Eine Gegenöffentlichkeit im Krisenmodus

 

Ein Schreiben ist auch immer ein Schreiben gegen das Vergessen, gegen die Realitätsverzerrung. Und geschrieben wird zur Zeit viel, an die 60 Seiten wurden auf de.indymedia innerhalb weniger Tage zum Thema produziert. An dem was geschrieben wurde, haben wir uns langgehangelt, um uns von dieser ‚Krise‘ nicht länger lähmen zu lassen, um etwas aus ihr zu lernen. Es lässt sich etwas lernen, über eine Szene im Krisenmodus, und hoffentlich über Strategien, sich in Zukunft nicht so wie jetzt lähmen zu lassen.

 

 

 

 

 

 

Berlin - 20.3.2020

 

 

 

Als wir vor 6 Wochen vor einer Berliner Szenekneipe saßen und über das Thema redeten, was jetzt alle beschäftigt, war das Interesse nicht besonders groß. Eine Freundin, die sich mit Medizin auskennt, erklärte einiges über Vireninfektionen und vermochte bloß die zweiminütige Aufmerksamkeit ihrer Gesprächsnachbarn zu gewinnen. Als wir einige Tage später im Radio hörten, wie die Menschen in Wuhan einander vom Balkon aus ein ‚haltet durch‘ zuriefen, mussten wir über die pathetischen Solidaritätsbekundungen etwas schmunzeln. Jaja, ein ‚Volk‘ hält zusammen in Zeiten der Not… und natürlich läuft das im deutschen Radio.

 

 

 

Als vor drei Wochen die ersten Fälle in Europa bekannt wurden, machten wir Witze, dachten darüber nach, wie wir einen (fingierten) Corona-Fall für unsere Zwecke nutzen könnten, zum Beispiel um einige Bullen außer Gefecht zu setzen. Der Politikbetrieb lief auf jeden Fall munter weiter, zwischendurch gab es große Aufregung um die Spanner-Fälle auf Monis Rache und der Fusion, ach nein, das war kurz davor, tut auch nicht zur Sache. Es gab Hanau, die Türkei-EU ‚Grenzöffnung‘, Brandanschläge auf Lesbos… Jede Woche ein neuer Grund wegen dem wir uns spontan die Straße nehmen mussten. Aber so viel Scheiße vergeht wieder. „Wir müssen den Antifaschismus stärken“ und wir fragten uns: Ist dies der Ernstfall?

 

 

 

Und seit gut einer Woche (ja, viel länger ist es nicht) sind wir im Bann von Corona. Anfänglich, meine ich mich zu erinnern, waren Informationen eher dürftig. Vernünftige Erklärungen über die Verbreitung gab es noch nicht und wir waren über die Maßnahmen eher skeptisch. Anderen gingen anders damit um, und wir müssen zugeben, das wir, die Autor*innen dieses Textes, diesbezüglich auch nicht einer Meinung sind.. Küfas und Veranstaltungen, kleine und große wurden gecancelt. Das war an dem Tag, als Versammlungen größer als 50 Personen abgesagt - nicht verboten - wurden. In Wohngruppen wurden Krisenplena abgehalten und Händewaschen und Zuhausebleiben zur neuen Mode der linken Szene (es tut uns Leid, es fällt uns nicht einfach, das ohne Gram wegzustecken).

 

 

 

Und dann kommt der Punkt wo auch wir unssagten: „Vielleicht MUSS Corona auch schlimm sein, da die staatlichen Maßnahmen so gravierend sind.“ Wir trafen uns und stellten fest: „Wir können es einfachnicht einschätzen. UEs war Zeit sich einzugestehen: Wir sind verunsichert. Über fundiertere Informationen würden wir uns sehr freuen. Was braucht es dafür?“ [aus: Corona, mehr Tempo, mehr Gesetze, mehr Strafen. de.indy 18.3.2020]. Das was am Mittwoch den 18. März. Am Folgetag wurde bekannt, dass in Österreich Handydaten überwacht werden sollen um Bewegungsprofile zu ermitteln und in Deutschland die Bundeswehr im Inneren eingesetzt wird - für „sanitäre Aufgaben“ und zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“. Mann ey, also jetzt ist es ernst. (?) Wir halten es nicht aus, wie jetzt Krisenrhetorik geübt wird und gefühlt doch in Tagen oderWochen diese Krise wieder vergessen sein wird, im Alltagssumpf versunken oder von der nächsten überlagert.

