„Verbaler Antifaschismus ist Käse. Militant soll er sein, vor allem aber: erfolgreich.“

Heute fand in Leipzig eine Demonstration der aktiven Supportcrews des Roter Stern Leipzig (RSL) mit knapp 100 Menschen statt. Hintergrund ist das Fußballspiel gegen die 1. Herrenmannschaft des SV Tapfer Leipzig 06 mit dem Spieler Ronny Taube. Er gehörte zu den mehr als 250 Neonazis, die am 11.01.2016 in Connewitz mehrere Menschen, Geschäfte und Kneipen angriffen. Immer wieder spielen Teams des RSL gegen Vereine, die Neonazis in ihren Reihen haben.

Der sächsische Fußballverband und die Vereine interessiert dies jedoch kaum. Daher gab es heute eine Demonstration unter dem Motto: „Nazis sichtbar machen - für gesellschaftliche Verantwortung im Fußball“.

Das Spiel beginnt um 15 Uhr. Die Demo war dank der Fans vom RSL mal etwas anders und die neuen Parolen passend zum Thema sorgten für eine schöne Abwechslung bei dieser antifaschistischen Demonstration in Leipzig.

Wir, Antifaschist*innen aus Connewitz, ließen einen Redebeitrag vorlesen, den wir hier dokumentieren möchten und hoffen, dass der RSL seine weiteren Redebeiträge auch noch veröffentlicht. Gerne hier in den Kommentaren oder woanders.

 

Hallo, es ist sehr schön, dass ihr hier seid und es diese Demonstration gibt. Der folgende Beitrag wird sich aber hauptsächlich an euch richten, hoffentlich seid ihr für etwas Selbstkritik zu haben.

Im August titelte der Evangelische Pressedienst:

„Zwei Jahre Connewitz-Prozesse: 95 von 206 Angeklagten verurteilt - Zwei Jahre nach Beginn der Prozessserie zu den Neonazi-Krawallen in Leipzig-Connewitz Anfang 2016 ist bislang weniger als die Hälfte der insgesamt 206 Angeklagten rechtskräftig verurteilt worden.“

Ihr habt richtig gehört, der Evangelische Pressedienst berichtete nach zwei Jahren Prozessen, andere Medien nicht. Nun könnt ihr euch selbst die Frage stellen, wann war ich eigentlich jemals bei einem dieser Prozesse am Leipziger Amtsgericht oder bei einer der Berufungsverhandlungen am Landgericht? Was weiß ich über die Täter und ihre absurden Geschichten? Oder von den Deals mit der Staatsanwaltschaft und den Gerichten? Von Nazis, die mit Vorstrafen die Tat 2016 begannen haben, in den vergangenen Jahren weitere Straftaten begannen haben und für den Neonazi-Angriff in Connewitz trotzdem nur Bewährung bekommen haben? Wohl gemerkt, nach all den Verfahren gegen „Linke“, die wir nach Silvester diesen Jahres in Connewitz in den letzten Monaten erlebt haben.

Seit vielen Jahren erwarten die Akteure vor Gericht so etwas wie eine kritische Öffentlichkeit, sie überlegen sich sogar manchmal kleine Showeinlagen vor Gericht, nur, es ist eigentlich nie jemand da. Manche Verfahren gehen mittlerweile nicht einmal mehr 15 Minuten.

Connewitz als Stadtteil, die Bewohner*innen und viele Orte in denen ihr so oft gewesen seid, das waren die Angriffsziele der Neonazis, aber ihr interessiert euch dafür gar nicht mehr. Die Solidarität vom Januar 2016, ist einfach weg.

Wer hat sich schon dafür interessiert, dass Betroffene vom Neonazi-Angriff in teilen vor Gericht erscheinen mussten und Aussagen gemacht haben? Wer stand bei ihnen als die Neonazis wieder vor ihnen saßen, die an jenem 11. Januar in Connewitz so agiert haben, dass Menschen hätten auch drauf gehen können? Wer hat jene Menschen unterstützt, die wenigsten so etwas wie eine kleine Prozessbeobachtung ermöglichen wollen und dabei auch von Neonazis im Gericht bedroht werden? Und wieso sitzen eigentlich an jedem Prozesstag der letzten Jahre mehr Menschen vor den Cafés und anderen Orten in Connewitz als bei den wenigen Kundgebungen, die es vor dem Amtsgericht gegeben hat?

#le1101 war einer der größten organisierten Neonazi-Angriffe der vergangenen Jahre in Sachsen und die Aufarbeitung ist eine Katastrophe. Bis auf wenige Menschen der Prozessbeobachtungsgruppe, einigen engagierten Journalist*innen, ein paar Aktionen von Menschen beim Roten Stern Leipzig, ChronikLe und wenigen Kundgebungen/Demos von „Rassismus tötet!“, nichts.

