Anmerkung zu Floris Biskamps' These "Es gibt keinen Rechtsruck"

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Hitlerverschnitt von Peter Puck

Am Dienstag den 22.10.2019 hielt Floris Biskamp im Kupferbau in Tübingen im Rahmen der Bloch-Woche (alternative Semestereinführung) einen Vortrag, wo er die spannende These "Es gibt keinen Rechtsruck" vorstellte. Der Vortrag konzentrierte sich darauf, die politischen Einstellungen, Entwicklungen und Positionen der BRD der 70er, 80er und 90er mit denen der letzten Jahre zu vergleichen und dabei festzustellen, dass heute in der Gesamtheit nicht mehr rechte Positionen vertreten werden als früher. Vom "Rechtsruck" zu sprechen, so Biskamp, stärkt auch die Rechts selbst, da ihre Aufbruchsstimmung von außen gestärkt wird. Auch wenn ich da grundlegend zustimme, würde ich der These insgesamt widersprechen und ihr meinerseits vorwerfen, dass so wie er sie vertritt, unser linkes Selbstvertrauen geschmälert wird, weil unsere Kämpfe damit unsichtbar gemacht werden. Dem werde ich hier eine Analse der Entwicklung des, von Biskamp grob als "Ambivalent" beschriebenen, Liberalismus als Teilergebnis linker Kämpfe und eine andere Definition von Rechtsruck entgegensetzen.

Am Dienstag den 22.10.2019 hielt Floris Biskamp im Kupferbau in Tübingen im Rahmen der Bloch-Woche (alternative Semestereinführung) einen Vortrag, wo er die spannende These "Es gibt keinen Rechtsruck" vorstellte.
Der Vortrag konzentrierte sich darauf, die politischen Einstellungen, Entwicklungen und Positionen der BRD der 70er, 80er und 90er mit denen der letzten Jahre zu vergleichen und dabei festzustellen, dass in der Gesamtheit nicht mehr rechte Positionen vertreten werden. Dagegen sieht er eine kontinuierliche Ausbreitung von Liberalismus seit dem zweiten Weltkrieg, welche er aber nur bedingt als positiv beschreibt und etwas unklar von der Ambivalenz des Liberalismus spricht.

Ich denke dass der erste Teil stimmt und auch, dass das Problem welches Floris Biskamp mit dem Begriff "Rechtsruck" verbindet, nämlich die Rechte diskursiv zu stärken und ihre Aufbruchsstimmung von außen zu unterstützen, ernst zu nehmen ist.

Trotzdem würde ich der These widersprechen und ihr meinerseits vorwerfen, dass so wie er sie vertritt, das linke Selbstvertrauen geschmälert wird, weil unsere Kämpfe damit unsichtbar gemacht werden. Wie kann das sein?

Hier möchte ich kurz darstellen wie Rechtsruck anders gefasst werden müsste, damit seine sichtbaren Anteile und seine Stärke erklärt werden können und wie die "Ambivalenz des Liberalismus" als konkret Erfolge und Misserfolger linker Kämpfe aufzeigen kann.

<strong> Was ist Rechtsruck? </strong>

Ich finde dass Floris den Begriff "Rechtsruck" unprodutiv deutet.
Die wahrnehmbare Stärkung der Rechten und die Verschiebung dass heute mehr rechte Äußerung von Menschen getätigt werden, die vor zehn Jahren noch nicht so eingestellt sind, würde ich als Rechtsruck beschreiben. Erstens würde ich die Positionen nicht mit denen vor 20, 30 oder 40 Jahren vergleichen, wo noch viel rechtere Positionen verbreitet waren, sondern mit dem gesellschaftlichen Trend der letzten 10-15 Jahre. Dieser kann als Institutionalisierung und Vereinnahmung linker Kämpfe gesehen werden: Seit der Rot-Grünen Regierung 1996 wurden stückweit gewisse linke Forderungen erfüllt oder gar zu einer Art Staatsdoktrin erklärt, womit sie aber gleichzeit für Staatszwecke missbraucht wurden.

