Provokateure am laufenden Band

<p>Der AfD-nahe Verein Zentrum hat den etablierten Gewerkschaften den Kampf angesagt</p>
<p>Sichtlich angespannt fährt Florian Hartmann vom Eingangstor auf das Betriebsgelände des VW-Werks in Zwickau. Dass zwei rechte Betriebsräte von unserem Pressetermin wissen, beunruhigt den Gewerkschaftssekretär. »Jetzt müssen wir vorsichtiger sein, dass uns nicht wieder etwas auf die Füße fällt«, erklärt Hartmann sein Unbehagen. Vor unserem Besuch hatten wir auch jene zwei Betriebsräte kontaktiert, um über die angespannte Lage im Betrieb zu sprechen. Uns haben sie nicht geantwortet, den Pressebesuch im Betriebsrat hingegen zum Thema gemacht.</p>
<p>Der Grund für Hartmanns Vorsicht: Es gab viel Wirbel um Formfehler bei der Betriebsratswahl 2022. Unter anderem hatten die beiden Betriebsräte vom Zentrum dagegen geklagt. Das Landesarbeitsgericht in Chemnitz erklärte die Wahl im Januar dieses Jahres für unwirksam. Gründe dafür: Es habe zu wenig Plätze für Wahlbeobachter gegeben. Außerdem war der Wahlvorstand bei der Feststellung des Ergebnisses nicht vollständig anwesend, was laut Gericht notwendig gewesen wäre.</p>
<p>Die Klage ist ein typisches Beispiel dafür, wie rechte Betriebsräte bei Volkswagen auf die Mitbestimmung einzuwirken versuchen. Zentrum ist als Verein organisiert und gibt sich als »alternative Gewerkschaft«. Doch das ist sie nicht. Dafür fehlt Zentrum unter anderem die Fähigkeit, Tarife auszuhandeln.</p>
<p>»Die Klage hat zu viel Unsicherheit in der Belegschaft geführt«, berichtet Hartmann. Die Mitarbeitenden seien an ihn herangetreten, in der Sorge, es gäbe deshalb bald keinen funktionierenden Betriebsrat mehr. Das ist jedoch nicht zu befürchten. Bis Neuwahlen durchgeführt werden, kann der Betriebsrat weiterarbeiten. Das betont auch Hartmann: »Die Betriebsratswahl ist nicht für nichtig erklärt worden«, sagt er, als wir die grauen Treppen zum Versammlungsraum der IG Metall hinauflaufen.</p>
<p>Um zu verstehen, wie Zentrum von der Unsicherheit in der Belegschaft profitieren will, muss man auf Björn Höcke beim AfD-Bundesparteitag 2019 zurückblicken. Damals sollte der Verein von der Unvereinbarkeitsliste gestrichen werden – jene Liste, mit der sich die AfD von extremistischen Organisationen abgrenzen will. Die Partei Freie Sachsen und die Identitäre Bewegung stehen genauso auf der Liste wie die Gruppierung »Zentrum Automobil«, die sich heute Zentrum und »Die alternative Gewerkschaft« nennt. Die Frage beim Parteitag lautete: Soll die AfD mit Zentrum kooperieren?</p>
<p>Die Meinungen gingen auseinander. Einige Mitglieder – unter ihnen Bundeschefin Alice Weidel – warnten vor dem Verein: In dem jetzt verbotenen Magazin »Compact« und beim Verein »Ein Prozent« – der laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextremistisch ist – warb Zentrum 2018 mit dem Slogan »Werde Betriebsrat«, um rechte Vertreter in den Betrieben zu platzieren. Das Argument der Kritiker auf dem Parteitag: Damit mache die AfD sich angreifbar.</p>
<p>Björn Höcke sah das anders. In seiner Rede kostete er den Zwischenbeifall sichtlich aus. »Politische Hegemonie fußt auf kultureller Hegemonie«, sagte er. »Kulturelle Hegemonie werden wir niemals über den parlamentarischen Weg erreichen. Wir brauchen das Vorfeld.« Wer mehr AfD wolle, so das Argument, der müsse die rechtsextreme Ideologie in alle Lebensbereiche einziehen lassen. Und damit auch dort, wo viele Menschen den Großteil ihres Lebens verbringen: auf der Arbeit. Eine klare Mehrheit stimmte anschließend dafür, Zentrum von der Unvereinbarkeitsliste zu streichen.</p>
