Aktion "Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch" in Erfurt
Weltweit nutzen Menschen den internationalen Tag für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen am 28.09., um ihre Forderungen nach sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung auf die Straße zu tragen. In Deutschland fanden in circa 35 Städten Demonstrationen, Lesungen, Diskussionsrunden und Infostände statt. Am 02.10. haben auch feministische Aktivistinnen aus Erfurt ihre Forderungen in den öffentlichen Raum getragen!
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche nach dem §218 StGB (Strafgesetzbuch) noch immer illegal, bleiben aber unter bestimmten Bedingungen [1] straffrei. Dies kriminalisiert und stigmatisiert ungewollt schwangere Personen und trägt dazu bei, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch weiterhin tabuisiert ist. Die Forderung nach der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hat nicht nur symbolischen Wert, denn die Kriminalisierung hat konkrete Auswirkungen darauf, ob sichere und niederschwellige Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs zur Verfügung stehen. Die Mitte der 90er Jahre novellierten Paragrafen 218 und 219 StGB gelten gemeinhin als alternativloser gesellschaftlicher Kompromiss, um mit dem Thema ungewollte Schwangerschaften umzugehen.
Dieser Kompromiss wird zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht eingelöst. Nach §13 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, welches die Strafrechtsparagrafen ausgestaltet, haben die Länder den Auftrag ein ausreichendes Angebot an Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche durchführen, sicherzustellen. Nach Angabe des Statistischen Bundesamtes gab es zwischen den Jahren 2003 und 2017 hinsichtlich der Anzahl von Einrichtungen, in den Abbrüche durchgeführt werden, einen Rückgang um 40 Prozent. Dies hat zur Folge, dass ungewollt schwangere Personen teilweise eine Tagesreise zurücklegen müssen, um einen Abbruch vornehmen lassen zu können. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung in Zukunft fortsetzen wird, da schon heute viele Ärztinnen und Ärzte weit über das Renteneintiegsalter hinaus Abbrüche durchführen, um die Versorgungslage in ihrer Region aufrechtzuerhalten.
Es können mehrere Gründe genannt werden, warum immer weniger Ärztinnen und Ärzte diese medizinische Leistung anbieten. Zum einen haben ältere Ärztinnen und Ärzte die großen gesellschaftlichen Debatten um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den 70er und 90er Jahren bewusster erlebt und wissen möglicherweise besser um die Notwendigkeit dieses gynäkologischen Eingriffs. Zentraler ist aber vermutlich die weiterhin bestehende Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie die Einschüchterung von Ärztinnen und Ärzten durch fundamentalistische Christinnen und Christen und anderen Gegnerinnen und Gegnern des Rechts auf reproduktive Selbstbestimmung. Durch den §218 befinden sich Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen, ohnehin in einem rechtlichen Graubereich. Durch den §219a, der das öffentliche informieren über Ablauf, Verfahren und Risiken eines Schwangerschaftsabbruchs unter Strafe stellt, wird die freie Berufsausübung weiter eingeschränkt. Gegnerinnen und Gegner des Rechts auf reproduktive Selbst-bestimmung nutzen diese rechtliche Regelung, um Ärztinnen und Ärzte anzuklagen und unter Druck zu setzen. Wir glauben daher nicht, dass ein ausreichendes Angebot an Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche durchführen, geschaffen werden kann, solange Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert werden!
Die Forderung nach Zugänglichkeit, Sicherheit und Legalität von Schwanger-schaftsabbrüchen ist ein wichtiges Element für die Ermöglichung sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung [2], welches unter anderem die Aktionen um den „safe abortion day“ am 28. September koordiniert, greift diese Forderung in ihrer Bündniserklärung auf. Weitere Forderungen, wie den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln sowie eine geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung, bieten darüber hinaus Anhaltspunkte, wie auf emanzipatorische Weise gesellschaftlich mit der Thematik ungewollter Schwangerschaften umgegangen werden kann:
sofortige Streichung des § 219a StGB und freien Zugang zu Information über Schwangerschaftsabbruch.
umfassende Information über und den kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln.
kostenfreie Vergabe der „Pille danach“ als Notfallverhütung.
uneingeschränkten Zugang zu legalem Schwangerschaftsabbruch und die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch.
Ausbildung in den Methoden des Schwangerschaftsabbruchs in den Studiengängen für Medizin.
geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung für alle.
umfassende rechtliche Anerkennung aller Formen des Zusammenlebens.
soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur für alle, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können.
Diese Forderungen unterstützen wir [3] und möchten sie im öffentlichen Raum sichtbar machen. Daher haben wir Drahtkleiderbügel mit den Forderungen und einer nieder-schwelligen Erklärung an zentralen Orten in der Erfurter Innenstadt angebracht. Drahtkleiderbügel sind eines der Symbole des Protestes gegen die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Sie würden früher und werden vereinzelt noch heute als Mittel der Selbstabtreibung verwendet. Sie machen auf erschreckende Weise deutlich, dass die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht dazu führt, dass es weniger Abbrüche gibt, sondern dass diese unter unsicheren Bedingungen durchgeführt werden.Ungewollte Schwangerschaften wird es immer geben. DieLegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Grundstein feministischer Emanzipation.
Daher: Abtreibungen raus aus dem Strafgesetzbuch! §§ 218 und 219 StGB abschaffen!
[1] Abbruch innerhalb der ersten 12 Wochen; Pflichtberatung in einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle; 3-tägige Bedenkzeit zwischen Beratung und Abbruch; Durchführung durch eine Ärztin oder einen Arzt
[2] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/buendniserklaerung/
[3] „Wir“ sind eine lose und namenlose Gruppe von Feministinnen aus Erfurt.