Zur Strategie einer neuen Hausbesetzerbewegung

Als Beteiligte/r an Besetzungsversuchen in der jüngeren Vergangenheit
hier ein Diskussionsbeitrag damit alte Fehler nicht wiederholt werden
und Wissen nicht verlorengeht (dieser Text bezieht sich auch auf Texte
die mit der Linksunten Zensur verlorengingen). Die hier angestellten
Überlegungen beziehen sich in erster Linie auf Berlin, sind aber mit
Sicherheit auch anderswo anwendbar.

/Als Beteiligte/r an Besetzungsversuchen in der jüngeren Vergangenheit
hier ein Diskussionsbeitrag damit alte Fehler nicht wiederholt werden
und Wissen nicht verlorengeht (dieser Text bezieht sich auch auf Texte
die mit der Linksunten Zensur verlorengingen). Die hier angestellten
Überlegungen beziehen sich in erster Linie auf Berlin, sind aber mit
Sicherheit auch anderswo anwendbar. Eigentlich hätte dieser Text schon
viel früher erscheinen müssen, aus Zeitmangel fehlen auch einige
diskussionswürdige Punkte aus der ferneren Vergangenheit wie z.B.
Hafenstr. Besetzung in HH trotz 24h-Räumungspolitik oder Sonderfälle wie
die Gerhard-Hauptmann Schule etc./

<b>Blick in die Vergangenheit</b>

Während der zwei großen Besetzungswellen in Berlin 80/81 und 90 war eine
Hausbesetzung im Vergleich zu heute relativ einfach durchzuführen. Man
suchte sich ein geeignetes Objekt und legte einen Termin fest. An diesem
Tag machte man das Haus dann auf, hing ein paar Banner raus und
verteilte Flugblätter in der Nachbarschaft. Nach und nach kam dann das
Leben in diese Häuser. So oder so ähnlich verliefen wohl die meisten
Besetzungen zu dieser Zeit.

Beide Besetzungswellen wurden durch die Berliner Linie weitestgehend
beendet. Die einfache wie effektive Logik dieser Politik ist, Häuser
innerhalb 24-Stunden nach Bekanntwerden der Besetzung zu räumen. Denn
mehr Zeit im Haus bedeutet mehr Leute kennen das Haus bedeutet mehr
Solidarität bedeutet mehr Widerstand bei einer etwaigen Räumung. Mit den
50 Leuten die vielleicht im Vorfeld der Besetzungsaktion informiert sind
lässt sich kein ernstzunehmender Widerstand organisieren.

Ein erheblicher Teil der Besetzungsversuche in Berlin seit Beginn der
90er versuchte die Strategie aus den beiden Hochzeiten zu kopieren:
aufmachen, reingehen und direkt an die Öffentlichkeit. Die Bilanz dieser
Strategie ist vernichtend. Abgesehen von Sonderfällen wie der NewYorck
oder der GHS hat es seit Ausweitung der Berliner Linie auf Ost-Berlin
keine längerfristige Hausbesetzung mehr gegeben. Es ist daher dringend
geboten diese Strategie zu ändern.

<b>Blick auf die letzten zwei Jahre>/b>

Glücklicherweise hat die Berliner Linie in jüngster Zeit einen Riss
bekommen. Ausgehend von der versuchten Teilräumung der Rigaer 94 im
Sommer 2016 kristallisiert sich eine neue Strategie heraus, die aus der
Kombination von geschickter Ausnutzung der juristischen Situation und
der Ausschöpfung aller Aktionsformen der radikalen Linken besteht. Ein
Grund (neben den unzähligen Tag-X Aktionen) für die gescheiterte Räumung
der Rigaer 94 ist das Bestehen eines sogenannten Nutzungsrechts, ein
solches Nutzungsrecht ist unabhängig von Mietverträgen. Gilt dieses
Nutzungsrecht kann die Polizei nicht auf Basis des Hausfriedensbruchs
räumen, wie nach Politik der Berliner Linie üblich. Der/Die
Eigentümer/in muss in diesem Fall den Weg über die Gerichte gehen. Im
Grunde genommen handelt es sich um denselben Prozess der bei
Zwangsräumungen z.B. wegen nicht Bezahlens von Miete ansteht. Vor
Gericht muss der/die Eigentümer/in die Personen angeben welche sich
(angeblich) unrechtmäßig in den besetzten Räumen aufhalten. Nach Fällung
des Urteils muss ein/e Gerichtsvollzieher/in einen Brief mit dem Datum
der Zwangsvollstreckung verschicken, erst nach Ablauf dieser Frist darf
geräumt werden.

Um ein Nutzungsrecht ohne vorherigen Mietvertrag zu erhalten gibt es
keine eindeutige Rechtsprechung, vielmehr liegt dies im
Ermessensspielraum des/r Richter/in. Zwei Wege haben sich jedoch
bewährt: Erstens das Nutzen eines Raumes während dies den Eigentümern
bewusst ist. Dies gilt z.B. für die Kadterschmiede in der Rigaer 94. Für
Neubesetzungen ist dies logischerweise etwas schwierig. Der zweite Weg
ist Räumlichkeiten möglichst lange unbemerkt zu nutzen und so
einzurichten, dass dort „erkennbar der Lebensmittelpunkt von Personen
ist“, mit anderen Worten wirklich gewohnt wird und alles was man zum
Wohnen in einem normalen Haushalt hat vorhanden ist, insbesondere
ausgestattete Küche und Schlafzimmer. Dieser Weg funktioniert z.B. bei
den besetzten Wohnungen im Vorderhaus der Rigaer 94(1), er hat ebenso
funktioniert bei der Teppichfabrik(2) im Sommer 2017 und er funktioniert
nach wie vor für das Black Triangle in Leipzig. Im Falle des Black
Triangle sieht man auch, dass man das Spiel noch etwas variieren kann
indem man verhindert dass die Personalien der Besetzenden aufgenommen
werden(3). Ohne Personalien kein personalisierter Räumungstitel gleich
keine rechtssichere Räumung. Wie man hört ist die Deutsche Bahn als
Eigentümer des Black Triangle weitestgehend gescheitert mit ihren
Räumungsklagen, die Bullen wollen um jeden Preis reinrockern, grübeln
aber noch wie Sie ein Debakel a la Henkel verhindern.