<p>Seitdem kooperiert die AfD mit einem Verein, in dessen Vorstand sich Menschen aus der rechten bis rechtsextremen Szene tummeln. Zentrale Figur ist Oliver Hilburger, der bis 2008 in der Rechtsrock-Band »Noie Werte« Bass spielte. Beisitzer ist Frank Neufert, der 2022 im sächsischen Niederfrohna als Bürgermeisterkandidat für die rechtsextreme Partei Freie Sachsen antrat. Webmaster ist Thomas Scharfy; er hat in den neunziger Jahren die Kommunikation zwischen Neonazis über Mailboxen im sogenannten Thule-Netzwerk betreut.</p>
<p>Haben Rechte eine Chance bei traditionell eher linken Gewerkschaften? Die Autoritarismusforschung hält das für möglich. Andre Schmidt arbeitet für das Else-Frenkel-Brunswik-Institut in Leipzig. In seinem Beitrag für die Leipziger Autoritarismusstudie 2020 erkennt Schmidt ein hohes Potenzial rechter Kräfte in der Gewerkschaftsarbeit: Wer kein Vertrauen in die betriebliche Mitbestimmung und schlechte Erfahrungen damit gemacht habe, sei zunehmend enttäuscht von der Demokratie. Diesen Frust greift Zentrum auf und wirft den traditionellen Gewerkschaften vor, gegen die Interessen der Arbeitnehmer*innen zu arbeiten. Wer dagegen positive Erfahrungen bei der betrieblichen Mitbestimmung mache, zeige sich zufriedener mit der Demokratie und habe weniger häufig rechtsextreme Einstellungen.</p>
<p>Im Gespräch betont Schmidt die besondere Rolle Sachsens bei betrieblicher Mitbestimmung. Der Freistaat sei in Sachen Tarifbindung, Mitbestimmung und Löhnen weit hinten im deutschen Vergleich, so der Soziologe. Wenn nur wenige Erfolge bei der betrieblichen Mitbestimmung erzielt werden, sei das ein Nährboden für rechte Vereine. »Zentrum Automobil etablierte sich damals, indem es eine Kümmererrolle einnahm«, erklärt er. Es machte betriebliche Missstände sichtbar und füllte zum Beispiel Klopapierrollen auf, während die Betriebsräte den Managementebenen näher standen als der Belegschaft. »Dieses Vakuum füllte Zentrum.« In Zwickau ist der Verein seit 2017 mit der Liste Bündnis freie Betriebsräte (BfB) vertreten.</p>
<p>Christiane Wüstner sitzt in ihrer weißen Arbeitshose im Versammlungsraum der IG Metall in Zwickau und sieht das kritisch. Sie ist Lackiererin bei VW und seit rund zwölf Jahren Vertrauensperson bei der IG Metall. »Ich mag es nicht, wenn Leute nur meckern und sich aufregen, aber nichts verändern.« Ihrer Meinung nach gehe es bei Gewerkschaftsarbeit nicht darum, die individuellen Probleme der Mitarbeitenden zu beheben, sondern Strukturen zu schaffen, die es allen ermöglichen, in Eigenverantwortung etwas zu verändern. In ihrer Position will sie Vermittlerin zwischen Belegschaft und Betriebsrat sein. Dabei bekomme sie mit, was im Betrieb los ist, wie es den Menschen geht und was sie beschäftigt.</p>
<p>Und davon gibt es viel: Die Automobilbranche spürt die wirtschaftliche Krise im Land deutlich, täglich werden auch im Zwickauer VW-Werk Mitarbeitende gekündigt. Dass das einen guten Nährboden für die Themen von Zentrum bietet, sei allen bewusst. Aber Wüstner zeigt sich unbeeindruckt. Sie streicht sich ihre braunen, aus dem Zopf herausgefallenen Haarsträhnen hinter die Ohren. »Auffallen tut das BfB im Betrieb nicht wirklich«, meint sie achselzuckend.</p>
