100 Tage im Knast – Brief von Nanuk
Seit über 100 Tagen sitzt Nanuk in einer Einzelzelle in der JVA Moabit – Berlin.
Nanuk wurde am 21. Oktober 2024 in Berlin verhaftet, nachdem er über zwei Jahre lang für die Behörden nicht erreichbar war.
An Nanuks Fall lässt sich gut beobachten, wie das in sich geschlossene System „Knast“ einen Spielraum für Schikane und willkürlichem Handeln von Schließern, Beamt:innen und Generalbundesanwalt bietet.
Die hohen Sicherheitsbeschränkungen, die Nanuk auferlegt wurden und über die wir in den vorherigen Updates berichtet haben (https://freenanuk.noblogs.org/post/2024/12/21/gruesse-von-nanuk-aus-der-...), werden seit Anfang Dezember 2024 in langsamen Schritten gelockert. Doch auch hier bleibt vieles der Willkür der Verwaltung und dem Willen der Schließer überlassen, die letztendlich darüber entscheiden, ob die genehmigte Beteiligung an Freizeitaktivitäten tatsächlich umgesetzt wird.
Das Problem mit der Post zieht sich kontinuierlich durch Nanuks Haftzeit: sowohl der Erhalt als auch der Versand von Post wird weiter blockiert. Zuletzt erhielt Nanuk am 10. Januar 2025 ein paar Briefe und Postkarten, dann dauerte es wieder zwei Monate bis was bei ihm ankam. Es dauerte bis Mitte Dezember, bis Nanuk erste Korrespondenz erhielt- die Briefe und Postkarten aus dem Zeitraum vom 22. Oktober bis zum 16. November 2024 sind weiterhin verschollen. Auch erreichten uns bisher nur sehr wenige der von Nanuk geschriebenen Briefe.
Wir veröffentlichen hier Nanuks Brief zu 100 Tage Knast.
Wir schicken allen Inhaftierten und Untergetauchten viel Kraft.
Bis alle frei sind.
Soligruppe Nanuk
Heute bin ich 100 Tage hier im Knast des Schweinesystems. Ich empfinde es als kompliziert meine Gedanken zu formulieren, alles was offen geäußert wird ist von Interesse für LKA, JVA und Staatsanwaltschaft und wird genau ausgewertet.
Jede Äußerung gegenüber Sozialarbeitern, Schließern, jedes Gespräch zwischen Gefangenen – wer zusammen auf dem Gefängnishof ein paar Runden geht oder nur beieinander steht – wer in der Kirche nebeneinander sitzt und ein paar Worte wechselt – alles wird in der JVA genau beobachtet und protokolliert. Alles hinterlässt bei vielen Gefangenen ein Gefühl der Verunsicherung und Angst, da diese gesamte Bespitzelung auch zu Repression führt: Gefangene werden in andere Gefängnistrakte verlegt, dürfen nicht mehr an Freizeit-Gruppenaktivitäten teilnehmen oder die Arbeitsaufnahme in der JVA . Alles, um jeden sozialen Kontakt zu kontrollieren oder zu unterbinden. Dazu kommt bei mir: Besuch von Familie und Freunden bedarf einer richterlichen Genehmigung und wird streng überwacht. Die Besuchszeit sind 2x1h pro Monat. Die Gespräche werden von 1-2 LKAlern protokolliert, wobei sich das LKA meist 1/2 Meter direkt hinter mich stellt. Zu der sehr unangenehmen Überwachungssituation für meine Mutter ist es auch schon 1x vorgekommen, dass das LKA nicht zum Termin erschienen ist und meine Mutter abgewiesen und wieder nach Hause geschickt wurde. Auch der Kontakt mit Post wird zu einem kontrolliert und zensiert, zum anderen ist weiterhin ein Teil der Post verschwunden, die hier in der JVA angekommen war, im Oktober und November.
Auch Anwaltsbesuche werden mit „wann und wie lange“ von der JVA an die Staatsanwaltschaft gemeldet. Die Anwaltspost, die ich empfange, muss im Beisein eines Schließers geöffnet werden. Damit wird der Zugang zu meiner Anwältin, als auch Post kontrolliert. Zwar findet keine inhaltliche Kontrolle statt, aber faktisch ist es eine Kontrolle. Auch Verteidiger:innenpost, die ich abgeschickt habe aus der JVA, ist seit 10 Wochen nicht zugestellt worden. Verteidiger:innenpost für mich wurde an andere Gefangene ausgeliefert. Unter diesen allgegenwärtigen Kontrollmechanismen findet der Alltag für mich statt, dazu kommen sämtliche Sicherheitsverfügungen, die mir auferlegt wurden. Diese sind damit begründet, dass ich durch meine Fähigkeiten die Ordnung in der JVA gefährden könnte. Alle Lockerungen der letzten Wochen, wie die Zurücknahme der „Hand zu Hand“-Verfügung (ab nun darf ich auch Wege wie Kirche oder Anwalt ohne Begleitung gehen), das „öffnen der Zelle durch 2 Beamte“, sowie den „grünen Punkt – gewälttätig“, sind alles Erleichterungen für die Schließer und den Ablauf in der JVA.
