Deutsche Streumunition in die Ukraine

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Obwohl die Bundesregierung das Oslo-Abkommen gegen Streumunition unterzeichnet hat, liefert sie Raketen an die ukrainische Armee, die mit Panzerminen gefüllt sind, die mit ihren Fallschirmen vom Wind über dichtbesiedelte Wohngebiete getrieben werden können. (Untersuchungsbericht)

Es gibt zwei wichtige Abkommen, die Zivilist:innen im Krieg schützen sollen:
Ottawa – gegen Personenminen
Oslo – gegen Streumunition.

 

Deutschland ist beiden beigetreten. Diese Untersuchung überprüft, ob es das Oslo-Abkommen einhält oder nicht.

 

Die Bundesregierung hat veröffentlicht, dass sie der Ukraine Panzerminen AT2 DM1399 liefert:
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine/lieferungen-ukraine-2054514
Bei der ersten Lieferung wurde nichts über die Form gesagt und das für die Exportkontrolle zuständige BAFA weigerte sich mehrfach, dazu Auskunft zu geben (zuletzt Mail 14.6.23).
Bei der im November 2023 angekündigten zweiten wurde klar, dass Raketen geliefert werden, in denen die Panzerminen enthalten sind:
https://www.bmvg.de/de/aktuelles/neues-400-millionen-euro-paket-fuer-ukrainische-streitkraefte-5679858

 

Genauer gesagt, stößt jede Rakete bis zu 28 Minen aus, die mit Fallschirmen zu Boden schweben und dort durch Berührung einer Antenne oder einen Magnetzünder (der auch auf zivile Pkws reagiert) zur Explosion gebracht werden:
https://www.globaldefensecorp.com/2022/09/26/germany-delivers-at-2-anti-tank-mines-to-ukraine/

 

Das Oslo-Abkommen definiert Streumunition in Artikel 2, Absatz 2 folgendermaßen:
https://www.clusterconvention.org/files/convention_text/Convention-ENG.pdf#page=2

2.bezeichnet „Streumunition“ konventionelle Munition, die dazu bestimmt
ist,explosiveSubmunitionenmitjeweilswenigerals20Kilogramm
Gewicht zu verstreuen oder freizugeben,undschließtdieseexplosiven
Submunitionenein.

Streumunition“bezeichnet nicht
a)MunitionoderSubmunition,diedazu bestimmt ist, Täuschkörper,
Rauch,pyrotechnischeMitteloderDüppelfreizusetzenbeziehungsweiseauszustoßen,

oderMunition,dieausschließlichfürFlugabwehrzwecke bestimmt ist;

b)MunitionoderSubmunition,diedazubestimmtist,elektrische
oder elektronische Wirkungen zuerzeugen;

c) Munition, die zur Vermeidung von unterschiedslosen Flächenwir-
kungen und von Gefahren, die von nicht zur Wirkung gelangter Sub-
munition ausgehen, alle nachstehenden Merkmale aufweist:

i) jede Munition enthält weniger als zehn explosive Submuni-
tionen,
ii) jede explosive Submunition wiegt mehr als vier Kilogramm,
iii) jede explosive Submunition ist dazu bestimmt, ein einzelnes
Zielobjekt zu erfassen und zu bekämpfen,
iv) jede explosive Submunition ist mit einem elektronischen
Selbstzerstörungsmechanismus ausgestattet,
v) jede explosive Submunition ist mit einer elektronischen
Selbstdeaktivierungseigenschaft ausgestattet;

 

(Hervorhebungen und Einrückungen von mir, Übersetzung laut Bundesgesetzblatt)

Damit eine Munition nicht als Streumunition gilt, müssen alle Bedingungen von c) erfüllt sein.
Das ist bei den Raketen mit AT2 zumindest für i) und ii) nicht der Fall, jede Rakete enthält 28 Panzerminen (=mehr als 10):
https://www.globaldefensecorp.com/2022/09/26/germany-delivers-at-2-anti-tank-mines-to-ukraine/ ,
die Panzerminen wiegen je 2,22 kg (weniger als 4) und sind keine Punktzielmunition, weil der Wind sie weitertreibt:
https://de.wikipedia.org/wiki/AT2_(Panzerabwehrmine) .

Daneben legt das Abkommen fest, "Dieses Übereinkommen findet keine Anwendung auf Minen." (Artikel 1, Absatz 3).

 

Allerdings haben wir es hier nicht mit einzelnen Panzerminen zu tun, sondern mit Raketen, die mit Panzerminen gefüllt sind.

