Berlin: Adbusting zum „Tag ohne Bundeswehr“

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So lief der Tag der Bundeswehr 2021: Während die Bundeswehr drinnen Video-Konserven für 6000 Hardcore-Fans im Internet streamt, kapert draußen eine Kommunikationsguerilla Werbevitrinen in der ganzen Stadt. Die gefälschten Plakate in den Werbevitrinen zeigen das Tarnfleck-Polygon der Bundeswehr. Doch die Sprüche machen keine Werbung für die Truppe, sondern kritisieren das Militär. Das Verändern weniger Buchstaben macht aus dem Werbespruch „Sichere Zukunft im Visier“ zum Beispiel die Kritik „Sichere Profite im Visier.“ Oder „Sichere Zukunft für wen?“ Oder einfach: „Waffen first, Tag X second.“ In Fachkreisen wird diese Aktionsform „Adbusting“ genannt und die Behörden gehen sehr hart dagegen vor, da Adbusting laut LKA Berlin die Bundeswehr „gar lächerlich“ mache.

Protest zum Tag der Bundeswehr

Hinter den Aktionen steckt die Kommunikationsguerilla-Kampagne TOB21.noblogs.org. Die Initiative vereint Adbusting-Gruppen aus der gesamten Bundesrepublik. „Mit dem Tag ohne Bundeswehr feiern wir, dass der Tag der Bundeswehr diese Jahr ausfällt“ sagt Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg, die Pressesprecher*in der Kampagne tob21.noblogs.org: „Und wir fordern, dass jeder Tag ein Tag ohne Bundeswehr sein soll!“

Mehrere Kollektive beteiligt

In Berlin beteiligten sich Aktivist*innen mehrerer Adbusting-Kollektive an den Aktionen. Einige hängten selbst gedruckte Poster unerlaubt in Werbevitrinen. Andere beschafften sich originale Bundeswehr-Poster und änderten mit Farbe nur wenige Buchstaben und gaben den Plakaten damit einen völlig anderen Inhalt. „Während die Bundeswehr im Internet ihre Hardcore-Fans mit Baller-Videos bespaßt, haben wir auf der Straße mit unseren Postern tausende von Menschen erreicht“ freut sich Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg. „Wenn viele kleine Menschen viele kleine Dinge tun, kommen wir der Abschaffung der Bundeswehr immer ein bisschen näher.“

Viele Reaktionen

Besonders viele Reaktionen provozierten die täuschend echt gedruckte Poster im Flecktarn-Polygon-Design. Vor dem Plakat mit dem Slogan „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“ blieben Menschen stehen und diskutieren, bis sie den kleinen roten Kasten mit der Auflösung entdeckten. Auch „Nicht jeder Soldat ist ein Nazi“ mit dem roten Kasten „Aber viele Nazis sind Soldat*innen“ provozierte viele zustimmende Reaktionen der Passant*innen. In den sozialen Medien erzeugen die die Bilder Adbustings hunderte Retweets, tausende Likes und viele hitzige Diskussionen:

700 Liks, 80 Retweets und die grübeln obs echt ist:
https://twitter.com/entnzfzrng/status/1403706238865707016

3000 Likes, 250 Retweets:
https://twitter.com/azumton/status/1403728924333445125

1800 likes, 200 Retweets:
https://twitter.com/KanteClara/status/1403744996256256001/photo/1

Aus Berlin: 100 likes, 20 Retweets:
https://twitter.com/solid_xkoelln/status/1403769877194760196

Bundesweite Aktionen

Bundesweit beteiligten sich an dem Aktionstag Kommunikationsguerilla-Gruppen aus 13 Städten. Auch in Potsdam, Dresden, Erlangen, Stuttgart, Frankfurt/Main, Bonn, Köln, Essen, Hannover, Hamburg und Rostock feierten Aktivist*innen den Tag ohne Bundeswehr mit Adbustings. In Witzenhausen fanden Bannerdrops statt. In Kiel feierte der Landesverband Schleswig-Holstein der Deutschen Friedensbewegung – Vereinigte Kriegsgegner*innen (DFG-VK) den Tag ohne Bundeswehr mit einer Kundgebung vor dem Liegeplatz des Marine-Schulschiffes Gorch Fock. Auch das Jugendnetzwerk für politische Aktionen (Junepa) beteiligte sich am Aktionstag.

Störpropaganda oder Meinungsfreiheit?

Ob das Kapern von Werbevitrinen strafbar ist, ist juristisch hoch umstritten. Anlässlich einer Adbusting-Aktion im Mai, bei der auch ein gefälschtes Flugblatt im Namen der Kriegsministerin Annegret Kramp-Knarrenbauer verteilt wurde, leitete der Staatsschutz des Berliner LKAs laut Tagesspiegel und Morgenpost Ermittlungen wegen „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“ ein, obwohl eine Pressesprecher*in des Militärs erklärte, dass es sich um eine satirische Kunstaktion handle.

Unverhältnismäßige Ermittlungen

In den letzten Jahren ging das LKA Berlin mit Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen gegen das Verändern von Werbung vor. Drei Adbusting-Aktionen meldete der Berliner Geheimdienst an das Terrorabwehrzentrum GETZ. Prof. Dr. Fischer-Lescano von der Uni Bremen hält die Kriminalisierung von Adbusting für falsch: „Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt.“ Sämtliche Strafverfahren versandeten, ein Gerichtsprozess endete mit einer Einstellung.

 

Staatsanwaltschaft Berlin: Nicht strafbar

Im Mai 2020 verfasste die Staatsanwaltschaft Berlin schließlich einen Beschluss, der klarstellt, dass Adbusting nicht strafbar ist, wenn man eigene Poster in Werbevitrinen hängt, ohne dabei etwas zu stehlen oder zu beschädigen. Die Adbusting-Szene feierte dies als „Darf-Schein“ und informierte mit einem rotzfrechen Schreiben und einer „Guerilla-Pressekonferenz“ alle Polizeiwachen der Stadt über diese Rechtslage.

Auch Benjamin Jendro, Pressesprecher*in der Gewerkschaft der Polizei Berlin teilt diese Einschätzung mittlerweile (und ärgert sich sehr darüber): „Das ist keine Meinungsäußerung, sondern perfide, menschenverachtend und armselig – Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaates gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist.“ Klaus-Theodor von Schlechtenzweg, die Pressesprecher*in der Kampagne TOB21.noblogs.org freut sich derweil über die vielen Reaktionen: „In der Bevölkerung setzt sich mehr und mehr die EInsicht durch, dass es nicht um Einzelfälle geht, sondern dass die Bundeswehr an sich ein Problem ist.“

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