Der "Antifa-Prozess-Dresden" – Herausforderungen und Widersprüche unserer Solidaritätsarbeit.

antifa

Wir schreiben diesen Text als Soligruppen der angeklagten Antifaschist*innen, denen ab dem 4. November 2025 in Dresden vor dem Oberlandesgericht (OLG) der Prozess gemacht wird.

Einige von uns leisten eher Hilfe während der Haftzeit, während andere versuchen, die Ermittlungen und den Prozess politisch einzuordnen. Wir arbeiten als selbständige Gruppen, unsere Positionen sind daher nicht zwingend deckungsgleich mit denen der Angeklagten. Wir verstehen uns als antifaschistisch, feministisch, emanzipatorisch, linksradikal und sehen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse antifaschistische Selbstverteidigung erfordern. Daraus resultiert unserer Anspruch an Solidarität im anstehenden Prozess.

Solidarität kann jedoch nur dann ehrlich gelebt werden, wenn klar ist wem oder was sie gilt. Daher wollen wir zu Beginn unserer öffentlichen Arbeit und noch vor Prozessstart Kritiken an patriarchalem und misogynem Verhalten, Täterschutz und Täterschaften bis hin zu sexualisierter Gewalt – gegenüber den Beschuldigten und in den Solistrukturen – thematisieren.

In wenigen Wochen wird der Antifa-Prozess gegen sieben beschuldigte Antifaschist*innen vor dem OLG Dresden starten. Auch in diesem Verfahren müssen wir einen Umgang mit Kritik an patriarchalem und misogynem Verhalten, Täterschutz (durch konkrete Personen und politische Strukturen) und Täterschaften (patriarchale Gewalt in verschiedenen Facetten) finden. Das betrifft sowohl mehrere Beschuldigte, als auch Teile der Solistrukturen. Wir haben uns dafür entschieden dies, noch vor Prozessbeginn, öffentlich zu thematisieren. Ein ehrlicher Umgang und Transparenz sind Bedingungen für eine solidarische Haltung der Unterstützenden.

Es findet ein offener Austausch zwischen den beteiligten Solistrukturen statt. Wir wissen, vor allem aufgrund der Auseinandersetzung im und um das Solidaritätsbündnis Antifa Ost, von Kritiken und Täterschaften sowie dem Stand der Aufarbeitungsprozesse der einzelnen Personen. In Teilen sind diese auch öffentlich transparent gemacht worden. Wir werden zu konkreten Fällen und Personen bewusst nicht ins Detail gehen. Im Umgang mit den Kritiken, Täterschutz und Täterschaften, stehen wir vor verschiedenen Herausforderungen:

• Nicht alle Beschuldigten gehen transparent mit dem eigenen Verhalten um.
• Mit vier Angeklagten kann unter derzeitigen Haftbedingungen kein offener Austausch stattfinden
• Die Aufarbeitung findet im Rahmen verschärfter Repression statt.
• Wir sind Soligruppen und keine Aufarbeitungsgruppen oder Gruppen zur Herstellung transformativer Gerechtigkeit.

Dies sehen wir für uns nicht als Rechtfertigung, sondern als eine realistische Einschätzung der Situation. Die Auseinandersetzung mit patriarchalen Verhalten im Kontext des Prozesses und darüber hinaus ist Teil unserer politischen Arbeit. Gleichzeitig wollen wir keine Versprechen machen, die wir nicht einhalten können.

Uns ist mehr als bewusst, dass es Teil des Problems ist, dass sich Leute mit Vorwürfen über Jahre in unseren Kontexten bewegen können, ohne sich tatsächlich mit ihnen auseinanderzusetzen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Während einige Genoss*innen recht früh Verantwortung übernahmen, gingen manche erst nach Druck von außen in eine Auseinandersetzung – andere entziehen sich diesen bis heute.