Natürlich sind auch jene heute sicherlich nicht hier, die noch vor den Prozessen groß getönt haben: „Prozessbeobachtung und Öffentlichkeitsarbeit? Gar kein Problem, das decken wir alles ab!“

Unterstützt die Menschen der Prozessbeobachtung, meldet euch, geht zu den Prozessen und schafft endlich Öffentlichkeit!

Es ist auffällig, dass Prozessbeobachtung und kritische Öffentlichkeit in Sachsen nur noch von einer bezahlten Zivilgesellschaft geleistet wird, wenn überhaupt noch. Und noch etwas fällt auf. In den letzten Wochen war in den Medien viel über Gewalt und Connewitz zu lesen.

Da war von Menschen zu lesen, die aus der rechten Hegemonie in der Provinz und von Angriffen geflohen sind, nach Connewitz.

Aber auch von jenen, die Anfang der 90er von all jenen Menschen in Connewitz profitiert haben, die in diesem Stadtteil mit Gewalt einen Schutzraum vor Faschos und auch dem Staat geschaffen haben, einen Freiraum. Einen Raum der vielfältig genutzt wurde. Einige verdienen mit den geschaffen Kulturräumen und vielen weiteren Strukturen heute mittlerweile ihren Lebensunterhalt.

Von all diesen Menschen war in den letzten Tagen davon zu lesen, dass „Gewalt“ abzulehnen sei, dass es keine „gute Gewalt“ gäbe, dass sie der „Krawall“ nervt, die negativen Schlagzeilen über den Stadtteil.

Vielleicht waren es auch jene, die nachdem die Wolfgang-Heinze-Straße 2016 in Scherben lag, keinerlei Verständnis für die wenigen Antifaschist*innen hatten, die an die Neonazis ran kommen wollten, die den Bus der LVB angegriffen haben, der die Faschos raus fahren sollte. Die die Autos der Nazis kaputt machen wollten.

All jenen sei ein Text von einem Autor noch einmal in Erinnerung gerufen, der bis zu seinem Tot die letzten Jahre eine zeitlang in Leipzig lebte und schon 1993 richtig feststellte:

„Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw., geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: daß man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarrenschachtelwelt passen (…) Verbaler Antifaschismus ist Käse. Militant soll er sein, vor allem aber: erfolgreich. Wenn sich dabei herausstellen sollte, daß er sich gegen 50, 60, 70, 80 oder 90 Prozent des deutschen Volkes richtet, dann ist das eben so. Wo Nazis demokratisch gewählt werden können, muß man sie nicht demokratisch bekämpfen.“

Vielleicht regt euch dieser Text mit Bezug zum Neonazi-Angriff in Connewitz noch einmal zum nachdenken an.

Was ist in den letzten Jahren zum Neonazi-Angriff in Connewitz noch bekannt geworden?

Polizisten waren bei den Chats vor dem Angriff in entsprechenden Gruppen dabei. Polizeidaten von Linken sind am Tattag an die NPD geflossen. Lageberichte ebenso. Unter den Angreifern waren MDR-Angestellte, ein Justizangestellter und ein Rechtsreferendar, der weiter ausgebildet wird. Sicherlich gäbe es noch mehr aus dem Netzwerk zu erfahren, wenn wir uns nur dafür interessieren würden.

Schön, dass es die Demo heute gibt und ihr hier seid. Noch schöner, wenn daraus wieder mehr wird, denn wie sagte Wiglaf Droste über den Antifaschismus?

„Verbaler Antifaschismus ist Käse. Militant soll er sein, vor allem aber: erfolgreich.“

 

Heute wird in der ZEIT folgendes diskutiert:

"Wenn dann doch Gewalt angewandt wird, führt das in der Szene immer wieder zu Debatten, manchmal auch zu Spaltungen." Vielleicht ist das die Hoffnung, die von den Leipziger Eskalationen ausgehen kann: Wenn es einen Zeitpunkt gibt, um potenzielle Gewalttäter zu isolieren, auch innerhalb ihrer linken Gruppen – dann wäre das jetzt ein guter.

 

Dabei sah die letzte Woche in Deutschland wie folgt aus:

 

Montag: Neonazi-Soldat unter Terrorverdacht.

Dienstag: Neonazi-Polizeianwärter bleibt an Hochschulein Brandenburg.

Mittwoch: Neonazi-Chatgruppe bei Polizei in NRW.

Donnerstag: Neonazi-Ausländeramtsleiter in Merseburg gefeuert, er ist in der CDU.

Freitag: Neonazi-Leibwächter beim Verfassungsschutzchef und Neonazi-Chatgruppe bei der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern...

 

Aber distanzieren wir uns in Leipzig bloß von "linksextremistischer Gewalt", damit die "Soko-LinX" nicht bei uns klingelt und die Polizei mit Waffen in der Wohnung steht.

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