BGH 20.5.1958: 3 ½ Jahre Haft wg. Mitgliedschaft i. d. Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen (ADJ)

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Am 20. Mai 1958 verurteilten die Richter am Bundesgerichtshof Kurt Weber, Dr. Karl Mannzen, Dr. Heinz Wiefels, Alexander Wirtzfeld und Dr. Hermann Hengsberger Johann Mertens zu 3 ½ Jahren und Alice Stertzenbach zu 8 Monaten Gefängnis (Letzteres auf Be­währung) wegen rädelsführerischer Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft demokra­tischer Juristen (ADJ) sowie dem Zentralrat zum Schutz demokratischer Rechte und zur Verteidigung deutscher Patrioten (ZR). Der ‚patriotische‘ Name des Zentralrates erklärt sich aus der damaligen gesamtdeutsch-neutralistischen politischen Orientierung der KPD.

 

Der Vorsitzende Richter des zuständigen BGH-Senats, Kurt Weber, war 1934 seiner jüdi­schen Geliebten nicht ins niederländische Exil gefolgt. Statt dessen trat er im gleichen Jahr dem NS-Rechtswahrerbund, 1936 der NS-Volkswohlfahrt (NSV) sowie 1937 der NSDAP und dem NS-Kraftfahrkorps bei.

 

Dr. Karl Mannzen war von Jan. bis März 1920 Freikorps-Mitglied; dann von 1926 bis 1933 SPD-Mitglied. 1933 trat er der SA bei. 1937 und 1939 bewarb er sich um eine Mitglied­schaft in der NSDAP; ab 01.01.1940 wurde er tatsächlich aufgenommen; 1968 erhielt er das Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern.

 

Dr. Heinz Wiefels wurde 1933 Mitglied der NSDAP. Dr. Hermann Hengsberger war Mitglied in der (pflicht)schlagenden Burschenschaft Corps Hasso-Nassovia. Er trat 1933 in die NSDAP ein und wurde später mit der Medaille zur „Würdigung des heldenhaften Einsatzes gegen den bolschewistischen Feind während des Winters 1941/42“ („Ostmedaille“) und dem 1939 gestifteten Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet.

 

Allein Alexander Wirtzfeld, der zur Zeit der Weimarer Republik Mitglied der Zentrumspartei gewesen war, machte während der NS-Zeit keine Karriere.

 

ADJ und Zentralrat: „Locker“ bzw. „lose“ – aber trotzdem staatsgefährdend

 

Voraussetzung für die Verurteilung war, daß die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juris­ten (ADJ) und der Zentralrat... als verbotene Vereinigungen i.S.v. Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz (vgl. auch den damaligen § 90a StGB) und Kriminelle Vereinigungen i.S.v. § 129 StGB damaliger Fassung klassifiziert wurden. Die Arbeitsgemeinschaft demokra­tischer Juristen (ADJ) und der Zentralrat (ZR) waren zwei 1951 gegründete KPD-nahe – laut BGH „lockere“ bzw. „lose“ – ‚Zusammenschlüsse‘ (BGH). Strafverschärfend wirkte sich aus, daß sie in sog. staatsgefährender Absicht (§ 94 StGB damaliger Fassung) han­delten.

Vereinsnamen und Vereinsorgane scheinen tatsächlich existiert zu haben; Mitgliedsbei­träge wurden nicht erhoben:

„Die am 8. April 1951 in Düsseldorf gegründete ADJ war ein Zusammenschluß von Juristen in organisatorisch loser Form. […]. Ein Statut wurde erst am 13. Mai 1955 geschaffen. Es benannte als Organe der Arbeitsgemeinschaft das Präsidium und den aus diesem zu bil­denden Vorstand, jedoch sind diese Organe, soweit erkennbar, nach außen wenig in Er­scheinung getreten. […]. Auch der ZR war ein lockerer und wechselnder Zusammenschluß von Personen, die ebensowenig wie die Angehörigen der ADJ Mitgliedsbeiträge zu entrich­ten hatten. Von der ADJ unterschied sich der ZR einmal dadurch, daß ihm nicht nur Juris­ten, sondern Personen aus den verschiedensten Berufen angehörten, zum anderen durch seine mehr auf eine praktische Aufgabe, nämlich die ‚Verteidigung deutscher Patrioten’ ge­richtete Tätigkeit. Organe waren neben dem Plenum ein Präsidium und ein aus diesem ge­bildeter Vorstand. Die laufenden Geschäfte besorgte auch hier ein ständiges Büro mit ei­nem Geschäftsführer und seinem Stellvertreter.“