 

 

 

Mit Orwell aufm Nachttisch: Ein Schreiben ist auch immer ein Schreiben gegen das Vergessen, gegen die Realitätsverzerrung. Und geschrieben wird zur Zeit viel, an die 60 Seiten wurden auf de.indymedia innerhalb weniger Tage zum Thema produziert. An dem was geschrieben wurde, haben wir uns langgehangelt, um uns von dieser ‚Krise‘ nicht länger lähmen zu lassen, um etwas aus ihr zu lernen. Es lässt sich etwas lernen, über eine Szene im Krisenmodus, und hoffentlich über Strategien, sich in Zukunft nicht so wie jetzt lähmen zu lassen.

 

 

 

„Die eigentliche Monstranz ist das Krisenmanagement, das unser aller Leben erfasst, bewertet und an das zu glauben uns als alternativlos verkauft wird.“[Bologna in Zeiten des Corona Virus. Das WU-MING Tagebuch. De.indy 17.3.2020]

 

 

 

Ein Wort vorab:

 

 

 

Vielleicht erging es einigen von euch, die jetzt diesen Text lesen, ähnlich wie uns. Vielleicht wolltet ihr auch einen Text schreiben, um eure Vision auf die Entwicklungen darzustellen, um bestimmte Verrücktheiten und Absurditäten einer Argumentation entgegenzusetzen und Herzensthemen, die gerade kollektiv vergessen werden, zurück ins Tageslicht zu zerren. Vielleicht wolltet ihr das und habt es nicht gemacht. Da es nicht noch einen Text zum Thema braucht. Weil der sowieso im Wust der Textproduktion untergegangen wäre. Wir für unseren Teil hätten gerne etwas sagen wollen, über Hobby-Virolog*innen und Virusleugner*innen, über den Vergleich zwischen Klima- und ‚Coronakrise‘, über das kaputt gesparte Gesundheitssystem und über das Thema der ‚Sicherheit‘ in linken Kreisen. Kurz, über all das, worüber mensch eh den ganzen Tag redet. Wir habenuns dagegen entschieden. Vielmehr werden wir hierversuchen, die Art und Weise wie mit dem ‚aktuellen Anlass‘ umgegangen wird, zu untersuchen. Wie gehen wir mit Informationen um, mit Fakten und mit Spekulation und wie kommunizieren wir miteinander, wie bauen wir eine Gegenöffentlichkeit zum Thema auf? Kurz, wie funktioniert unser Krisenmodus?

 

 

 

 

 

Was wir hier ‚Krisenmodus‘ nennen…

 

 

 

“Es scheint, dass die Erfindung einer Epidemie, nachdem der Terrorismus als Ursache für Maßnahmen des Ausnahmezustandes erschöpft ist, den idealen Vorwand bieten könnte, um diese über alle Grenzen hinaus auszudehnen.” (Giorgio Agamben)

 

 

 

Dieses Zitat stammt aus einem Indy-Artikel über Corona. Darin wird das Virus, seine Existenz geleugnet. Auch wir kennen zwei, drei Menschen persönlich, die den Virus leugnen. Ihr Argument: Der Ausnahmezustand passt dem Staat gerade viel zu gut, das kann kein Zufall sein, der Virus ist eine Erfindung um weitgreifende Eingriffe des Staates zu legitimieren. Und fast könnten wir dem zustimmen, wenn statt Erfindung des Virus, vom framing des Virus die Rede sein würde. Weil die Art und Weise wie der Virus uns ins Bewusstsein gebracht wird, wie stark über sie berichtet wird im Vergleich zu anderen Grippewellen, die Bilder, die mobilisiert werden, um über ihn zu sprechen („die größte Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg“, „nous sommes en lutte“ etc.), sind sehr vorteilhaft für den Staat, für die ständige Erneuerung seines (sog. vertraglich gesicherten) Machtmonopols. Sie dienen dazu, das weitreichende Eingreifen (den autoritären Aufschwung) zu legitimieren. Ohne sie, wäre es schwieriger, die nötigeAkzeptanz zu bekommen.

