Kürzungsproteste: Unnötiger Polizeieinsatz zieht weitere Repressalien nach sich
»Am 21. November 2024 versammelten sich mehrere hundert Demonstrant*innen vor dem Dresdner Rathaus. Sie protestierten lautstark gegen die vielfältigen Einschnitte im sozialen Bereich und der Kultur. Um auch den politisch Verantwortlichen im ersten Stock des Rathausgebäudes die drastischen Folgen ihrer Entscheidungen vor Augen zu führen, kletterten Einzelpersonen an zwei Fahnenmasten empor und brachten ein Transparent mit der Aufschrift "Kürzungen töten" an ihnen an. Nach einer erfolgreichen Kundgebung verließen alle Teilnehmer*innen unversehrt und motiviert den Innenstadtbereich. Auf Nachfrage bestätigt die Dresdner Polizei, dass das Transparent direkt im Nachgang entfernt wurde.«
So oder ähnlich hätte ein Pressebericht über den 21. November 2024 und die große Demo gegen die absurden Kürzungen¹ im Dresdner Haushalt aussehen können. Doch stattdessen sind mindestens acht Demonstrant*innen derzeit mit Anzeigen durch die Polizei konfrontiert. Ihre Personalien wurden im Zuge der Kundgebung festgestellt und ihnen wurden mehrere Vorwürfe eröffnet.
Widerstand muss man sich leisten können.
Zum einen sprach die Polizei gegenüber vier Personen den Vorwurf des "Unerlaubten Plakatierens öffentlicher Einrichtungen" aus. Dabei handelte es sich um die Kletterer*innen. Der Tatbestand ist unserer Auffassung nach mehr oder weniger frei erfunden. Etwaiges findet sich zumindest nicht in der Strafprozessordnung.² Diese vier haben folgerichtig bisher keinerlei Post von der Polizei erhalten.
Zum anderen gibt es aber auch noch diejenigen, denen vor Ort Widerstand, tätlicher Angriff und Landfriedensbruch vorgeworfen wurde. Mehrere von ihnen haben nun Post erhalten. Sie sollen sich zu den Vorwürfen äußern. Worum geht es bei diesen Vorwürfen?
Der "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" (§ 113 Srafgesetzbuch) und der "tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte" (§ 114 StGB) sind Paragrafen, die einzig und allein für den Umgang mit Einsatz- und Rettungskräften gelten.³ Lange Zeit wurde der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zwar als spezifische Straftat geahndet, dabei aber wesentlich schwächer bestraft. Es wurde davon ausgegangen, dass Bürger*innen im Kontakt mit Polizist*innen - die gut ausgestatten und mit dem Gewaltmonopol gerüstet daher kamen - durchaus überreagieren könnten. Das Unrechtsbewusstsein, so die Annahme motiviere auch mal zu Handlungen, die sonst nicht getroffen werden würden. Und in einem vorgegebenen Rahmen seien solche Reaktionen zumindest nicht noch zusätzlich schwer zu bestrafen. Nun, spätestens seit 2017 gilt das nicht mehr. Stattdessen wurde zusätzlich auch noch der "tätliche Angriff" als Sonderparagraf etabliert. Hier sind keine Geldstrafen mehr angedacht, sondern es soll direkt Freiheitsstrafen von drei Monaten bis fünf Jahren hageln.
Was heißt das in der Praxis? Nehmen wir an auf einer Kundgebung entsteht eine tumultartige Situation. Ihr beschwert euch lautstark gegenüber einer Polizistin, die euch behelmt gegenüber steht. Diese packt euch daraufhin am Handgelenk und versucht euch in die Polizeireihen zu ziehen. Reflexartig windet ihr euch aus diesem Griff. Kurz darauf findet ihr euch auf dem Boden liegend wieder und könnt nicht mehr vor oder zurück. Nun eröffnen euch Polizist*innen, ihr währet des Widerstandes schuldig.
Oder auch: Ihr seid in einer Demonstration und stellt euch einer Polizist*in in den Weg, die versucht in die Demo hinein zu stürmen.Diese schubst euch daraufhin mit einem lauten Schrei zurück. Reflexartig schlagt ihr die heran fliegende Hand zur Seite. Kurz darauf findet ihr euch auf dem Boden liegend wieder und könnt nicht mehr vor oder zurück. Nun eröffnen euch Polizist*innen, ihr währet des tätlichen Angriffs schuldig.
