[Wien] Polizei prügelt identitäre Demo durch

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In Wien gab es gestern die erste selbstständige rechte Demo seit über 12 Jahren.1 Die Neuen Rechten der identitären Bewegung wollte vom Westbahnhof über sie Shoppingmeile Mariahilfer Straße zum Volkstheater ziehen. Antifaschistischer Protest konnte die Aktion zwar behindern, ein Verhindern war aber aufgrund massiver Polizeigewalt nicht möglich.

 

Die Identitären

 

Bislang sind die Identitären vor allem dadurch aufgefallen, Veranstaltungen zu stören. (1,2,3). Damit einher geht eine ständige latente oder offene Bedrohung Andersdenkender.(1,2) Sie sind somt alles andere als harmlos, auch wenn sie selbst einen Nazi-Bezug von sich weisen. Obwohl die Demo gestern somit der erste öffentliche Auftritt war, sind sie gut international vernetzt. Die Identitären versuchen, ein Scharnierfunktion zwischen den weitverbreiteten Alltagsrassist*innen und außerparlamentarischen rechten Kadern zu sein. Deswegen versuchen sie, möglichst hip zu sein, verpassen sich selbst ein Rebell*innen-Image und provozieren gerne.

 

Im Vorfeld

 

Zu antifaschistischen Aktionen haben das sozialistisch dominierte "Offensive gegen Rechts" Bündnis und die Autonome Antifa [w] mobilisiert. Unterstützt wurden sie von Anarch@s und einigen undogmatischen bzw. unorganisierten Linken. Die Zivilgesellschaft machte das, was sie in Wien am Besten kann: Sie schlief. Auch vor Ort waren nur einige wenige Grün-Aktivist*innen zu sehen. Medial wurde im Vorfeld wenig darüber berichtet, die meisten Artikeln waren stark entpolitisiert in Richtung „Links gegen Rechts“. Es gelang nicht, in diesen ohnehin schwachen Diskurs zu intervenieren. Dadurch hatten Antifaschist*innen 2 Möglichkeiten: Entweder die Demo zu ignorieren, und damit zulassen, dass die rechte Hetze ein Stück Normalität wird oder dagegen zu agieren, und damit auf die offensichtliche Provokation der Identitären einzusteigen.

 

Der Auftakt

 

Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Mobilisierung eher schwach war, und sich nur je nach Zählung zwischen 500 und 800 Menschen an den Antifa-Aktionen beteiligten. Bei den neuen Rechten waren es zwischen 120 und 200 Menschen.

Beide Gruppen wählten, allerdings zeitverzögert, als Auftaktkundgebung den Christian-Broda-Platz/Westbahnhof. Dementsprechend mit Verspätung und im Schneckentempo startete zuerst die Antifa-Demo. Sinn und Zweck sollte es ja sein, die Rechten zu blockieren.

Um 13:00, als die Identitäre sich sammeln wollten, immer noch unmittelbar vor dem Christian-Broda-Platz. Die Polizei fing zu diesen Zeitpunkt an, die Leute nach vorne zu drängeln. Obwohl dies noch relativ sanft passierte,2 berichtete nochrichten hier bereits über erste Festnahmen. Von Anfang an war auch ein Hubschrauber im Einsatz.

 

Die Ausweichroute

 

Bald machten sich Gerüchte breit, dass die Nazis eine andere Strecke laufen. Das Verhalten der Polizei, die die Seitenstraßen auf der rechten Seite absperrte, während die Straßen links offen blieben, verstärkte diesen Eindruck. Einige Kleingruppen versuchten nun, die Sperren zu umlaufen und sich den Rechten auch auf der Alternativroute entgegenzustellen. Die Route der Nazis führte nun durch die Burggasse, eine Parallelstraße zur Mariahilfer. Durch diese Wegänderung konnten die Rassist*innen die ersten 20 Minuten ihre Hetze ungestört verbreiten. Ihr Demozug bestand aus einem Transparent („Es ist dein Land. Wehr dich!“) und vielen Fahnen.

Doch bereits auf Höhe Zieglergasse stellten sich Antifaschist*innen ihnen in den Weg. Weiter unten, an der Kreuzung Stiftgasse, gab es eine Sitzblockade. Hier zeigte sich, was für den Rest des Tages symptomatisch werden sollte. Die Polizei war überfordert, und glich dies mit härter werdender Gewalt aus: Wurden die ersten Blockierer*innen noch weggetragen, wurden sie später über den Asphalt geschleift, an die Wand gestellt und dort ihre Identität geprüft/festgenommen. Noch während der Räumung begann eine andere Polizeieinheit, die rechte Demo am Gehsteig an der Blockade vorbeizuschleusen.

