Drei Monate Knast wegen Sitzblockade?!

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Drei Monate Knast wegen Sitzblockade?!

 

Ein Bericht über ein laienverteidigten Strafverfahrens zu §240 (Nötigung) welches am 17.08. vorm Amtsgericht Nienburg abgeschlossen wurde – Von der Aktion bis zum Urteil

Die Aktion

Parallel zum „Aktionscamp gegen Tierfabriken“ 2016 wurden am 02.08.2016 die drei Zufahrtsstraßen zu Wiesenhofs Schlachtfabrik in Wietzen-Holte über mehrere Stunden blockiert. Die Fabrik stand still. LKWs konnten weder ein- noch ausfahren. Im Rahmen dieser Aktion wurden auch LKWs beklettert.

 

Siehe: http://kampagne-gegen-tierfabriken.info/en/blockade-der-wiesenhof-schlachtfabrik-in-wietzen-holte-nach-sechs-stunden-beendet/

 

Der Straftatvorwurf
Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, einen LKW-Fahrer daran gehindert zu haben, seine Fahrt nach Plan fortzusetzen. Dies sei strafbar gemäß §240 (Nötigung). §240 erfordert eine Nötigung durch „Gewalt“
(sehr spezielle Auslegung) oder „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. Darauf wurde seitens der Staatsanwaltschaft - sogar als die Verteidigung darauf hinwies - in der Hauptverhandlung gar nicht einge-
gangen.Das Verfahren
Der Angeklagte hatte vor, sich selbst mit Hilfe von Laienverteidigern -also nicht formell ausgebildeten Juristinnen- vor Gericht zu verteidigen. Richter Förtsch hat während des ganzen Verfahrens einen sehr
autoritären Stil an den Tag gelegt. Von Anfang an wurde gegenüber Zuschauenden auch bei kleinen Details Ermahnungen/Androhungen formuliert, Menschen aus dem Sitzungssaal entfernt und im
Zulassungsverfahren der Laienverteidiger ein strenger Maßstab angelegt (am ersten Verhandlungstag wurden 2 Laienverteidiger abgelehnt, am zweiten Tag wurde einer nach Überwindung vieler
Hürden (u.a. Fragen nach der Treue zur „Freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, ob er auch bei Urteilsverkündungen auf stünde und wie er zur „freien Marktwirtschaft“ stehe] zugelassen). Die
Rechte des Angeklagten zur Formulierung diverser Anträge wurden auf einzelne Zeitfenster beschränkt, Pausen verweigert. Der Angeklagte, der sich eine derartige Beschneidung seiner Rechte nicht ohne
weiteres gefallen ließ, wurde des Saals verwiesen und - da er sich nicht freiwillig entfernte, sondern sich auf den Zeugenstuhl setzte- erhielt ab Ende des ersten Hauptverhandlungstages 4 Tage Ordnungshaft
zum sofortigen Vollzug.
Zwischendurch wurde in seiner Abwesenheit weiter verhandelt und der erste (und wie sich herausstellen sollte auch der einzige) Zeuge vernommen.Der zweite Verhandlungstag überraschte in der Frage der Zeugen. Dem Angeklagten angekündigt worden war Zeuge A vom letzten Mal, geladen war Zeuge B - aber als krank entschuldigt.
Zusätzlich als Beweismittel ins Verfahren eingeführt wurden nur schriftliche Auszüge aus den Akten, gleichzeitig der Antrag der Verteidigung zur Ladung der Zeugen A,B,C,D abgewiesen. Darunter das
mutmaßliche Nötigungsopfer. Statt dessen wurde das Protokoll der Vernehmung des krank gemeldeten Zeugen B durch Verlesung in die Verhandlung eingeführt. Das erste Ablehnungsgesuch (eine Forderung
diesen Richter durch eine*n andere*n Richter*in zu ersetzen) des Angeklagten am Tage wurde wegen Prozessverschleppung als unzulässig abgelehnt. Schlussworte der Verteidigung wurden nicht
protokolliert.Eine Zuschauerin, die bei Urteilsverkündung der Bitte (!) des Richters, aufzustehen, nicht nachkam und das auf Nachfrage mit „ich erkenne das Gericht nicht an“ begründete, erhielt ein Ordnungs-
mittel von 300 Euro ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft.Das Urteil
Der Richter verurteilte den Angeklagten zu 3 Monaten Haft ohne Bewährung(!) (und ging damit über das empfohlene Strafmaß der Staatsanwaltschaft hinaus, die 40 Tagessätze zu je 50 Euro für
passend hielt. Der Angeklagte war nicht vorbestraft. Anhand des §240 wurde das Urteil nicht begründet. Er machte deutlich, dass die Bilder aus der Akte ihn von der Schuld des Angeklagten überzeugt
hätten. Richter Förtsch sagte in seiner Urteilsbegründung hinsichtlich des Tatvorwurfs nicht mehr als dass ihm die Fotos, auf denen der Angeklagte angeblich auf dem Dach eines LKWs zu sehen ist,
für eine Verurteilung ausreichten. Die Höhe begründete er mit dem Verhalten des Angeklagten vor Gericht und dass der Angeklagte eine gestörte (?) Persönlichkeitstruktur habe (der Angeklagte rede immer
„ich, ich, ich“) und ihm gezeigt werden müsste, das niemand nach seinen Vorstellungen leben müsse.Der Angeklagte kündigt an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen und auch ohne einen Glauben an
ein faires Justizsystem kann davon ausgegangen werden, dass ein*e andere*r Richter*in zu einem anderen Ergebnis kommen wird. Denn neben den zahlreichen Verfahrensfehlern, ist das Urteil auch juristisch
höchst zweifelhaft und diese Höhe wäre ein absolutes Novum.