Nun ist Berlin nicht Leipzig, bei der wochenlangen Belagerung der Rigaer
94 im Sommer 2016 und der 24/7 Bewachung der Teppichfabrik letztes Jahr
bewiesen die Berliner Bullen einmal mehr, dass sie ein
Gratisdienstleister des Kapitals sind (und man auf das
Überstundengeheule getrost scheißen kann). Gerade dieses Verhalten
unterstreicht aber die Angst der Bullen vor dieser Strategie, die
Polizeibelagerung der Teppichfabrik mit 1/3 Hundertschaft Rund die Uhr
drei Wochen lang hatte als einzigen Zweck ein erneutes Henkel-Vietnam zu
verhindern, indem Neueinzüge verhindert werden konnten und die
Personalien der Bewohner/innen festgestellt wurden.

<b>Blick voraus</b>

Ein alleiniges Verlassen auf die Rechtslage ist natürlich Schwachsinn,
aber diese bietet einen Ansatzpunkt, ein Zeitfenster, um dem Dilemma der
Berliner Linie zu entgehen. In den 2 bis 8 Wochen (je nach Priorisierung
des Falls) die ein Gang vor Gericht plus Fristsetzung dauert lässt sich
einiges an Solidaritätsaktionen auf die Beine stellen, von einfach mal
die Nachbarn einladen bis zum Krawall. Wichtig ist, soviel wie möglich
davon schon im Vorfeld zu organisieren. D.h. eine Besetzung nicht im
Stil von wir gehen rein und gucken mal was passiert anzugehen. Besser
wäre Möbel und Einrichtungsgegenstände bereits parat zu haben um schnell
und still „erkennbare Wohnverhältnisse“ herzustellen. Sollte die
Besetzung entdeckt werden sollte sofort auf einen öffentliche
Mobilisierung umgeschwenkt werden um maximalen Druck auf Politik und
Eigentümer/innen auszuüben. All dies ist nicht einfach und bedarf einer
umfassenden Vorbereitung. Im Falle der Teppichfabrik wurde das
Zeitfenster viel zu wenig genutzt (wobei hier auch die Szene vor allem
durch nichtstun auffiel). Im Falle der Prenzlauer Allee 45(4) gelang es
nicht schnell genug Wohnverhältnisse herzustellen, sodass die Aktion im
Angesicht der Bullen abgebrochen wurde.

Machen wir es bei den kommenden Aktionen besser. Eine Besetzung die
direkt öffentlich gemacht wird bringt zumindest in Berlin nur
Arschtritte und Anzeigen, lasst uns still und wohlorganisiert die Stadt
zurückerobern.

Solidarität mit der Rigaer 94, dem Black Triangle und denen die in den
kommenden Wochen in Berlin in die Offensive gehen! #Besetzen

P.S: Teppichfabrik gammelt übrigens weiter vor sich hin, trotz Räumung
wegen angeblichem Umbau zu Luxuslofts. Danke für nichts ihr Schweine!

(1) https://linksunten.indymedia.org/en/node/210766, eine Besetzung nach
demselben Muster in der Rigaer 93 scheiterte:
https://rigaer94.squat.net/2017/05/

(2) https://teppichfabrik.blackblogs.org/

(3)
http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Zustellung...
sowie
http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Besetztes-...

(4) https://prenzlauer45.noblogs.org/

 

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Ergänzungen

ähnliches hat in spanien aktuell offenbar konjunktur, dort natürlich auch viele leere ferienhäuser. deutsche und schweizerische presse hat sich bereits ob der enteignungen empört. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/spanien-hausbesetzer-in-der-ferie...

In Hamburg hat es in den letzten 10 Jahren mehrere Versuche gegeben, Häuser zu besetzen.

Es gab dabei mehrere Projekte, welche mehr oder weniger erfolgreich waren. Übrig geblieben ist das Gängeviertel, welches nach wie vor teilbesetzt und bereits teillegalisiert ist.

Strategien zur Besetzung von Häusern müssen sich an der lokalen und zeitlichen Begebenheit orientieren. Es gibt keine goldene Regel, nach welchem eine Besetzung funktioniert oder eben nicht. Die oben genannte 24h-Linie beispielsweise ist auch in Hamburg Polizeileitlinie bei Hausbesetzungen. Dennoch haben es mehrere Projekte geschafft, über die 24h-Linie hinaus zu kommen. Mit unterschiedlichen Strategien und unterschiedlichem Erfolg. Deutlich war jedoch auch, dass ein reines über die 24h-Linie hinaus kommen nicht reicht.

In der Nähe von Toulousem Frankreich soll es ein autonomes Dorf geben, dass zwischen Foix und Ariege liegt, kann auch sein, dass Ariege das Dorf selbst ist. Im Baskeland liegt das autonomes Dorf Errekador in der Nähe von Viktoria-Gasteiz.