(BGH JurionRS 1958, 13128, Tz. 11, 12 = Hochverrat und Staatsgefährdung. Urteile des Bundesgerichtshofes. Bd. II, 1958, 253 - 307 [257])

Der Zentralrat wurde am 27.04.1951 in Hamburg verboten; die meisten anderen Bundes­länder zogen 1958 nach. Die ADJ wurde 1958 in Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfa­len für verboten erklärt. In Rheinland-Pfalz wurden beide 1955 verboten; das Saarland wurde erst 1957 zehntes Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland und scheint sich auf Verbote des Demokratischen Frauenbundes (DFB) und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) im Jahre 1960 beschränkt zu haben; auch in Bremen blieben sowohl die ADJ als auch der Zentralrat… unverboten (Kluth 1959, 131 f. verglichen mit: GMBl. 1966, 1 - 26 [2 - 4 und 15]).

Im Regierungsbezirk Düsseldorf, wo Mertens anscheinend wohnte und arbeitete, wurden ADJ und ZR am 03.02.1958 verboten, ohne sofortige Vollziehung anzuordnen, (GMBl. 1966, 1 - 26 [4 <Nr. 21> und 15 <Nr. 193>]). Bestandskräftig wurden die Verbote erst durch Beschlüsse des Landesverwaltungsgerichts Düsseldorf vom 19.05.1959 (im Falle des Zentralrates…) sowie des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20.07.1959 (im Falle der ADJ) (ebd.) – also nach dem Strafurteil. (Das heute für §§ 84, 85 StGB und § 20 Vereinsgesetz [aber weiterhin nicht für § 129 StGB] geltende sog. „Verbotsprinzip“ [keine Strafbarkeit wegen jener Paragraphen in Bezug auf die Zeit vor [zumindest vorläufiger] Vollziehbarkeit des Verbotes] wurde erst mit dem Vereinsgesetz von 1964 eingeführt.)

 

Die Urteilsgründe

 

Im Folgenden wird die rechtliche Würdigung des Sachverhalts und die Begründung der Strafzumessung des BGH-Urteils dokumentiert. In dem – Dutzende Seiten langen – Sach­verhalt geht es ausschließlich um Äußerungen der Anklagten (und anderer Mitglieder der beiden fraglichen Gruppierungen), aber um keinerlei physische Straftaten – nicht einmal um eine Blockade eines Werktors bei einem Streik; nicht um Ohrfeigen für Nazi-Richter, nicht um Rangeleien mit der Polizei bei Demonstrationen, nicht um Waffenbesitz und schon gar nicht um Waffeneinsatz.

Dem gemäß werden in dem Urteil als Straftaten, auf deren Begehung Zweck und Tätigkeit von ADJ und Zentralrat… gerichtet gewesen sein sollen, ausschließlich genannt: Beleidi­gung (§ 185 StGB), Verleumdung (§ 187), Verleumdung von „im politischen Leben des Volkes stehende[n] Person“ (§ 187a StGB), Verunglimpfung von Staatsorganen (§ 97 StGB) und Zersetzung (§ 91 StGB – jeweils: damaliger Fassung) – und zwar Letzteres durch Veranlassung von „massenhaften Protestbriefe[n]“ (!).

 

Hier nun die beiden genannte Abschnitte (rechtliche Würdigung des Sachverhalts und die Begründung der Strafzumessung) aus dem Urteil (mit den jurion-Textziffern [= Absatzzählung]):

 

