Generalstreik das Leben lang! – Über die Vagabundenbewegung der 1920er Jahre

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Wer von der Zeit um die Weimarer Republik spricht, spricht von der Niederschlagung der Räterevolution, von der Weltwirtschaftskrise, von Instabilität, Armut und des Erstarkens des Nationalsozialismus. Eine Bewegung, auf die man im politischen Diskurs eher selten bis gar nicht trifft, ist die vom Anarchosyndikalisten Gregor Gog gegründete „Bruderschaft der Vagabunden“.

„Vagabund“… Was soll das eigentlich sein? Die Figur des Vagabunden findet seit Jahrhunderten Eingang  in Kunst und Literatur, oft verklärt und romantisiert, als Projektionsfläche der Wünsche schaffender Künstler nach Reiselust, Abenteuer und grenzenloser Freiheit. Der Vagabund, auch Tippelbruder/Tippelschickse, Landstreicher oder Kunden (eine zeitweilige Selbstbezeichnung) genannt bezeichnet per Definition einen obdachlosen Menschen, von denen es Mitte der 20er Jahre ca. 70.000 in Deutschland gab. Eine Zahl, die bis 1933 auf 450.000 Obdachlose steigen sollte.

Diese stießen nicht nur auf Ablehnung im Bürgertum, auch Marx und Engels beschrieben den „fünften Stand“ im „Manifest der Kommunistischen Partei“ mit Begriffen wie „Lumpenproletariat“, „eine passive Verfaulung der Gesellschaft“, welche nur die kommunistische Revolution wieder auf einen vernünftigen Weg bringen könne.
Die Vagabunden waren Wanderer, die eine soziale Gemeinschaft darstellten die von Solidarität untereinander geprägt war. Geschätzt wird, dass etwa 20% der Vagabunden ihre Obdachlosigkeit selbst gewählt hatten, auch Kunstschaffende wie Erich Mühsam begab sich eine Zeitlang auf Wanderschaft.

Die romantische Idee von der Freiheit und und einem Leben ohne gesellschaftliche Zwänge mag erst einmal recht verführerisch klingen, jedoch war das Leben der Vagabunden geprägt von Armut, Vorurteilen, sozialer Ausgrenzung und massiver staatlicher Repression. Die anarchische Lebensart war den Machtapparaten ein Dorn im Auge, sie war ein Symbol für „Volkszersetzung und Müßiggang“. Der Staat reagierte mit sogenannten „Arbeitshäusern“, in denen Obdachlose registriert, ärztlich untersucht und für begrenzte Zeit untergebracht wurden, nach in der Regel fünf Tagen Unterbringung wurden sie in Arbeitslager gebracht. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein Vorschlag populär, die Vagabunden in die Kolonie Deutsch-Südwestafrika zu deportieren.

Die „Bruderschaft der Vagabunden“ wurde 1927 von Gregor Gog gegründet, der während seinem Dienst bei der kaiserlichen Marine von Kameraden mit Schriften von Bakunin politisiert wurde. Gog wurde zweimal wegen Meuterei und antimilitaristischer Propaganda verurteilt und lebte bis zum Beginn seiner Wanderschaft in einer Kommune in Aurach. Er schrieb in Zeitschriften wie „der Anarchist“, „der Syndikalist“ und war Herausgeber der Zeitschrift „Der Kunde“. Die Zeitschrift war das Zentralorgan der Bruderschaft, welche auf Wanderschaft weitergereicht wurde und bei einer Auflage von 1000 Exemplaren einen geschätzten Leserkreis von 10000 Menschen erreichte. Die Bruderschaft war anarchosyndikalistisch geprägt und betrachtete das Bürgertum als die Keimzelle der Bourgeoisie. An Pfingsten 1929 organisierten Gog und die Bruderschaft den ersten und letzten „Internationalen Vagabundenkongress“ in Stuttgart. Mit dem Ziel den Kongress zu verhindern sperrte die Polizei die Straßen zur Stadt ab und nutzte den gesamten Apparat um die anreisenden Vagabunden von der Stadt fernzuhalten. Außerdem wurden im Vorfeld Schreckensszenarien an die Wände gemalt, dass in ganz Stuttgart die Vorhängeschlösser ausverkauft waren. Dennoch fanden sich zu der Konferenz über 600 Teilnehmer ein. Unter anderem Erich Mühsam und Maxim Gorki schickten Grußbotschaften. Gregor Gog hielt eine Rede mit den Schlussworten: 

„…Seine Aufgabe ist in dieser Welt nicht die spießbürgerliche Arbeit. Diese Arbeit wäre Mithilfe zur weiteren Versklavung, wäre Arbeit an der bürgerlichen Hölle. Sklavendienst zum Schutze und zur Erhaltung der Unterdrücker! Der Kunde, revolutionärer als jeder Kämpfer, hat die volle Entscheidung getroffen: GENERALSTREIK DAS LEBEN LANG! LEBENSLÄNGLICH GENERALSTREIK! Nur durch einen solchen Generalstreik ist es möglich, die kapitalistische, ‚christlich‘ kerkerbauende Gesellschaft ins Wackeln, ins Wanken, zu Fall zu bringen.“

1930 reiste Gog in die Sowjetunion und kam als überzeugter Parteikommunist zurück. Seit seiner Rückkehr war er der Ansicht, die Vagabunden müssten die „Reservearmee des Proletariats“ sein. Er trat der KPD bei, „der Kunde“ veränderte sich mit seinem Herausgeber, was die Bruderschaft der Vagabunden erschütterte und spaltete. Die Bewegung wurde 1933 von der NSDAP zerschlagen, Gregor Gog wurde 1933 in ein Konzentrationslager inhaftiert, konnte aber fliehen und sich in die Sowjetunion absetzen. Er starb am 7. Oktober 1945 nach schwerer Krankheit in seinem sowjetischen Exil.

Von einem anonymen Teil des Bewegungsmelder-Teams

Quellen:   

  • https://portal.dnb.de: Katalog der Deutschen Nationalbibliothek    – „Künstler, Kunden, Vagabunden – Texte, Bilder und Dokumente einer Alternativkultur    der Zwanziger Jahre“ von Hanneliese Palm, Christoph Steker
  • https://anarchistischebibliothek.org/library/gregor-gog-generalstreik-das-leben-lang-lebenslanglich-generalstreik
    Titel: Generalstreik das Leben lang! Lebenslänglich Generalstreik
  • Der König der Vagabunden- Gregor Gog und seine Bruderschaft: Graphic Novel von Bea Davies und Patrick Spät    

    Unbedingter Lesetipp im Zusammenhang mit der „Bruderschaft der Vagabunden“ ist die Graphic Novel „Der König der Vagabunden“, die eine tolle Einführung in das Thema ist und auf den letzten Seiten eine liebevolle Chronik der Bruderschaft und deren Protagonisten enthält.
    Auch sehr zu empfehlen ist der Band „Künstler, Kunden, Vagabunden“, der Texte,  Veröffentlichungen, Bilder und Kunstwerke aus der Vagabundenbewegung enthält, sowie interessante Briefwechsel zwischen Gog und Autoren wie Lessing oder Hesse.

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