Geheimdienste lassen sich nicht widerlegen

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Die DGB-nahe Hans-Böckler-Stiftung beabsichtigt, Ende Februar in Düsseldorf ein Bildungsseminar über die Geschichte und die Folgen des »Rechtsterrorismus in der BRD« durchzuführen. Dafür werden GesprächspartnerInnen angekündigt, die zu dem Thema auf ganz unterschiedliche Weise als kompetent angesehen werden können, unter ihnen der Antisemitismusexperte und Göttinger Politikprofessor Samuel Salzborn und der Altstipendiat Horst Lahmann, inzwischen ein leitender Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Die Genannten sollen sich, so die Ankündigung, in einer Diskussion anhand der Stichworte »Prävention« und »Intervention« über die zukünftige Rolle des Verfassungsschutzes verständigen. Das Seminar der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ist umstritten.

 

Mit diesem Seminar ignoriert die Abteilung Studienförderung sämtliche Beschlusslagen der Böckler-Stipendiaten aus den vergangenen Monaten. Diese hatten - auch unter dem Eindruck der Enthüllungen über die Rolle der Verfassungsschutzämter beim Thema NSU - einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit und Kommunikation mit diesen Behörden eine gut begründete Absage erteilt. Ganz zurecht sind nun sowohl das Leitungskollektiv der Promovierenden als auch das Bundeskollektiv »sehr erstaunt und verärgert«, dass sich die Abteilung Studienförderung über diese Beschlüsse hinwegsetzt. Sie befürchten, dass mit diesem Seminar der Versuch der Verfassungsschutzbehörden unterstützt wird, sich auch für die Zukunft »einen bundesweiten Bildungsauftrag« anzumaßen.

Dennoch halten die bei der Böckler-Stiftung Zuständigen offenbar unbeeindruckt an dem Seminar in der geplanten Ausrichtung fest und haben alle Stipendiaten zu einer Anmeldung aufgefordert. Stipendiatenvertreter rufen nun zu einer »kritischen Auseinandersetzung mit dem Seminar« auf.

Nur: Eine grundsätzlich immer richtige »kritische Diskussion« ist mit Vertretern einer Institution, denen das Recht zusteht, intransparent zu agieren, eine logische Unmöglichkeit. Im Klartext: Der Geheimdienst hat das Recht zu lügen und muss davon Gebrauch machen, wenn ansonsten sein Arbeitsauftrag gefährdet ist. Die von ihm in der Öffentlichkeit gestreuten Informationen sind gefiltert und nicht überprüfbar. Insofern ist es sinnlos, jemandem, der auch noch das Recht hat zu lügen, zu widersprechen. Ein Geheimdienst kann nicht argumentativ widerlegt werden. Alle, die diesen Versuch trotzdem unternehmen, führen sich mit ihrem Anliegen selbst an der Nase herum.

Protest gegen das Seminar kommt nun auch von eingeladenen Referenten. Die Kölner Initiative »Keupstraße ist überall« verweigert ihre Beteiligung, wenn der Verfassungsschützer Horst Lahmann nicht ausgeladen wird - und erhöht damit den Druck auf die gewerkschaftsnahe Stiftung.

Wenn man aber nun doch auf einem Seminar zum »Rechtsterrorismus« in der Bundesrepublik offiziell mit Vertretern des Verfassungsschutzes nicht nur irgendwie zusammensitzen, sondern auch noch diskutieren muss, wie könnte das im Ergebnis aussehen? Womöglich so, wie der »Ton, Steine, Scherben«-Schlagzeuger Nikel Pallat 1971 in einer WDR-Sendung eine Diskussion zu dem Verhältnis von Kapitalismus und Jugendlichen beendete: mit einer Axt und einem zerstörten Tisch?

