[B] Mehr als 7000 Menschen beim Frauen*kampftag
BERLIN - Zum Internationalen Frauen*kampftag haben am Sonntag mehr als 7000 Menschen gegen Sexismus und patriarchale Verhältnisse demonstriert. An der Demonstration beteiligten sich neben verschiedenen Partei- und Gewerkschaftsjugenden auch zahlreiche Basis-Initiativen und linke Gruppen.
Unter dem Motto „Feministische Kämpfe verbinden!“ zogen am Sonntag mehr als 7000 Menschen vom Rosa-Luxemburg-Platz über Unter den Linden zum Brandenburger Tor. Die Teilnehmer*innen-Zahl der Demonstration zum Frauen*kampftag konnte im Vergleich zum Vorjahr somit mehr als verdoppelt werden. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis, das sich gegen die doppelte Ausbeutung von Frauen*, normative Geschlechter-Rollen und die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Trans*- und Inter*Personen richtet.
Linke und linksradikale Gruppen mobilisierten in diesem Jahr zum ersten Mal zu einem eigenen Demonstrations-Block, an dem sich ca. 1500 Menschen beteiligten. Sasha Laing, Sprecherin des linksradikalen Blocks: „Die Geschlechterverhältnisse sind integraler Bestandteil bürgerlicher Herrschaft. Der Kapitalismus produziert vergeschlechtlichte Identitäten, unter denen Frauen und Menschen, die nicht in die heteronormative Zweigeschlechtlichkeit passen (wollen), besonders leiden. Geschlecht ist weder natürlich, noch ist es auf ein Konglomerat bestimmter Sprech-Akte zu reduzieren. In seiner heutigen Form ist es Resultat der frühen Phase kapitalistischer Vergesellschaftung, in der Frauen systematisch aus der öffentlichen Sphäre der europäischen Gesellschaften ausgeschlossen wurden.“
Zahlreiche feministische, antifaschistische und linke Gruppen beteiligten sich mit Redebeiträgen und Transparenten, so das „Netzwerk Care Revolution“, Allmende e.V., die Antifaschistische Gruppe Braunschweig und „Perspektive Kommunismus“. An der Spitze des Blocks liefen lautstarke FLTI*-Reihen, es wurden mehrfach bunte Rauchtöpfe gezündet. Zudem steuerten linksradikale Gruppen aus Zypern, Griechenland und UK mehrere Audio-Jingles bei (hier nachhören).
Auch als Reaktion auf Auseinandersetzungen beim Frauen*kampftag 2014 hatte sich das linksradikale Bündnis explizit solidarisch mit Sex-Arbeiter*innen und ihren Arbeitskämpfen erklärt. Die Organisation move e.V., die als Plattform für die Organisierung von Sex-Arbeiter*innen dient, beteiligte sich in unmittelbarer Nähe des linksradikalen Blocks an der Demonstration.
Eine organisierte Anreise zur Demonstration hatte es unter anderem aus Hannover, Köln, Bremen, Dresden und Freiburg gegeben. Der Antifa AK Köln hatte im Vorfeld einen eigenen Aufruf veröffentlicht. Bereits im Vorfeld fand die überaus gut besuchte Veranstaltung „Liebe, Autonomie und Arbeitsteilung - Zur politischen Ökonomie der Paarbeziehung“ statt, für die die im kommunistischen ...ums Ganze!-Bündnis organisierte Gruppe Theorie.Organisation.Praxis die Geschlechterforscherin Sarah Speck eingeladen hatte.
Die linksradikale Mobilisierung zum Frauen*kampftag 2015 wurde unter anderem von der Emanzipativen & Antifaschistischen Gruppe (EAG), der Jugendgruppe à Gauche, der Interventionistischen Linken und TOP B3RLIN getragen.
Ergänzungen
Redebeitrag des linksradikalen Blocks
REDEBEITRAG DES LINKSRADIKALEN BLOCKS AUF DER FRAUEN*KAMPFTAGS-DEMO 2015
Sexistische Übergriffe, weniger Entlohnung für weibliche Arbeitskraft, Zwang zum Männlich-Sein: auch im Jahr 2015 ist das Patriarchat quicklebendig. Der Internationale Frauenkampftag bleibt ein wichtiger Anlass, feministische Kämpfe zusammen und zum Erfolg zu führen. Als linksradikale Feminist*innen gehen wir an diesem Tag auf die Straße - gemeinsam mit anderen Feminist*innen, mit denen uns die Ablehnung hierarchischer Geschlechterverhältnisse verbindet. Aber wir wollen mehr: konsequenter Feminismus heißt umfassende Herrschaftskritik. Unser Feminismus ist antirassistisch, kämpft gegen Homo- und Transphobie und ist solidarisch mit Sex-Arbeiter*innen. Er bekämpft das Patriarchat zusammen mit der kapitalistischen Produktionsweise und allen anderen Formen von bürgerlicher Herrschaft und Unterdrückung.