„122

Da die ADJ und der ZR darauf ausgegangen sind, die verfassungsmässige Ordnung der Bundesrepublik zu untergraben und durch ein System zu ersetzen, dem alle Grundwerte der freiheitlichen Demokratie fehlen, sind sie als Vereinigungen anzusehen, deren Zwecke und deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmässige Ordnung richteten, also als Verei­nigungen im Sinne des § 90a StGB. Zugleich waren ihre Zwecke und ihre Tätigkeit darauf gerichtet, strafbare Handlungen zu begehen. Durch die von beiden Organisationen planmässig betriebene Hetze gegen die Bundesregierung und insbesondere die Organe der Rechtspflege wurden häufig die Tatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB), der Ver­leumdung (§§ 187, 187a StGB) und der Verunglimpfung von Staatsorganen (§ 97 StGB) verwirklicht. Vor allem aber wurden im Rahmen der Prozeßsteuerung strafbare Handlungen begangen. Die vom ZR veranlassten massenhaften Protestbriefe in jedem Strafverfahren gegen Angehörige kommunistischer Organisationen sollten die Gerichte und andere Or­gane der Rechtspflege allgemein bestimmen, sich dem auf sie ausgeübten Druck zu beu­gen, es nicht mehr zu wagen, Kommunisten zu verhaften, anzuklagen und zu verurteilen, und somit aus Furcht ihrer Verpflichtung, die Sicherheit der Bundesrepublik und ihre verfas­sungsmässige Ordnung zu schützen, nicht mehr nachzukommen. Vielfach ist daher min­destens der Tatbestand der Zersetzung (§ 91 StGB) erfüllt worden. – Diese Straftaten wa­ren von der ADJ und dem ZR als wichtiges, ja unentbehrliches Mittel ihrer verfassungs­feindlichen Bestrebungen gedacht und gewollt.

 

123

Beide Angeklagte waren an der Gründung der Organisationen, denen sie fortan als Mitglie­der angehörten, beteiligt und haben in ihnen eine hervorragende Rolle gespielt. Während Dr. M. die juristischem Grundlagen für die Agitation beider Organisationen und die Richtli­nien für die Prozeßsteuerung durch den ZR schuf, beeinflußte die Angeklagte S. (neben Ha.) die tägliche Arbeit des ZR entscheidend. Hierdurch haben sie die Bestrebungen der Vereinigungen maßgeblich gefördert. Sie sind somit nicht nur als Gründer, sondern auch als Rädelsführer anzusehen, und zwar Dr. M. in beiden Vereinigungen, Frau S. nur im ZR.

 

124

Hiernach sind die Angeklagten tateinheitlich begangener Vergehen nach den §§ 90 a, 129 Abs. 1 und 2 StGB schuldig. Soweit sie gegen § 129 StGB verstoßen haben, geschah dies in verfassungsfeindlicher Absicht im Sinne, des § 94 StGB. Sie bekennen, sich auch für ihre Person zu einem politischen System, dem die Grundwerte der freiheitlichen Demokra­tie fehlen. Die Herbeiführung von Zuständen in der Bundesrepublik, wie sie in der sog. DDR herrschen, entspricht ihren eigenen Wünschen. Auf dieses Ziel der Kommunisten, ha­ben sie ihre Tätigkeit in der ADJ und im ZR bewußt abgestellte Sie haben also in der Ab­sicht, d.h. mit dem bestimmten Vorsatz gehandelt, Verfassungsgrundsätze im Sinne des § 88 Abs. 2 StGB zu beseitigen und zu untergraben und eine solche Bestrebung zu fördern.

 

125

Wegen Zersetzung (§ 91 StGB) konnten die Angeklagten dagegen nicht verurteilt werden. Zwar steht – wie dargelegt – fest, daß der ZR auf die Begehung solcher Straftaten plan­mässig und auch erfolgreich hingewirkt hat; es läßt sich aber nicht feststellen, daß die An­geklagten persönlich derartige Aktionen ausgelöst oder an ihnen teilgenommen haben.

 

126

Die mehreren Rechtsverletzungen sind durch ein und dieselbe Handlung begangen wor­den, stehen also zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 73 StGB). Deshalb bedurfte es keines besonderen Freispruchs von der Anklage der Zersetzung.

 

127

E.

