Illegal, legal, scheißegal: Ob unangemeldet oder angemeldet – in Berlin und bundesweit wird am (Revolutionären) 1. Mai protestiert + demonstriert

Event: 

Bundesweit sind zum Revolutionären 1. Mai Spontandemonstrationen, Autokorsos und Flashmobs und andere unangemeldete Protestformen angekündigt. In einigen Städten gibt es gleich mehrere Aktionstage am 1.-Mai-Wochenende, auch um zu lokalen Interventionen zu mobilisieren. Es wird zu zentralen und dezentralen Aktivitäten aufgerufen. In diesem Jahr gilt mehr denn je: „Der 1. Mai sind wir alle“.

 

„Jedwede Art von Säugern auf diesem Planeten entwickelt instinktiv ein natürliches Gleichgewicht mit ihrer Umgebung. Ihr Menschen aber tut dies nicht. Der Mensch ist eine Krankheit, das Geschwür dieses Planeten.“ (Agent Smith, The Matrix, 1999)

 

Diskussion

Am 4. April wurde vom Vorbereitungskreis des Revolutionären 1. Mai Berlin ein Diskussionspapier veröffentlicht, dass die Debatte um Form und Inhalt des Protests am 1. Mai entfachte (Heraus zur Revolutionären 1. Mai Diskussion).

Nun, zwei Wochen später, gibt es bereits überall Ankündigungen zum 1. Mai. Es zeichnet sich ein breites, massenhaftes und vielfältiges Szenario für den 1. Mai ab.

 

Überall ist 1. Mai

Bundesweit sind zum Revolutionären 1. Mai Spontandemonstrationen, Autokorsos und Flashmobs und andere unangemeldete Protestformen angekündigt. In einigen Städten gibt es gleich mehrere Aktionstage am 1.-Mai-Wochenende, auch um zu lokalen Interventionen zu mobilisieren. Es wird zu zentralen und dezentralen Aktivitäten aufgerufen. In diesem Jahr gilt mehr denn je: „Der 1. Mai sind wir alle“.
Berlin / Bonn / Hamburg / Hannover[Facebook] / Mecklenburg-Vorpommern / München / Nürnberg / Köln[Facebook] / etc.

Und aus der Gewerkschaftsbasis und den Basisstrukturen linker Parteien sowie aus den verschiedenen fortschrittlichen Netzwerken gibt es immer mehr Aufrufe dazu, am 1. Mai den Protest auch angemeldet auf die Straße zu tragen. Beispielsweise hat die Gewerkschaftslinke in München eine Veranstaltung auf der traditionellen Route des DGB angemeldet.
Koordinierungskreis „Heraus zum 1. Mai“ – Trotz alledem
Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)
Partei Die Linke (Parteivorstand)
Partei MLPD

 

Die inhaltliche Notwendigkeit

Über die inhaltliche Notwendigkeit, schon jetzt Proteste zu starten und nicht auf ein „Nach-Corona“ zu warten, wird in allen Aufrufen und Diskussionen eingegangen.
Es geht um die tödlichen Bedingungen der Geflüchteten in den Camps, vor allem an den Rändern Europas. Und warum die Regierung trotz immenser Logistik diese nicht nach Deutschland einfliegen lassen kann.
Es geht um die Situation der Marginalisierten, der HartzIV-Bezieher:innen und der Prekarisierten, die keine Soforthilfen erhalten. Um die Mieter:innen, die Schulden machen mussten. Um die Arbeiter:innen mit massiven Lohnkürzungen. Während die Mittelschicht und die Reichen, die u.a. für die Kürzungen und Privatisierung im Gesundheitssektor verantwortlich sind, mit Millionen bedacht werden. Es geht um die Befürchtung, dass Teile der herrschenden Klasse die Corona-Situation nutzen — nur, weil jetzt die Situation dafür günstig ist — um repressive Maßnahmen und Abschaffung des Versammlungsrechts sowie Kürzungen und massive Einschränkungen des Arbeitsrechts ohne Widerstand umzusetzen. Sowie dies (teilweise) nach Ende der Epidemie beibehalten könnten.
Und natürlich sollen die Reichen selber zahlen.