 

 

 

Aber obwohl der Ausnahmezustand uns, z.B. mit einem Versammlungsverbot, direkt einschränkt gibt es weitere Auswirkungen, die viel langfristiger und viel mehr auf unser Denken als auf unsere rechtliche Möglichkeiten einwirken. Gemeint ist die Störung von Zusammenhangsketten, die Verwischung von Ursache und Problem, von geschichtlichen Verknüpfungen, von Weitsicht. Das ist nicht eine Sache von drei Wochen oder drei Monaten, sondern eine Art der Kommunikation, die sich mit dem ständigen Ausnahmezustand, mit dem von Krise zu Krise leben, dauerhaft in unser Leben einschleicht. Es ist daher ein Stückchen Zeitgeist; und natürlich nutzt dies dem Staat.

 

 

 

Schaut mensch sich die Mainstream-Medien an, stellt mensch fest, dass diese sich mittlerweile auf den Rhythmus des Ausnahmezustands eingeschossen haben. Tatsächlich hat das etwas gedauert, wir erinnernuns an etwa einer Woche (zwischen den ersten Coronafällen in Deutschland und der Erklärung zur Pandemie) wo Informationen dürftig waren, wo alle schon drüber geredet haben, aber ‚sachliche Infos, gut zusammengefasst‘ fehlten. Kollektive Unsicherheit ist mir als Gefühl dieser Tage in Erinnerung und mit den fehlenden Infos kamen Spekulationen dazu. Auch aus meinem Freund*innenkreis gab es in diesen Tagen nicht wenige schwierige, emotionale und spekulative Diskussionen darüber, wie mensch jetzt gut handle. . Das Problem dabei ist ja, dass in Krisen üblicherweise auf Expert*innen gebaut wird, die uns das Vertrauen in uns selber und unseren Meinungsbildungsprozess durch Diskussion nehmen. Das Bedürfnis dieser Tage: Endlich mal jemensch (bzw. eine Institution) die verlässliche Fakten liefert, die dem Kollektiv (ob dies nun die Wohngruppe oder die Gesellschaft ist) eine Diskussionsgrundlage gibt oder besser noch, gleich sagt, wo es lang geht, wie wir gut handeln. Befremdlich oder? - Eine Besonderheit der Gegenöffentlichkeit ist zudem, dass es ein (gesundes) Misstrauen gegenüber der Mainstream-Medien gibt, weshalb die kollektive Unsicherheit hier länger angehalten, - oder zur zermürbenden Spaltung über die Fähigkeiten der Gegenöffentlichkeit geführt hat.

 

 

 

2. Akt: das Zurückerlangen der Kontrolle, aber welcher? Wie bereits gesagt nach kürzer Zeit haben die Mainstream-Medien diese Informationslücke gefüllt. Das Radio wurde zum stündlichen Begleiter der Geschehnisse. Außerdem Corona im Fernsehen, der Corona-Blog, der tägliche TPodcast des RKI und eine europäische Zentralbank, die der Börse ihr milliardenschweres Hilfspaket per Twitter mitteilt. Erstens kann mensch feststellen, wie in gewisser Weise überkompensiert wurde und das Thema Corona die alleinige Dominanz des Newswerts eingenommen hat. Andere Themen rutschten in eine dunkle Ecke der kollektiven Erinnerung: ‚Da war mal was‘.Auch wird öfters die Eintönigkeit dieser Berichterstattung kritisiert, wobei wir eher auf dem Standpunkt stehen, dass es an Kritik nicht unbedingt fehlt sondern diese eher in derFlut von Informationen einfach untergeht. Die Kontrolle aber, die doch dem Informationshunger zugrunde liegt, wird durch ein weiteres feature der Berichterstattung gewährleistet. Die heutige Art von Nachrichtenkonsum ist durch einen Hunger nach dem Bescheid-Wissen, in rasantem Tempo geupdatet zu werden, durch die Befriedigung andauernd auf dem Laufenden zu sein - was ein Gefühl von Kontrolle suggeriert - gekennzeichnet. Und der*die selbstkritische Leser*in mag sich hier vielleicht fragen, ob die Art und Weise wie in der Szene kommuniziert wird der gleichen Logik folgt. Bin ich in irgendwie mit dabei, wenn ich dank Twitter weiß, dass irgendwo eine Aktion stattfindet?