Weiterhin habe ich keinen Aufschluss oder Umschluss mit anderen Gefangenen. Oft fragen Schließer, warum ich keinen Aufschluss habe, da ich ja mit den selben Gefangenen zum Hofgang gehe. Der Grund ist wahrscheinlich eine Anordnung des Justizsenates für mich als „Extremist“. Vieles, was hier in der JVA den täglichen Ablauf regelt, ist von Bürokratie bis hin zu systematischem Unwillen bzw. Unfähigkeit geprägt. Ein Beispiel ist der Erhalt von Büchern für mich. Es fing Ende Oktober an, als ich in der JVA einen Antrag zum Erhalt von 4 Romanen abgegeben hatte. Dieser wurde abgelehnt mit dem Verweis, dass jedes Buch vom Gericht genehmigt werden müsse. Auf Betreiben meiner Anwältin lag im November der richterliche Beschluss dafür vor und am 03.12. wurde auch von der JVA das Beziehen der Bücher über einen Versandhandel genehmigt. Diese Genehmigung vom 03.12. wurde mir am 29.12. mitgeteilt. Dann wurde der Empfang des Päckchens an der JVA Pforte 2x verweigert und am 15.01. habe ich nach einem weiteren Antrag auf „Aushändigung der Bücher“ diese erhalten. Pakete, für die auch eine Genehmigung vorhanden ist, werden regelmäßig von der JVA Poststelle nicht angenommen und so wieder zurück gesendet.
Ähnlich ist es auch mit dem LKA, zum einen das nicht Erscheinen zur Besuchsüberwachung. Aber auch ist es dem LKA in meinem Fall explizit nicht möglich ein Telefongespräch technisch zu überwachen, was aber bei anderen Gefangenen klappt. Am 19.12. gab es die richterliche Genehmigung, um über Weihnachten mit meiner Mutter und Großmutter telefonieren zu können. Dann konnte für den 14.01. ein Termin zur Überwachung mit dem LKA ausgemacht werden, der dann aber 2h vorher am 14.01. direkt vom LKA abgesagt wurde aus technischen Unzulänglichkeiten. Nun soll in den nächsten Tagen ein neuer Termin stattfinden, wo ich am Telefon sitze und mit meiner Familie reden kann und das LKA in Persona direkt daneben sitzt, 1,5 Monate nach dem richterlichen Beschluss.
Trotz dieser ganzen Scheiße und der täglichen Tristess von 2h Hofgang und 22h eingesperrt in der Zelle, kommt keine Langeweile auf und ich freue mich weiterhin über jeden neuen Tag. Was mir etwas zu schaffen macht ist, dass ich seit 3 Monaten die Sonne nicht mehr direkt sehen konnte. Mein Zellenfenster ist auf der Sonnen abgewandten Seite, und der Hof hat am Vormittag auch keine Sonne.
Inzwischen kann ich an der Sportfreizeit von 1h pro Woche teilnehmen. Leider findet diese nur unregelmäßig statt, in den letzten 8 Wochen nur 4 Mal.
Die einzige Gruppenaktivität, die bisher genehmigt wurde, ist der Kirchenchor. Durch die Sparmaßnahmen des Justizsenats ist die Finanzierung aber nicht mehr gegeben seit Januar. Zusätzlich hat ein Schließer eigenmächtig mir einmal die Teilnahme verwehrt mit der Begründung „Ich habe sie abgemeldet, da sie heute schon Besuch hatten“. Also die Teilnahme ist bisher auch unregelmäßig möglich für mich.
Ich genieße den Hofgang sehr und bin bei jedem Wetter die gesamte mögliche Zeit auf dem Hof. Wir spielen viel Tischtennis. Ich teile oft Zeitungsartikel mit anderen Gefangenen oder lese auch schon mal Texte vor. Oft geht es um gefängnisrelevante Themen – Justizkürzungen – Briefe von Andreas Krebs an die Justizverwaltung – Folterskandal in der JVA Gablingen/Aachen und die Grüße an alle Gefangenen in der JVA Moabit von der Silvester zum Knast-Demo. Alles Interessante, was in den Tageszeitungen steht. Unter den Gefangenen herrscht oft große Solidarität. Neuen Insassen wird oft ein Essenspaket übergeben, mittellosen Gefangenen wird Tabak geschenkt und wenn manche keine Kleidung haben, geben wir Kleidung ab.
Trotz meiner sehr optimistischen Einstellung fehlt mir der Kontakt zu Familie und Freunden, auch einfache körperliche Umarmungen sind nur für Sekunden am Besuchstag möglich. Kein Austausch, keine Sonne und keine körperliche Umarmung macht nach 100 Tagen einiges mit der Psyche des Menschen. Aber es ist eher „Jammern“ auf hohem Niveau, da ich schon recht privilegiert hier im Knast bin. Zum einen kann ich mich mit Sprache und Schrift gegenüber den Wärtern ausdrücken. Das ist vielen hier nicht möglich, sodass ich auch oft Anträge für andere Gefangene formuliere, Gerichtspost lese und zusammenfasse oder auch eine Beschwerde unserer gesamten Station gegenüber der Teilanstaltsleitung vertreten habe. Dazu kommen engagierte Anwälte und ein soziales politisches Umfeld, was mich sehr unterstützt, das auch als Grund für meine Fluchtgefahr angeführt wird (1000 Küsse und hab euch lieb dafür). So wie eine starke Mutter, die sich nicht einschüchtern lässt. All dies ist hier im Knast nicht jedem Gefangenen gegeben. Also immer daran denken, der Knast ist nicht das Loch in dem nichts passiert und nichts möglich ist. Auch wenn es 2-3 Monate dauert, schreibt mir weiter, lasst mich als politischen Menschen weiter an Prozessen und Diskussionen teilhaben.
Bleiben wir alle in solidarischem Kontakt!
Take care, Nanuk

Ergänzungen
Nun mach dich mal gerade, du alte Schwuchtel
.