 

Analyseansätze zum Verfahrens:- der Richter hat sich spätestens nach dem ersten Verhandlungstag vorgenommen, den Prozess (koste es was es wolle) schnell (am folgenden Verhandlungstag?) abzuschließen. Dafür spricht, dass der
Richter, der eigentlich die StPO gut beherrschte, sich einige Rechtsfehler/Fragwürdigkeiten erlaubte
- es erschien Zuschauenden so, dass der Richter nicht damit klar käme, dass ein Angeklagter sich in seinem Verfahren nicht-unterwürfig verhalten könne.
- es wird gemutmaßt, dass der Verurteilungsdruck wegen Wiesenhofblockadenin der Region Nienburg wegen vergangener Aktionen gerade sehr hoch istBewertung: Das Urteil erscheint einigen Verteidigungsbeteiligteen als ein Bruch mit der bisherigen Rechtssprechungspraxis in ähnlichen Fällen. Es wäre gefährlich, wenn sich solch ein Stil etablieren könnte.
Darum ist es anzugreifen. Der Angeklagte hat angekündigt, auf jeden Fall Rechtsmittel dagegen einzulegen.

 

 

 

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Ergänzungen

Wenn es deine Abkehr von anderen Linien der Rechtsprechung ist, könnte der Ausgang des Verfahrens nun gerade auch an der Laienverteidigung gelegen haben. In der Linken vermehrt beliebt, kann dazu nur abgeraten werden. Es gibt viele linke Anwält_Innen, die Rote Hilfe, und die können die StPO nunmal besser praktisch durchsetzen.

Die Behauptungen, Anwält*innen und die Rote Hilfe könnten die StPO besser durchsetzen, ist einfach so reingeschrieben worden. Genauso könnte mensch aus den G20-Verfahren in Hamburg ableiten, dass Anwält*innen es nicht bringen. Solche unqualifizierten Beiträge nützen nichts. Standardverteidigung unter Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols und mit Reduktion der Angeklagten auf eine mehr oder weniger passiver Rolle sind die Merkmale der Roten-Hilfe-/Anwalts-Linie, offensive Auseinandersetzungskultur die der Selbst- und Laienverteidigung. Dazwischen sollten Menschen bewusst wählen. Eine Vorhersage, was am Ende mehr bringt, ist in der Regel nicht möglich. Selbst- und Laienverteidigung (http://www.prozesstipps.tk) hat in der Vergangenheit eine hohe Zahl von Einstellungen und einige sehr spektakuläre Freisprüche erreicht (z.B. Schwarzfahren mit Kennzeichnung, Genfeldbefreiungen). Aber wie die Gesamtheit statistisch zu bewerten ist, bleibt im Dunkeln. Wer behauptet, das zu wissen, ist unseriös. Wie der Kommentar hier drüber.

Nachzulesen in der http://www.taz.de/!5449773/

Und auch hier zeigt sich eben, was offensive Prozessführung bringt: Du gewinnst nciht immer, aber du bist nicht Teil dieses Systems. Das Gericht und seine Komplizen werden klar als Vasallen der Macht fokussiert - und reagieren dann mitunter so. Das ist auch nicht schlecht. Eine Demaskierung dessen, was sie Rechtsprechung nennt.