Beitrag zu den Angriffen auf Amazon und The Factory in Berlin und dem Schweigen der radikalen Linken dazu

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Am 08. November 2017 wurde die neue mega Start-Up Factory am Görlitzer Park mit einer nur noch selten praktizierten Aktionsform angegriffen. Etliche Molotov-Cocktails flogen in die Fenster https://sendvid.com/7fqbly8i der einen Seite des freistehenden Gebäudes. In einem Schreiben https://chronik.blackblogs.org/?p=7048 , das auf Indymedia und in der Interim veröffentlicht wurde, wird von der verantwortlichen Gruppe berichtet, dass außerdem Steine und Farbe sowie in einem Gebäudeteil stinkende Flüssigkeit eingesetzt wurden. Die Tat wird in dem Schreiben vorwiegend in den Zusammenhang mit Kämpfen gegen Gentrifizierung gestellt. Oberflächlich wird auch noch eine generelle Gesellschafts- und Technologiekritik vermittelt.

 

 

Wenige Tage später, am 23. November wurden mehrere Lieferwagen von Amazon durch Brandstiftung bzw. einfache Beschädigungen unbenutzbar gemacht. Die Aktion passierte einen Tag vor dem sogenannten BlackFriday, der mittlerweile ein internationaler Super-Shopping-Tag ist. Interessant daran war, dass einige linksradikale Gruppen einen Aktionstag unter dem Namen Block Black Friday gegen Amazon ausgerufen hatten, da sich der Konzern an diesem Tag besonders profilieren wollte. Geplant war, durch Blockaden und spamartige Bestellungen solidarischer Kund_innen den Tag für Amazon zu versauen und widerständige Haltungen zu propagieren. Daher war die Sabotage des für die Auslieferung zuständigen Fuhrparks ein sinnvoller Beitrag.

 

 

 

Sowohl der Angriff auf die Factory als auch die Sabotage bei Amazon wurden durch Gruppen ausgeführt, die in ihren Schreiben eine direkte Betroffenheit durch die Machenschaften der Konzerne ausdrücken, der zu Folge sie sich zum Angriff entschieden haben. So geht es in dem Schreiben zur Factory hauptsächlich darum, dass zur Zeit Megakonzerne wie Google, Zalando und Amazon die existenzbedrohende Lage für ärmere Menschen in der Innenstadt zusätzlich verschärfen. „Wir haben keine Lust in einer Hochglanzstadt nach Londoner Vorbild zu leben, wir wollen unsere Wohnungen behalten und lieben unsere Brachen, die oft Lebens(t)raum verschiedener Leute waren.“ Damit folgen sie der autonomen Linie einer Politik der 1. Person, welche im Berliner Kampf gegen Gentrifizierung seit langem darunter leidet, dass sie keine anschlussfähigen Elemente hervorbringt. Es wirkt, als würden die illegal agierenden Militanten darauf warten, dass ansprechbare Militante das gemeinsame Anliegen öffentlich vertreten, um einer gesellschaftlichen Gegenmacht in Form einer Bewegung näher zu kommen. Dieses Verhalten ist eine Konsequenz aus harter Repression. Es produziert aber einen Widerspruch, der die Politik der 1. Person unter derzeitigen Umständen in Frage stellt, da eine Trennung in die zwei Bereiche Legal-Illegal stattfindet, welche eine Delegation von Verantwortung nach sich zieht.

 

 

 

Der Widerspruch dürfte den klandestinen Militanten bewusst sein. Warum sonst kommt der Text zur Factory letztendlich doch nicht ohne Bezugnahmen auf Teilbereichskämpfe oder Kämpfe von anderen aus? Es wird auch von Menschen geredet, die Opfer der Technologisierung sind: „Der Gesichtsausdruck derer, die in der U-bahn sitzen und stumpf auf ihre Handys blicken, sind Ausdruck und Schaubild einer Gesellschaft, die sinnentleert konstruierten Bedürfnissen hinterherrennt, statt sich auf Freundschaft, Solidarität, Liebe und Gemeinsamkeiten zu beziehen.“ Derartige Formulierungen implizieren, dass man es besser weiß, welche Bedürfnisse „echt“ und nicht „konstruiert“ sind. Letztendlich hat man als Zusammenhang oder Szene also eine Utopie, die man anderen Leuten zeigen will. Eine klare Rollenverteilung vermittelt auch der Satz: „Unsere Solidarität gilt auch den Kämpfenden zum BlackFriday gegen die Ausbeutung durch den Amazon Konzern.“ Selbst ist man zwar gegen die Welt der Arbeit („Der Welt der Arbeit, (Selbst)Ausbeutung und Vereinzelung gilt es entschieden entgegenzutreten.“), steht aber derart außerhalb und über den Dingen, dass man eine Unterstützung für Arbeitskämpfe zusichert, auch wenn sie einseitig ist.