<strong> Erfolge linker Bewegung </strong>

Zu nennen sind beispielsweise Forderungen der Frauenbewegung: 1997 wurde von dieser Regierung erstmals die Vergewaltigung in der Ehe illegalisiert. Bis dahin konnten Männer ihre Frauen zum Sex zwingen und konnten dafür nicht angezeigt werden. Im Gegenteil galt laut christlichem Grundsatz der Geschlechtsverkehr als "eheliche Pflicht" und war Scheidungsgrund, was bei gleichzeitigen Hohen Hürden der Erwerbsarbeit für Frauen einer institutionalisierten Prostitution gleich kam.
Eben diese Möglichkeit der Erwerbsarbeit für Frauen wurde durch vielseitige Mittel gefördert, Fauenquoten in einigen Bereichen eingeführt, Kinderkrippen installiert oder in Ostdeutschland die bei der Wende abgeschafften wiedereingeführt, Gesetze für Gleichbehandlung bei der Arbeit eingeführt. Auch wenn dadurch das Ziel des gleichen Lohns für Frauen nicht erreicht und vielleicht nie ernsthaft angestrebt wurde, was als materielle Politik bezeichnet werden kann, so gab es doch eine ideelle Aufwertung von erwerbsarbeitenden Frauen.

<strong> Linker Staatsantifaschismus </strong>

Ein anderer Bereich ist der Antifaschismus. Während die CDU und SPD geführten Regierungen nach '45 eher auf Verdrängung, neuen Nationalstolz usw. setzten, führten die Grünen, als Partei in der viele Ex-Autonome aktiv waren, endlich eine andere Erinnerungspolitik und eine offizielles Antifaschistisches Statement ein. Es wurden Denkmäler gebaut, die Rechten von konservativ bis extrem Bauchschmerzen bereiten, obwohl fast alle heldenverehrenden Soldatendenkmäler der Nazizeit stehen blieben. Außerdem wurden einige Stiftungen die sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit richteten gefördert, wodurch auch teilweise antifaschistisch motivierte Basisinitiativen an Gelder kamen, wie über das Netzwerk Courage und Demokratie (NDC). Allerdings hieß das kein Geldsegen für Antifas, da beim NDC aufwändige Projekttage an Schule bescheiden vergütet wurden, aber dennoch war und ist dies für viele Linke eine Möglichkeit mit ihrer Überzeugung ein Zubrot zu verdienen. Das Märchen vom Demogeld mag daraus motiviert sein. Mit diesem öffentlichen Statement zum Antifaschismus, also ideeller Unterstützung, ging kaum Geldfluss und damit materiell fundierte Änderung einher.

Dies lässt sich noch an vielen anderen Beispielen aufzeigen, aber dies sind meiner Ansicht nach die deutlichsten.

<strong> Vereinnahmung und Wirtschaftspolitik </strong>

Aber beide genannten Zugeständnisse an linke Forderungen müssen ebensosehr als problematische Vereinnahmung gesehen werden:
Es wurde eine neue Grenze gegenüber dem Antifaschismus gezogen und ein harter Extremismus-Diskurs eingeführt, der dafür sorgte dass auch keine anderen linken Überzeugungen gefördert wurden und mehr: dass ein konformer, braver und für die Herrschenden harmloser Antifaschismus innerhab der Linken sich durchsetzt. So ist beispielsweise auffällig dass vor allem diejenigen Initiativen gefördert wurden, die jegliche Bemühungen Druck auf die Herrschenden auszuüben als strukturellen Antisemitismus definierten. Dieser Diskurs trug dazu bei, dass alles was von linker Idee den Herrschenden gefährlich werden kann, nämlich einer Enteignungsforderung des Kapitals Nachdruck zu verleihen (=Klassenkampf), als antisemitisch verschriehen werden konnte. Wer diesen Diskurs nicht nachvollziehen kann frage bitten den Antideutschen seines Vertrauens, der kann das besser darstellen als ich es möchte. Dass damit wurde staatlich gefördert die Linke zahnloser gemacht, als sie war, war kein umfassender Plan (Verschwörungstheorie), sondern eine Entwicklung wo sich eben entsprechende Grüne dafür eingesetzt haben, dass keine linksradikale Politik gefördert wird.