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Ergänzungen

Oh nein, schon wieder Samuel Salzborn. Er gehört zu BAK Shalom der Linksjugend ['solid] (www.bak-shalom.de/). Wenn Salzborn (http://salzborn.de) als Professor so arbeitet, wie in seiner "Studie", die von Wissenschaftlern auseinandergenommen wurde wie eine Weihnachtsgans, dann gute Nacht, Universität Göttingen. Mich wundert es nicht, dass dieser staatstragende "Professor Dr. Salzborn" gerne mit einem VS-Mitarbeiter über die Verbesserung behördlicher Arbeit spricht. Salzborn hat sich nie von Geheimdienstarbeit abgegrenzt, im Gegenteil.

Markus Mohr hat inhaltlich recht. Das Seminar mit einem Geheimdienstmitarbeiter zu konzipieren, war ein Fehler der Hans-Böckler-Stiftung. Darauf hat uns auch die Initiative Keupstraße hingewiesen:

http://keupstrasse-ist-ueberall.de/keine-zusammenarbeit-mit-dem-verfassu...

 

An die Abteilung für Studienförderung der Hans Böckler Stiftung,

die Initiative „Keupstraße ist überall“ hatte auf Einladung der Hans Böckler Stiftung die Teilnahme an dem Panel „Rechter Terror und die Folgen: Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bei Prävention und Intervention“ zugesagt. Wir begrüßten, dass die HBS sich mit dem Thema des NSU-Komplex und der Rolle des Verfassungsschutzes darin auseinandersetzen möchte. Gerne hätten wir in diesem Rahmen von unserer Arbeit berichtet und unsere Erfahrung in die Debatte eingebracht.

Nun haben wir erfahren, dass mit Horst Lahmann ein Vertreter des Verfassungsschutzes selbst an der Diskussion um die Bedeutung seiner Behörde an den rassistischen Taten teilnehmen soll. Die Erfahrungen aus den parlamentarischen Untersuchungssausschüssen auf Bundes- und Landesebene haben allerdings gezeigt, dass die Verstrickung des VS mit den neonazistischen Verbrechen nicht aufgeklärt wurde und das auch, weil die vernommenen Mitarbeiter der Geheimdienste wenig zu dieser Aufklärung beitrugen, sondern im Gegenteil von ihren Vorgesetzten keine Aussagegenehmigung bekamen oder aber ihre Rolle nicht erinnerten, verharmlosten, verdrehten oder belastendes Material gleich direkt vernichteten. Damit steht der Verfassungsschutz für uns außerhalb demokratischer Kontrolle und disqualifiziert sich als Gesprächspartner.

Die Initiative „Keupstraße ist überall“ arbeitet eng zusammen mit den migrantischen Opfern der Nagelbombe von 2004. Für die Opfer war die Bombe nur der Anfang eines Leidens, das sich bis zur Selbstenttarnung des NSU 2011 durch behördliche Drangsalierungen und mediale rassistische Hetze noch fortsetzte und für viele bis heute schmerzvolle Konsequenzen hat. Die Rolle des Verfassungsschutzes beim Aufbau militanter Nazistrukturen, ihrer finanziellen Unterstützung und ihrem Schutz vor Strafverfolgung und ganz konkret innerhalb der Mordserie des NSU ist nicht geklärt. Gleichzeitig beobachten wir gegenwärtig eine Anbiederung des VS an demokratische Gruppen, die sich kritisch mit rechter Gewalt und Neonazi-Terror auseinandersetzen. Wir verstehen dies als eine Strategie, das durch den NSU-Skandal angekratzte Image aufzupolieren und sich einer breiten gesellschaftlichen Legitimation zu versichern. Wir sehen allerdings keinen Grund, bis zur lückenlosen Aufklärung des NSU-Komplexes und entsprechenden Konsequenzen, diese im Geheimen operierenden Strukturen zu legitimieren. Wir sehen in einer solchen Legitimierung vielmehr ein falsches Signal, die geheimdienstliche Praxis des Aufbaus, der Radikalisierung und der Absicherung von rechten Strukturen fortzuführen, aus denen heraus weitere Neonaziverbrechen gegen MigrantInnen geplant und durchgeführt werden.