 

 

 

Neben der Unsicherheit und der Dringlichkeit, durch die oben stehende Dynamiken beschrieben, vervollständigt ein Gefühl der Unzulänglichkeit den Krisenmodus. Das macht die Panik perfekt. Eine Sache, wodurch diese Unzulänglichkeit ausgelöst wird, ist der Unterschied zwischen Reden und Handeln, zwischen dem „was sie wollen das du glaubst dass du tun solltest“ und dem was du tun kannst. Es ist auch schon wieder drei Wochen her, aber ich erinnere mich gut an die Zeit, kurz vor der Kontaktsperre. Die Politik lamentierte schon über social distancing, die Medien schilderten ein Bild verlassener Straßen und kollektiver Quarantäne. Schaute mensch raus, waren da Straßen voller Menschen die in Parks saßen, zur Arbeit gingen, die Supermärkte waren voll. Es ist nur ein Beispiel aus Coronazeiten. Normalerweise ist dieses Dilemma allgegenwärtig in der work-life balance, oder sagen wir social-life balance (sei gut gelaunt und produktiv auf Arbeit, hab genug quality time mit Freund*innen und Familie, ein cooles Hobby und sei interessiert an tagesaktuellen Themen. Bei stress versuchs mit self-care…) Das ist die Sorge für sich selbst, der Verantwortlichkeit für das Ich, für ein Individuum, das doch in einer Maschine gefangen ist, die dem Ich einer kollektiven Unterdrückung unterwirft. Du kannst es versuchen, du solltest es versuchen, aber du kannst dich nicht befreien.

 

 

 

Eine Gegenöffentlichkeit in der Krise…

 

 

 

Was wir nur sagen wollen: Das Gefühl eines Ausnahmezustands schränkt unser Handeln ein. Der Ausnahmezustand im Denken, also der Krisenmodus, das Flimmern, es nutzt der Herrschaft. Es hält uns in ein dauerhaftes Jetzt gefangen, besser: In einer Reihe von aufeinander folgenden Jetzts.

 

 

 

Die sogenannte Corona-Krise ist unserer Meinung nach ein gutes Beispiel dafür, wie auch wir, als Gegenöffentlichkeit, uns auf so einen Krisenmodus einlassen, ja diesen selbst auch teilweise reproduzieren. Es ist uns wichtig zu sagen, dass wir nicht über ‚die Szene‘ nörgeln wollen, dass wir niemensch dafür kritisieren wollen, wie sie in der jungen Vergangenheit gehandelt haben. Vielmehr möchten wir eine Bestandsaufnahme machen, woraus wir vielleicht etwas lernen können, sodass wir in der nächsten Krise anders handeln können.

 

 

 

Wir, diese Gegenöffentlichkeit, die wir hauptsächlich aus Indymedia und ein ‚Meinungskurs‘ in Gesprächen mit Freund*innen kennen, befindet sich aktuell im Krisenmodus. Erstens bleibt uns die Unsicherheit. Denn es gibt mittlerweile zwar die ‚sachliche Infos, gut zusammengefasst‘ in den Mainstream-Medien, aber uns begleitet ein gesundes Unbehagen, uns auf diese Infos zu verlassen. Außerdem gibt es auch den begründeten Verdacht, dass es eine andere, sinnvollere Art und Weise gibt, mit der ‚Krise‘ umzugehen (z.B. risikostratifizierte Maßnahmen). Aber wem zu vertrauen ist, ist unklar. Schließlich müssen wir dem Staat und sein Handeln misstrauen, alles andere wäre naiv. Doch gleichzeitig fehlen uns selbstbestimmte Handlungsweisen um mit dem Coronavirus umzugehen. Das versetzt uns in einen Spagat, der große Unsicherheit erzeugt.