Gleichzeitig findet in Teilen der radikalen Linken eine Glorifizierung bestimmter Aktionsformen statt, Solidarität wird mit der Stilisierung von Held*innen verwechselt. Dadurch entsteht eine vermeintlich höhere Wertigkeit, die Gefahr läuft, Kritik zu immunisieren und patriarchale Strukturen zu reproduzieren. Mit dieser Dynamik müssen wir brechen – Kritik muss Teil von Solidarität sein, und dazu gehört in diesem Fall die Kritik an einzelne Angeklagten sowie Teilen der Solistrukturen.

Wir fordern von den Angeklagten, ob in U-Haft oder nicht, genauso wie von uns selbst, Verantwortung zu übernehmen und sich mit dem eigenen patriarchalem Verhalten (weiterhin) auseinanderzusetzen. Wir fordern ebenfalls, dass nach der Haft kollektive Prozesse zur Aufarbeitung (wieder) aufgenommen werden.

Auch in unserer Szene wird Sexismus, patriarchales Verhalten und Gewalt reproduziert– das ist jedoch kein Schicksal, sondern es obliegt uns etwas daran zu ändern.

Der Umgang mit Vorwürfen und Kritiken bleibt Teil unserer Arbeit, für eine tiefe Auseinandersetzung braucht es jedoch weitere Akteur*innen. Wir werden unser Wissen um Kritiken, Täterschutz und Täterschaften an zukünftige Strukturen weitergeben, die die begonnenen Aufarbeitungsprozesse weiterführen, neue beginnen und transformative Arbeit aufnehmen werden. Denn es ist für uns auch klar, dass der Ort einer Auseinandersetzung nicht der Gerichtssaal sein kann.

Als Soligruppen unterstützen wir die Angeklagten vor, während und nach dem Prozess. Wir müssen dabei mit dem Widerspruch umgehen, diese Arbeit auch für Personen zu leisten, deren Verhalten eine geteilte anti-patriarchale Grundhaltung in Frage stellen. Wir wissen aber auch, dass die
Personen aus ganz anderen Gründen auf der Anklagebank sitzen: Sie werden angeklagt, weil sie Antifaschist*innen sind. Das Verfahren richtet sich nur formell gegen Einzelpersonen, im Fadenkreuz steht die antifaschistische Selbstverteidigung.

Angegriffen werden wir als Bewegung. Repression soll delegitimieren, verunsichern und uns unsere Handlungsmacht rauben. Wo diese Angriffe passieren, bleibt Solidarität eine politische Notwendigkeit. Soli-Arbeit verteidigt daher nicht nur die Angeklagten, sondern auch einen konsequenten Antifaschismus. Trotz der Widersprüche bleiben wir vereint gegen Repression.

Gegen die Repression und den Faschismus.

Zusammenhang von Solistrukturen um den anstehenden Prozess gegen Antifaschist*innen in
Dresden.

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Ergänzungen

was aus eurer positionierung nicht hervorgeht:

1. warum leistet ihr soli-arbeit?

 

2. was bringt dieser text? was wolltet ihr mit dem text erreichen?

 

3. von welchen genoss:innen wurde eingefordert, diese diskussion öffentlich zu führen? was berechtigt Sie dazu, dies einzufordern?

4. habt ihr nachteile des textes abgewogen?

 

die fragen brauchen keine antwort. stellt sie euch aber mal. 

 

 

Wenn ihr den Text tats#chlich bis zum Ende gelesen hättet, wären diese Fragen vielleicht nicht offen geblieben.

Zu 1. "Soli-Arbeit verteidigt daher nicht nur die Angeklagten, sondern auch einen konsequenten Antifaschismus. Trotz der Widersprüche bleiben wir vereint gegen Repression."

