Warum die juristische und politische Auseinandersetzung um das Verbot von linksunten.indymedia mit dem morgigen Prozeß vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht zu Ende sein wird

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In der online-Ausgabe des neuen deutschland ist heute Nachmittag ein Interview mit Rechtsanwalt Sven Adam erschienen. Er vertritt eine der Personen, die bereits 2017 Klage gegen das Verbot von linksunten.indymedia erhoben hatten. In dem Interview spricht er offen ein Problem an, vor dem die KlägerInnen stehen. Auf die Frage, „Haben Sie eine Einschätzung, wie das Gericht entscheiden wird?“, antwortet er:

 

„Im schlimmsten Fall weist es die Klage ab und sagt, wir seien nicht klagebefugt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besagt, dass gegen ein Vereinsverbot nur der betroffene Verein klagen kann, also die Prüfung und Aufhebung des Verbots nur durch den Verein selbst betrieben werden kann. Jetzt haben wir das Problem, dass die Kläger nicht als Verein, sondern als Einzelpersonen klagen, da nach unserer Auffassung dieser Verein nicht existiert. […]. Deswegen könnte es sein, dass die Richter uns einfach sagen, wir kommen erst gar nicht zu der Frage, ob das Verbot rechtmäßig ist oder nicht.“ [1]

 

 

Das Problem ist allerdings nicht nur, daß nach Ansicht der KlägerInnen – und wahrscheinlich auch in Wirklichkeit [2] – gar kein Verein besteht und bestand, sondern die KlägerInnen – anscheinend – auch nichts dazusagen oder es sogar ausdrücklich bestreiten, an der Herausgabe von linksunten.indymedia beteiligt gewesen zu sein. Auch dies ist verständlich, denn ein Bekenntnis zur Beteiligung an der Herausgabe von linksunten.indymedia könnte denjenigen, die sich dazu bekennen, unter Umständen zum strafrechtlichen Nachteil werden:

  • Nehmen wir an, die KlägerInnen waren tatsächlich nicht an der Herausgabe beteiligt, dann besteht kein Grund, warum sie das Tun von anderen strafrechtlich ausbaden sollen.

  • Waren die KlägerInnen sehr wohl an der Herausgabe beteiligt, haben sie – jedenfalls strafprozessual – das Recht, sich nicht selbst zu belasten: Der „Beschuldigten […] ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen.“ (§ 136 Absatz 1 Satz 1 Strafprozeßordnung)

    Problem daran: Im Verwaltungsgerichtsprozeß gibt es keine Beschuldigten. Vielmehr sind dort diejenigen, die strafprozessual vielleicht Beschuldigte wären bzw. im Falle linksunten tatsächlich Beschuldigte waren (bis im vergangenen August ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren vorläufig eingestellt wurde), KlägerInnen. KlägerInnen müssen aber – gemäß § 42 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnunggeltend machen, in „eigenen Rechten“ verletzt zu sein [3] – vorliegend durch das linksunten-Verbot.

    Aber in welchem „eigenen Recht“ sind diejenigen, die mit der Herausgabe von linksunten gar nicht zu tun hatten, durch das Verbot verletzt? Ich würde sagen: Wenn sie zumindest LeserInnen waren, in ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit: „Jeder hat das Recht, […] sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ (Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz) – siehe dazu unten.

    Die morgigen KlägerInnen zusätzlich dadurch, daß sie wohl auch diejenigen sind, die 2017 von Haussuchungen und Beschlagnahmen betroffen waren [4]. – Aber gegen die Haussuchungen und Beschlagnahmen gibt es spezielle Rechtsbehelfe. Die Verletzung eigener Rechte liegt dann nicht darin, daß das Verbot (eventuell) rechtswidrig ist, sondern darin, daß die Betroffenen zu Unrecht mit dem Verbotsobjekt in Verbindung gebracht wurden.