 

 

 

Zweitens haben auch wirdie Dringlichkeit übernommen. Küfas und Veranstaltungen, die ganze solidarische Infrastruktur der Szene wurden sehr schnell eingestellt. Es war an dem Tag, als der Staat/Senat noch darüber diskutierte, Veranstaltungen mit über 50 Personen zu verbieten. Und auch in den Medien der Gegenöffentlichkeit überschattete das Corona-Thema bald alles andere.

 

 

 

In einer Art Schutzreflex schotteten sich außerdem viele Hausprojekten und Wohngruppen ab. Dies hat wahrscheinlich auch mit einer Angst und einem Gefühl der Unzulänglichkeit zu tun. Nicht zu wissen, was mensch tun soll oder kann und dabei diese Dringlichkeit zu Handeln zu spüren, führt zu einem Rückzug in die Sicherheit. Wir glauben auch, dass Ängsten in so einem Fall eine übermäßig starke Rolle in der Entscheidungsfindung zukommen. Es ist ein guter Habitus, dass in Szene-Kreisen auch Ängste ernst genommen werden (oder jedenfalls der Anspruch besteht, sie ernst zu nehmen), dass sie nicht aus einem ‚reiß-dich-zusammen‘-Effektivitätszwang übergangen werden. Aber es muss auch reflektiert werden, woher die Ängste rühren. Schauen wir auf die aktuellen Ereignisse, sind es gerade die Unsicherheit und die Dringlichkeit, die ängstlich machen. Ist es ein Gefühl des Kontrollverlustes, das mit jeder schnellen Veränderung einhergeht? Sind es die Unsichtbarkeit und Un(an)greifbarkeit des Problems? Sind es die fehlenden Informationen und Handlungsoptionen?

 

 

 

Jedenfalls stellen wir eine Stärkung des Rufes nach Sicherheit, genährt von diesen Ängsten und Unsicherheiten, fest. Ein Aufleben des Sicherheitbedürfnisses, das in manchen Fällen ein berechtigter Schutz von Risikopersonen war, in manchen Fällen aber auch staatsbejahend/staatstragend war, in manchen Fällen unsolidarisch, in manchen Fällen ein Rückzug ins Private und in manchen Fällen ein Ruf nach einer autoritären, d.h. sog. verlässlichen, eindeutigen Informationsquelle bedeutete. Und wir müssen uns fragen: Wäre die Dynamik nicht gleich, wenn es nicht um einen Virus sondern um einen Zusammenbruch der Wirtschaft ginge oder um eine autoritäre Machtergreifung?

 

 

 

Wir stellen also fest: Es fehlt uns an einer Informationsquelle, der wir kollektiv ausreichend Vertrauen. Es fehlt außerdem an einer gewissen Ruhe im Umgang mit neuen Entwicklungen. Schließlich muss unser Verhältnis zu und der Ursprung unserer Ängsten reflektiert werden, um ihnen rationaler begegnen zu können. Wir wollen hier aber nicht bei der negativen Bestandsaufnahme stehen bleiben, und als Abschluss eine Skizze einiger Handlungsoptionen in den Raum stellen, wohl wissend, dass es nur Versuche sind.

 

 

 

Einige Ausblicke…

 

 

 

a) „Die Antwort wird in den Institutionen der Gegenmacht zu finden sein, die wir einrichten werden.“ [Denken, handeln, planen. Von: MIA. De.indy 31.3.2020]

 

 

 

Es gibt in der linken Gegenöffentlichkeit keine große Gruppen, die die Kapazität und Beständigkeit haben, fundierte Positionen zu wissenschaftlichen Themen auszuarbeiten. Jedenfalls gibt es sie nicht zu medizinischen Themen und nicht in der Größe, dass ein ausreichend großer Teil dieser Gegenöffentlichkeit sie kennen würde.

 

 

 

Solche ‚Institutionen‘ braucht es, wenn wir in der nächsten Krise einen kühleren Kopf bewahren wollen. Es müssen natürlich keine Expert*innen sein. Tatsächlich ist es mit der Verbreitung von Wissen übers Internet quasi jedem Menschen möglich, sich in ein Thema zu vertiefen. . Es müssen aber Gruppen/Zusammenschlüsse sein, die sich das vornehmen und dran bleiben… auch wenn ein anderes Thema gerade hyped.

