[HH] Nachtrag zur 2. Stadtteildemo gegen das Hamburger Polizeigesetz am 29.11.2019

Kurzer Bericht und weiterführende Gedanken:
Entgegen der Presse, die behauptete, dass lediglich nur 6 Leute zur Stadtteildemo am 29.11.2019 kamen, gehen wir von 70-80 Menschen aus, die sich an jenem Freitag vor dem Centro Sociale versammelten. Schon eine Stunde vor Beginn war deutlich, dass die Bullen ihren Fehler der ersten Stadtteildemo (https://de.indymedia.org/node/42119) nicht wiederholen wollten und die Lage anders einschätzten. So postierten sie Bepos in großer Stärke in der Karolinenstraße vor der Messe, in der Sternstraße, Schanzenstraße, Feldstraße und 2 Wasserwerfer am Neuen Pferdemarkt. Auch dieses Mal wurde sich dazu entschieden nicht mit den Bullen zu reden und auch nichts anzumelden. Nicht mit den Bullen zu reden hat den Vorteil, dass bis zur letzten Sekunde flexibel entschieden werden kann, welche Wege für die Route in Betracht gezogen werden. Da die Bullen den Startpunkt nahezu eingekreist hatten, sich aber dennoch auf Abstand hielten, eröffnete sich der Demo die Möglichkeit eines Versuchs sich, durch ein kleines taktisches Manöver über den Weihnachtsmarkt, an der Rindermarkthalle dem Moment des Einschreitens und Angreifens zu entziehen. Bei einem Gelingen des Versuchs hätte das bedeutet, dass die Demo am hinteren Teil des Parkhauses der Rindermarkthalle heraus und über die Budapester Straße zum Paulinenplatz gelangt wäre. Das hätte zur Folge gehabt, dass die Bullen sich neu formieren hätten müssen und man die Zeit hätte nutzen können um sich wenigstens kurz unkontrolliert die Straße zu nehmen.

Da die Cops ohne Zeifel schnell versucht hätten ihren Fehler zu korrigieren und in großer Stärke ins Viertel gestürmt wären, wäre hier wohl ein dezentrales Konzept angebracht gewesen bei dem dem sich die Demo in viele kleine Gruppen aufteilt und diese sich spontane Wege nimmt, um zu schreien, zu rennen, Barris zu bauen oder sonst wie aktiv zu werden. Dies wäre mit etwas Glück und Schnelligkeit gar nicht so unrealistisch gewesen. Nur leider fehlte es der Demo an Dynamik, sodass die Bullen relativ leichtes Spiel hatten, hinter dem Weihnachtsmarkt zu flankieren und die vorderen Leute anzugreifen. Der nachrückende Teil ließ sich (zu Recht) dadurch einschüchtern und bewegte sich zurück zum Centro Sociale. Mehrere Menschen wurden rund um die Rindermarkthalle gekriegt, zu Boden gebracht und es wurden Personalien aufgenommen und Anzeigen gefertigt.
Einige Dinge sind dennoch zu erwähnen: Dass verhältnismäßig wenige Menschen zu der Demo kamen, kann daran liegen, dass am selben Tag AFD-Parteitag in Braunschweig war. Ein weiterer Grund könnte sein, dass Menschen sich im Angesicht der großen Bullenpräsenz eingeschüchtert fühlten und resignierten. Dass die Demo dennoch mit Pyro und zum Teil vermummt den Versuch gestartet hat, die Bullen auszutricksen und selbstbestimmt zu bleiben, ist ein starkes Signal, was in diesen Zeiten alles Andere als selbstverständlich ist. In der Nacht gab es dann auf der Feldstraße noch Feuerwerk und die verkohlten Überreste einer Mülltonne und geschmolzenem Plastik auf der Straße, zeugten von einer brennenden Barrikade in der Bartelsstraße.
Das Konzept der Stadtteildemo, wie es sie jetzt schon zwei mal in der Form gab, hat viele Vorteile, die hier noch einmal erwähnt werden sollen. Es ist ein Versuch aus den bekannten und vorgegebenen Mustern einer Demo auszubrechen. Die immer weiter runterritualisierten Abläufe gehen bekanntermaßen vielen Leuten gegen den Strich. Das wieder aneignen einer wilden Demokultur hat daher viel Potential:
-Schon bei der Mobilisierung wird an alle appelliert mitzuarbeiten. Es wird aufgerufen zu sprühen, zu kleistern, das Internet zu nutzen.
-Durch das Abhalten der Demo im Stadtteil, im Viertel, im Kiez oder der Nachbarschaft begiebt mensch sich auf ein Terrain, was kleiner, aber auch den meisten bekannt ist. Große Straßen bieten den Bullen bessere Möglichkeiten zum dicht machen, außerdem lähmen sie die Dynamik und ziehen die Teilnehmer:innen auseinander. Kleine, enge Straßen sind lauter und bieten immer die Möglichkeit für spontane Richtungswechsel. Dadurch, dass eine Stadtteildemo nicht den Anspruch hat, kilometerweit zu irgendeinem Hauptbahnhof oder Rathaus zu laufen, sondern mehr den Fokus darauf setzt, positive Momente zwischen den Teilnehmenden zu schaffen, ist es vollkommen ausreichend nur eine Runde um den Block zu drehen.
-Alle können sich an diesem Konzept bedienen. Durch den Slogan „Stadtteildemo“ wissen alle was gemeint ist. Jede weitere Demo knüpft automatisch an die Vorangegangene an. Du willst Leute zu einem bestimmten Thema auf die Straße mobilisieren, hast aber keine Lust eine Bitte an die Polizei und den Staat zu richten und um Erlaubnis zu fragen? Dann rufe zu einer Stadtteildemo in deiner Nachbarschaft auf. Viele werden wissen, was der ungefähre Ablauf dieses Tages sein kann. Dabei geht es primär darum, selbstbestimmt zu sein. Was eine:r/jede:r mit diesem Tag macht bleibt die eigene Entscheidung – ob friedlich oder militant. Wichtig ist, dass wir gemeinsam auf die Straße gehen, wann und wo wir es wollen.

Die Idee ist an anderen Orten au der Welt ganz normal. Der Hund liegt dort begraben, wo der erste Mensch irgendwann einmal eine Demonstration angemeldet hat. Wenn mensch genauer darüber nachdenkt wird bewusst, was für ein Unding es eigentlich ist, bei genau den Leute, die unsere Freund:innen einsperren, täglich Menschen durch Abschiebung in den Tod schicken, immer wieder durch rassistische und faschistische Gewalt auffallen und für so perfide Morde, wie dem an Oury Jalloh, verantwortlich sind um Erlaubnis zu fragen, ob mensch denn demonstrieren dürfe.
Wir sind nicht befreit davon, uns an das zu halten, was wir gewohnt sind. Auf eine Demo zu gehen, die in den vom Staat genehmigten Bahnen abläuft, schafft ein sicheres Gefühl. Eine Sponti im klassischen Sinne schafft ein befreiendes Gefühl, schließt aber viele Menschen aus. Nur ein exklusiver Teil weiß davon und hat das Vergnügen, daran teil zu nehmen. Die Anschlussfähigkeit ist begrenzt. Die Stadtteildemo könnte eine Brücke zwischen diesen beiden Konzepten sein. Die Möglichkeit offen zu einer Demo aufzurufen und somit vielen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen und trotzdem selber den Ablauf des Tages zu bestimmen, seiner Linie treu zu bleiben und nicht mit dem Staat zu kooperieren, ist ein erstrebenswertes Ziel.
Die Realität zu diesem Zeitpunkt lässt derlei Momente natürlich nicht einfach so zu. Daher muss an der Weiterentwicklung und Durchsetzung dieser Idee gearbeitet werden. Wenn es weitere Stadtteildemos geben soll, müssen sich alle Teilnehmenden einer gewissen Mitverantwortung bewusst sein. Das bedeutet z.B. Pünktlichkeit, Spontanität, sensibel für Dynamiken sein. Und natürlich auch eine gewisse Risikobereitschaft. Da die Räder der Justiz sich permanent drehen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie Personen, die sie festnehmen, als Rädelsführer:innen verurteilen wollen. So ist das Abhalten einer unangemeldeten Versammlung an sich ja schon eine Straftat. Aus aktuellem Anlass sind die Prozesse um die Geschehnisse am Rondenbarg bzw. an der Elbchaussee wichtig für mögliche weitere Stadtteildemos. Doch all diese Maßnahmen verändern nichts. So ist ein Staat doch immer darauf bedacht, Nischen in denen Menschen aufbegehren gleich wieder zu schließen und mit Repression zuzumachen. So oder so ist es in Zeiten in Angesicht autoritärer Formierung, neuer Bullengesetze, faschistischem Erstarken und Rechtsruck unabdingbar neuer Konzepte auszutesten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass unsere etablierten Protestformen nicht ausreichen. Ein erster Schritt ist, sich von ihnen zu lösen. Somit zeigt uns das Verhalten der Bullen auf der letzten Stadtteildemo, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auch wenn dieser Weg lang und steinig sein wird, lohnt es sich ihn anzutreten und ein paar Meter zu gehen. Wenn wir immer nur machen, was wir dürfen, werden wir auch in 100 Jahren dem freien Leben keinen cm näher gekommen sein.
In diesem Sinner: Bedient euch dieser Konzepte und entwickelt sie weiter! Wir sehen uns auf der Straße bei der hoffentlich 3. Stadtteildemo.

Vergesst die Gefangenen nicht.

webadresse: 
Lizenz des Artikels und aller eingebetteten Medien: 
Creative Commons by-sa: Weitergabe unter gleichen Bedingungen