[B] Auswertung der Polizeikongressdemo und Einladung zum Offenen Treffen

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Offenes Treffen zu Demokultur

Im Folgenden wollen wir die Demonstration gegen den Europäischen Polizeikongress am 31.01.2020 reflektieren. Auf dem „entsichern“ Kongress wurde die Demo, wenn überhaupt, nicht ausreichend thematisiert. Es wäre da noch einiges zu sagen, sowohl über den Ablauf der Demo als auch über die gesamte Strategie der Repression, die an diesem Wochenende stattgefunden hat.

 Wenige Tage vor der Demonstration wurde beschlossen, kurzfristig die Route von Neukölln nach Friedrichshain zu verlegen. Anlass dafür waren die polizeilichen Todesschüsse auf Maria vom 24.01.20 in ihrer Wohnung in der Grünberger Straße, Friedrichshain. Die Entscheidung fiel nicht leicht, da in Neukölln bereits informiert und mobilisiert wurde und die Initiative, in Neukölln zu demonstrieren, schon mehrmals begrüßt wurde. Wir sahen aber die Notwendigkeit, auf die tödliche Gewalt des Staates schnell und konkret zu reagieren.

 
In dem Text zur Routenänderung haben wir geschrieben: „Es wäre für uns ein politisches Verhängnis, wenn wir nicht an den Ort der Hinrichtung kommen würden und im selben Atemzug einen Kongress organisieren, der sich mit Gegenstrategien im Kontext polizeilicher Arbeit befasst“. Eine Demo kann keine ausreichende Antwort auf einen Mord sein, aber es ist ein Schritt in diese Richtung. Im Nachhinein stehen wir zu dieser Entscheidung. Mit der Verlegung in die Grünberger Straße und zur Wedekindwache konnten wir diesem todbringenden Polizeieinsatz und der damit einhergehenden polizeilichen Desinformationskampagne etwas entgegensetzen.

Wenn wir im folgenden Text von einer Kampfansage der Bullen an die Bevölkerung (Berlins) sprechen, dann spannen wir dabei den Bogen über den Mord an Maria, dem innerhalb der Polizei herrschenden Korpsgeist, der keine Fehler zulässt und stetig das eigene Handeln als gerechtfertigt verteidigen wird, zu der medialen Kampagne, die mit Freude von den Massenmedien aufgegriffen wurde und dem massiven Aufgebot gegen die Demonstration von Freitagabend.
 
 
Es war klar, dass die Gegenseite den Druck auf die Teilnehmer*innen der Demo erhöhen würde, was wir bewusst in Kauf genommen haben, da es uns wichtig war, direkt an dem Ort, an dem Maria erschossen wurde, zu agieren. Sei es auch eingeschränkt. Dass der Grad der Repression jedoch dieses Ausmaß annehmen würde, war uns im Vorfeld nicht bewusst. So ist es auch zu erklären, dass es keine Konzepte gab, wie wir mit dem Aufgebot, das uns begegnete, umgehen sollten. Es stellt sich also wieder die grundsätzliche Frage des Zieles einer Demo, sowie: inwiefern und wofür sind wir bereit, eine vollspallierte Demo zu riskieren? Lohnt es sich noch eine Demo anzumelden, wenn es dann bedeutet, auf einer Route, die wir nicht mal selbst bestimmen konnten, zwischen zwei Bullenreihen ständig gefilmt zu werden? In diesem Fall freuen wir uns, dass wir es riskiert haben. Wir denken, dass es Zeit wird, wieder über andere Demokonzepte zu reden und aufzugreifen, so z.B. das Out of Control Konzept.
 
 
Die Demo startete nach einer Auftaktkundgebung um ca. 21:00 Uhr am Wismarplatz und wuchs von 500 Menschen im weiteren Verlauf auf ca.1200 an. Schon während der Auftaktkundgebung versuchten die Bullen klarzumachen, wer hier das Sagen hat. Bereits vor dem offiziellen Beginn waren an jeder Strassenecke Bullen und Bullenwannen postiert, sodass es unmöglich schien, zur Demo zu gelangen, ohne kontrolliert und belästigt zu werden. Begleitet wurde das Aufgebot durch das sogenannte Berliner PMS (Szenekundige Zivis), welches mehrmals durch und um die Auftaktkundgebung lief. Bereits ab 19:30 Uhr fanden zahlreiche Personenkontrollen am Wismarplatz und in den umliegenden Seitenstraßen statt, bei welchen mindestens 2 Personen vorläufig in Gewahrsam genommen wurden.
 
 
Kurz nach Beginn der Demo war besonders der erste Teil der Demo laut und kraftvoll. Als wir an dem Haus, in dem Maria erschossen wurde, vorbeizogen, wurde ein Blumenkranz in Erinnerung an alle von Polizeigewalt betroffenen Menschen niedergelegt. Die Demo ging dann weiter bis zur Wedekindwache. Unsere Wut auf die Mörder in Uniform und die Anspannung, ihnen gemeinsam entgegenzutreten, war deutlich spürbar. Die Parolen waren durchgängig laut und wütend, die Cops wurden konsequent Mörder genannt und als Adressat unserer Wut die gesamte Strecke über beleidigt und verbal angegriffen. Zudem wurde die Demo von diversen Solidaritätsbekundungen, wie Bannern und Applaudieren, von Zuschauer*innen und Anwohner*innen begleitet.
 