Diese Situation ist gar nicht so selten auf politischen Demonstrationen, die in Deutschland von großen Polizeiaufgeboten begleitet, stark beauflagt und immer wieder auch von der Polizei behindert werden. Ja, tatsächlich regt sich bei vielen Menschen schneller das Gefühl, Unrecht angetan zu bekommen, wenn ihnen behelmte und schwer bewaffnete Polizist*innen gegenüber stehen. Doch zurück vor das Rathaus im November 2024.
Einstellung möglich.
Aufgrund einer Anzeige durch das Rathaus ging die Polizei in die Kundgebung hinein und näherte sich den Kletterer*innen auf den Sockeln der beiden Fahnenmasten. Wie es dann genau zu dem weiteren Verlauf kam, sei dahin gestellt. Letztlich lieferten sich die Polizeikräfte über gut eine dreiviertel Stunde ein Gerangel mit den umstehenden Demonstrant*innen, die sich ihnen in den Weg stellten. Aus diesem Gerangel entstanden die oben beschriebenen Festnahmesituationen, denen sich dann wieder andere entgegen stellten. Und schon ist nach dem Strafgesetzbuch auch der nächste Festnahmegrund gegeben. Dabei wurden mehrere der Beschuldigten durch Gelenkverdrehungen und Schläge verletzt. Noch dazu setzte die Polizei Pfefferspray in einer durch Bauzäune beengten Menge ein.
Zwei Personen wurden infolge des Polizeieinsatzes in die Obhut von Sanitäter:innen übergeben.
Die nun entstandene Situation bezeichnet die Polizei jetzt in ihren Vorwürfen als "Landfriedensbruch" nach § 125 StGB. Auch das ist eine klassische "Demostraftat". Wer an einer Menge aktiv oder passiv teilnimmt, aus der Gewalt gegen Personen oder Sachen oder auch die Androhung von Gewalt geschieht, macht sich des Landfriedensbruches strafbar. Explizit ist hier geregelt, dass es reicht "dabei zu sein" und Menschen nicht mal selbst handgreiflich werden müssen. Auch hier können wir einmal mehr festhalten, dass die Auseinandersetzungen auf der Kundgebung nie passiert wären, wenn die Polizei nicht selbst eingegriffen hätte. Wäre das Transparent im Anschluss entfernt worden - wenn es denn unbedingt weg muss - alles wäre ruhig verlaufen.
Glücklicherweise haben die §§ 113 und 114 eine kleine Einschränkung, die nur selten genutzt wird, aber existiert. Der Absatz 3 besagt nämlich, dass eine solche Tat nicht strafbar ist, wenn die entsprechende Diensthandlung nicht rechtmäßig war. Und danach sieht es aktuell aus. Die Polizei verfolgt die Plakathänger*innen anscheinend nicht mit Nachdruck, da sie ihnen nichts fundiertes vorwerfen kann. Damit wäre nun auch der Eingriff in die Versammlung vom Tisch und alle weiteren Verfahren sollten unbedingt eingestellt werden.
Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen und werden weiter über das Verfahren berichten. Für eine Einstellung aller Verfahren! Gegen Kürzungen und Repression!
Ermittlungsausschuss Dresden
¹ https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/dresden-radebeul/demo-sta...
² Plakatieren wird in der Regel als Sachbeschädigung geahndet. Ein mit Schnüren angebrachtes Transparent kann wiederrum schwerlich als Sachbeschädigung verfolgt werden. Andere Kletteraktionen gelten in der Regel als gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, da sie oftmals die Durchfahrt unter ihnen erschweren oder verhindern sollen. Doch vor dem Rathaus zwischen den Pfeilern fährt nix, zumindest nicht legaler weise. Damit hat sich auch dieser Vorwurf erledigt
³ Für eine fundierte anwaltliche Analyse der Strafrechtsreform des § 113 und § 114 im Jahr 2017 empfehlen wir folgenden Audiomitschnitt eines Vortrags des Anwalts Lukas Theune: https://archive.org/details/Bullenschubsen (zu den Paragrafen 113 / 114 ab Minute 11) Eine kritische Analyse der letzten Polizeireformen stellte uns Benjamin Derin im letzten Jahr im Thalia Kino vor: https://archive.org/details/audio?tab=collection&query=ermittlungsaussch...