Bei der Strafzumessung war auszugehen von der besonderen Aufgabe der beiden Vereini­gungen, aus der sich ihre Gefährlichkeit ergibt. Sie sind nicht wie viele andere kommunis­tische Organisationen nur zu dem Zweck geschaffen worden, politische Propaganda mit verfassungsfeindlichem Siel zu treiben; ihre Tätigkeit hat sich vielmehr unmittelbar gegen die Rechtsstaatlichkeit und damit gegen einen Grundwert der freiheitlichen Demokratie ge­richtet, der jenseits aller Politik steht und stehen muß. Der besondere und eigentliche Geg­ner war die Justiz, also eine ihrem Wesen und ihrer Aufgabe nach völlig unpolitische Ein­richtung, die zum Schaden der verfassungsmäßigen Ordnung in den politischen Kampf hin­eingezerrt werden sollte. Planmassige und organisierte Angriffe gegen die Rechtspflege, wie sie vor allem vom ZR unternommen wurden, können eine erhebliche Gefahr heraufbe­schwören, weil die Erfahrung lehrt, daß politisch Unzufriedene nur zu leicht den unsinnigs­ten, der Wirklichkeit klar widersprechenden Behauptungen Glauben schenken, wenn, diese nur mit der nötigen Dreistigkeit aufgestellt und ständig wiederholt werden. Die häufige Folge davon ist, daß sich die Mißstimmung über die Regierungspolitik auf die staatliche Ordnung selbst ausdehnt und so Anhänger dieser Ordnung gegen ihren eigentlichen Willen zu Gegnern gemacht werden. Dies war gerade der Daseinszweck der ADJ und des ZH. Ihre Gefährlichkeit, besonders die des ZR. darf daher nicht unterschätzt werden. Allerdings war der Erfolg ihrer Bemühungen letztlich gering, wie auch die weitere Entwicklung gezeigt hat. Dies lag aber nicht etwa daran, daß man es an Zielstrebigkeit und Energie hätte fehlen lassen, sondern wohl an der Plumpheit und Durchschaubarkeit der kommunistischen Me­thoden und der unbedingten Ablehnung des kommunistischen Systems durch die Bevölke­rung der Bundesrepublik.

 

128

Bei den beiden Angeklagten persönlich, fällt die lange Dauer und die besonders hervorra­gende Bedeutung ihrer Tätigkeit in diesen Organisationen ins Gewicht. Im übrigen aber müssen sie durchaus verschieden gewürdigt werden. Zu Gunsten von Dr. M. konnte neben seiner Unbestraftheit nur berücksichtigt werden, daß er durch die Teilnahme am 2. Welt­krieg als Soldat und durch die Folgen des Krieges aus seiner bisherigen beruflichen Tätig­keit gerissen worden ist. Gegen ihn spricht jedoch weit mehr: er hat sich zu der einem Ju­risten besonders schlecht, anstehenden Aufgabe bereitgefunden, mit Hilfe pseudowissen­schaftlicher Darlegungen falsche Behauptungen, und Auffassungen zu verbreiten und so die Grundlagen zu schaffen für einen auf Lüge gegründeten Kampf gegen den Rechtsstaat. Dabei wußte er sehr wohl, daß seine Behauptungen nicht zutragen und seine Beweisfüh­rungen unhaltbar waren. Noch stärker muß sich aber die üble Gesinnung, die vor allem in seinen „Lehren aus den Dortmunder Prozessen“ zu erkennen ist, zu seinem Nachteil aus­wirken. Die Schmähungen des Dortmunder Landgerichtsdirektors Rheinländer übertreffen alles, was dem Senat auf diesem Gebiet jemals vor Augen gekommen ist, wobei besonders ins Gewicht fällt, daß dieser Richter während, der nationalsozialistischen. Herrschaft aus seinem Amt entfernt und verfolgt wurde, und daß Dr. M. dies wußte. Eine so grobe Ehrab­schneidung, konnte dem Angeklagten auch dann nicht notwendig erscheinen, wenn er den Willen hatte, das; politische, Ziel, dem er sich verschrieben hat, rücksichtslos und mit allen Mitteln zu fördern.

 

129

Nach alledem war zwar keine –, gemäß §§ 129 Abs. 2, 94 StGB mögliche – Zuchthauss­trafe, wohl aber eine empfindliche Gefängnisstrafe geboten. Der Senat hat sie auf 3 Jahre 6 Monate bemessen und aus Billigkeitsgründen gemäß § 60 StGB die Untersuchungshaft in vollem Umfang angerechnet.

 

130

Angesichts der, von Dr. M. bewiesenen niederträchtigen Gesinnung und seiner weiterhin andauernden besonders heftigen Feindschaft gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik erschien es angebracht, gemäß § 98 Abs. 1 StGB für die Dauer von vier Jahren auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter sowie den Verlust des Wahl- und Stimmrechts und der Wählbarkeit zu erkennen.