2. Transparenz schaffen, so dass Genoss*innen in Zukunft selbstbestimmt auf einem gemeinsamen Informationsstand entscheiden können, trotzdem Soliarbeit zu leisten, Aktionen in Bezug auf das Verfahren zu machen etc. (siehe beispielsweise 3. Absatz)

Zum Rest bleibt zu sagen, dass vielleicht etwas mehr Bescheidenheit dazu führen könnte, nicht jeden Gedanken, den man hat, für den alleroriginellsten der Welt zu halten, den bestimmt noch niemand sonst je hatte.

Wir – Frauen* – die seit Jahrzehnten in antifaschistischen Zusammenhängen aktiv sind, davon lange Zeit in autonomen Strukturen und oft in Zusammenarbeit mit Männern — möchten unsere Gedanken zu eurem Statement teilen. Unser Text ist heute spontan entstanden, da wir ihn erst gesendet bekommen haben. Entschuldigt daher die Kürze. Unser letzter Beitrag auf (((i))) ist außerdem lange her.

 

Vor-Notiz: Wir kennen sowohl die Beschuldigten*, als auch ihre patriarchalen Taten und Verhaltensweisen nicht. Das kann zu falschen Schlussfolgerungen durch uns führen. Dennoch wollen wir unsere Kritik teilen, da wir in der Vergangenheit mit diesem Widerspruch konfrontiert waren. Die Texturheber*innen können unseren Text am besten einordnen.

 

Kritik an patriarchalen Verhalten und Täterschaften ist für uns unabdingbar, auch in unserer aktiveren Zeit waren nahezu alle Gruppen von patriarchaler Gewalt betroffen, ausgeübt von Genossen an Genoss*innen, und nach unserer Beobachtung hat sich daran in den letzten zwanzig Jahren (zu) wenig geändert. Trotzdem halten wir die Art und den Zeitpunkt, wie ihr das Thema öffentlich als Notwendigkeit für ehrliche Solidarität setzt, für fehlgeleitet.

 

 

 

Solidarität ist für uns praktische und verbindliche Unterstützung für Menschen, die Hilfe brauchen — sie ist darauf ausgerichtet, die Verteidigung und Handlungsfähigkeit der betroffenen Menschen (Beschuldigten*) zu sichern. Auch, weil sie durch Knast oder aufgrund verschiedener Ängste auf Unterstützung angewiesen sind. Soliarbeit leistet konkrete Hilfe (Haft‑Support, Finanzierung, Recht) und verteidigt gegen staatlich organisierte Repression. Solidarität ist also ganz konkret für die auf Solidarität angewiesenen Genoss*innen da, entsteht aber auch durch das Verständnis, dass sich Repression gegen unsere Bewegung richtet.

 

Aus unserer Perspektive wird durch euer Statement zu früh und zu öffentlich ein Diskussions‑Schwerpunkt gesetzt, der praktischer Solidarität schadet. Das öffentliche Diskutieren unter den Bedingungen von Untersuchungshaft und verschärfter staatlicher Repression der Kritisierten liefert in erster Linie dem Staat, bürgerlichen Medienhäusern und rechten Akteur*innen Ansatzpunkte zur Spaltung (und juristische Risikien für die Beschuldigten* ?). Einsicht für: was sind patriarchale Verhaltensweisen -  wird für viele Menschen nicht vermittelt, aber  weitere schelmische Artikel von Nazi‑Medien und bourgeoise Springer‑Presse.

 

Die instinktive Reaktion zur uneingeschränkten Transparenz droht performativ zu werden: Durch diesen Text kann eine öffentliche Diskussion entstehen, die unsere Bewegung mehr verwirrt, als Betroffene unterstützt oder die Männer zur Reflexionsarbeit bewegt. Es wird damit die Gerichtssaal‑Logik medialer Auseinandersetzung reproduziert und das Narrativ gestärkt, daß die Bewegung sich selbst zerlegt. Euer Statement, daß nicht eindeutig benennt, was den Männern zu welchem Zeitpunkt vorgeworfen wird/wurde, schafft außerdem Halbwissen, Unsicherheit und eine Distanz zu den vorgeworfenen politischen Taten. Es wird ein Problem benannt, ihr nutzt aber trotzdem dieselbe moralische Sprachlogik, die zu unsicherer Solidarität gegenüber allen Beschuldigten* führt.

