L34: Gedanken zur Situation

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Die Sonne lacht, doch der nette Schein trügt. Bis Freitag war es zu ruhig im Friedrichshainer Nordkiez. Gestern dann nach Tagen der gespannten Ruhe die erste Demonstration des staatlichen Gewaltpotentials. Anlässlich der Demo am Samstag Abend für die Liebig34, die der Mobilisierung nach einen sehr militanten Charakter hätte haben sollen, fährt die Polizei mehr als ein Duzent eigene und auswärtige Hundertschaften auf. Mit dabei Hundestaffeln und technische Einheiten. Auf unserer Seite waren es wohl über 2000 Menschen, die da im Spalier, vorne und hinten eingekeilt, durch den Nordkiez, vorbei an der Rigaer94 und der Liebig34 und dann auf einer zunehmend seltsamen Route ins Niemandsland zwischen Velodrom und Friedrichshainer Volkspark ziehen

 

Gefühlt lauern die Bullen auf jede Bewegung. Vor zwei Tagen haben sie angekündigt, bei einer Zuspitzung der Lage Spezialkräfte vom LKA6 hinzuzuziehen. Ein Wink mit den vollautomatischen Waffen des SEK, eine Drohung gegen diejenigen, die die Verteidigung der Liebig34 als politische Notwendigkeit verstehen. Sie reiht sich ein in die medial zugespitzten Konstrukte des Staatsschutzes, die von der Schwelle zum Terrorismus sprechen. Das zeigen einer Kalashnikov-Vodkaflasche auf einem unscharfen Solibild vor der Rigaer94 für das in Thessaloniki geräumte Terra Incognita: ein Fehler. Der fällt dieser Tage angesichts des entschlossenen Einzelfallapparats der Berliner Polizei zwar nicht ins Gewicht, steht aber symbolisch für die Gefahr, dass der 30 Jahre währende – eher schusswaffenarme - Widerstand in diesen ernsten Tagen der Unterdrückung zur Folklore reduziert wird. So wie der militante Ausdruck der gestrigen Demonstration sich größtenteils in Feuerwerk von den Dächern der umkämpften Häuser präsentierte, weil der Ernst der Lage sich anscheinend noch nicht in das kollektive Bewusstsein gebrannt hat. Das soll nicht heißen, dass es Ausschreitungen hätte geben müssen. Doch wenn der historische Häuserkampf in Berlin und auch die kommenden Jahre nicht darauf abzielen, den Staat zu erschüttern und eine allgemeine Revolte und revolutionäre Prozesse auszulösen, dann war letzten Endes alles nicht mehr als eine Pyroshow. Die Prozesse und Geschehnisse rund um den Dorfplatz sollen aber nicht schlecht geredet werden. Ganz im Gegenteil: deren eigentliche Bedeutung zu erkennen und unabhängig vom medialen Trubel zu bewerten, ist der Schlüssel zum Erfolg.

 

Wir sollten uns nicht über den kommenden martialischen Einsatz beschweren, schließlich ging es immer um mehr als ausschließlich die Frage nach Wohnraum. Dass unser Kampf am nächsten Wochenende im massiven Aufgebot der Bullen zu ersticken droht, ist das Resultat der Tatsache, dass wir es zu einem guten Stück geschafft haben, die Wichtigkeit und Möglichkeit der Konfrontation mit dem Staat zu vermitteln. Wir haben dabei sicherlich viele Entscheidungen getroffen, die man rückblickend kritisieren muss, insbesondere im viel diskutierten Verhältnis zu den umliegenden Anwohner*innen. Dennoch stehen wir zu unseren Fehlern wie zu unseren überwiegend richtigen und bewussten Entscheidungen. Wenn wir uns also beschweren, dann nicht über die mediale Hetzkampagne oder die allgegenwärtige Polizeigewalt gegen unsere rebellischen Strukturen, sondern höchstens über die Passivität derjenigen, denen wir alltäglich die Hand reichen.

 

Was wir geschafft haben, war immer der Repression zum Trotz und nicht aufgrund von Sympathien oder Gutmütigkeit im Staatsapparat, wie es die bürgerliche Presse in den letzten Wochen behauptet hat. Von daher ist der Räumungseinsatz gegen die Liebig34 keine Besonderheit im Umgang mit uns, sondern Resultat der Strategie von Rot-Rot-Grün, die gemeinsam vier Jahre lang geduldig darauf gewartet haben, dass ihnen die Justiz das notwendige Zertifikat der Rechtssicherheit ausstellen würde, um unsere widerständige Struktur zu schädigen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Liebig34 die Rechtmäßigkeit des Räumungsurteils anzweifelt. Die Räumungsoperation hat längst begonnen. Während sich die uniformierten Kräfte vergangene Woche im Kiez rar gemacht haben, gab es eine permanente Bestreifung und Auskundschaftung der Gegend durch getarnte Einheiten. Eine Rote Zone rund um die Liebig34 wurde für das kommende Wochenende geplant und mit Hilfe der Presse wie selbstverständlich verkündet, genauso wie das zu erwartende Polizeiaufgebot und die vorhergesagte Heftigkeit des Widerstandes. Auch die gestrige Demo war von polizeilicher Seite im Kontext der Gesamteskalation geplant und musste deshalb symbolische Handlungen unsererseits im Keim unterdrücken. Die angeblichen Auseinandersetzungen Abends am Dorfplatz waren nichts als einseitige Schlägereien der Bullen, um mit Hilfe der Polizeiressorts der Tageszeitungen die „befürchtete“ Zuspitzung hin zum schwerbewaffneten Einsatz von Spezialkräften zu realisieren. Es handelt sich um eine grundlegend geplante Operation, deren Basis ihre Angst vor einem sich ausweitenden Konflikt ist.

 

Unsere Aufgabe ist es jetzt, diese Angst wahr werden zu lassen. Dazu berufen wir uns auf 30 Jahre lebendiger Geschichte, die uns in dieser Stadt fest verankert. Mainzer Straße, Kreutziger Straße, die Liebig14 und die mehrmals erfolgreich verteidigte Rigaer94 sind die Vorboten der vehementen Kämpfe, die auf uns zukommen. Jeder Räumung zum Trotz wurde diese Geschichte von uns geschrieben und so wird auch niemand in der Lage sein, der Wahrheit über den Räumungseinsatz gegen die Liebig34 jemals einen Deckmantel über zu ziehen. Dass der Staat die Stadt im Sinne des Kapitalismus mit aller Gewalt gestaltet.

 

Trotz aller Widersprüche, Antipathien oder Indifferenz wird sich das gesamte widerständige Potential dieser Stadt in diesen Tagen um die Liebig34 zusammenschließen und in seinem Kampf die eigene Utopie in hellem Licht erscheinen lassen während der Staat seine Dystopie nur mit Hilfe von Angst und Schrecken zu verbreiten im Stande ist.

 

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