 

131

Die bei Dr. M. hervorgehobenen strafschärfenden persönlichen Gesichtspunkte fehlen bei der Angeklagten Stertzenbach. Sie ist mindestens nach außen nicht propagandistisch und agitatorisch hervorgetreten, sondern hat sich vorwiegend auf dem ihr besonders zusagen­den Gebiet der sozialen Betreuung von Häftlingen und ihren Angehörigen betätigt. Wenn sie auch wußte, daß die Agitation des ZR gegen die Rechtszustände in der Bundesrepublik in ihrem Kern falsch war, so konnte sie doch im Gegensatz zu Dr. M. nicht die Unrichtigkeit jeder einzelnen Behauptung erkennen und so die ganze Perfidie des Lügenfeldzuges er­messen. – Vor allem aber fiel ihr schweres Schicksal während der nationalistischen Herr­schaft stark zu ihren Gunsten ins Gewicht. Es erscheint zwar schwer begreiflich, daß sie sich trotz solcher Erlebnisse und Erfahrungen einem System verschrieben hat, das die Freiheit und Würde des Menschen ebenso gering achtet wie das nationalsozialistische, wenn ihm auch dessen antisemitische und damit eine der übelsten Tendenzen fehlt; es ist dabei aber zu bedenken, daß sie in den Jahren der Verfolgung viele Kommunisten kennen und in gemeinsamer Not und Bedrängnis persönlich, schätzen gelernt hat, woraus ein Ge­fühl der Zusammengehörigkeit entstanden ist, das auf ihre politische Überzeugung einwir­ken mag.

 

132

Bei ihr erschien daher eine Gefängnisstrafe von 8 Monaten ausreichend.

 

133

Obwohl der Senat keinen Zweifel daran hat, daß die Angeklagte ihrer kommunistischen Gesinnung treu bleiben wird, hat er diese Strafe gemäß § 23 StGB zur Bewährung ausge­setzt, denn es kann jetzt, wo Frau S. eine geregelte Tätigkeit im öffentlichen Dienst gefun­den hat, erwartet werden, daß sie unter der Einwirkung der Aussetzung künftig ein gesetz­mäßiges und geordnetes leben führen wird. Da sie nach außen wenig hervorgetreten ist, erfordert das öffentliche Interesse die Vollstreckung der Strafe nicht.“

(https://www.jurion.de/urteile/bgh/1958-05-20/1-ste-7_57/ [Achtung: Die Verlinkungen im Original-Zitat führen zum aktuellennicht zum zeitgenössischen – Stand der jeweiligen Norm! Sie wurden hier durch Verlinkungen zu den einschlägigen Normfassungen ersetzt] = Hochverrat und Staatsgefährdung, a.a.O., 305 - 307 [Abschnitt D. wird dort nur in sechs Zeilen zusammengefaßt])

 

Nachspiel

 

Einige Jahre nach dem hier behandelten Urteil wurde das politische Strafrecht teilweise li­beralisiert, aber teilweise sogar noch verschärft:

 

1. Nachdem das Bundesverfassungsgericht

  • mit Urteil vom 21. März 1961 (E 12, 296 - 308 [297, 307 = DFR-Tz. 31]) § 90a StGB – wegen Verstoßes gegen Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 21 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz – für verfassungswidrig erklärte hatte, so­weit laut diesem das Gründen sowie (rädelsführerische und hintermännische) För­dern bestimmter Parteien strafbar war,

    und

  • mit Beschluß vom 30.10.1963 (E 17, 155 - 168) § 129 StGB für verfassungsgemäß erklärt hatte, aber den Begriff der „Vereinigung“ in § 129 StGB so ausgelegt hatte, daß Parteien nicht darunter fallen (166-168, bes. 168),

kam es 1964 – zusammen mit der Verabschiedung des Vereinsgesetzes – u.a. zu Ände­rungen des § 129 StGB. Abgesehen von einer redaktionellen Änderung1 handelte es sich um folgende Änderungen2:

  • die Strafbarkeit des Aufrufes zur Gründung fiel weg; statt dessen kamen die Straf­barkeit des Versuchs der Gründung der Vereinigung und der Werbung für die Verei­nigung hinzu.