 

 

 

Das ist besonders bitter für die Genoss*innen, die in Haft isoliert sind und auf Solidarität angewiesen sind. Öffentlich formulierte Vorbedingungen an Solidarität unterminieren Unterstützung und isolieren Inhaftierte zur absolut falschen Zeit. Eine Genossin von uns hat (vor vielen Jahren) für mehrere Wochen in Untersuchungs‑Haft gesessen: die Perspektive, in Haft zu sitzen, während draußen die notwendige Solidarität an Bedingungen geknüpft wird, ohne die ehrliche Chance, sich zu erklären oder eigene Reflexion aufzuzeigen, findet sie furchtbar.

 

 

Wir haben die Erfahrung machen müssen, daß fast jeder Mann, mit dem wir politisch zusammengearbeitet haben, sich – in unterschiedlicher Dimension – patriarchal verhält. Seltener physisch, aber oft sexuell und regelmäßig psychisch. Selbstverständlich ist das kein Schicksal der Männer, sondern eine Entscheidung, die durchweg zu kritisieren ist und an der Männer lösungsorientiert arbeiten müssen. Wenn aber jedes individuelle Versagen öffentlich als identitätsstiftendes Versäumnis behandelt wird, ziehen sich Genoss*innen zurück, junge Aktive werden abgeschreckt und die Bewegung insgesamt verliert Handlungsfähigkeit. Nach eurer Logik müssten wir all unseren männlichen Genoss*innen grundsätzlich die Solidarität in Frage stellen. Das schwächt den antifaschistischen Kampf in diesen Zeiten mehr, als sie ihn von Werten reinigen.

 

Was wir uns in dieser Diskussion auch fragen, ist bei welchem Fehlverhalten darüber öffentlich gesprochen wird und bei welchem nicht? Erfordert es ein öffentliches Statement, wenn zum Beispiel eine von Repression betroffene Person ein Kind mit dem Auto angefahren, mörderische Drogen verkauft oder ein Forstbrand verursacht hat? Welche Fehlentscheidungen müssen der Bewegung transparent machen, um Solidarität zu erhalten?

 

 

Ihr sagt, daß euer Anspruch an Solidarität aus dem Verständnis resultiert, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse antifaschistische Selbstverteidigung erfordern. Die Anklage richtet sich nur formell gegen Einzelpersonen, im Fadenkreuz steht die antifaschistische Selbstverteidigung. Wenn ihr euch also nur mit den vorgeworfenen Taten und nicht mit allen Beschuldigten* solidarisch zeigt - weshalb macht ihr deren Verfehlungen dann öffentlich zum Thema? Anstatt Stärkung der Solidarität folgt durch diesen Text symbolische Distanzierung.

 

Zum Ende möchten wir euch auch sagen: Solidaritätsarbeit ist harte, unsichtbare Fürsorge-Arbeit, die selten Freude macht und fast nie freiwillig gewählt wird. Menschen übernehmen sie, weil es nötig ist, weil die Bewegung ohne diese Arbeit handlungsunfähig wäre. Soli‑Arbeit bedeutet ständige Erreichbarkeit, organisatorische Verantwortung, emotionale Mehrbelastung und oft Risiko für die eigenen Lebensverhältnisse. Sie kostet Zeit, Energie und Vertrauen, sie verlangt Empathie und das Aushalten widersprüchlicher Gefühle. Genau weil diese Arbeit so anstrengend, unsichtbar und notwendig ist, verdient sie Anerkennung und Solidarität selbst. Wir sind daher wirklich beeindruckt von eurer Bereitschaft, diese Arbeit zu leisten — unabhängig von inhaltlicher Kritik an eurem Text. Das muss gesagt werden!

In Solidarität!