 

Der für die Genehmigung verantwortliche Staatssekretär im BMWK, Sven Giegold, argumentiert dazu (Mail 27.11.23):
“Auch Raketen als Verbringungsmittel von AT-2 Panzerabwehrminen fallen nicht unter das Oslo-Übereinkommen, und zwar auch dann nicht, wenn bis zu 28 AT-2 Panzerabwehrminen mit einer Rakete ausgebracht werden. Denn der Ausschluss des Art. 1 Abs. 3 des Oslo-Übereinkommens ist umfassend zu verstehen und bezieht sich ausweislich der Verhandlungsgeschichte nicht nur auf Minen an sich, sondern auch auf Munition, die Minen als Submunition enthält.”
‘Leider’ findet sich in den Verhandlungsprotokollen, soweit sie öffentlich sind, kein Hinweis auf diese ‘weitläufige Interpretation’:
https://www.streubomben.de/oslo-abkommen-verbot-streumunition/der-oslo-prozess/ ,
auch nicht im Vorschlag der deutschen Delegation in Wellington, 19. Februar 2008
https://www.streubomben.de/fileadmin/redaktion/Archiv/Landmine.de/pdf/wellington_dtl_definitionspaper_190208_01.pdf

 

Die Argumentation des Staatssekretärs mag bis 2011 noch zugetroffen haben, als die Minen mit dem Minenwerfer Skorpion einzeln aus Magazinen verschossen wurden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minenwurfsystem_Skorpion , Foto am Ende

Das gilt aber nicht mehr, seit sie mit dem Raketenwerfer MARS(II) in M26-Raketen eingesetzt werden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Multiple_Launch_Rocket_System

Damit erfüllen die Raketen als Ganzes die Bedingungen für Streumunition und die AT2 sind ihre Submunition.

 

Wer aus Schrauben, Unkraut-Ex, Knallkörpern und einem leeren Feuerlöscher eine Bombe zu bauen versucht, macht sich strafbar, obwohl alle Einzelteile legal erhältlich sind.
Wer Raketen mit Panzerminen als Submunition füllt, schafft damit Streumunition, auch wenn die Panzerminen einzeln zugelassen sind.

 

(Dabei wird ganz ausgeklammert, dass Italien die AT2 abgeschafft hat, weil Versuche dort ergeben haben, dass sie von Personen ausgelöst werden können, also auch gegen das Ottawa-Abkommen verstoßen:
https://military-history.fandom.com/wiki/AT2_mine ,
siehe auch Handicap International, Faktenblatt Landminen November 2023:
https://www.handicap-international.ch/sn_uploads/document/2023.11.14---Landmine-Monitor-2023_CP_DE.pdf , Seite 11

“Antifahrzeug-Minen dürfen weiter produziert werden. Diese können aber auch von zivilen Fahrzeugen und z. T. auch direkt von Personen ausgelöst werden. “)

 

Die Berichte über Landungen in Wohngebieten und zivile Opfer sind für mich nicht überprüfbar. Die ukrainische Armee pflegt dazu zu erklären, es handele sich um Montagen mit vom Schlachtfeld hertransportierten Einzelteilen. Trotzdem ist das Szenario wegen der Konstruktion und Einsatzform der Raketen plausibel. Das Oslo-Abkommen wurde ja gerade geschlossen, weil Streumunition überwiegen Zivilist:innen trifft (Vorsicht, teilweise verstörende Fotos):
https://www.donbass-insider.com/2023/03/29/ukrainian-army-kills-three-civilians-and-wounds-four-others-in-donetsk-with-western-weapons/

 

 

 

Ergebnis: Die Bundesregierung unterläuft mehrfach das Oslo-Abkommen, obwohl es gültiges deutsches Recht ist.
https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl209s0502.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl209s0502.pdf%27%5D__1692720475834

 

 

 

 

Bewertung:

 

Die Haltung des (in Umweltfragen recht effektiven) Staatssekretärs überrascht wenig, wenn man die Angleichung der Militär’strategie’ der Grünen an die der CDU in den letzten Jahren verfolgt. Allerdings muss man von allen guten Geistern und jeglicher Moral verlassen sein, um die Lieferung von Raketen zu genehmigen, die Panzerminen mit Fallschirmen in der Nähe dicht besiedelter Gebiete abwerfen. Dann noch von “wertegeleiteter Rüstungsexportpolitik” zu sprechen https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/12/20231220-bundesregierung-legt-rustungsexportbericht-fur-das-jahr-2022-vor.html , ist eine Unverfrorenheit.
Ähnliches gilt für die Beamt:innen des BAFA, das ‘Verteidigungs’ministerium und die Bundestagsabgeordneten, die das schweigend billigen (wie vorher den Afghanistan-Krieg).

Dass die zuständigen Einrichtungen UNODA https://disarmament.unoda.org/conventional-arms/ und Cluster Convention Implementation Support Unit https://www.clusterconvention.org/implementation-support-unit/ auf je drei Anzeigen nicht mal mit einer Eingangsbestätigung reagiert haben, lässt Zweifel an der Effektivität mancher UNO-Institutionen aufkommen.

 

Für die NGOs, die sich jahrelang gegen Streumunition eingesetzt haben, bedeutet der Übergang von Minenwerfern zu Streumunitionsraketen, dass ihre ‘Verhandlungspartner’ immer nach technologischen Veränderungen und anderen Wegen suchen werden, sie auszutricksen.

Wenn sie das stillschweigend hinnehmen, wird es in zukünftigen Kriegen Schule machen.

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