regel nur kurzzeitige Symptome auf, doch einigen Menschen setzt der Impfstoff stärker zu und bedeutet für diese nicht nur eine körperliche Belastung. Kann man diesen Menschen zumuten sich alle paar Monate dem Druck einer im schlimmsten Fall ein- bis zweiwöchigen Grippesymptome auszusetzen, die nicht nur körperlich belastend ist, sondern vor allem auch ökonomische Implikationen hat - zum Beispiel für Solo-Selbstständige, die durch den Arbeitsausfall ein hohes Risiko für finanzielle starke Belastungen haben. Gleiches gilt für Arbeiter:innen bei Lieferdiensten oder auch Logistikzentren, die bei Krankheit kein Krankengeld erwarten dürfen, sondern stattdessen die Schichten gestrichen bekommen.

Impfterminen hinterrennen, Impfungen auffrischen und undurchsichtige, ständig verändernde Pandemiebestimmungen verfolgen. Der Staat überträgt diese Aufgaben auf das Individuum schon jetzt - und wer sie nicht erfüllt wird entsprechend sanktioniert mit dem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben. Kapitalisten und der Staat werden nicht zur kollektiven Verantwortung herangezogen.

Vertreter:innen beider Positionen war es wichtig zu betonen, dass unabhängig davon, ob der Staat eine Impfpflicht einführen sollte oder nicht, er eines nicht tut - er orientiert sein Handeln nicht an unserer Gesundheit, sondern dem Kapital. Die Maßnahmen des Staates schützen die Arbeiter:innenklasse nur soweit, dass sich das kapitalistische Hamsterrad weitgehend störungsfrei weiter drehen kann.

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Ergänzungen

 

? Auch wenn der Gedanke schwer auszuhalten ist, Covid-19 wird nicht die letzte Pandemie bleiben. Wie sieht Ihrer Meinung nach ein zukunftsweisendes Programm aus, um mit dieser Gefahr umzugehen?

 

Karl Heinz Roth: Da wäre zunächst die Ausweitung von pharmazeutischen Maßnahmen, das heißt die Entwicklung von geeigneten Medikamenten und Impfstoffen. Gegen Sars-CoV-1 gab es Anfang der 2000er -Jahre vielversprechende Ansätze für Proteaseinhibitoren, das sind antivirale Medikamente.Bevor sie in klinischen Studien erprobt werden konnten, wurde die Forschung abgebrochen, weil die Absatzmöglichkeiten der Pharmaindustrie nicht lukrativ genug schienen. 2020 hat man sich an diese Ansätze erinnert und mühsam aus den Tresoren der Labors die damaligen Untersuchungsergebnisse hervorgekramt.Wäre die pharmakologische Forschung nicht an Renditen orientiert, sondern als Gemeingut organisiert, hätten wir diese Medikamente heute schon zur Verfügung.

Dann brauchen wir einen globalen Ansatz bei den Interventionen. Etwa 35 Prozent der Weltbevölkerung sind doppelt geimpft. In den entwickelten Zentren liegt die Rate allerdings etwa 60 Prozent, im Globalen Süden nur zwischen zwei und zehn Prozent.

 Besonders wenig Impfungen gibt es in den verarmten Ländern (least-developed countries). Kein Wunder, wenn sich neue Varianten wie Delta aus Indien und Omikron aus Südafrika verbreiten! Nur durch ein globales Vorgehen können wir die weitere Ausbreitung abbremsen.Vor diesem Hintergrund ist die Auseinandersetzung über einen Impfzwang in Deutschland ziemlich absurd.

 Schließlich brauchen wir ein Konzept für eine nachhaltige Stärkung des Gesundheitswesens weltweit. Dazu gehört die Rekommunalisierung der Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, eine massive Aufwertung der Gesundheits- und Pflegeberufe.

Ich denke an die Einführung der 30-Stunden-Woche, eine bessere Entlohnung der Beschäftigten, vor allem in den unteren Kategorien, Tarifverträge, Reservepuffer bei Personal und Material. Das wären vernünftige Schlussfolgerungen aus dem katastrophalen Versagen im Umgang mit Covid-19.