    In Bezug auf den morgigen Prozeß müßte also mindestens argumentiert werden (und wird wohl auch tatsächlich in etwa argumentiert [5]): Wenn die Verbotsbehörde (vorliegend: das Bundesinnenministerium) die KlägerInnen für Mitglieder des vermeintlichen Vereins bzw. für Beteiligte an der Herausgabe von linksunten hält, dann müssen die KlägerInnen nicht auch noch ihrerseits das gleiche behaupten – nämlich Mitglieder gewesen zu sein bzw. an der Herausgabe von linksunten beteiligt gewesen zu sein – zumal, wenn die KlägerInnen dadurch das Risiko eingehen müßten, sich in einem – noch in der Schwebe befindlichen – Strafverfahren eventuell selbst zu belasten. Ob diese Überlegung allerdings das Bundesverwaltungsgericht überzeugt, ist mindestens eine offene Frage…

Wegen dieser Komplikationen beabsichtige ich, eine eigene Klage gegen das Verbot zu erheben. Ich bin zwar (auch) nicht Teil des früheren HerausgeberInnen-Kreises (also in der Logik des Innenministeriums auch nicht ‚Vereinsmitglied‘), aber bekennende linksunten-AutorIn und LeserIn:

 

http://links-wieder-oben-auf.net/meine-eigenen-texte-bei-linksunten

 

Aufgrund des Verbotes sind auch meine Artikel nicht mehr zugänglich, obwohl das Innenminis­terium an meinen Text gar nichts zu bemängeln hatte! Aufgrund des Mediumsverbotes kann ich (und können alle anderen Interessierten) diese internet-Zeitung nicht mehr lesen!

Dies verletzt zwar nicht mein Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit, aber sehr wohl mein Grund­recht auf Meinungsäußerungs- und -verbreitungsfreiheit. Denn da an meinen Artikeln nichts auszusetzen ist, kann das Verbot deren Zugänglichkeit auch nicht auf Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz („Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“) gestützt werden.

Außerdem verletzt das Verbot das Grundrecht auf Informationsfreiheit aller BürgerInnen, die linksunten lesen wollen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in Bezug auf Zeitungsausgaben, die beschlagnahmt und vom Staat eingezogen wurden (was so etwas ähnliches ist wie ein Verbot, aber milder – nämlich auf konkrete Ausgaben/Exemplare beschränkt) entschieden: „Sie [Die Informationsquellen] verlieren die Eigenschaft als allgemein zugängliche Quellen auch dann nicht, wenn durch staatliche Maßnahmen wie Einziehungen, Importverbote oder -beschränkungen die Möglichkeit des allgemeinen Zugangs beeinträchtigt wird [...]. Entscheidend ist allein die tatsächliche Art der Abgabe der Information [durch die ‚Informations-UrheberInnen‘], nicht die staatliche Bestimmung oder Verfügung.“

(BVerfGE 27, 71 - 88 [83, 84 = DFR-Tz. 86]; http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv027071.html#083; http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv027071.html#084)

Vorliegend ist also – für die Relevanz des Grundrechts auf Informationsfreiheit – allein entscheidend, daß die HerausgeberInnen von linksunten wollten, daß alle Leute linksunten lesen können. Das Verbot von linksunten.indymedia stellt also auf alle Fälle einen Eingriff in die Informationsfreiheit dar – ob dieser Eingriff rechtmäßig ist, ist eine andere Frage.

Zur Frage der Rechtmäßigkeit hatte das Bundesverfassungsgericht damals (es ging damals – im Kontext des KPD-Verbotes – um eine Ausgabe der Leipziger Volkszeitung, die aus der DDR in die Bundesrepublik geschickt wurde und den Anstoß der Staatsanwaltschaft erregte) ausgeführt:

„Die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Annahme, eine einzuziehende Schrift verstoße gegen Strafgesetze, bedeutet noch nicht, daß das Informationsrecht zurücktreten muß. Die Güterabwägung zwischen Meinungs- und Pressefreiheit des Herstellers und Ver­breiters einer Schrift und den durch die Strafgesetze geschützten Rechtsgütern betrifft eine aktive Tätigkeit, mit der Gefahrenquellen geschaffen werden. Die Informationsfreiheit wirkt sich bei solchen Schriften dagegen erst aus, wenn der allgemeine Zugang zu Informationen schon eröffnet worden ist. Die Grundrechtsposition des unterrichtungswilligen Bürgers erfordert eine besondere Güterabwägung. Nur Gefahren infolge des Informationsvorganges rechtfertigen eine Beschränkung des Einzelnen, der nach der Vorstellung des Grundgesetzes mündig und dazu berufen ist, an der öffentlichen Willensbildung teilzunehmen.“

(BVerfGE 27, 71 - 88 [85 f.; http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv027071.html#085])

Entsprechend wäre [6] in Bezug auf linksunten zu argumentieren: Selbst wenn einige oder vielleicht sogar viele Artikel bei linksunten gegen die Strafgesetze verstießen, dann mag das (in der Logik des Staates) die Bestrafung der AutorInnen rechtfertigen; vielleicht mag es in der Logik des Staates auch die Bestrafung der bloßen HerausgeberInnen rechtfertigen – aber das heißt noch lange nicht, daß die interessierten, mündigen BürgerInnen diese (vermeintlichen oder tatsächlichen) Straftaten nicht zur Kenntnis nehmen (die Artikel nicht lesen) dürfen.