Unter den Bedingungen der Teilnahme eines Mitarbeiters eines Geheimdienstes sehen wir daher keine Möglichkeit, an Seminaren der HBS teilzunehmen. Wir erklären uns damit auch solidarisch mit dem Beschluss der Vollversammlung der Promovierenden der HBS vom 5.4.2014 in Göttingen, „jegliche Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz zu unterlassen“.

Mit freundlichen Grüßen
Initiative „Keupstraße ist überall“
09.01.2015

Der DGB Bundesjungendausschuss beschließt, dass die Gewerkschaftsjugend jegliche Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes ablehnt. Die DGB-Jugend spricht sich eindeutig gegen jedes Engagement des Geheimdienstes in diesem Themenfeld aus. Denn die Aufgaben des Verfassungsschutzes sind gesetzlich klar geregelt: Er sammelt und wertet Informationen aus, zur Bildungsarbeit hat er aber keinerlei Legitimation. Für diese Arbeit haben unter anderem Jugendverbände, Schulen, Kindergärten und die Landes- und Bundeszentralen für politische Bildung einen klaren Auftrag.

Alle Ebenen des DGB und der DGB-Jugend werden aufgefordert, bei Bildungsveranstaltungen nicht mit dem Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten. Der BJA fordert den DGB darüber hinaus dazu auf, das Thema auf allen ihm zur Verfügung stehenden Ebenen anzusprechen und das Engagement des Verfassungsschutzes kritisch zu hinterfragen.

Die Gewerkschaftsjugend setzt sich für eine kritische, freie und qualifizierte politische Bildung als Grundlage demokratischer Kultur und Gesellschaft ein. Der Inlandsgeheimdienst ist dabei weder als eigenständiger Bildungsakteur noch als zivilgesellschaftlicher „Partner“ akzeptabel, denn politische Bildungsarbeit muss kritisch und staatlich unabhängig bleiben.

Dieser Beschluss beinhaltet, dass keine gemeinsamen geplanten Bildungsveranstaltungen stattfinden (Hofgestaltung, Aktivitäten in Schulen oder Hochschulen), Materialien des VS verwendet oder verbreitet werden, Daten von Teamer/-innen, Teilnehmer/-innen o. ä. weitergegeben werden oder mit Mitarbeiter/-innen des VS in Bündnissen zusammengearbeitet wird.

In diesem Zusammenhang unterstützen wir als DGB-Jugend auch den „Aufruf für kritische, freie und qualifizierte politische Bildung als Grundlage demokratischer Kultur und Gesellschaft“ des Apabiz.

Des Weiteren thematisiert die DGB-Jugend diese Forderungen bei ihren politischen Partnerinnen und Partnern im Bereich der Jugendbildung und darüber hinaus.

Begründung:
Nach einer umfassenden Umstrukturierung und Modernisierung des Verfassungsschutzes ist vermehrt zu beobachten, dass der Verfassungsschutz massiv in die politische Bildungsarbeit drängt. Damit überschreitet er eindeutig seine gesetzlich festgelegten Aufgaben als Inlandsgeheimdienst, wie sie in § 3 BVerfSchG, geregelt sind: „Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen“.

Statt sich an diesen gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben zu orientieren, präsentiert er sich wie selbstverständlich auch als Bildungsakteur und „Partner“ für zivilgesellschaftliches Engagement.