Die andere Vereinnahmung ist die, dass sowohl Antifaschismus als auch Frauenbewegung als Argumente für die erstmals einsetzenden Auslandskriege der Bundeswehr herhalten mussten. Rot-Grün startete den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr nach 1945, etwas was die CDU wahrscheinlich schon lange wollte aber mit Grüne&SPD und dem Großteil der Bevölkerung in der Opposition dazu nicht geschafft hätte. Joschka Fischer konnte den Angriff auf Serbien auch deshalb durchbringen, weil er den linken Kriegsgegner*innen mit antifaschistischen Argumenten beikam: Es sei deutsche Verantwortung keinen Völkermord zuzulassen, und genau das plane Milosevic, welchen er als den neuen Hittler und seine Armee als die neue SS bezeichnete (vor dem UN-Gerichtshof für Menschenrechte konnte solche Pläne Milosevic dann Jahre später aber nicht nachgewiesen werden).
Auch der Einmarsch in Afghanistan, welche Deutschland mit Infrastruktur, Material und Soldaten mittrug, konnten die Grünen als Kampf um Frauenrecht begründen. Die Taliban waren sicher ein Frauenfeindliches Regime, aber wer sich Afghanistan heute anssieht, stellt fest dass sich was Frauenrechte angeht wenig geändert hat, dieser Grund also als Vorgeschobener Kriegsgrund entlarvt werden kann.

<strong> Rechte Wirtschaftspolitik </strong>

Weite Punkte, die als vereinahmte und hauptsächlich auf der ideellen und kulturellen Ebene bleibende Veränderungen können die eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle, welche der Homoehe die Bahn ebnete, die Förderung ökologischer Maßnahmen, usw. gezählt werden.
Bezeichnend ist, dass diese kulturellen Zugeständnisse an die Linke immer mit materieller rechter (Wirtschafts-)Politik einhergingen, also einer Wirtschaftspolitik die die soziale Ungleichheit von Menschen erzeugt und befestigt:
-Rot-Grün führten die HartzIV-Gesetze ein, welche eine massive Kürzung des Arbeitslosengeldes (früher durfte mensch halb solange ALG1 bekommen wie mensch gearbeitet hat, nach der Umstellung der Agenda 2010 war diese Zeit auf 1 Jahr Arbeitslosigkeit beschränkt) und eine Einführung von Zwangsmitteln gegen Arbeitslose (Sanktionen mit HartzIV) einführten
-gleichzeitig führte Rot-Grün Leiharbeit ein, diese war bis dahin verboten. Leiharbeitsfirmen stellen Menschen für Mindeslohn an und "verleihen" diese dann an Firmen und kassieren dabei oft die Hälfte des dort üblichen Gehalts. Die Parallele zur Leibeigenschaft liegt nahe. Das Jobcenter versucht manchmal Menschen in Leiharbeit zu zwingen oder zu locken, es gehen verzweifelte Arbeitslose darauf ein, mit der Hoffnung vom Betrieb dauerhaft und regulär übernommen zu werden.
-Gleichzeitig werden die Steuern für Konzerne und Superreiche gesenkt, die Vermögenssteuer abgeschafft.