 

 

 

Mit diesem Widerspruch leben die Autonomen seit je her und man muss zu ihrer Verteidigung sagen, dass Solidarität keine Worthülse ist, sondern die Empathie, die die Bedürfnisse der Anderen zu den Eigenen macht. Eine Empathie, die bei derart riskanten Aktionen schnell in den Knast führen kann. Aufmerksame Parkbesucher_innen wissen, dass die Factory rund um die Uhr von einem Sicherheitsdienst bewacht wird.

 

 

 

Wichtig ist, dass der Widerspruch verstanden wird, um ihn nicht nur auszuhalten, weil er nicht erkannt wird, sondern weil er in dem Rahmen in dem wir diskutieren nicht vermeidbar ist. Gehen wir also davon aus, dass Autonome schon über eine Kompromissbereitschaft definiert sind.

 

 

 

An diesem Punkt kann über ein politisches Verhalten diskutiert werden und wenn eine Weiterentwicklung gewollt ist, sollte das anlässlich der Anschläge auf die Factory und Amazon getan werden.

 

 

 

Zu bezweifeln ist anlässlich der Oberflächlichkeit des Textes zur Factory, dass die ausführende Gruppe eine gemeinsame Position entwickelt hat, deren Ergebnis die Tat war. Es scheint als habe es sich etabliert, dass die Klandestinen auf ein gesellschaftliches Ereignis warten, das ihrem moralisch einwandfreien Aktivismus zu mehr Wirkkraft verhilft. Dass also, wie gesagt, ansprechbare Militante plötzlich einen gemeinsamen Kampf öffentlich vermitteln. Aus dem Text „Autonome Identität und die Kleingruppe“ in der „radikal & schädlich geneigt“: „Es exisitiert auch die Theorie, dass uns als Autonome die Rolle zukommt, das Wissen des radikalen Widerstandes und der Konspiration in Zeiten wie diesen zu konservieren, um es bei Situationen der Zuspitzung des sozialen Krieges weiterzugeben.“

 

 

 

Doch zu hoffen macht uns unfrei. Lieber sollten wir tatkräftig daran arbeiten, dass Zuspitzungen eintreten und unsere Utopie dabei möglichst viel Bedeutung und Breite erlangt, anstatt bewegende Ereignisse herbeizusehnen.

 

 

 

Im Text https://chronik.blackblogs.org/?p=7158 der Gruppe, die die Anschläge auf Amazon ausgeübt hat, wird der Anspruch, eine breite Bewegung des Widerstandes aufzubauen, klar. Es wird sich auf den Arbeitskampf bei Amazon bezogen, da die Aufrufe zu Block Black Friday eine radikale Analyse vermitteln. Leider aber wurde die Hoffnung bisher enttäuscht, mit der Aktion eine Resonanz zu erzeugen, die einerseits dem Arbeitskampf eine neue Dimension verleihen und andererseits den illegal Organisierten ein positives Signal senden würde. Möglicherweise wurden auch einfach nicht alle Register gezogen, um die Information dorthin zu bringen, wo sie auf Resonanz hätte stoßen können.

 

 

 

Doch die Verbreitung von Informationen kann eine riskante Angelegenheit sein, da sie manchmal ein öffentliches Auftreten verlangt. Die Frage ist deshalb, wieso öffentlich agierende Gruppen mit radikalen Analysen militante Konzepte so konsequent ausschließen? Wieso findet man auf den Internetseiten und Flugblättern von Gruppen und Bündnissen in Berlin keine Hinweise auf die rege Praxis militanter Zusammenhänge, die sich teilweise zur Nutzung in einem gemeinsamen Sinne anbieten? Gibt es Kritik am Inhalt oder der Umsetzung der zwei benannten Aktionen? Oder ist es letztendlich gar nicht gewollt, dass sich an der Basis eine selbstbestimmte Aktivität entfaltet, die vielleicht einigen Theorien und Konzepten der eigenen Öffentlichkeitsarbeit nicht zu hundert Prozent folgt? Möglicherweise finden sich die Antworten in einschlägigen Publikationen der letzten zehn oder zwanzig Jahre, was die Verantwortlichen jedoch nicht von der Schuld befreit, ehrlich, verständlich und zusammenhängend im Hier und Jetzt Rechenschaft abzulegen.