Wie weit das Engagement der Geheimdienste führen kann, zeigt das Beispiel Niedersachsen, wo die Landeszentrale für politische Bildung Ende 2004 aufgelöst wurde und der Verfassungsschutz seitdem deren Aufgaben übernommen hat. Die Reichweite der bisherigen Bestrebungen des Verfassungsschutzes zeigen die enorm verbreiteten und massiv beworbenen „Andi-Comics“ aus Nordrhein-Westfalen. In diesen sollen die Schüler/-innen entlang der „Extremismustheorie“ auf diffuse Art und Weise über „Rechtsextremismus“, Islamismus und „Linksextremismus“ „aufgeklärt“ werden. Die Gesamtauflage liegt mittlerweile bei über einer Million. Spielerisch verbreitet der Verfassungsschutz so das Weltbild der „Extremismustheorie“ weiter, die Maßnahmen wie die „Extremismusklausel“ erst ermöglicht. Durch diese Maßnahmen sowie gleichzeitig stattfindende Mittelkürzungen wird vielen engagierten und etablierten Akteuren in der politischen Bildung, wie auch den Gewerkschaften, die Arbeit erschwert oder sogar verhindert.

Politische Bildungsarbeit aber, die über reine Wissensvermittlung hinaus eine demokratische und partizipative Kultur stärken will, muss eine gesellschafts- und ideologiekritische Perspektive mit einbeziehen. Emanzipative Bildungsakteur/-innen, wie die Gewerkschaften, machen es sich daher zur zentralen Aufgabe, kritisches Denken zu fördern und Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Ein solcher Bildungsprozess spricht den mündigen Menschen an, der unabhängig von staatlichen politischen Interessen agiert. Eine solche Bildungsarbeit kann aber auch unbequem sein, denn im Bezug auf antifaschistische Bildungsarbeit bedeutet dies, nicht nur über rechte Erscheinungsformen und Strukturen aufzuklären, sondern menschenfeindliche Ideologien in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen und als ein Problem aus der „Mitte der Gesellschaft“ zu thematisieren. Im Gegensatz dazu gilt für den Verfassungsschutz gemäß seiner Rolle als Inlandsgeheimdienst der „Rechtsextremismus“ als ein gesellschaftliches Randphänomen. Er beobachtet ausschließlich erkennbare Organisationen und Strukturen hinsichtlich ihrer Verfassungsfeindlichkeit und ist dabei abhängig von politischen Vorgaben und Machtverhältnissen.

Als Inlandsgeheimdienst ist der Verfassungsschutz in erster Linie ein staatliches Überwachungsorgan, dessen Tätigkeiten oftmals repressive Auswirkungen haben. Diese Machtposition wird als politische Waffe gegen missliebige Akteur/-innen eingesetzt, die in ihrem Engagement gegen Rechts eine gesellschaftskritische Perspektive einnehmen.

Dies erfordert dringenden Widerspruch, denn dieses Engagement stellt ein gesellschaftliches und auch explizit gewerkschaftliches Problem dar.

Der Verfassungsschutz wird zunehmend auch in Schulen aktiv, in dem Projekttage angeboten und Lehrer/-innenfortbildungen durchgeführt werden. Die hohe Präsenz an den Schulen dient allerdings nicht dazu, um über die eigene Arbeit zu informieren, sondern um die eigenen Inhalte zu unterrichten, deren Kern die Extremismustheorie ist.

Als staatliche Institution wird der Verfassungsschutz von vielen Schulen als seriöser und objektiver eingeschätzt als zivilgesellschaftliche Organisationen oder Gewerkschaften. Durch die zusätzlich deutlich besseren finanziellen Ressourcen hat das neu entdeckte Engagement zur Folge, dass es die deutlich differenzierteren gewerkschaftlichen Bildungsangebote zunehmend schwerer haben, an die Schulen zu kommen. Ein wichtiger Blickwinkel auf Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und deren Ursachen wird als Ergebnis dann aus der Schule gehalten. Denn den „Extremismus in der Mitte der Gesellschaft“ nimmt die „Extremismustheorie“ nicht in den Blick. Gleichzeitig werden der Gewerkschaftsjugend Zugänge in Schulen erschwert, um sich dort als kompetenter Ansprechpartner zu etablieren. Denn Projekttage über Nazis sind oftmals ein Türöffner für weitere Schulbesuche zu den gewerkschaftlichen Kernthemen. Die „Extremismusklausel“ erschwert bereits in einigen DGB-Bezirken unmittelbar die Arbeit. Ein weiteres Ausbreiten geheimdienstlicher Bildungsarbeit leistet dem weiteren Vorschub.