  • Außerdem wurde folgende Fälle von der Strafbarkeit ausgenommen:

    „1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsge­richt nicht für verfassungswidrig erklärt hat,

    2. wenn die Begehung von strafbaren Handlungen nur ein Zweck oder eine Tätig­keit von untergeordneter Bedeutung ist oder

    3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung strafbare Handlungen nach den §§ 90a, 90b, 93 oder 128 betreffen.“

    (BGBl. I 1964, S. 593 - 601 [598]; vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfes: BTag-Drs. 4/2145, S. 8)

 

Diese Einschränkungen änderten aber nichts daran, daß der BGH auch nach in Krafttreten des Vereinsgesetzes von 1964 in „Organisationen wie der ‚Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Juristen’ und dem ‚Zentralrat zum Schutze demokratischer Rechte’ weiterhin kriminelle Vereinigungen [erblickte], weil die von ihnen ausgehenden Straftaten nach §§ 97, 185, 187, 187a, 91 StGB nicht nur von untergeordneter Bedeutung gewesen seien“3.

 

2. Außerdem wurden zusammen mit dem Vereinsgesetz der alte § 90a StGB und der alte § 47 Bundesverfassungsgerichtsgesetz4 zu den neuen §§ 90a und 90b StGB sowie 20 Vereinsgesetz (BGBl. I 1964, S. 593 - 601 [597]) umgearbeitet.

 

Diese Änderungen und die späteren Änderungen werden vielleicht demnächst in einem Fortsetzungsartikel genauer dargestellt.

 

Biographische Angaben zu den beteiligten Richtern:

 

Klaus Schäfer, Der Prozess gegen Otto John. Ein Beitrag zur Justizgeschichte der frühen Bundesrepublik, Tectum: Marburg, 2009 [zugleich Diss. Uni Frankfurt am Main, 2009],

  • S. 162 - 166: Abschnitt J. II. 2. Kurt Weber als Untersuchungsrichter

  • S. 172 - 175: Abschnitte J. II. 7. Heinz Wiefels, 8. Alexander Wirtzfeld, und 9. Karl Mannzen

  • S. 177 f.: Abschnitt J. III. 2. Hermann Hengsberger.

 

und

 

Ulf Gutfleisch, Staatsschutzstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland 1951-1968, BWV: Berlin, 2014, S. 340 - 342, 343, 345: Siebentes Kapitel Zentrale Protagonisten des Staatsschutzstrafrechts.

 

 

 

Eine deutlich erweiterte Fassung dieses Textes – mit vierzig z.T. recht lange – Fußnoten, zusätzlichen Literaturangaben und einer Nachbemerkung zum Forschungsstand wurde (als .pdf-Datei [18 Seiten]) bei http://trend.infopartisan.net/inhalt.html eingereicht; eine mittellange und etwas anders gegliederte Fassung des Textes erschien am 21. Mai bei scharf-links:

 

http://scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=69632&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=17db1be9a7.

 

 

1 alte Fassung: „[…] kann von Strafe abgesehen werden.“ / neue Fassung: „Das Gericht kann […] von Strafe absehen.“

 

2 Siehe die Gegenüberstellung beider Normfassungen unter der Adresse: http://tap2folge.blogsport.eu/files/2019/05/aend_par_129_stgb_m_vereinsg_v_1964.pdf.

 

3 Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1978, 160.

 

4 Dieser lautete bis dahin (in Bezug auf Entscheidungen des BVerfG, Parteien für verfassungswidrig zu erklären): „Die Vorschriften der §§ 38, 41 und 42 gelten entsprechend.“ (BGBl. I 1951, S. 243 - 253 [248]) § 42 wiederum lautete (in Be­zug auf Grundrechtsverwirkungsentscheidungen): „Vorsätzliche Zuwiderhandlungen gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht oder gegen die im Vollzug der Entscheidung getroffenen Maßnahmen werden mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.“ (ebd., 247) Durch § 28 Vereinsgesetz von 1964 wurde § 42 BVerfGG aufgehoben und demgemäß der Verweis in § 47 BVerfGG auf § 42 BVerfGG gestrichen (BGBl. I 1964, S. 593 - 601 [599 f.]).

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Ergänzungen

A--n--t--i--f--a--m--a--e--nner, holt ihr immer noch die St-oeck-chen eurer h-e-rr-in-nen?