Denn der Katalog an Eigenschaften, die ein Geschlecht besitzen soll und der uns heute ganz selbstverständlich erscheint, ist historisch erst mit der Durchsetzung der kapitalistischen Gesellschaft entstanden. Mit ihr kam es zu einer Spaltung der Gesellschaft in eine öffentliche und eine private Sphäre. Aus dem öffentlichen, gesellschaftlich bestimmenden Feld wurden Frauen bis weit in das 20. Jahrhundert ausgeschlossen. Trotz rechtlicher Gleichstellung wirken die Folgen dieses Ausschlusses fort. Die im Privaten geforderten Eigenschaften gelten immer noch als typisch weiblich und damit als weniger wert.
Feministische Praxis Heute muss auf mehreren Ebenen ansetzen. Ihre Grundlage bleibt die Reflexion der Geschlechtlichkeit des eigenen Denkens und Handelns. Queere Praxen sind Teil feministischer Selbstermächtigung. Allerdings passen alternative Lebensentwürfe und Familienformen oftmals gut zu der am heutigen Arbeitsmarkt geforderten Flexibilität und Kreativität. Manch mutige Forderung, die in feministischen Kämpfen gegen Autoritäten und Abwertung ausgegeben wurde, schlägt uns mittlerweile verzerrt als Anforderung an die eigene Warenförmigkeit entgegen.
Der Staat, an den sich ein Großteil dieser Forderungen richtete und richtet, ist Teil des Problems. Er ist nicht an einer Überwindung patriarchaler Verhältnisse interessiert, sondern betreibt Geschlechter- und Familienpolitik unter den Vorzeichen sich ändernder Anforderungen des Kapitals. Gegenwärtig bedeutet das einerseits, dass weiblich sozialisierte Menschen als gleichberechtigte Lohnarbeiter*innen und Kapitalist*innen gebraucht werden. Denn prinzipiell sollen sich alle Menschen in allen Berufsfeldern als nützlich und produktiv erweisen. Andererseits muss der Staat weiterhin die äußeren Bedingungen der Reproduktion der Arbeitskraft sicherstellen. Die Heterokleinfamilie bleibt zumeist der Ort, an dem das geschieht. Ausgehend von diesem Widerspruch verlaufen die ideologischen Konfliktlinien innerhalb der Politik, die mal zu Gleichstellungsprogrammen und Frauen-Quoten, mal zum Betreuungsgeld und Ehegattensplitting führen.
Konsequente feministische Praxis richtet sich daher auch gegen den bürgerlichen Staat und die kapitalistische Produktionsweise. Eine Gesellschaft jenseits patriarchaler Zurichtung kann nur Wirklichkeit werden, wenn wir sowohl Geschlechterideologie und Heteronorm als auch Nationalismus und Rassismus als gemeinsames Problem begreifen und gemeinsam bekämpfen. Der radikale Bruch mit dieser Gesellschaft wird feministisch - oder er wird gar nicht sein. Führen wir ihn herbei.
Presse & Fotos
Neues Deutschland: »Röcke sind für alle da«
Tagesschau: Zehntausende demonstrieren für Gleichstellung
taz: „Wir nehmen uns die Straße" (Interview)
Abendschau: Demonstration für mehr Frauenrechte
Tagesspiegel: Demo für Gleichberechtigung
Radio Dreyeckland: Demo zum Frauen*kampftag in Berlin
Fotos: Demotix, PM_Cheung.
Video: Leftvision.
Mitschnitt der Veranstaltung mit Sarah Speck
Liebe, Autonomie und Arbeitsteilung - Zur politischen Ökonomie der Paarbeziehung.
Möchte man die Stabilität der Geschlechterverhältnisse verstehen, so genügt es nicht, auf Ehegattensplitting und Gender Pay Gap zu fokussieren. Ein detaillierter Blick ins ‚Private‘ und den Alltag heterosexueller Paare offenbart, dass zentrale Gründe für die Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung woanders liegen – in latenten Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen, aber auch in gegenwärtigen Idealen, etwa der Vorstellung von Geschlechteregalität selbst und in der Reproduktion von Klassenverhältnissen. Der Vortrag möchte den Zusammenhang von Ökonomie und Geschlecht, der derzeit vielerorts erneut diskutiert wird, durch eine spezifische Perspektive auf die Ökonomien und Aushandlungsprozesse des Alltags lenken und stellt die altbekannte Frage neu: Was ist aus feministischer Perspektive zu tun?
Hier anhören!
Fotos: Internationaler Frauentag 2015
gibt es auch unter:
http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/080315frauentag.html