 

 

 

Bleibt die Gefahr des Zentralismus des Wissens (eine Gruppe/ ein Zusammenschluss erarbeitet Positionen, die natürlich nicht unkritisch übernommen werden müssen, aber es durch die Wissenshierarchie wahrscheinlich werden). Dem muss mit Transparenz in der Erarbeitung des Wissens und einer immer fragenden Haltung bei der Präsentation des Wissens begegnet werden. Hier kommt auch den oben erwähnten Meinungsbildungsprozess durch Diskussionen wieder ins Spiel, aber eben auf der Basis von Informationen und Analysen, denen wir kollektiv genug vertrauen.

 

 

 

b) Stabile Zusammenschlüsse sind die Basis für überlegtes Handeln

 

 

 

Handlungsfähigkeit behalten wir dann, wenn wir die Strukturen, die Fähigkeiten, die Netzwerke, die wir langfristig aufgebaut haben, weiter nutzen - auch in Zeiten der Krise. Kurzfristig mag es angemessener scheinen, etwas neues, dem aktuellen Anlass entsprechendes auf die Beine zu stellen, mittelfristig aber zeigt sich dann, dass es da Einbußen in der Reichweite gibt und im Verhältnis zum Output relativ viel Zeit in der Ausarbeitung des Neuen gesteckt werden muss.

 

 

 

Es braucht auch langfristig etablierte Strukturen, um im ‚Krisenfall‘, wo (schnelles) Handeln geboten ist, die Menschen erreichen zu können, die wir erreichen wollen. In diesem Sinne sind Kiezläden, Kiezkommunen und Basisorganisationen zu befürworten, da von hier aus Widerstand aber auch solidarisches Handeln organisiert werden kann. Auch Medien der Gegenöffentlichkeit mit einer gewissen Reichweite, freie Radios, (Kiez-)Zeitungen, Netzwerken der sozialen Medien sind sinnvoll. Außerdem sind auch organisierte Gruppen mit einer Infrastruktur für militantes Handeln gefragt.

 

 

 

Schließlich bieten stabile Zusammenschlüsse nicht nur Infrastruktur, sondern auch einen Halt für die Menschen, die sich in ihnen befinden. Wenn Zusammenschlüsse auch in Krisenzeiten gut weiter funktionieren, muss es keinen Rückzug ins Private oder in die Mainstreamgesellschaft geben.

 

 

 

Und natürlich gibt es diese Strukturen schon, wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Das ist auch gut so. Der ‚Krisenfall‘ zeigt bloß, wie wertvoll es ist, diese Strukturen zu unterstützen und weiter auszubauen, sie krisenresistent zu machen und sich in solchen Fällen auf sie zu verlassen.

 

 

 

 

 

5.4.2020 - Berlin

 

 

 

Die Straßen sind nun wirklich sehr leer geworden. Es fühlt sich dauerhaft wie Sonntag an, die Baustellen und Maschinen ruhen, die Rauschmittel sind uns noch nicht ausgegangen und werden es vorerst auch nicht. Manche haben gerade nichts zu tun, aber viele gehen auch noch zu Arbeit. Für viele Freund*innen, die auch sonst die ganze Zeit Politarbeit machen, hat sich nicht viel geändert, vielleicht überwiegt sogar das Gefühl, ein bisschen besser klar zu kommen, wo sich die Welt doch etwas langsamer dreht.

 

 

 

Die Geschwindigkeit der Mainstream-Nachrichten hat etwas nachgelassen. Mensch hört nicht mehr jeden Tag, wie schlimm es in Italien ist, jetzt ist eher Spanien im Trend, und auch da wird es langsam ‚etwas besser‘. Gleichzeitig hören wir, dass der Höhepunkt der Epidemie noch nicht erreicht wurde, über eine Lockerung der Maßnahmen zu sprechen sei „viel zu früh“. Die Queen fordert „eiserne Disziplin in den kommenden schwierige Zeiten“. Es hat sich also eine neue Status Quo etabliert. So wie so oft nach eingreifenden Veränderungen etabliert sich der Wandel dann doch überraschend geräuschlos.