Die Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) haben 2014 beschlossen:

Alle Gremienvertreter*innen sollen sich dafür einsetzen, dass die HBS jegliche Zusammenarbeit mit dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz unterlässt. Das beinhaltet unter anderem die Einbeziehung von VS-Mitarbeiter*innen oder -Assoziierten (u.a. ehemalige Mitarbeiter*innen und gelegentlich im Auftrag des VS Tätige) in das Seminarprogramm und das Mentoringprogramm.

Begründung:
Auf ihrer 19. Bundeskonferenz im November 2013 beschloss die DGB Jugend: „Die Gewerkschaftsjugend lehnt jegliche Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes ab“. Der VS ist aus unserer Sicht kein Akteur, der eine Idee von politischer Bildung verpflichtet ist, die sich auf eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen und widerspruchsvollen Positionen einlässt und darin Teilnehmende dazu ermutigen möchte, sich lernend und zunehmend selbstständig mit gesellschaftlichen (Herrschafts-) Verhältnissen zu beschäftigen. Als Geheimdienst kann er nicht Akteur einer auf Vertrauen basierenden pädagogischen Arbeit sein.

Zusätzlich lehnen wir jegliche wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz ab, da spätestens der Fall „Dr. Martin Thein“ gezeigt hat, dass es dem VS nicht um wissenschaftliche sondern einzig um nachrichtendienstliche Erkenntnissammlung handelt. Martin Thein forschte im Milieu der Fußballultras, baute Vertrauen zu Fangruppen auf und gab seinen wirklichen Arbeitgeber, das Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht bekannt. Durch die Recherche eines Journalisten flog Thein auf. Das Vertrauen von Fußballfans und vermutlich anderen Gruppen gegenüber Wissenschaftler*innen hat enorm gelitten. Der VS hat das Risiko eines solchen Schadens für die Wissenschaft wissentlich Kauf genommen.

Hinzu kommt, dass der VS nach der Logik des wissenschaftlich umstrittenen Extremismusmodells operiert und in seinen Berichten linksoppositionelle, antifaschistische, rassismuskritische Gruppen aufnimmt, denen dadurch erheblicher Nachteil entsteht. So wurde dem antifaschistischen Informations- und Dokumentationsarchiv (a.i.d.a.) aus München die Gemeinnützigkeit aberkannt, nachdem er im VS Bericht genannt wurde. Mittlerweile hat sich das Archiv erfolgreich juristisch gewehrt.

Die erschreckenden Tatsachen, dass die Mordserie des NSU jahrelang von Nachrichtendiensten nicht aufgedeckt und die Aufklärung der eigenen Verwicklungen in neonazistische Kreise behindern wurden, hat gezeigt, dass das Instrument VS als zentraler Teil des staatlichen, vorverlagerten Demokratieschutzes gescheitert ist.

Da wir den Verfassungsschutz als bildungspolitischen, wissenschaftlichen politischen und sicherheitspolitischen Akteur ablehnen, sprechen wir uns gegen eine Zusammenarbeit der HBS mit dieser Institution auf allen Ebenen aus.

Kein Gesprächspartner

 

Aufklärung statt Anbiederung: Initiative »Keupstraße ist überall« lehnt Seminar mit Verfassungsschutz bei Böckler-Stiftung ab. Kölner Nagelbombe Thema im NSU-Prozess

 

Erst standen sie und ihre Nachbarn jahrelang selbst unter Verdacht, dann konnten sich die Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße kaum noch vor staatstragenden Akteuren retten, die ihnen ihr Mitgefühl bekundeten und sich scheinbar auf Augenhöhe mit ihnen begaben. Möglicherweise zum Teil in der Hoffnung, dass den Geschädigten die Luft für allzu kritische Nachfragen zum Thema »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) und Geheimdienste wegbleiben würde, wenn man sie nur fest genug umarmte. Soweit kam es allerdings nicht.