Obwohl es insgesamt nur wenige dutzende Menschen zu bzw. in die Nähe der Burggase geschafft haben, wurde ein immer größeres Polizeiaufgebot dort zusammengezogen. Nur selten gelang es, auch nur in Hörweite der Identitären zu kommen. Dabei gab es die fast schon übliche Begleitmusik: Seitenstraßen wurde gesperrt, Antifaschist*innen unter dem Jubel der Rassist*innen gejagt, Pressearbeit behindert, viele Identitätsfeststellungen, Beleidigungen, etc.

 

Eskalation am Volkstheater

 

Währenddessen ging die angemeldete Antifa-Demo über ihre geplante Route zum Volkstheater. Dort kam sie unmittelbar vor den Rechten um ca. 14:30 an. Auf der Kreuzung davor,und damit auf der Route der Rechten, war eine größere Menschenmenge, auch eine kleinere Sitzblockade bildete sich. Die große Masse an Polizei befand sich hinter der Rassist*innendemo. Sie war ja mit den Kleingruppen beschäftigt. Diesen Fehler konnten sie nicht auf sich sitzen. Ohne Vorwarnung wurde die Kreuzung gestürmt, Schlagstöcke geschwungen und massiv Pfefferspray gesprüht.

Die Polizeipresse sollte dies später durch massive Angriffe auf Polizist*innen und einen versuchten gewalttätigen Angriff auf die Identitären rechtfertigen. Außerdem soll ein Polizeiwagen und ein Geschäft beschädigt worden sein. Diese Darstellung ist grob verzerrend: Vereinzelt wurde nach dem Angriff mit Kieselsteinen geworfen, ein Mensch benutze dafür eine Steinschleuder, vereinzelt wehrten sich Menschen mit Fahnenstangen gegen die Polizei. Hier sollte keineswegs Militanz schlecht geredet werden, es ist nur so, dass gestern praktisch ausschließlich ziviler Ungehorsam geübt wurde.

Auf der anderen Seite das Verhalten der Polizei: Sie drängten Antifaschist*inenn Richtung Ring zurück, benützte dabei Unmengen an Pfefferspray und verhaftete willkürlich Menschen. Dass dabei auch Passant*innen an diesen recht belebten Ort zu Schaden kam, interessierte sie nicht. Selbst in der U-Bahn-Station war das Gas noch zu riechen, eine Touri-Gruppe mit 5 Kindern bekam direkt eine Ladung Gas ab, ein Verhafteter beschwerte sich, dass er österreichischer Patriot ist, und mit der Demo nix zu tun habe, ein anderer kollabierte im Gefangenentranporter, Erste Hilfe wurde verweigert.

 

U-Bahn

 

Trotzdem verfehlte die Polizei ihr Ziel: das Gebiet rund um das Volkstheater großflächig zu räumen. Ca. 100 Menschen gelang es, in unmittelbarer Nähe der Neurechten zu bleiben. Es wurden laut antifaschistische Parolen skandiert.

Nach ca. 15 Minuten des Wartens begann die Polizei, den Rechten den Weg zur U-Bahn freizumachen. Wieder wurde geschubst und getreten, aber ein Ende des Spuks zeichnete sich ab, die Rassist*innen wurden unter Polizeischutz weggebracht. Obwohl die Wiener Linien die Station „Volkstheater“ sperrten, gab es auch dort antifaschistischen Protest.

Mensch könnte meinen, die Geschichte endet hier: Die Polizei prügelt einen Naziaufmarsch durch. Doch das Service des großen Bruders ging noch viel weiter: Da viele Rechte hungrig waren, und sie kollektiv echt österreichische Schnitzel essen wollten, stiegen sie bereits in der nächsten Station wieder aus und gingen zum nächsten Schnitzelwirt. Die Polizei begleitete sie,beschützte das Lokal und begleitete auch einzelne Nazis, nachdem sie satt waren, wieder zurück oder ihnen wurde Taxis bestellt.

 

Das vorläufige Ende

 

Antifaschist*innen bekamen dieses Service selbstverständlich nicht. Als der Aufenthaltsort der Neurechten bekannt wurde, setzte sich ein Spontandemo von den vorher Zurückgedrängten dorthin in Bewegung. Diese wurde jedoch knapp vor dem Rathaus von der Polizei, die nun auch Hunde einsetzten, gesprengt. Im Anschluss gab es regelrechte Jagdszenen auf potentielle Demonstrant*innen. Dabei ging die Polizei noch brutaler als beim Volkstheater vor. Zwei Frauen mussten danach ins Spital, eine mit doppelten Beinbruch. Es gab mehrere Verhaftungen. Jeder Versuch, antifaschistischen Protest nun zu artikulieren, wurde unterbunden. Dabei gab es Kesseln, das bekannte Nachrichten-Team von WienTV wurde kurzfristig festgesetzt, Bewohner*innen der Lenaugasse, wo sich der besagte Schnitzelwirt befand, durften nicht nach Hause, etc.

Die Polizist*innen hatten offensichtlich Spass. Sie grinsten, als sie zu dritt auf einen eh schon gefesselten Menschen knieten,beschimpften Festgenommene nach Lust und Lauen.

 

Fakten

 

Insgesamt gab es 34 Festnahmen, darunter mehrere Minderjährige. Laut OgR sind alle wieder frei, laut Polizei befindet sich eine Person weiterhin in Haft. Daneben gab es eine große Anzahl von Identitätsfeststellungen.

Mehrere Menschen wurden verletzt, dabei 2 so schwer, dass sie ins Krankenhaus mussten. Laut verschiedenen Gerpchten war auch eine Schwangere unter den Festgenommenen oder unter der Verletzten.

Die meisten Medien übernahmen die Polizeidarstellung kritiklos. Dabei wurde die entpolitisierende Darstellung vom Kampf linker gegen rechter Gruppen teils auch von der Politik übernommen. Diese ist großteils auf Tauschstation oder übt sich in Distanzieren, wie folgende 2 Tweets zeigen:

Spindelegger: Während draussen Rechts gg Links demonstr., wird hier gefeiert. D. ist d. Richtige f. Wien #stadtfest14 (Anm. Vizekanzler, ÖVP)

Harald Walser (Grüne): Entbläuung der Polizei gelingt eventuell, wenn sich die Linke von gewalttätigen Autonomen distanziert.

Einzig Steinhauser zeigte bisher seine Solidarität.

 

Fazit & Ausblick

 

Den Identitären ist ihre Provokation gelungen. Allerdings dürfte der gestrige Tag schwer an ihre Rebell*innen-Image gekratzt haben. Ohne die Hilfe ihres großen Bruders wäre sie ziemlich auf die Schnauze gefallen. Und wo sie vor kurzem „Toleranz wegbassen“ forderten, hörte sich das gestern so an: „Bitte mehr Toleranz für unser Anliegen“.

Aus antifaschistischer Sicht ist eine Schwache Mobilisierung zu beklagen. Diese wurde teilweise durch eine hohe Bereitschaft zum zivilen Ungehorsam wettgemacht. Allerdings gab es durch die massive Polizeigewalt auch sehr enge Grenzen. Insofern war die Blockade auf der Mariahilfer Straße, mehrere kleine Störaktionen auf der Burggasse sowie das vorzeitige Ende kurz vor dem Volkstheater schon sehr viel wert. Während der verschiedenen Aktionen gab es eine großartige Solidarität und gegenseitige Unterstützung.

Schon am 4.Juni gibt es die nächste rechte Großveranstaltung: Burschis planen ein „Fest der Freiheit“ inklusive Demo und Fest. Auch hier wird es wieder zu antifaschistischen Protesten kommen. Angesichts des Nichtverhalten von Politik und Zivilgesellschaft, von Verzerrungen von bürgerlichen Medien, und von massiver Polizeigewalt wird Solidarität über Gruppengrenzen wichtiger. Auch gestern zeigte sich, was trotz mieser gesellschaftlicher Verhältnisse möglich ist. Generell hat sich gestern gezeigt, dass der sogenannte antifaschistische Grundkonsens nur so lange zählt, so lange es keine Mühe kostet, ihn auszuüben. Er zählt nur so lange, so lange mensch sich damit schmücken kann.

 

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Anmerkungen

 

1Sie traten bei FPÖ-Wahlvernastaltungen, bei Totengedenken, bei Burschi-Veranstaltungen, bei Anti-Moschee-Demos etc. offen auf. Sie brauchten aber stets einen Vorwand.

2Damit soll keineswegs gesagt werden, dass diese Polizeigewalt angemessen war. Polizeigewalt ist nie angemessen. Es ist beispielsweise diese Polizei dieses Staates, die einen Antifaschischten seit Monaten unter fadenscheinigen Begründungen festhält:  

 

F R E E   J O S E F !

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