 

 

 

Mensch hört auch von Küfas oder Essensausgaben, die trotzdem stattfinden, es wird experimentiert mit Protestformen. Es gab in den letzten Wochen eine ungeheure Textproduktion zum Thema Corona. Mehrere Gruppen und Inis haben fundierte Infos zum Thema bereitgestellt und chronologisch und/oder nach Thema geordnet (Beispiel https://pad.riseup.net/p/Autorit%C3%A4reRegressionInZeitenVonCorona-keep oder https://www.cilip.de/institut/corona-tagebuch). Auch zeigen die Beiträge auf Indymedia der letzten Woche wieder vermehrt Aktionen zu anderen Themen, z.B. „gegen AfD und andere Nazis“, für Unterstützung Gefangener und in Fragen der Wohnungspolitik (u.v.m. natürlich, Auflistungen sind immer unvollständig). Da zeigt sich, dass viele Aktive die Schockstarre langsam verlassen und wieder zu dem übergehen, was sie gut können. Gleichzeitig bleibt in der ‚Szene‘ der hölzerne Umgang mit dem Thema Sicherheit/Infektionsschutz. Hier werden noch immer staatliche Positionen breit getreten und schlecht bis nicht hinterfragt. Es bleibt die Frage: Wie reaktivieren wir die solidarische Infrastruktur auch in Krisenzeiten?

 

 

 

Dieser erste Beitrag zur Gegenöffentlichkeit im Krisenmodus sollte eine Bestandsaufnahme sein. Die skizzierten Ausblicke sollen nur als Vorschlag verstanden werden. Vor allem soll die Diskussion angeregt werden, wie wir uns in der nächsten Krise besser gegen Panik und Hypes wappnen können. Wie wir Strukturen auf- und ausbauen können, die es uns ermöglichen, die Lage einzuschätzen und zu handeln. Denn nur damit kann eine Schockstarre ähnlich wie diese vermieden werden.

 

 

 

Wir stellen zum Schluss nun einige Fragen in den Raum und freuen uns sehr über einen Austausch.

 

 

 

- Was wird die nächste Krise sein? (Ist es die kommende Wirtschaftskrise? Ist es der Einzug des Coronavirus in die Länder des afrikanischen Kontinents? Ist es eine weitere Erstarkung und zu staatlicher Macht Erlangen von rechten Kräften?)

 

 

 

- Wie können wir uns auf sie vorbereiten? (Welche Strukturen braucht es, um angemessen handeln zu können? Welche solidarische Infrastruktur und welche Orte, um den Widerstand zu organisieren?Welche gibt es schon? Welche Organe sind in der Lage, die kommende Flut an News zu verarbeiten? Welche Kommunikationsstruktur brauchen wir dafür?

 

 

 

- Wie können wir jetzt schon an eine Gegenerzählung arbeiten, um zu verhindern, dass der Staat diese Krise nutzt? (Welche Themen die jetzt aktuell sind sollten wir zur Agitation nutzen? Entlang welcher Themen lassen sich die Menschen organisieren, die jetzt solidarisch handeln, eine leise Kritik an Staat, Polizei und Grundrechtsverletzungen entwickeln?)

 

 

 

Bis bald,

 

A-topic (aus dem Kollektiv, mit einigen (abweichenden) persönlichen Einschätzungen)

 

Berlin, 12.4.2020.

 

 

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Ergänzungen

Mit großer Sorge beobachten wir, dass die radikale Linke zu großen Teilen im Moment den gleichen Erzählungen aufsitzt, wie die Mainstreampresse und die etablierten Parteien es tun. Wir haben einen unsichtbaren Feind, aber dieser Feind ist nicht der Virus. Er ist unsichtbar und ungreifbar und viele gehen automatisch davon aus, dass wenn die Krise nicht von staatlicher Seite inszeniert ist und auch die Wirtschaft (in großen Teilen) darunter leidet, kann es sich nur um eine ernste, wahrhaftige und massive Bedrohung von außen handeln. Schon sind die meisten – eben auch die meisten Linken – bereit, in einer Weise die hegemonialen Narrative unkritisch zu übernehmen, dass man sich nur verwundert die Augen reiben kann. Was in den Mainstreammedien passiert, geschieht auch in der radikalen Linken. Genoss*innen, die die Gefährlichkeit des Virus in Zweifel stellen, werden als Spinner*innen mit Hang zu Verschwörungstheorien belächelt, Corona-kritische linke Mediziner*innen werden von allen Seiten mit Dreck beworfen, abweichende Meinungen werden auch hier im Moment nicht geduldet und sind nicht erwünscht.