 Nach dem ersten Überqueren der Warschauer Straße zogen die Bullen ein dichtes Spalier auf und filmten durchgehend mit unzähligen Kameras seitlich und direkt auf und in die Demonstration. Ungefähr zeitgleich vermummte sich der gesamte Frontblock und begann mit dem Zünden von Pyrotechnik. Die Stationierung mehrerer Einheiten rund um die Wedekindwache, mitsamt Hundestaffel und Hamburger Gittern, sollte jegliche Äußerung der Wut unterbinden.
 
Spätestens hinter der Wedekindwache war der Frontblock und auch große Teile der weiter hinten laufenden Reihen vollständig von einem dichten Spalier umgeben. Zeitweise war es dadurch nicht mehr möglich die Aufschriften der Transparente von „außen“ zu erkennen. Selbst in den kleineren Straßen jenseits der Warschauer liefen die Cops beidseitig mit und verunmöglichten es somit, dass die Reihen zusammen bleiben konnten, da zumindest die Personen am Rand konsequent gewaltvoll abgedrängt wurden. Weiterhin wurden die einzelnen Reihen penetrant mit mehreren Kameras abgefilmt, es kam zu permanenten Rangeleien um die Regenschirme und Transparente. Wie zu erwarten war, gehörten Beleidigungen und Schläge ebenso zum Repertoire der Bullen, wie die mehrfach wiederholten Drohungen „Euch erschießen wir auch noch.“ Auf welchem Niveau sich die „Polizeifamilie“ bewegt, wurde mit Witzen über Maria und der puren Belustigung über ihren Tod deutlich zur Schau gestellt. Parallel zur 1x1 Betreuung des Frontblocks ertönte beinah ununterbrochen die Aufforderungen, die Vermummung abzulegen und das Abbrennen von Pyrotechnik zu unterlassen. Weder wurde auf die Androhungen der Bullen reagiert, noch ließ man sich davon entmutigen, sodass die Vermummung bis zum Ende der Demonstration beibehalten wurde. Dasselbe gilt für Pyrotechnik, die weiter und weiter gezündet bzw. abgefeuert wurde. Im Nachhinein betrachten wir das als den kleinsten, aber wichtigsten Ausdruck unserer Wut. Innerhalb des ansonsten vorhergesehen Rahmens einer angemeldeten, von Bullen vollspalierten Demo haben wir die Einschätzung, dass wir den Angriffen und Befehlen der Polizei widerstehen konnten.
 
Die Auflösung der Demonstration lief leider, wie so häufig, eher chaotisch ab. Ab dem Boxhagener Platz wurde vom Frontblock aus durchgegeben, dass sich die Demo jetzt bald auflösen wird und Menschen schon mal gemächlich nach Hause gehen sollen. Die Ansage konnte natürlich nicht vom Lauti durchgeben werden, deswegen sollte sich die Nachricht weiter nach hinten streuen. Das hat nicht geklappt, wir wissen auch leider nicht genau bis zu welchen Punkt die Nachricht gelangt ist. Der Lauti gab die Auflösung wohl auch nur einmal bekannt, was bei der Demogröße nicht ausreichte. Dadurch, dass der Großteil der Demo ja bereits in einem Wanderkessel lief, waren wir dann auch am Wismarplatz bei der versuchten Auflösung eingekesselt, die Bullen konnten daher bereits dort vier Menschen festnehmen und die Demo diverser Transparente berauben. Wir gehen davon aus, dass die Bullen vorhatten, die beiden ersten Reihen vollständig festzunehmen. Das, sowie weitere von ihnen geplante Angriffe auf die Demo, sind ihnen nicht gelungen. Wir möchten kritisch damit umgehen, dass es sowohl in den Kommunikationswegen, wie in dem generellen Verhalten (wie etwa Zusammenhalten oder Vermummung) eine Spaltung zwischen vorderem Teil und hinterem Teil der Demo gab. Auf dem weiteren Weg wurden 2 Personen und am Ostkreuz nochmal 8 Menschen verhaftet. Mindestens sechs Personen wurden nach zwei Stunden ohne Gesa-Aufenthalt wieder gehen gelassen. Im Verlauf des Abends kam es in der Rigaer noch zu weiteren Auseinandersetzungen mit den Cops, in deren Zusammenhang 2 Personen verhaftet wurden. Bisher wurden Anzeigen wegen Vermummung, tätlichen Angriffs und Widerstands erstattet.
 