 

Fragen und Antworten zur „richtigen“ antagonistischen/revolutionären Protestform

Angesichts der Repression gegen öffentlichen Protest wie zum Beispiel bei den Kundgebungen, Autokorsos und anderen Aktionen für die Solidarität mit den Geflüchteten in den Camps von Moria/Griechenland und auch um Sicherheitsanforderungen wegen Corona-Verbreitungsgefahr gerecht zu werden, wurde vielerorts über eine Neuausrichtung der Protestform „Revolutionärer 1. Mai“ diskutiert. Weg von zentralen Demonstrationen und hin zu (vielen) spontanen und unangemeldeten (Massen-)Versammlungen inklusive Transpi-Aktionen und ähnlichen Aktivitäten in den Straßen und aus den Häusern. Die linke und autonome Bewegung hat in den letzten Jahren viele neue Erfahrungen bei neuen (Massen-)Protestformen gesammelt, die sie befähigt auch in Zeiten der Verbote aktiv zu bleiben und sichtbare Aktionen umzusetzen sowie Gefährdungen der eigenen Leute oder Anderer zu minimieren oder weitgehendst auszuschließen. Deswegen konnte in der linksradikalen und autonomen Szene die Schockstarre und Handlungsunfähigkeit nicht so krass einsetzen wie es manche Diskutierende befürchteten. Im Gegenteil: es haben teils sogar neue solidarische Netzwerke/Zusammenhänge zusammengefunden.
All dies sind sehr gute Ausgangsbedingungen dafür, dass es bundesweit wie in Berlin zu einer vielfältigen und sich aufeinander beziehende Beteiligung bei den Aktivitäten des Revolutionären 1. Mai kommen wird.

 

Protestversammlungen sind Grundrecht

Jetzt gibt es Urteile verschiedener Gerichte – auch vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe – darüber, dass Versammlungen und Demos unter bestimmten Umständen durch die Behörden doch nicht verboten werden dürfen. Zuletzt hatte ein Anmelder in Gießen/Hessen Corona-Auflagen-gerecht mehrere Kundgebungen/Demos angemeldet, weil nach Corona-Verordnung nur 20 Personen für eine Versammlung zugelassen sind und er eine höhere Beteiligung annahm. Dem Eilantrag gegen das Verbot durch die Behörde wurde stattgegeben.

Über das „Warum jetzt“ gibt es verschiedene Meinungen. Ob es nun das Vorhaben ist, die Wirtschaft wieder voll hochzufahren und daher wo auch immer Lockerungen hermüssen – oder ob die Herrschenden befürchten die Hoheit über ihre Untertanen zu verlieren, wenn sie den Protest nicht Stück für Stück über einen längeren Zeitraum „gesittet“ bis hin zur „Normalität“ zulassen, ist einerlei. In Frankreich befürchten die Kapitalist:innen schon jetzt ein eventuell explosives Protest- und Rebellionspotential in der Nach-Corona-Zeit.

Inzwischen hat die Polizei überall Menschen bei zivilen und legitimen Protesten zusammengeschlagen und mit Strafzahlungen überhäuft, wie unter anderem in Frankfurt am Main.

Ob Kottbusser Tor, Brandenburger Tor, Frankfurt a. M, Köln oder Gießen – alle die trotz der repressiven Auslegung des Versammlungsrechts auf die Straße gegangen sind haben dafür gesorgt, dass jetzt klargestellt werden musste, was sowieso klar war: Protestversammlungen sind ein Grundrecht.
Und dass nicht zugelassen wird, dass über notwendige Maßnahmen des Infektionsschutzes hinaus die Situation dazu genutzt wird, das Recht auf Protest zu unterbinden und nach Ende der Maßnahmen dies so beizubehalten.

Deswegen muss zusätzlich die Forderung aufgestellt werden, dass alle Strafzahlungen zurückgenommen werden und eventuelle künftige Prozesse eingestellt werden bzw. dass die Aggressor:innen (die Polizei und ihre Befehlshaber:innen) angeklagt werden sollten.