 

Wissenschaftliche Evidenz existiert nicht. Die Zahlen des RKI, die Infizierten- und Todeszahlen, die uns täglich um die Ohren gehauen werden, habe ohne Bezugsgröße und ohne wissenschaftlich valide Erhebungsmethode nicht die geringste Aussagekraft! Diese isolierten Zahlen sind purer Blödsinn, unwissenschaftlich und höchst gefährlich. Das einzige, wofür sie gut sind, ist Panik und Angst zu verbreiten und aufrecht zu erhalten. Sie dienen als Rechtfertigung für die Kontaktverbote, die Bewegungseinschränkungen, die Berufsverbote, das Aussetzten der Flüchtlingshilfe, Schließung der Grenzen, etc.

 

Wir haben Angst, weil wir mitfühlend und emphatisch sind. Wir haben uns dem Schutz der Schwachen in der Gesellschaft verschrieben und genau das ist es, was uns anfällig macht, dem Narrativ der Angst zu folgen. Dabei sollten wir sehen: die Gefahr für die Schwachen geht nicht hauptsächlich vom Virus aus, sondern von den eingeführten Maßnahmen weltweit. Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende, werden durch die vermeintlichen Eindämmungsmaßnahmen ins Elend stürzen. Es werden viele viele Menschen sterben – nicht durch das Virus (ja auch) – sondern durch Armut, Hunger, Selbstmord und viele mehr werden krank werden, psychisch und physisch. Das können wir nicht wollen!

 

Noch ist völlig unklar, ob das Narrativ der Angst recht behält, ob das Virus so gefährlich ist, wie uns suggeriert wird. Vieles spricht dafür, dass dem nicht so ist!!!

 

Wir brauchen eine öffentliche medizinische Debatte! Wir brauchen den Austausch divergierender Positionen. Es kann nicht sein, dass wir uns in unserer Hilflosigkeit, auf die Positionen des RKI und eines gewissen Drosten verlassen, die schon 2009 bei der Schweinegrippe total daneben lagen. Die Profiteure der Angst sitzen uns im Nacken, seit da ganz gewiss! Wir müssen die Gleichschaltung der Medien überwinden und zurückfinden zu einer kritischen Haltung! Wacht auf Genoss*innen! Stellt Fragen, fangt wieder an zu denken, schüttelt die Angst ab, bevor es zu spät ist!

 

Die Geflüchteten auf den griechischen Inseln brauchen nicht von uns in Heimarbeit hergestellte Schutzmasken, sondern unsere Solidarität, die auf der Straße lauthals eingefordert und durchgesetzt wird und die Politik zum Handeln zwingt. Europa muss brennen für den Verrat an Asyl-Suchenden! Werden wir wieder handlungsfähig und wehren uns geben das Unrecht, das jetzt noch mehr und noch stärker über unsere Welt hereinbricht!

 

 

 

einige Anachist*innen

 

Vieles spricht dafür, dass der virus weit weniger gefährlich ist, als das dominate narrativ uns verkaufen will - checkt: https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/

es ist klar, dass es faktoren gibt, die die tödlichkeit begünstigen: luftverschmutzung, überalterung, mehrere generationen unter einem dach wie es in italien und spanien noch häufig der fall ist, puls superspreader-ereignisse wie das fußballspiel in bergamo, aber darüber hinaus...

Schade, das ein durchaus interessanter vielschichtiger Text, sofort zum Sammelbecken von Leugnungsergänzungen wird. Hier zeigt sich die wahre Dramatik dieser Tage. Wie soll sich eine radikale Linke selbst ernst nehmen, die so anfällig ist für Verschwörungstheorien aus dem Arsenal des Rechtspopulismus ist. In Zeiten wie diesen zeigt sich wie erschreckend dünn teilweise das Eis ist auf dessen Fläche wir durch die Diskurse surfen. Sehr bedenklich.