<p>Blickt man auf die Zahl von Zentrums-Betriebsräten in Deutschland, überrascht die Aussage nicht. Zwar erzielte der Verein an einzelnen Standorten wie bei Daimler in Stuttgart Achtungserfolge, konnte bei der letzten allgemeinen Betriebsratswahl 2022 aber keine Sitze hinzugewinnen. In der Automobilbranche stellt Zentrum nur etwa zwei Dutzend von mehreren zehntausenden Betriebsräten. In Zwickau verlor der Verein im Vergleich zu 2018 deutlich an Stimmen.</p>
<p>Inzwischen versucht Zentrum auch, in anderen Branchen Fuß zu fassen: Während der Corona-Pandemie nahmen Mitglieder an Demonstrationen gegen Impfpflicht in der Pflege teil und sind seitdem unter »Zentrum Gesundheit und Soziales« in Krankenhäusern und der Pflegebranche aktiv. Außerdem kündigte Zentrum im Februar auf dem Messengerdienst Telegram an, in die Chemiebranche gehen zu wollen.</p>
<p>Doch auch wenige Sitze könnten es mit den »SPD-Gewerkschaften« aufnehmen, wie sie Björn Höcke auf seinem Telegramkanal nennt. Er will die mächtigen Parteien auf allen Ebenen bekämpfen. Die Aufgabe von Zentrum ist es demnach, auf die betriebliche Gewerkschaftskultur einzuwirken. Das sei der inhaltliche Kern der Arbeit des Vereins, erklärt Andre Schmidt vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut »Am Ende des Tages zielt Zentrum darauf ab, Gewerkschaftsarbeit kaputtzumachen.«</p>
<p>In Zwickau sitzen Jörg Reichenbach und Lars Bochmann für das BfB im Betriebsrat. Bochmann war AfD-Stadtrat in Aue, Reichenbach AfD-Parteivorstand in Zwickau mit Nähe zur Partei Freie Sachsen. Auf den Telegramkanal von Zentrum haben sie ein Bild gestellt, das sie im Herbst 2023 bei einem Besuch bei der sächsischen AfD-Fraktion zeigt. Zentrum freue sich über die parlamentarische Unterstützung und sehe sich durch die AfD gut vertreten, heißt es in dem Post.</p>
<p>Mit inhaltlicher Betriebsratsarbeit ist Zentrum bislang noch nicht aufgefallen. Auch ein Blick auf die Webseite gibt keinen Aufschluss darüber, für welche konkreten Verbesserungen der Arbeitnehmer*innenschaft sich der Verein einsetzt. Stattdessen finden sich Beiträge, die bundespolitische Entwicklungen kommentieren. Auch Vertrauensfrau Christiane Wüstner ist skeptisch: »Ich erinnere mich nur an ein einziges Mal, bei dem Lars Bochmann auf einer Betriebsversammlung das Wort ergriffen hat.«</p>
<p>Zentrum bevorzuge stattdessen den Weg vors Gericht, meint der Geschäftsführer der IG Metall in Zwickau, Thomas Knabel. »Sie klagen permanent gegen Formalitäten.« Die Strategie ziele darauf ab, die Integrität der IG Metall kaputtzumachen, erklärt er. In Leipzig berichtet Jens Köhler, Betriebsratsvorsitzender bei BMW, ebenfalls von zahlreichen Klagen.</p>
<p>Auch in Zukunft dürfte Zentrum umtriebig bleiben. Im Dezember kündigte der Verein auf dem Telegramkanal die Gründung einer Regionalgruppe Ost an. Den Aufwind der AfD will Zentrum offenbar für die Vernetzung und Rekrutierung in Betrieben nutzen.</p>
<p>Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Chemnitz zur Betriebsratswahl bei VW geht die IG Metall in Berufung. Jetzt wird das Bundesarbeitsgericht in Erfurt über den Fall entscheiden.</p>
<p>Mit inhaltlicher Arbeit ist Zentrum bislang noch nicht aufgefallen. Auch ein Blick auf die Webseite gibt keinen Aufschluss darüber, für welche Verbesserungen in den Betrieben sich der Verein einsetzt.</p>

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Autor/Gruppe: 
Thomas Degkwitz und Hannah Jagemast - ND
feed-date: 
Donnerstag, Juli 18, 2024 - 22:24