 

Legalitätsprinzip

Bereits vor der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Legitimität von Versammlungen gab es bundesweit vereinzelt Initiativen zur Anmeldung von 1.-Mai-Kundgebungen, wie unter anderem von Basisgewerkschaften. Trotz der schon im März erfolgten Absage von Protestversammlungen auf der Straße seitens des DGB. Aber auch, weil es hierzu in verschiedenen Bundesländern eine unterschiedliche Praxis der Genehmigung gibt/gab.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und diverser lokaler Gerichte für das Recht auf Versammlung in Corona-Zeiten – wenn auch mit diversen Einschränkungen – scheint es immer mehr Initiativen zu geben, die bundesweit den Protest zum 1. Mai auch anmelden wollen. Manche hatten zuvor bereits angekündigt, notfalls wie die Autonomen auch ohne Anmeldung auf die Straße zu gehen. Weitere haben sich erst jetzt entschieden, dies zu tun, und nicht nur #stayathome in der Onlineblase zu verharren. Sogar einige Genoss:innen aus der Linkspartei rufen inzwischen zu 1.-Mai-Kundgebungen auf der Straße auf. Die inhaltliche Notwendigkeit – siehe oben – war ja von Anfang an gegeben.

 

Stay rebel – für den Untergang des Neoliberalismus

 

Es gab aber auch viele, die sagten, dass jetzt nicht der Zeitpunkt zum Protest gegen die Verfechter:innen des Neoliberalismus sei, egal ob online oder offline. Wenn „alles vorbei“ sei, dann wäre der Zeitpunkt gekommen, massenhaft „denen da oben“ Widerstand entgegenzubringen.

Wir werden sehen.

 

Die relative Ruhe im Herzen des Imperiums wie hier in Deutschland – von einigen „Zwischenfällen“ mit renitenten Protestler:innen oder Parkbank-Sitzer:innen mal abgesehen – sollten wir sichtbar und hörbar durchbrechen. Und dabei auch den Marginalisierten an und von den Rändern des Imperiums hier eine Stimme verleihen.

Die Wirtschaftsliberalen und ihre Handlanger, die Agent Smith's dieser Welt, werden weitermachen wie bisher. Unter anderem bei Amazon wurden die Arbeiter:innen an vielen Orten weiterhin zur Arbeit unter widrigsten Hygienebedingungen gezwungen. An Standorten deutscher Firmen in anderen Ländern musste massiv für Hygienestandards oder Schließung demonstriert und gestreikt werden.

Sie wollen die neoliberale Wirtschaft hierzulande sukzessiv und geräuschlos wieder voll hochfahren, während Protestversammlungen möglichst klein gehalten werden sollen.
Wenn in nächster Zeit Arbeiter:innen an den jeweiligen Massen-Arbeitsplätzen oder Kund:innen in den jeweiligen Konsumtempeln erneuter Ansteckungsgefahr ausgesetzt werden, müssen wir das im Auge behalten und auch unseren Protest größer werden lassen.
Oder dafür sorgen, dass diese nicht relevanten Zweige der Wirtschaft dicht bleiben oder dichtgemacht werden.

Die Vielfältigkeit der Zusammenhänge, die derzeit Protest organisieren (wollen) – ob illegal oder legal ist scheißegal – müssen wir als Chance begreifen. Um am 1. Mai und darüber hinaus nicht locker zu lassen und gemeinsam gegen den Neoliberalismus aktiv zu werden.

 

„Nach Corona“ ist „Vor Corona“.

Die zukünftige erste Großdemo gegen die Kürzungen, Privatisierungen und Schließungen im Gesundheitssektor müsste, nach all dem Applaus, der Solidarität und den sehr vielen Ankündigungen für „Nach-Corona“, demnach eine Beteiligung von Millionen Menschen haben. Das ist ambitioniert und sollte von uns ebenfalls volle Unterstützung erhalten.

Jetzt, am 1. Mai, und darüber hinaus gilt: Wir dürfen nicht den Neoliberalen, den Rechten, den Verschwörungstheoretiker:innen und den Verwirrten das Feld bzw. die Straßen überlassen.

 

„Hör auf, es zu versuchen. Mach es!“ (Morpheus, Matrix, 1999)

 

 

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen