Antifaschistischer Selbstschutz ist notwendig! Die ersten Prozesstage im Antifa-Ost-Verfahren

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Ein frostiger Prozessbeginn, in einem Großverfahren gegen Antifaschist:innen. Es ist Dienstag, der 25. November 2025, es hat leicht geschneit, die Schilder, „Im Zweifel für die Antifa“ und andere Aufschriften, stehen in den Schneeresten an dem Fahrradständer vor dem bunkerartigen Prozessgebäude des Oberlandesgerichts Dresden. Viele Menschen wollen zum Antifa-Ost-Prozess. 

Wie verliefen die ersten beiden Prozesstage?

 

Worum geht es in der Anklage

Der Generalbundesanwalt (GBA) hat das gesamte Verfahren im sogenannten „Antifa-Ost-Komplex“ schon vor Jahren an sich gezogen und wirft den in Dresden vor Gericht stehenden sieben Antifaschist:innen vor, „als Mitglieder oder Unterstützer – (..) einer spätestens Ende 2017/Anfang 2018 in und um Leipzig gegründeten Vereinigung, deren Mitglieder eine militante linksextremistische Ideologie teilten“, Neonazis körperlich angegriffen zu haben. Kennzeichend für diese „Vereinigung“ und deren Mitglieder:innen sei „die Ablehnung des bestehenden demokratischen Rechtsstaates, des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung sowie des staatlichen Gewaltmonopols ein. (…) Die Aktionen wurden in der Regel intensiv vorbereitet. Sie schlossen etwa im Vorfeld die Ausspähung der Lebensgewohnheiten der ausgewählten Tatopfer ein.“

Der Eingang zu Gericht

Schon das erste „Antifa-Ost-Verfahren“ fand in dem bunkerartigen Sondergerichtsgebäude am Hammerweg in Dresdden statt, Mauer an Mauer mit der Justizvollzugsanstalt, und neben dem Polizeirevier-Nord. Die ersten dutzend Menschen standen schon um 7:30 Uhr vor dem Gerichtseingang. Die Menschen unterhalten sich, manche kennen sich, andere machen sich neu bekannt. Von der gegenüberliegenden Strassenseite filmt der ehemalige stellvertretende NPD-Chef Sebsatian Schmidtke und streamt live.

Plötzlich geht die Türe des Eingangs auf und ein Mann in Zivilkleidung und mittleren Alters stürmt heraus, reißt die eingangs erwähnten Schilder an sich und will zurück in das Gerichtsgebäude. Hier auf dem Vorplatz sei keine Kundegebung erlaubt. Ein körperlich den Mann überragender Prozessbesucher insistiert, er solle die Schilder zurückgeben, die seien hier nur abgestellt worden. Irgendwer erkennt den energisch agierenden Beamten: Matthias Landerer, „Leiter Zentrale Dienste“, für die Sicherheit zuständig. Murren und Protestrufe aus dem Kreis der wartenden Zuschauer:innen, Landerer wird patzig! Wenn sich der Prozessbesucher der sich mit in die Türe stellte nicht sofort zurück trete, werde das Konsequenzen haben. Ein Dresdner Rechtsanwalt schaltet sich ein, diskutiert mit Landerer- am Ende gibt dieser die Schilder zurück und weist darauf hin, dass die angemeldete Kundgebung auf der anderen Straßenseite durchzuführen sei. Landerer sollte noch weitere Auftritte in den kommenden Stunden und Prozesstagen haben.

Pünktlich um 08:00 Uhr öffnet sich die Panzerglastüre für die ersten Besucher:innen- währenddessen harrten solidarische Antifaschist:innen in der Kälte, im Rahmen einer Kundgebung, vor dem Gerichtsgebäude aus. Es gab kämpferische Redebeiträge und Musik- sowie Kaffee gegen die Kälte!

Die Kontrollen

Alle Besucher:innen werden gründlich abgetastet, müssen Mäntel, Jacken, Schals ablegen, dann folgt der Gang durch einen Scanner und anschließend nochmal eine Kontrolle mit Sonde und Abtasten. Schuhe ausziehen, Kontrolle, dann Schuhe anziehen. In den Gerichtssaal darf nichts mitgenommen werden, abgesehen von Stift und Papier, bzw. für die Raucher:innen der Tabak (die Feuerzeuge jedoch nicht, so dass Justizwachtmeister:innen um Feuer gebeten werden müssen). Die Journalist:innen werden genauso streng kontrolliert, dürfen jedoch alles mitnehmen, müssen aber Taschen im Presseraum zwischenlagern.

Der Saal

Der Weg zum Saal wird bewacht von einigen, meist grimmig und entschlossen dreinblickenden Sicherheitsbeamt:innen des Gerichts.

Platz ist im Zuschauer:innenbereich für rund 150 Besucher:innen. Vom eigentlichen Gerichtssaal sind sie durch eine hohe Glasscheibe abgetrennt, die jedoch nicht bis zur Decke reicht. Die Stühle sind fest miteinander verbunden. Langsam füllt sich der Zuschauer:innenbereich. Der Prozessbeginn verschiebt sich, denn zu viele Menschen stehen noch am Eingang. Als Zuschauer:in sieht man vieles durch die Scheibe nur schwer, diese spiegelt ziemlich. Von der Decke hängen mehrere große Monitore, ebenso Brandmelder und Kameras. Dazu versperren tragende Säulen mancherorts den Blick.

Für 09:30 Uhr ist der Prozessbeginn angesetzt, aber der Protokollführer des OLG informiert per Durchsage, man warte noch bis alle Interessierten durch die Kontrollen gelangt sind. Peu a peu tröpfeln die Rechtsanwält:innen der Angeklagten ein, aber auch die der Nebenklage, darunter die schon aus dem NSU-Verfahren berüchtigte Nicole Schneiders. Jetzt erfolgt aber erstmal der nächste Auftritt von Matthias Landerer (hier auf dem Bild der Mann ganz rechts): eskortiert von mehreren Uniformierten klettert er behende auf einen Stuhl und spricht. Er vertrete hier das Hausrecht und werde alle entfernen (lassen) die den Prozess stören. Keine Einwände habe er, wenn vor Prozessbeginn Solidaritätsbekundungen erfolgen, aber wehe während der Hauptverhandlung: „Danach ist Ruhe!“, so Landerer.

Dass es gleich los gehen wird, erkennen alle, als Fotograf:innen und Kameraleute in den Saal kommen. Eine große Seitentüre öffnet sich und einzeln, an den Händen gefesselt, jeweils von drei Bediensteten aus dem Gefängnis bewacht, werden Tobi, Paul, Johann und Thomas an Ihre Plätze geführt. Der Jubel ist jedes Mal groß im Publikum: Klatschen, Rufe („Free, Free, Antifa“, „Freiheit für alle Gefangenen“) kommen auf, es wird gewunken. Die Angeklagten wirken etwas aufgeregt. Fast alle halten sich etwas vors Gesicht, um nicht abgelichtet, oder wie es einer der Fotografen im Presseraum formuliert „abgeschossen zu werden“. Vier, manchmal fünf Sicherheitsbeamte sitzen den ganzen Tag mit im Bereich der Prozessbesucher:innen, und um die zehn hinter den Angeklagten und an den Wänden des Gerichtssaals.

Dann treten sieben Richter:innen ein, und der Prozess beginnt.

Prozessbeginn – 1. Tag

Es ist 10:20 Uhr als der Vorsitzende Richter Joachim Kubista den Prozess eröffnet. Er stellt die die Namen der Richter:innen vor (zwei von ihnen sind sogenannte „Ergänzungsrichterinnen“, denn sollte in den kommenden 2 Jahren einer des eigentlich aus nur fünf Richter:innen bestehenden Senats ausfallen, würden diese einspringen), ebenso der anderen Prozessbeteiligten und insbesondere der Angeklagten, deren Geburtstage, Familienstand und berufliche Tätigkeit. Anwesend sind auch zwei Mitarbeitende der Jugendgerichtshilfe Leipzig, da eine der Angeklagten zum angeblichen Tatzeitpunkt Heranwachsende gewesen ist.

Dann folgen die ersten Anträge der Verteidigung, sie wollen u.a. die Aussetzung des Prozesses beantragen und verlangen hierzu Gelegenheit. Das will aber der Richter Kubista nicht, sie mögen die Anträge später stellen. Eine erste Unterbrechung von 10 Minuten wird angeordnet, damit der Senat beraten kann.

Anschließend verkündet der Vorsitzende, dass die Anträge auch nach Ansicht des gesamten Senats später gestellt werden können, jetzt folge zuerst die Anklageverlesung.

Die Anklageverlesung

Bundesanwalt Bodo Vogtler, Staatsanwältin Alexandra Geilhorn und Staatsanwältin Nina Uhl werden bis 12:00 Uhr abwechselnd die Anklage verlesen, dann folgt eine längere Mittagspause und nachdem um 13:12 Uhr die Verhandlung fortgesetzt wird, sollte es eine weitere halbe Stunde dauern, bis alle Vorwürfe verlesen sind.

Die Vorwürfe die alle vereint, ist die angebliche Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB). Als Teil einer „Linksextremen kriminellen Vereinigung“, sei es in wechselnder Zusammensetzung zu Angriffen auf Neonazis insbesondere in Ostdeutschland, darunter in Leipzig, Roslau, Eisenach, aber auch in Dortmund sei es zu einer Attacke gekommen.

Einige der Antifaschist:innen sollen sich darüber hinaus im Februar 2023 an Körperverletzungshandlungen in Budapest, anlässlich des „Tags der Ehre“ beteiligt haben.

Es sei teilweise zu Mordversuchen gekommen: „heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen“, so die Bundesanwaltschaft sei beispielsweise am 10.2.2023 agiert worden.

Die Anträge der Verteidigung

Nach der Verlesung der Anklage erhalten die Anwält:innen ausführlich Gelegenheit ihre gewünschten Anträge auf Aussetzung des Prozesses, zumindest auf Unterbrechung, auf vollständige Aktieneinsicht und auch auf Klärung der Frage, ob behördliche Prozessbeobachter:innen im Saal sitzen und welchen Einfluss die Einstufung von „Antifa-Ost“ durch die USA als „Terrororganisation“ für die Angeklagten habe.

Die Aussetzung des Verfahrens sei schon wegen fehlender umfassender Akteneinsicht geboten, eine angemessene Vorbereitung sei durch das Gericht und die Bundesanwaltschaft vereitelt worden, dies verstoße gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens. So sei wenige Tage vor Prozessbeginn eine Festplatte mit 700 GB Daten übergeben worden, dies auch nur ansatzweise durchzuarbeiten sei schon zeitlich unmöglich.

Hinsichtlich der vermuteten staatlichen Prozessbeobachter:innen möge geklärt werden, ob Mitarbeiter:innen von Verfassungsschutzämtern, oder BKA, LKA im Saal sitzen, denn wenn dem so wäre, würde das mögliche Zeug:innen beeinflussen können. Zumal wenn damit gerechnet werden müsse, dass es dann einen Informationsfluss in Richtung USA gebe. Zudem könne es zu einen unzulässigen „Wissenstransfer“ zum Beispiel an den Kronzeugen Domhöver geben, einen sogenannten „Aussteiger“, der Antifaschist:innen bei den Sicherheitsbehörden denunzierte und schon im ersten Antifa-Ost-Verfahren maßgeblich an der Verurteilung mitwirkte. Zumindest sei Mitarbeitenden das Mitschreiben zu untersagen.

Im übrigen müsse vorab geklärt werden, ob ihre Mandant:innen auch als Einzelpersonen von den USA, im Rahmen der Einstufung von „Antifa-Ost“ als „Terrororganisation“, ggf. überwacht würden, oder Sanktionen zu erwarten hätten, denn dies sei für etwaiges Aussageverhalten ebenso von Relevanz, wie später, sollte eine Verurteilung erfolgen, bei der Strafzumessung.

Erwiderung der Bundesanwaltschaft (BAW)

Die BAW beantragt, alle Anträge zurückzuweisen. Es sei ausreichend Akteneinsicht gewährt worden, ob Prozessbeobachter anwesend seien, dies sei irrelevant, denn auch sie wären als Teil der Öffentlichkeit zu behandeln. Wie zudem die USA auf das Verfahren schaue, dies sei gänzlich ohne prozessuale Relevanz.

Erste Opening-Statements

In besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, dürfen Angeklagte, bzw. deren Verteidiger:innen ein „Opening Statement“ abgeben (§ 243 Absatz 5 StGB). Gelegentlich wurde während der Erklärungen geklatscht, was seitens des Herrn Landerer, wir erinnern uns, dem der schon die Schilder einkassieren wollte, mehr Unmut hervorrief als beim Vorsitzenden. Letzterer kommentierte zu Anfang eher noch jovial mit „Eigentlich wollte ich das Publikum für die Disziplin loben…“.

Die Verteidigung von Tobi macht geltend, dass ihr Mandant in Ungarn schon wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sei, weshalb ihn nicht Deutschland nochmal deswegen anklagen dürfe und bezieht sich damit auf das „Doppelbestrafungsverbot“ (niemand darf zwei Mal wegen der selben Tat verurteilt werden). Zudem seien die Haftbedingungen denen ihr Mandant zwei Jahre lang in Ungarn ausgesetzt gewesen sei, menschenunwürdig gewesen: im Winter gab es das Verbot sich tagsüber in eine Decke zu wickeln, 24h/Tag Videoüberwachung, Hofgang nur auf dem Dach, umgeben von Lochgittern und von Fäkaliengestank umweht.

Weitere Verteidiger:innen fordern u.a. die Einstellung des Verfahrens, weil die Tatvorwürfe die behauptet werden marginal sind und lange zurück liegen, so beispielsweise eine Anwältin von Melissa K., der Beihilfe zu einer Körperverletzung in dem sie ein Tatopfer geholfen habe „auszuspähen“. Noch im ersten Antifa-Ost-Verfahren sei ihr von eben jenem Senat vor dem jetzt verhandelt werde, es verwehrt worden, sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen: im Frühjahr 2020 sollte Melissa K. als Zeugin aussagen, als sie unter Hinweis auf ihr Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, dies ablehnte, wurde sie mit mehreren hundert Euro Ordnungsgeld belegt. Kurz danach sei umfangreiche gegen ihre Mandantin ermittelt worden, mit einem ungleich höheren Aufwand, als es z.B. Opfer von Vergewaltigungen oder von Polizeigewalt erleben dürften. Dort werde, wenn überhaupt, nur zögerlich ermittelt und regelmäßig eingestellt. Das sei bspw. Auch wegen der dem Kronzeugen Domhöver vorgeworfenen Sexualstraftaten nicht anders gewesen: Verfahrenseinstellung!

Die Verteidigung von Thomas verlas abschließend zum 1. Prozesstag eine zehnseitige Schrift, in der sie die Einstellung der Verfahren durch Urteil forderte. Das OLG sei sachlich garnicht zuständig, denn die Vorwürfe hätten nicht, wie gesetzlich vorgesehen, eine „besondere Bedeutung“. Diese habe die BAW willkürlich angenommen. Nacy Faser, die damalige Bundesinnenministerin, habe allerdings nach der Festnahme ihres Mandanten (Pressemitteilung des GBA) eine Meldung der tagessschau retweetet und von einem „wichtigen Ermittlungserfolg“ gesprochen und ihren Mandanten öffentlich vorverurteilt. Nach alledem bestehe ein Prozesshindernis, das Verfahren sei durch Urteil jetzt einzustellen.

Nach diesem Statement ging ein langer Prozesstag zuende.

Prozessbeginn – 2. Tag

Der zweite Prozesstag begann erst gegen 11:20 Uhr, und diesmal waren keine 100 Menschen im Saal, sondern um die 30. Wie am Vortag wurden auch diesmal die angeklagten Antifaschist:innen mit stehendem Applaus und Rufen begrüßt, und auch wenn bei Gerichtspausen diese wieder abgeführt werden, brandet, wie gestern schon, Beifall auf.

Der Vorsitzende eröffnet den 2. Prozesstag mit dem Hinweis, er habe keine Kenntnis von behördlichen Prozessbeobachter:innen, hierzu werde er aber auch keine Ermittlungen anstellen, denn auch solche Beobachter:innen hätten im Rahmen der Öffentlichkeit ein Anwesenheitsrecht.

Über die Klärung von Fragen hinsichtlich der Listung von „Antifa-Ost“, werde der Senat auch nichts unternehmen, denn das sei irrelevant. Bezüglich der unzureichenden Akteneinsicht sei auch keine Aussetzung des Verfahrens nötig.

Der Vorsitzende liest den Beschluss vor, als plötzlich das Licht ausgeht.

Stromausfall im Gericht

11.17 Uhr, und alle sitzen im Halbdunkel. Die Sicherheitsbeamten drücken auf ihre Funkgeräte, stehen auf, umringen die Angeklagten, blicken aufgeregt nach allen Seiten, als würde plötzlich ein Befreiungskommando irgendwo eindringen. Der Vorsitzende unterbricht sofort die Verhandlung bis 13:00 Uhr. Es wird gerätselt was den Stromausfall verursacht hat, vielleicht solidarische Genoss:innen die das Viertel vom Netz getrennt haben- denn auch im Gefängnis gingen die Lichter aus. Später stellte sich heraus, dass bei Bauarbeiten ist vermutlich ein Kabel beschädigt worden.

Das Licht geht an und der Prozess weiter

Fast pünktlich, kurz nach 13 Uhr, geht der zweite Prozesstag weiter. Die folgenden zwei Stunden werden nacheinander Tobi, Julian und Thomas sprechen und die Anklage der BAW politisch einordnen, ohne sich jedoch zu eigener Beteiligung zu äußern. Stellenweise wird sehr berührend, und auch bedrückend.

Tobi spricht

Tobi beginnt mit Zitaten aus der Anklage: angeblich würde die konstruierte Vereinigung den demokratischen Rechtsstaat ebenso ablehnen, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung. Es seien Neonazis, wie jene in Eisenach, die den Bürgerkrieg auslösen wollten, die Menschen auslöschen wollten. Eine „entschlossene Gegenwehr“ hiergegen sei überlebensnotwendig und keine kriminelle Handlung.

Es gebe eine Komplizenschaft des Staate bei rechtem Terror, und es sei die Regierung die hier die Verantwortung trage. Würde es der „Klassen- und Gesinnungsjustiz“ wirklich um gesellschaftliche Fragen gehen, würde sie hier nicht auf einen Paragrafen zurückgreifen, der schon vor 200 Jahren von Bismarck genutzt wurde, die Mächtigen und Reichen zu schützen. Antifaschist:innen heute fühlten sich dem „Schwur von Buchenwald“ verpflichtet und er sei, im Falle der Verurteilung durch den Senat, „ohne Zweifel“ bereit, eine Strafe abzusitzen.

Als Tobi endet, brandet lauter Beifall auf, solidarische Zurufe. Seitens eines Justizbeamten wird energisch vor weiteren Beifallsbekundungen gewarnt.

Die Bundesanwaltschaft entgegnet, hier handele es sich nicht um ein gesetzlich vorgesehenes Opening Statement, sondern schon eine Einlassung zur Sache, die aber später komme. Der Vorsitzende meint dazu nur, es sei am Ende irrelevant wie man es einstufe, er wolle hören, was die Angeklagten zu sagen hätten.

Der unermüdliche Landerer geht durch das Publikum und mahnt wieder, es dürfe nicht geklatscht werden, er habe kein Problem damit einzelne Personen raus zu werfen.

Julian gibt sein Opening Statement ab

Julian spannt den Bogen von den sogannnten „Baseballschlägerjahren“ und zitierte Hannah Ahrendt, die einmal von der Gefahr der Gleichgültigkeit geschrieben hatte. Dann folgen Halle, Hanau, die Naziangriffe durch Leon Ringl, die rechtsterroristische „Atomwaffen Divison“. Für links verortete Menschen besteht keine abstrakte Gefahr Opfer zu werden, sondern eine ganz konkrete Bedrohungslage. Drohungen, Übergriffe auf linke Jugendliche prägen das Leben von jungen Jahren an. Der Staat hingehen stehe für Ignoranz rechter Gewalt. Wohingegen Linke im staatlichen Fokus stünden.

Haltung, Mut und Würde, das zähle.

Wieder Applaus aus dem Publikum, was den Vorsitzenden zu dem Hinweis veranlasst, man sei „hier nicht im Theater“.

Thomas’ Opening Statement

Fast eine halbe Stunde wird Thomas sprechen, er wendet sich ausdrücklich an die „lieben solidarischen Prozessbegleiter“. Er verstehe, dass staalicherseits ermittelt würde, auch wenn Nazis Opfer körperlicher Gewalt würden, das sei kein Skandal. Aber es sei ein Skandal, wenn, wie hier, der Generalbundesanwalt das Verfahren übernehme und im Rahmen einer politischen Entscheidung sieben Antifaschist:innen willkürlich zusammenfasse und sie anklage. Die Anklage ziele auf seine Haltung als Antifaschist!

Er beschrieb seine Kindheit und Jugend, geboren 1976 in Königs Wusterhausen, die bald von Konfrontation mit Neonazis geprägt war. Über die Umbruchsituation nach 1989/90, wie „Glatze, Springerstiefel und Bomberjacke“ bald allgegenwärtig wurden.

So wie andere von einer Party berichteten auf der sie gewesen sind, hätte ein Mitschüler von ihm, über Aktionen des „Ku-Klux-Klan“ gesprochen, die dieser besucht habe. Ein Nazi habe ihm, Thomas, ins Gesicht geprügelt und das kommentiert mit „Du hast Glück, dass ich Dich kenne“, und das dann so verstanden, dass er womöglich auch hätte umgebracht werden können.

Dann erzählt Thomas von den beiden Jungendlichen, beide hießen Mario, die 1992 tot in Königs Wusterhausen aufgefunden wurden, wie die Polizei die Morddrohungen durch Nazis ignoriert und das ganze erstmal als Unfälle abgetan habe. Hier fängt Thomas das erste Mal zu weinen an. Immer wieder, wenn er von den Morden und Angriffen von Neonazis berichtet, nimmt ihn ersichtlich mit. Er zählt viele Opfer in den 90‘er Jajren auf, die er persönlich kannte. Spricht von den Pogromen, der systematischen Entpolitisierung der Nazigewalt durch Politik und Justiz.

Dann nennt er, um „alternativen Jugendlichen“, die von Neonazis ermordet wurden, Namen und Gesicht zu geben, im einzelnen:

Mike Zerna (22 Jahre) gestorben am 25. Februar 1993, wenige Tage nachdem er in der Nacht vom 19. zum 20. Februar 1993 bei einem Neonazi-Überfall auf den Jugendclub „Nachtasyl“ in Hoyerswerda schwer verletzt worden war: Rechte Skinheads stürmten den Club, zerrten ihn aus seinem Wagen und warfen einen Transporter auf ihn, quetschten ihn ein; er starb im Krankenhaus an den Folgen.

Sven Beuter war ein Punk aus Brandenburg an der Havel, der am 15. Februar 1996 von einem Neonazi angegriffen und zusammengeschlagen wurde; er fiel ins Koma und starb fünf Tage später am 20. Februar 1996 an den Folgen.

Frank Böttcher (17 Jahre) wurde am 8. Februar 1997 in Magdeburg-Neu-Olvenstedt von einem gleichaltrigen Naziskinhead erstochen — der Täter gab an, er habe Böttchers äußerliches Erscheinungsbild („Punk“, Irokesenschnitt) als Provokation empfunden, woraufhin er ihn mit Tritten und Messerstichen attackierte.

Torsten Lamprecht war 23 Jahre alt und wurde am 9. Mai 1992 bei einem gezielten Überfall von rund 50–60 bewaffneten Neonazis auf eine Punk-Geburtstagsparty in der Magdeburger Gaststätte Elbterrassen (Stadtteil Cracau) schwer verletzt. Er erlag zwei Tage später, am 11. Mai 1992, einer Schädelbasisfraktur.

Es seien dem entschlossenen antifaschistischen Selbstschutz gelungen auch in Königs Wusterhausen im Laufe der Jahre alternative Freiräume zu schaffen, aber die Neonazis seien nie wirklich weg gewesen.

Ausführlich geht er exemplarisch auf den Neonazi Carsten Szczepanski ein, wie dieser auch Ende der 90‘er in Königs Wusterhausen seine Nazistrukturen forcierte, wie er und seine „Kameradschaft“ regelmäßig Linke attackierten, auch ihn selbst. Wie es 2001 Brandanschläge auf ein von Roma bewohnte Wohnwagensiedlung gab. Oder wie er selbst Opfer eines Brandanschlages wurde, und nur durch Zufall ein Brandsatz nicht zündete. Dieser Anschlag geschah anlässlich eines antirassistischen Jugendfestivals im im brandenburgischen Königs Wusterhausen. Einem bekannten Nazi, verschaffte erstmal das LKA Berlin ein Alibi. Die Polizei, so Thomas, habe zu Anfang abgewiegelt und in den Raum gestellt, die Jugendlichen hätten das alles selbst inszeniert.

Die Wahl konsequenter Mittel gegen Neonazi stelle „keinen Angriff auf den Rechtsstaat“ dar, denn die „reale Gefahr geht von Rechtsextremen“ aus. Es sei notwendig, dass die Betroffenen selbst Verantwortung übernehmen und sich wehren! „Antifaschimus ist notwendig!“

Es brandet Beifall im Saal auf und der nun allen schon sehr vertraute Landerer kommt herbei geeilt um sich zu notieren, wer genau geklatscht hat und stellt Konsequenzen in Aussicht.

Der Vorsitzende Richter wird nach einer kurzen Unterbrechung vier FLINTA* Personen namentlich nennen und das als „letzte Warnung“ verstanden wissen wollen (Landerer scheint nicht so recht zufrieden, aber er darf ohne Anweisung des Vorsitzenden im Grunde nichts tun).

Erste Beweiserhebung

Der zweite Verhandlungstag endet mit einer halbstündigen Inaugenscheinnahme. Die erste Beweiserhebung- jetzt ist der Prozess in die Beweisaufnahme eingetreten.

Nachdem alle Anwält:innen auf ihren Rechnern die Lichtbildmappe gefunden haben (doe chaotischen Zustände auf welche die Anwält:innen zuvor hinwiesen, was die Akteneinsicht angeht, wurden hier anschaulich), schauten sich alle, entweder am jeweiligen PC, oder auf den großen von der Decke hängenden Monitoren die damalige Leipziger Wohnung von Lina E. an. Am 10.06.2020 trat die Polizei die Türe ein, fotografisch waren die Schäden dokumentiert worden, und durchsuchte alle Räume. Schwerpunkt der Lichtbildermappe waren allerdings die Fotos von Handys und Sim-Karten. Allerdings ging es mit den Bilder einmal quer durch die Wohung. Von der Küche, über Bad, Schlafbereich und Wohnzimmer.

Kurz nach 16:00 Uhr endete der 2. von sicherlich am Ende weit über 100 Prozesstagen.

 

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