 

Wir meinen damit Positionierungen, wie sie aus der Auswertung von TOP Berlin https://makeamazonpay.org/2017/12/27/rome-wasnt-burned-in-a-day-auswertung-von-top-b3rlin/ zum Block Black Friday spricht. Detailliert wird über jede kleinste Handlung dieser Kampagne berichtet – vorausgesetzt sie verlässt nicht den Rahmen der Legalität. Kriminalisierbare Aktivitäten finden in der Welt der Postautonomen nicht statt, sie machen keinen Sinn weil diese Militanten nur sehr wenige sind. Und weil Vermittelbarkeit alles ist, blockiert man sich so durchs Aktivistenleben, gegen Naziaufmärsche, gegen Kohlebagger oder gegen Konzerne wie Amazon. Die Blockade ist in Deutschland das Äußerste, was die radikale Linke verantworten will.

 

 

 

 

 

Ausblick

 

 

 

Der Aufbau illegaler Strukturen ist immer gut, um eine langfristige Perspektive zu entwickeln, die nicht einfach durch Illegalisierung zu zerstören ist. In Berlin gibt es eine illegale, jedoch kaum eine ansprechbare, öffentliche militante Praxis. Ansprechbarkeit und Verbindlichkeit muss hergestellt werden, um den Bruch mit den herrschenden Verhältnissen zu verbreitern und zu vertiefen. Am einfachsten durch bestehende Strukturen, die Position beziehen. Gruppen, die öffentlich gegen den Komplex Gentrifizierung-Smartcity-Versklavung kämpfen, dürfen nicht weiter zu den Angriffen schweigen. Die Situation ist im Rahmen beispielsweise der Berliner Liste vor einigen Jahren diskutiert worden. Auch hier haben legale Gruppen, die teilweise inzwischen wieder eingeschlafen sind, sich nie zu den Angriffen auf Ziegert oder ähnliche Akteure geäussert. Das Problem liegt an der falschen Definition von Militanz in Deutschland. Hier wird Militanz mit Illegalität gleichgesetzt. In den meisten anderen Ländern bedeutet diese Bezeichnung jedoch ein entschlossenes Auftreten für den eigenen Zusammenhang, z.B. eine Gewerkschaft, eine Stadtteilinitiative, eine bewaffnete Gruppe etc.

 

Die Konflikte in Berlin verlassen aber nur selten den symbolischen Rahmen. Im zivilgesellschaftlichen Raum gibt es keine Strukturen einer sozialen Bewegung, die mit autonomen Gruppen Bündnisse eingehen könnte. Im Gegenteil wurden sogar im Antifa Bereich die früheren Bündnisse damit beendet, dass die Manager des Protestes die militanten Antifa Gruppen absorbiert haben. Für mehr ist das Drohpotential der klandestinen Strukturen zu minimal, die Radikalität (die eben nicht von legal – illegal abhängig ist) der politischen Szenerie in Berlin zu gering und strategisches Denken der offen agierenden Gruppen nicht erkennbar.

 

 

 

Die autonomen Gruppen brauchen keinen Applaus der „Linken“. Unabhängig von Aktionsformen müssen Ziele formuliert werden, die eine Theorie begründen aus der sich dann vielleicht eine Praxis gegenseitiger Bezugnahme entwickelt. Fast hätte sich so etwas in Neukölln entwickeln können, die dortigen Initiativen gegen Verdrängung werden über einen Blog gut vermittelt http://nk44.blogsport.de/ - doch auch auf diesem finden sich keine Berichte über Angriffe auf die Stadt der Reichen. Und die Angreifenden beziehen sich meistens nur sehr oberflächlich auf die Arbeit der offenen Gruppen.

 

 

 

(A)

 

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Ergänzungen

Und er wird auch rezipiert von der Berliner radikalen Linken:

https://twitter.com/Rev1MaiBerlin/status/947770726525829120