Über ein Buch zu linken Perspektiven auf Corona sowie linke Kritik(un)fähigkeit

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 Passend zur noch immer nicht überwundenen Corona-Pandemie und den überbordenden staatlichen Maßnahmen im Zuge der Bekämpfung der Pandemie ist kürzlich in der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise (AG SPAK) aus Neu-Ulm ein Sammelband mit 33 Beiträgen, sowie zwei dokumentierten Gesprächen unterschiedlichster Autor:innen erschienen, unter dem programmatischen Titel „Corona und linke Kritik(un)fähigkeit“.

 Dem von Anne Seeck, Gerhard Hanloser und Peter Nowak herausgegebenen Band gingen 16 im Netz übertragene Diskussionsveranstaltungen voraus (auf https://www.vimeo.com nachzuschauen und nachzuhören), auf deren Grundlage in der Folge das vorliegende Buch entstanden ist.

 

In fünf Kapiteln wird sich dem Phänomen aus den Perspektiven „Corona und die Linke“, „Wen Corona und Lockdown besonders trifft“, „Die Profiteure“, „Medizin ist politisch“ und schließlich „Soziale Kämpfe und Gegenwehr“ angenähert.

 

Hanloser arbeitet in seinem Essay „‘Corona-Rebellen‘, Linke und Antifa“ (S.19 ff.) heraus, wie aus seiner Sicht die (radikale) politische Linke den Moment verpasst habe mit klugen Interventionen und Protesten Position zu beziehen und den Klassencharakter des Lockdowns zu skandalisieren und hinterfragt kritisch, auch mit Hilfe historischerRückgriffe, die auf linken Demos zu hörende Parole „Wir impfen euch alle“, der er ein Gemeinmachen mit der Herrschaft attestiert.

 

Elisabeth Voß attestiert in „Linke Kritik(un)fähigkeit und patriarchaler Rollback“ (S.35ff.) der vorerwähnten Parole einen patriarchalen Impetus und vermisst zugleich eine respektvolle und gewaltfreie Kommunikation in einer Zeit, in der es offenbar viel eher um patriarchal geprägte Konkurrenz, Dominanz und Rechthaberei gehe, wo es eigentlich einer kooperativen, feministischen Haltung bedürfe. Dem schließt sich der Beitrag von Anne Seeck (S.43 ff.) an, welche unter dem Titel „Feministische Perspektiven in der Corona-Krise“ entwickelt. Familien, Alleinerziehende, andere marginalisierte Frauen und queere Menschen, ältere alleinstehende Frauen, sie alle hatten, so Seeck, ganz besonders unter der Corona-Krise und den Maßnahmen zu leiden. Feminismus, so fordert die Autorin, solle immer zusammen mit der sozialen Frage betrachtet werden.

 

Es ist nicht der Raum die vielen weiteren und sehr fundierten Beiträge näher vorzustellen. Selbstverständlich kommen viele der besonders von der Pandemie und den Maßnahmen betroffenen gesellschaftlichen Gruppierungen zu Wort: ob es in der (Alten-)Pflege ist, die Psychiatrie, die Obdachlosen, nicht zu vergessen die 60.000 inhaftierten Menschen. Es werden die (amoralischen) Corona-Profite besprochen, der Einsatz der Armee im Inland, die niemals wertfreie Medizin, die immer schon die Klassenlage widerspiegelte und wie (künftig) kämpferisch, auch in der postpandemischen Zeit Gegenwehr aussehen kann und muss.

 

Auch wenn, vermutlich verständlicherweise, in der Mehrzahl der Beiträge die Situation der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland im Fokus steht, möchte ich doch noch auf den Essay von Raina Zimmering, „Digitalisierung und Corona aus zapatistischer Perspektive“ (S.224 ff.) besonders hinweisen, denn der transnationale Charakter der Pandemie und der entsprechenden Maßnahmen ist offenkundig, zumal die Reaktion eines Großteils der Nationen erst mal darin bestand die Grenzen dicht zu machen und sich vom Rest der Welt abzuschotten. Zimmering stellt einführend in einem historischen Rückblick dar, wie die Zapatisten schon früh in ihrem Kampf die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen begannen. Das Phänomen der Digitalisierung, so die Historikerin und Lateinamerikanistin, hätten die Zapatistas zudem von Anfang an als Raum des Kampfes und Widerstandes begriffen. Neben den Vorzügen, seien auch die Gefahren, z.B. durch die Überwachung und Kontrolle begriffen worden und es sei versucht worden diesen zu begegnen.

 

Die Gefährlichkeit des Corona-Virus werde von den Zapatistas grundsätzlich ebenso anerkannt, wie die Notwendigkeit von hygienischen und gesundheitlichen Gegenmaßnahmen. Allerdings stellten sie die Umsetzung der Gegenmaßnahmen im Gefüge des Kapitalismus absolut in Frage, da aus deren Sicht die Corona-Maßnahmen der politischen Ruhigstellung der Ausgeschlossenen und Unterdrückten ebenso dienten, wie der Verhinderung des Widerstands hiergegen. Diese Tatsachen gewissermaßen dialektisch nutzend, so Zimmering, könne aus zaptistischer Sicht dazu führen, dass die weiter auseinander driftende Kluft zwischen Arm und Reich schneller auf globaler Ebene bewusst gemacht, Widerstand global koordiniert werde, um letztlich in ein gutes Leben für alle zu münden.

 

Das erscheint mir sehr optimistisch gedacht, aber letztlich geht es doch darum: zu erkennen, dass niemand eine Insel ist, dass wir als Menschen alle miteinander verbunden sind, wir gemeinsam für eine Veränderung kämpfen müssen und kein zweites Mal relativ widerstandslos die überbordenden staatlichen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen hinnehmen sollten.

 

Bibliographische Angaben: Corona und linke Kritik(un)fähigkeit – Kritisch-solidarische Perspektiven „von unten“ gegen die Alternativlosigkeit „von oben“.

Herausgeber:innen: Gerhard Hanloser, Peter Nowak, Anne Seeck

Verlang: AG SPAK Bücher (https://www.agspak-buecher.de/)

Preis: 19,00 €

Seiten: 239

ISBN: 9783945959596

 

Rezensent:

Thomas Meyer-Falk

z.Zt. Justizvollzugsanstalt (SV)

Hermann-Herder-Str.8

D-79104 Freiburg

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