Die Initiative »Keupstraße ist überall«, die eng mit den Opfern des Anschlags auf die migrantisch geprägte Einkaufsmeile zusammenarbeitet, hat am Freitag erneut ein Zeichen gesetzt, indem sie nach eigenem Bekunden ihre Teilnahme an einem Seminar mit einem Vertreter des Verfassungsschutzes (VS) absagte. Motto »Rechter Terror und die Folgen: Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bei Prävention und Intervention«. Veranstalter war die Abteilung für Studienförderung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die es versäumt hatte, die Keupstraßen-Initiative zu informieren, wer noch als Referent eingeladen war. »Nun haben wir erfahren, dass mit Horst Lahmann ein Vertreter des Verfassungsschutzes selbst an der Diskussion um die Bedeutung seiner Behörde an den rassistischen Taten teilnehmen soll«, erklärte die Initiative am Freitag zur Begründung ihrer Absage. Die Erfahrungen aus NSU-Untersuchungssausschüssen in Bund und Ländern hätten gezeigt, dass »die vernommenen Mitarbeiter der Geheimdienste wenig zu dieser Aufklärung beitrugen, sondern im Gegenteil von ihren Vorgesetzten keine Aussagegenehmigung bekamen oder aber ihre Rolle nicht erinnerten, verharmlosten, verdrehten oder belastendes Material gleich direkt vernichteten«. Gleichzeitig hat die Initiative »eine Anbiederung des VS an demokratische Gruppen, die sich kritisch mit rechter Gewalt und Neonaziterror auseinandersetzen« beobachtet. »Wir verstehen dies als eine Strategie, das durch den NSU-Skandal angekratzte Image aufzupolieren und sich einer breiten gesellschaftlichen Legitimation zu versichern.« Der VS stehe aber »für uns außerhalb demokratischer Kontrolle und disqualifiziert sich als Gesprächspartner«. Lahmann ist laut Seminarankündigung der Böckler-Stiftung Leiter des Fachbereichs Prävention in der Abteilung Verfassungsschutz des niedersächsischen Innenministeriums.

Sprecher der Initiative »Keupstraße ist überall« erinnerten am Montag gegenüber junge Welt an einen Beschluss der DGB-Jugend zum Thema »Bildungsarbeit ohne Verfassungsschutz«, der bereits 2013 gefasst wurde. Dem habe sich die Vollversammlung der Promovierenden der Hans-Böckler- Stiftung im April 2014 angeschlossen, indem sie ebenfalls die Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst abgelehnt habe. Die für dessen Einladung Verantwortlichen in der Stiftung waren am Montag zunächst nicht für Nachfragen erreichbar. Das Seminar ist für den 23. und 24. Februar in Düsseldorf geplant. Ob und mit welcher Besetzung es nun stattfinden soll, war nicht zu erfahren.

Unterdessen begann im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München die Beweisaufnahme zu dem Anschlag, bei dem in der Keupstraße am 9. Juni 2004 nur durch Glück niemand gestorben war. Ein Kriminalbeamter beschrieb im Zeugenstand die Wirkung der Bombe, die 22 Menschen zum Teil schwer verletzt hatte. Insgesamt 702 Zimmermannsnägel hätten die Ermittler damals gefunden: Viele steckten in Fahrzeugen und Holzsäulen, einige wurden sogar in Hinterhöfen entdeckt. Die Wucht der Detonation war demnach so groß, dass die zehn Zentimeter langen und fünf Millimeter dicken Nägel über die dreigeschossige Häuserzeile geschleudert wurden. Am 20. Januar soll in München mit der Vernehmung der Betroffenen begonnen werden.