Prozesserklärung "Eigentum ist Diebstahl"

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Im Folgenden die Prozesserklärung von Emma, welcher am 21.10.19 der Prozess wegen (bewaffneten) Diebstahls in Berlin-Moabit gemacht wurde.

Ich bin heute nicht hier, um mir von Staatsanwaltschaft und Richterin sagen zu lassen, ob ich schuldig oder unschuldig bin. Sicher, am Ende wird ein Urteil gesprochen und ich kann mich der Gewalt und Repression auf diese Weise nicht entziehen. Ich verweigere mich jedoch den Definitionen des sogenannten Rechtsstaates und lehne die Autorität des Gerichts ab. Es geht mir darum, Handlungsspielraum und Selbstbestimmung zurückzugewinnen, indem ich diesen Prozess als Ort wähle, um die kapitalistische Definition von Eigentum, geltende Gesetze und den Staat grundlegend in Frage zu stellen.

Durch diese Erklärung möchte ich diesen Prozess als politisch entlarven. Ich möchte zeigen, dass es hier eben nicht um etwas geht, das ich getan oder nicht getan habe, sondern um den Schutz der Eigentumsinteressen eines Unternehmens und die Aufrechterhaltung eines weltweiten Systems, das auf Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit der Menschen basiert. Es ist eine Illusion, dass dieses Gericht einen fairen Prozess führen will.

Mir ist wichtig zu betonen, dass meine Entscheidung, mich heute nicht der Logik des Gerichts zu beugen und somit eine höhere Strafe zu riskieren viel mit meinen Privilegien zu tun hat. Über mir schweben nicht die Gefahren einer Abschiebung, rassistischer Gewalt oder eine, meiner eigenen Geschlechtsidentität nicht entsprechenden Zuordnung in das zweigeschlechtliche Knastsystem. Meine soziale Situation ist soweit gefestigt, dass ich keine Angst um Einkommen, Wohnraum oder den Kontakt zu nahen Menschen haben muss. Auch spielen körperliche Fähigkeiten, Zeit und die Freiheit von Fürsorgearbeit eine wichtige Rolle. Es sind meine Privilegien, die mir diese Entscheidung ermöglichen. Gleichzeitig ist meine Entscheidung auch die Konsequenz meiner politischen Haltungen. Ich lehne die Herrschaft von Menschen über Menschen ebenso ab, wie Staaten und deren Gesetze, die allein der Aufrechterhaltung und Verfestigung von Hierarchien dienen. Um mich dieser Logik entgegenzustellen, habe ich mich entschieden, meinen Handlungsspielraum für eine politische Kritik zu nutzen. Nach dieser Erklärung werde ich mich nicht weiter äußern oder mich zu diesem Prozess verhalten.

Ohne die solidarischen Menschen in diesem Raum, würde hier alles dem Zweck dienen, mich zu verunsichern und einzuschüchtern, um mich der Logik von Schuld und Unschuld zu fügen. Ich werde hier an diesem Platz isoliert und soll still mit ansehen, wie über mich als Einzelperson geurteilt wird – mit dem Ziel mich der herrschenden Ordnung anzupassen.

In einem Gerichtsaal geht es nicht darum, Gerechtigkeit herzustellen. Es geht darum. die bestehende kapitalistische Ordnung, Tag für Tag, Sitzung für Sitzung zu festigen. Diese sogenannte rechtsstaatliche Ordnung ist jedoch nicht dazu da, Menschen einen Zugang zu einer solidarischen und gemeinschaftlichen Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen. Ebenso wie der Staat als Ganzes dienen Gesetze dazu, Eigentum, Gewinn und Privilegien einiger Weniger zu schützen. Dieses Eigentum konnte und kann jedoch nur durch Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt angehäuft werden. Kapitalistische und somit staatliche Gewalt zeigen sich in unterschiedlichsten Formen: z.B. durch wirtschaftliche Armut, Abschiebung, Ausbeutung durch Arbeit, Wohnungslosigkeit, Zwangsräumungen, die Normierung von Körpern, Jobcenter, Psychiatrie oder Knast. Dazu nutzt der Staat Unterdrückungsverhältnisse, wie z.B. Rassismus und Sexismen. Er braucht diese, um Herrschaft zu sichern, auszubauen und zu festigen.

Wir lernen von Klein auf, dass Eigentum das schützenswerteste Gut ist und wir darum konkurrieren müssten. Es sei eben nicht genug für alle da. So wachsen wir in eine Gesellschaft hinein, in der einige Wenige immer mehr besitzen und die Mehrheit um die Krümel kämpft. Wir nehmen unseren Platz ein: Wir arbeiten uns kaputt; achten eifersüchtig auf das Wenige, das wir uns leisten können; entfremden uns von einander und spielen die uns zugewiesenen Rollen. Unterschiedlich verteilte Privilegien sorgen dafür, dass Menschen unter sehr unterschiedlich prekären und gewaltvollen Bedingungen leben. Je weniger sich Menschen diesem System anpassen können oder wollen, desto krasser reagiert die Gesellschaft und der Staat mit Bewertung, Einschüchterung, Isolation, Strafe und Gewalt. Weil wir diese Spielregeln von Geburt an lernen, funktioniert das System gut.In einem kapitalistischen System geht es nicht darum, dass es allen gut geht – so funktioniert Kapitalismus nicht.Der Staat als System, das den Kapitalismus erhält, braucht die Angst der Menschen. Auch ich habe gelernt, die für mich abfallenden Krümel vom Kuchen besorgt zu verteidigen. Das individuelle Streben nach Sicherheit dient jedoch dazu, nicht zu hinterfragen, warum einige Wenige über die Mehrheit der Menschen herrschen.

Soziale Normen, geltendes Recht und Strafen dienen dazu, uns zu disziplinieren, um all dies nicht in Frage zu stellen. Knast ist in der BRD das umfassendste Bestrafungsinstrument des Staates. Zwang, Unterdrückung, Überwachung, Isolation, Kontrolle, Ausbeutung, Ungleichheit und Erniedrigung finden sich im Knast in zugespitzter Form. Die Angst vor Knast ist gewollt. Sie erzeugt einen Zwang, der uns veranlasst den herrschenden Regeln des sogenannten Rechtsstaates zu folgen und die uns zugewiesenen Rollen zu spielen. Verhalten wir uns widerständig und/oder verstoßen aus der Not heraus gegen geltende Gesetze, soll uns der Knast durch Disziplinierung, Unterordnung und Zwang dazu bringen, uns einzufügen, zu funktionieren und unsere Energie in die Produktion von Mehrwert einiger Weniger zu stecken. Gleichzeitig verschärft Knast finanzielle Not, belastet soziale Beziehungen, führt zu Wohnungslosigkeit, Armut und Vereinzelung. Er macht Menschen kaputt.

Ich kämpfe für eine Welt ohne Knäste, Herrschaft, Eigentum und Konkurrenz. Ich strebe nach einer Welt, in der Menschen solidarisch miteinander und der Natur leben. Ich möchte in einer Welt leben, in der Freiheit in Gemeinschaft wächst.

Ich möchte mit dieser Erklärung Diskussionen anregen und einander bestärken. Ich möchte Gemeinsamkeiten und Unterschiede verstehen, um gemeinsam zu kämpfen. Ich möchte, dass wir einander durch unterschiedlichste Formen der Solidarität unsere Angst vor Repression mindern.

Solidarität mit den Gefangenen. Freiheit für alle!

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