Verschwörungstheorien im Mantel der Kapitalismuskritik

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Heute fand auf dem Münsterplatz Ulm eine Kundgebung, angelehnt an den Berliner Hygiene-Marsch vom 28.03.20, statt. Es wird einen Tag vorher auf Flyern und Online ein "Hygiene Spaziergang" angekündigt, dieser mit "Nicht Ohne Uns!" betitelt und auf eine Webseite verlinkt. Warum diese Veranstaltung kritisch zu betrachten ist, wollen wir in diesem Artikel ausführen

Der erste Eindruck beim Blick auf die Seite "Nicht Ohne Uns" ist, dass die aktuellen autoritären Beschränkungen durch das Corona-Virus kritisiert werden. Auch ein Hauch von Kapitalismuskritik ist bei den Sätzen "CORONA UND DIE WELTWIRTSCHAFTSKRISE: DEREN SYSTEM IST AM ENDE. UNSERES WAR ES NIE." zu spüren.

Zu den Forderungen zählen u.A. die Einhaltung der ersten 20 Artikel des Grundgesetzes, demokratische Regeln und Transparenz für das Wirtschaftssystem. Bis hier scheint es sich um Standpunkte zu handeln, die auch einige Linke Gruppen so vertreten könnten. Lediglich bei der Beharrung auf dem Grundgesetz, welches auch Eigentum festlegt, kommen Zweifel auf. Auf den ersten Blick kann jedoch der Schluss gezogen werden, hier handle es sich um eine linke Kritik an Corona.

Auch hier auf Indymedia gibt es im Openposting Einträge von dieser Gruppe (https://de.indymedia.org/node/73684)

 

Beim genaueren Betrachten stolpert man jedoch schnell über mehrere Dinge. So wird von "Notstand-Regimes" gesprochen; vielleicht einfach nur ein etwas sehr polemisch formulierter Satz?

Eindeutiger, in welche Richtung es tatsächlich geht, wird es bei dem Punkt "Was geschieht gerade?", also dem Teil, der einen Überblick zur aktuellen Lage bieten soll. Hier werden Links u.A. zu einem ZDF-Bericht, Heise und dem eigenen Youtube-Kanal angegeben. Aber auch Rubikon News und Youtube-Kanäle wie "der fehlende Part" werden mehrmals angegeben. "Der fehlende Part" bietet einer ganzen Bandbreite an Personen aus dem extrem rechten Spektrum eine Plattform. Beispiele für Interviews auf diesem Kanal wären Martin Sellner, der Pseudointellektuelle Kubitschek, Frank Krämer, aber auch ein Interview mit dem Jugendwiderstand und vielen Freidenker:innen aus verschiedenen Spektren der Verschwörungstheorien.

Ein Blick ins Impressum verrät, als Vorstand sind u.a. Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp angegeben. Die TAZ stellte in einem Artikel gut dar, welche Positionen Lenz vertritt, der auch als Sprecher von "Nicht Ohne Uns" Auftritt:

- Lenz beschwört in einem Text die „unbestechliche oppositionelle Intelligenz“; gleichermaßen negiert er die Gefährlichkeit des Virus, das nicht in der Lage sei, „hunderttausende Menschen dahinzuraffen“. Dabei macht er drei mögliche Ursachen für das Virus aus: „Panikattacken überalterter Eliten“, der Versuch, einen „Kapitalismus-Crash“ zu überlagern oder eine „Aktion zum Klimaschutz“. ( aus: https://taz.de/Corona-und-Verschwoerungstheoretiker/!5675712/ )

- Zur Kundgebung in Berlin rief laut der TAZ auch der Verein "Netzwerk Demokratie e.V." auf, der auf seiner Seite gegen Gendern und Impfpflicht (welch Ironie) Stimmung macht.

 

Diese Punkte werden in Gruppen und auf Seiten in Sozialen Medien deutlich, die zu "Nicht Ohne Uns" nahestehen.

Auf Instagram wir das angebliche Verbot von Kindern in Supermärkten mit der Verfolgung von Juden, Sinti und Roma in der NS-Diktatur verglichen. Auf Nachfrage zu einer Quelle wurde folgendermaßen geantwortet: "eine Nachbarin von mir, die Freunde aus Hamburg hat, hat mir davon berichtet, dass es dort vereinzelt so ist.."