Aus einem genaueren Blick auf die konkrete Entwicklung und einer gewissen Trennung von ideeller, kultureller Politik einerseits und materieller, wirtschaftlicher Politik andererseits ergibt sich diese Analse. Sie bringt unseren Kämpfen und Diskursen einen großen Vorteil, ist hier also zu sagen, dass Rot-Grün und stückweit auch die darauffolgende Merkel-Regierung eine linke Kulturpolitik mit einer rechten Wirtschaftspolitik verbindet. Bei Merkel nur ganz kurz: Ihre Entscheidung die vor die Bayrische Grenze gekommenen syrischen Geflüchtete (Geflüchtete haben sich selbst diesen Weg unter Einsatz ihres Lebens erkämpft) nicht militärisch abzuwehren sondern aufzunehmen, während sie gleichzeitig der Steuern für Arme wie die Mehrwertssteuer von 14 au 19% erhöhte und den Konzernen und Superreichen große Steuergeschenke macht, 100.000 Euro im Jahr Steuererlass für Millionäre z.B.). Die Folge ist, dass die ökonomisch gefährdeten Teile der Bevölkerung (v.a. Arbeitslose und Working Poor in Ostdeutschland oder im Ruhrgebiet) weiter verarmen, gleichzeit aber das Gefühl haben, dass linke Politik gemacht wird.

Deshalb verbindet sich hier ein Teil des Prekariats mit rechten oder konservativen Rassist*innen in einer neu-rechten Partei mit faschistischem Flügel (AfD). Und ein Rechtsruck im dem Sinne, dass eine Aufbruchsstimmung bei den rechte zu spüren ist und sich ein neueres rechtes Ideengebäude, welches von den Ideen der alten Nazis abgegrenzt wahrgenommen wird, etabliert, ist deutlich zu spüren, bei vielen von uns in die eignen Verwandschafts-, Kolleg*innen- und Freundeskreise hinein.

<strong> Fazit und darausfolgende Politik- und Aktionsvorschläge </strong>

Mit dieser Analsyse ist die von Floris Biskamp wiederholt genannte "Ambivalenz" des Liberalismus, den er seit dem zweiten Weltkrieg sich quasi stetig ausbreiten sieht, konkreter aufgezeigt. Und damit ist auch aufgezeigt, dass unsere linken Kämpfe teilweise erfolgreich waren, aber gleichzeitig so vereinnahmt worden sind, dass die Linke das Image als Rebell*innen, als Kämpfer*innen für Alle usw. verloren haben und jetzt eher das Image der staatstragenden Sprach-und Denkpolizist*innen angeheftet bekommen.

Das wichtigste gegen den Rechtsruck wäre demnach auch wieder materielle, wirtschaftlich linke Politik zu forcieren: Sozialleistungen zu erkämpfen, mehr Rechte und Erleichterungen für Arbeitslose, Arbeitnehmer*innen, Mieter*innen usw., eine Politik zu machen die nach "unten" offen ist und nicht nur akademischen Diskurs bedient.
Konkret würde ich vorschlagen z.B. wenn es um rassistische und sexistische Äußerungen geht, nicht mit einem allgemeinen "das darf man nicht sagen" sondern mit ihnhaltliche Argumenten zu kommen, warum das doof ist.
Und/Oder Diskurse über materielle, wirtschaftliche Punkte führen, über den Pflegenotstand, Armut, Elend von Arbeitslosen, Kriegseinsätze der Bundeswehr, Wohnungsnot, Wirtschaftskrisen bei gleichzeitiger enormen Profiten der Konzerne, exorbitanter Steigerung des Reichtum der Reichen, nie da gewesener Rate von Millardären in Deutschland usw.

Wer sich für ähnliche Analysen und den theoretische Background interessiert, der kann sich mit autonomer Theorie, autonomen Marxismus, Regulationstheorie, Operaismus, Post-Operaismus, bewegungsnaher Linker, der Zeitung Analse&Kritik beschäftigen, da diese Theorietraditionen linke Bewegungen mit in den Blick nehmen und ihre Kämpfe und Erfolge auch sichtbar machen.

-jede Ausgabe der Analyse und Kritik, linke Theorie wird dort plural diskutiert.
-"Es begann die Zeit der Autonomie", von Frombeloff.
-"Kritik des Kommunismus 2.0", von Peter Birkner.
-"(Post-)Operaismus" von Robert Foltin.
-"Antifa heißt Luftangriff" von Sommer/Witt-Stahl (zur Kritik an der staatlichen Vereinnahmung des Antifaschismus).

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