 
Die Auflösung vor dem angekündigten Endpunkt sollte verhindern, dass eine Situation wie bei der Rigaer Demo 2016 (80 Festnahmen) und derDemo zum 1. Mai 2019 an der Warschauer Straße entsteht, bei der die Demo in einen vorher vorbereiteten Kessel lief und die Bullen dort entspannt immer wieder mit Greiftrupps dutzende Menschen fest nehmen konnten. Wir plädieren für eine breite, gemeinsame Diskussion über zukünftige Auflösungskonzepte, denn bis zum Endpunkt zu laufen ist nach „konfrontativen Demonstrationen“ in den wenigsten Fällen gut gegangen. Das vorzeitige Auflösen erfordert eine bessere Kommunikationsstruktur im Vorhinein als auch während der Demo, die allerdings auch auf die Unterstützung der Demoteilnehmer*innen angewiesen wäre. Diese Punkte möchten wir noch nacharbeiten und reflektieren.
 
 
Demonstrationen als ein Moment des Zusammenkommens auf der Straße sind wichtig. Sie bieten einen Raum, in dem wir gemeinsam unserer Wut eine Stimme geben und diese zu Anderen kommunizieren können. Der Freitagabend hat uns erneut gezeigt, dass wir stetig an Konzepten arbeiten müssen, der Machtdemonstration der Bullen wirkungsvoll etwas entgegenzusetzen, u.a.um mehr konsequentes Handeln auf der Straße ermöglichen zu können. Die Einsatztaktik der dichten Begleitung, des permanenten Abfilmens, der kleinen Greiftrupps und der, auch dieses Mal viel beobachtete, Einsatz von zivil gekleideten Tatbeobachter*innen (Tabos) innerhalb der Demo, soll uns Handlungsunfähigkeit weis machen. Tatsächlich haben viele, trotz der Freude, unsere Solidarität und Wut gezeigt zu haben, von einem Ohnmachtsgefühl berichtet. Andere haben die Konsequenz, mit der die Demo gelaufen ist, als empowernd wahrgenommen. Wir haben die Perspektive gemeinsam Strategien zu entwickeln und auszubauen, um unseren Kampf erfolgreich weiterführen zu können.
 
 
Und gemeinsam bedeutet in diesem Fall auch mit Menschen zu arbeiten, die sich nicht in „unseren Spektren“ wiederfinden. Vor und nach der Demo haben wir in der Nachbarschaft geflyert und mit Menschen im Kiez gesprochen. Auch die Anwohner*innen waren zum Teil schockiert von der exzessiven Gewalt der Bullen und machen sich viele Gedanken. Das widerliche Verhalten der Bullen von Freitag wurde am nächsten Tag nahtlos gegen Freund*innen und Nachbar*innen Marias fortgesetzt, als diese mit ca.100 Personen im Gedenken an Maria demonstrierten. Hier müssen wir uns die Frage stellen, warum so wenige von uns auf dieser Nachbarschaftsdemo waren. Unsere Perspektive sollte einschließen, Kämpfe zu verbinden und auch andere „Spektren“ zu unterstützen.
 
 
Kontaktiert uns, wenn ihr von Repression betroffen seid. Getroffen hat es wenige, gemeint sind alle!
 
Euer Vorbereitungsbündnis
 
entsichern.noblogs.org

Left report Video von der Demo: https://www.youtube.com/watch?v=wsrRLMtT2Vo 


Einladung: Offenes Treffen zu Demokultur
 
Hiermit laden wir euch zu einem offenen Treffen zu Demokultur ein.
Wir wollen mit euch die Pliziekongressdemo vom 31.01.2020 auswerten und gemeinsam Perspektviven entwickeln, wie wir unsere Demos zukünftig gestalten können.
 
Wie können wir in die Offensive kommen, wenn unsere Demos mit einem engen Spalier, permanentem Abfilmen und einem massiven Aufgebot durch die Bullen begleitet werden?
Wie können wir wieder mehr Selbstbewusstsein auf der Staße entwicklen?
 
Das sind nur wenige Anstöße, denn wie eine Demo läuft, liegt an allen, die an ihr teilnehmen.
Bringt deswegen gerne eigene Fragen und Kiritk mit, macht euch vorher Gedanken und diskutiert in eurer Bezugsgruppe, mit euren Freund*innen, in eurer WG.
Falls ihr im Zusammenhang mit der Polizeikongressdemo von Repression betroffen seid, kommt vorbei, damit wir uns gemeinsam dagegen organisieren können.
 
25. Februar 2020 | 19 Uhr
Versammlungsraum Mehringhof  

 

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Ergänzungen

Mein Erfahrung ist, dass die Cops selber schnell verunsichert sind, wenn ihr klassiches Konzept (innen Demo, außen Cops) durchbrochen wird und z.B, ein genauso großer, etntschlossener Anteil der Demo sich plötzlich außen/hinter ihnen befindet und somit ihr übliches agieren (Greiftrupps, etc.) stört.

Wenn der "hintere Teil" der Demo bis zum Ende läuft, ist das doch nicht so schlimm? Dann können sich alle Bedrohten entspannt zurückziehen.

Das Konzept vom letzten 1. Mai ist aber wahrlich schiefgegangen. Da muss eher an der Speerspitze besser kommuniziert werden.