Dr.Wodargs Videos zu Corona auf facebook wurden bereits von einigen Journalist:innen widerlegt (https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2020/03/18/coronavirus-war...).

 

All diese Gründe haben dazu geführt, dass sich ein paar Antifaschist:innen das Treffen auf dem Ulmer Münsterplatz etwas genauer angesehen haben.

Als sich die ersten 5-6 Personen trafen, kam es zu einem ersten Gespräch. Man gab sich überrascht und distanzierte sich zu Beginn glaubhaft von "Netzwerk Demokratie e.V.". Es wurde versichert, es würden keine Flyer von "Nicht Ohne Uns" verteilt werden, sondern nur Grundgesetze. Die Begegnung endete und die Wege trennten sich.

Die Versammlung wurde natürlich weiter beobachtet, insgesamt versammelten sich ca. 12 Menschen, hatten zwei mal Besuch von Cops und langweilten sich sichtbar. Zwei Teilnehmer:innen holten kurzerhand einen Bierkasten aus dem nahegelegenen Rewe.

 

Die Cops unternahmen nichts, vermutlich weil ohne Schilder / Transpis die Gruppe so klein und verstreut war, dass sie nicht als Versammlung wahrgenommen wurde. Sobald sie auftachen wurde allerdings fleißig gefilmt von einer Teilnehmer:in der Versammlung, vermutlich in der Hoffnung ein Video über Platzverweise oder ähnliches machen zu können (siehe Foto). Insgesamt waren allein am Münsterplatz 3 mal Streifen zu sehen.

Als dann wenig später klar wurde, dass doch Flyer von "Nicht Ohne Uns" verteilt wurden, kam es zu einem zweiten Gespräch. Der Ton änderte dich deutlich und es fielen Sätze, wie "Ihr fahrt doch auch auf der Autobahn, oder? Wisst ihr wer die Autobahne gebaut hat? Schlecht genannte Menschen haben nicht nur schlechtes gemacht, sondern auch gutes“". [Erinnerungszitat]

Das kam verständlicherweise bei den Antifaschist:innen nicht gut an, doch während diesem zweiten Gesprächs packten die Teilnehmer:innen ihre Sachen und gingen vom Münsterplatz. Einige folgten den Teilnehmer:innen, um klarzustellen, dass solche Haltungen in dieser Stadt nicht erwünscht sind. Siesind ihnen durchs Fischerviertel und an der Donau entlang gefolgt.

 

Fazit: Auch wenn diese Versammlung und ihre Außenwirkung gegen Null geht und damit gescheitert ist, ist zu befürchten, dass sie wiederkommen.

Online und vor Ort wurde angekündigt, diese Hygiene-Demos/-Spaziergänge jeden Samstag 15.30h durchführen zu wollen. Außer in Berlin und Ulm sind bisher noch keine weiteren Versammlungen auf den Kanälen beworben worden. Unter der Regionalseite finden sich allerdings einige Einträge mit Kontaktdaten aus ca. 20 Städten. Aktuell finden sich auffällig viele Einträge im Süden (Ulm, München, Regensburg, Freiburg, Friedrichshafen, Südbaden, ...).

Kritik an den aktuellen Entwicklungen ist natürlich angebracht. Doch wer diese nicht ohne Verschwörungstheorien, verkürzte & antisemitsch angehauchte Kapitalismuskritik à la "die Eliten sind Schuld" oder Querfront-Ansätzen äußern kann, ist nicht Teil einer solidarischen Gesellschaft. Haltet die Augen auf in eurer Stadt!

 

PS: Alle nicht gepixelten Personen waren eindeutig Teil der Versammlung.

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Ergänzungen

Für diejenigen unter euch, die noch die Mut haben selber kritisch zu denken, empfehle ich ergänzend den Text "Die Pseudo Demokratie" von Peter Nowak, einem Kollegen von Erik Peter bei der TAZ:

https://www.rubikon.news/artikel/die-pseudo-demokratie-4

"Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus."

- Ignazio Silone

Was genau willst du uns mit dem dummen Zitat und dem Link auf eine verschwörungsideologische Webseite sagen?