Gai Dao No. 110 - September 2020

Aufstand. Die vergangenen zwei Monate haben wahrscheinlich einen Eindruck von der Bandbreite der Bedeutung des „Aufstands“ vermittelt. In Beirut wurde ein Aufstand neu entfacht durch die grauenhafte Explosion von tausenden Tonnen offenbar herrenlosen Sprengstoffs. In Bolivien setzt sich nach dem konservativen Putsch Ende letzten Jahres das Gerangel um die Präsidentschaft fort, jetzt in Form eines Generalstreiks und zahlreicher Straßenblockaden im ganzen Land. Seit drei Monaten, veranlasst durch den rassistischen Polizeimord an George Floyd, befinden sich die USA in einem Aufstand, der mit weiter eskalierender Gewalt der Reaktion konfrontiert ist und dennoch ungebrochen kraftvoll bleibt. In Belarus ist ein Aufstand aufgekeimt und bedroht den seit Jahrzehnten herrschenden Diktator stärker als jemals zuvor.

Und dann gibt es auch in Deutschland einen „Aufstand“. Den von Faschist*innen und Neonazis, Verschwörungsideolog*innen und hippiesken Eso-Schwurbler*innen gegen eine Pandemie und ihre politischen Folgen. Nicht der Aufstand, den wir brauchen, aber vermutlich der, den wir verdient haben. Es wird von Linksradikalen und Anarchist*innen vielfach beklagt, die politische Linke habe keine Antworten und sei stumm geblieben im Angesicht des pandemischen Ausnahmezustands. Auch wenn wir diesen Eindruck nicht durch und durch teilen, scheint klar, dass wir diesen Aufstand nicht an uns ziehen konnten. Das gibt uns strategische Hausaufgaben auf.

Solche Hausaufgaben können vielleicht auch mit dieser Ausgabe erledigt werden: Mit einem Erfahrungsbericht zur Besetzung der Grafi10 in Konstanz zum Beispiel, dem dritten und letzten Teil von Jonathan Eibischs Text „Für eine neue anarchistische Organisierung“ oder auch „Geld oder Leben“, in dem die wirtschaftliche Bedeutung der Pandemie betrachtet wird. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Gruß und Solidarität,

Die Redaktion


 

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