Deshalb will ich – als bekennende LeserIn und AutorIn von linksunten – selbst Klage gegen das Verbot von linksunten erheben – weil ich seit nunmehr rund 2 ½ Jahren die Artikel von anderen AutorInnen nicht mehr lesen kann (und alle Interessierten meine Artikel nicht mehr lesen können) (weitere Informationen zu der von mir beabsichtigten Klage gibt es dort: http://links-wieder-oben-auf.net/juristisches/).

Und unter anderem deshalb haben Achim Schill und Peter Nowak bei der Tag (((i)))-Demonstration am vergangenen Samstag gesagt: „Die juristische und politische Auseinandersetzung um das Verbot wird auch mit dem Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem nachfolgenden Urteil nicht vorbei sein.“ [7]

 

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Das Programm für Mittwoch, den 29.01.2020:

 

http://infopartisan.net/short%20news%20IV.html

 

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Anmerkungen:

 

[1] Das gleiche Problem ist im übrigen auch in einem Artikel angesprochen worden, der heute Nachmittag in der online-Ausgabe der taz erschien: „es ist durchaus umstritten, ob die fünf Freiburger überhaupt gg. das Verbot klagen können. Denn nach bisheriger Rechtsprechung können nur die verbotenen Vereine selbst gegen ihre Auflösung klagen, nicht aber Einzelpersonen. Die fünf Freiburger könnten nach dieser Sichtweise das Verbot nur dann überprüfen lassen, wenn sie sich als Vertreter des Vereins präsentieren würden. Das haben sie bisher aber nicht getan.“ (https://taz.de/Linksunten-beim-Bundesverwaltungsgericht/!5657060/)

 

[2] § 2 Absatz 1 Vereinsgesetz: „Verein“ = „Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen“, die sich „einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“ – ‚Unterwerfung‘ das hört sich nicht so richtig autonom-linksradikal an…

 

[3] „Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.“

 

[4] „An einer Klärung, ob linksunten.indymedia legal ist, hätten sie [die KlägerInnen] aber schon deshalb Interesse, weil immer noch Gegenstände von ihnen beschlagnahmt sind.“ (https://taz.de/Linksunten-beim-Bundesverwaltungsgericht/!5657060/ – ebenfalls von heute Nachmittag)

 

[5] „Ihre Anwälte argumentieren: Von den Klägern könne nicht verlangt werden, dass sie sich als Betreiber der Plattform outen. Schließlich müsse sich im Rechtsstaat niemand strafrechtlich selbst belasten.“ (ebd.)

 

[6] Ich selbst argumentiere allerdings nicht mit schaukelnder „Güterabwägung“, sondern sage, daß die fraglichen Strafgesetze nicht-allgemeine, und daher sowohl die Informationsfreiheit als auch die Meinungsäußerungs- und -verbreitungsfreiheit verletzende Gesetze sind – aber egal: Auch die bundesverfassungsgerichtliche „Güterabwägung“ genügt, um zu begründen, daß

+++ linksunten eine allgemein-zugängliche Quelle war;

+++ folglich das Verbot an Art. 5 I GG zu messen ist;

+++ und die Informationsfreiheit der BürgerInnen gewichtiger als der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. verfassungsmäßigen Ordnung (wie es in Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz heißt) sein kann.

 

„gewichtiger … sein kann“ ergibt zwar noch keine Begründetheit der Klage (§ 113 Absatz 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung), aber die Befugnis der LeserInnen zur Klage (§ 42 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung).

 

[7] https://peter-nowak-journalist.de/redebeitrag-fuer-die-tag-i-demonstration-am-25-01-2020-in-leipzig/ / https://systemcrash.wordpress.com/2020/01/26/redebeitrag-fuer-die-tag-i-demonstration-am-25-01-2020-in-leipzig/; Audio-Datei: https://www.freie-radios.net/mp3/20200127-redebeitrged-99560.mp3?dl=1.

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