Die Rigaer, Anis Amri, das LKA und dessen fanatischer Hass auf Linke

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Neue Recherchen „Der Zeit“ ergeben ein klares Bild der Arbeitsweise des Berliner LKA im Kampf gegen „Linke Strukturen“, ihrer Fokussierung auf die Rigaer94 und deren Umfeld. Der Artikel beschreibt, wie vom späteren Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri, 2016 abgelassen wurde um sich vollends auf Menschen zu fokussieren die dem Umfeld der Rigaer94 zugerechnet werden. Dabei federführend, dass Polizistenpärchen welches im Dezember 2017 durch die Verschickung von Drohbriefen an Linke, von sich Reden machte. Der Artikel ist der Online Ausgabe „Der Zeit“ vom 05.06. entnommen und ist nur mit digitalen Abo lesbar.

 

Verhängnisvolle Fehleinschätzung

Ein ehemaliger verdeckter Ermittler versendet Drohbriefe an linke Aktivisten. Seine Freundin, auch Polizistin, geht gegen diese Linken vor. Was das alles mit dem Terroranschlag von Anis Amri am Breitscheidplatz zu tun hat? Eine irritierende Geschichte aus der Berliner Polizei Von Christian Fuchs

Polizeikommissar Sebastian K. war nie ein Freund der Linken, aber vor einem Jahr ging seine Abneigung so weit, dass er sogar zum Täter wurde. Beamte einer internen Aufklärungseinheit für Polizeiverbrechen waren ihm auf die Schliche gekommen und standen Mitte Juni 2018 vor seiner Berliner Wohnungstür. Er soll Briefe geschrieben und versendet haben, in denen Monate zuvor zahlreichen Personen aus der linken Hausbesetzerszene um die Rigaer Straße in Berlin gedroht worden war, sensible Daten unter anderem an rechtsextreme Kreise weiterzuleiten. Was K.s Kollegen bei der Durchsuchung entdeckten, bestätigte ihren Verdacht: Auf einem mit Klebeband umwickelten USB-Stick fand sich eine Datei mit dem Namen "Nervensägen". In dem PowerPoint-Dokument hatte der Polizist Fotos aus dem Datensystem der Polizei von genau den Linken gespeichert, die bedroht worden waren.

Auch die Freundin des verurteilten Polizisten hat ein Spezialgebiet: Die Linken

Schon lange schien Sebastian K. die Wohnorte, Spitznamen, Urlaubsrouten, Passfotos und weitere sensible Daten ("Bullenspitzel", "hat nen Hund und Hepatitis") aus der linken Szene gesammelt zu haben. Über einen Laserdrucker seiner Dienststelle bei der Bereitschaftspolizei druckte er diese Informationen in einer Mittagspause aus und versandte sie an die "Anarchistische Bibliothek Kalabalik" sowie die Besetzer des Hauses in der Rigaer Straße 94. Damit wollte er seine Kollegen rächen, die kurz zuvor auf der linken Plattform Indymedia von Linksradikalen mit Fotos und Adressen an den Pranger gestellt wurden, sagte K. bei der Vernehmung; es sei eine "Kurzschlussreaktion" gewesen. Doch die Wut des Polizeikommissars auf linke Störenfriede hatte möglicherweise noch andere Gründe. Bis ins Jahr 2010 war er als "verdeckter Ermittler in der linken Szene" eingesetzt und wurde dort "enttarnt", heißt es in einer Akte vom Amtsgericht Tiergarten, die der ZEIT vorliegt. Später arbeitete K. als Auswerter in der Abteilung Linksextremismus beim Staatsschutz in der Hauptstadt. Zu diesem und weiteren Aspekten des Falles wollte sich Sebastian K. gegenüber der ZEIT nicht äußern.

Mittlerweile ist K. verurteilt, einen Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das Berliner Datenschutzgesetz hat er akzeptiert. Das interne Disziplinarverfahren gegen ihn ist noch nicht abgeschlossen, wie aus einer schriftlichen Anfrage der Linkspartei an den Berliner Senat hervorgeht. Nach der Verurteilung wurden K.s Zugriffsrechte für das Polizei-Datensystem massiv eingeschränkt, und der einstige Undercover-Spezialist wurde in ein anderes Revier gewissermaßen strafversetzt. Überraschenderweise soll er heute in dem Gebietsabschnitt in Friedrichshain eingesetzt sein, in dem die meisten seiner Drohbrief-Opfer leben. Über den Verdacht, Polizisten könnten hinter den Drohbriefen stecken, hatte die ZEIT bereits vor über einem Jahr berichtet (Nr. 21/18). Im Mittelpunkt stand dabei ein neunseitiger Brief, der 2017 an linke Einrichtungen in Berlin verschickt wurde und in dem damit gedroht wurde, Informationen wie Namen, Adressen, Spitznamen und Hobbys von insgesamt 42 Personen auch an rechtsextreme Organisationen zu schicken.

Zwischenzeitlich war auch K.s Lebensgefährtin Zarah P. ins Visier der Ermittler geraten. Die 27-jährige Kriminalkommissarin arbeitet beim Landeskriminalamt (LKA) in Berlin in der Auswerteeinheit des Staatsschutzes und ist dort für "politisch motivierte linke Kriminalität" zuständig. In ihrer Funktion kann sie auf viele Informationen aus der linken Szene zugreifen. Die Ermittlungen ergaben, dass die Freundin von K. kurz vor dem Versand der Drohbriefe im Polizeisystem nach Daten gesucht hatte, die später auch in diesen Briefen auftauchten. Außerdem war sie im LKA für mehrere Personen zuständig, die in den Briefen bedroht wurden. Ihre Kollegen aus der Abteilung "Polizeidelikte", die gegen ihren Partner ermittelten, sahen jedoch "keinen belastbaren Tatverdacht" gegen P. – weil sie die Informationen aus der Datenbank auch zu dienstlichen Zwecken abgefragt haben könnte.

Neue Recherchen der ZEIT zeigen nun, dass Zarah P. in einen weit heikleren Vorgang involviert zu sein scheint, als bisher bekannt war: in den Fall Anis Amri. Und dabei steht eine brisante Frage im Raum: Hat die Berliner Polizei linke Hausbesetzer möglicherweise wichtiger genommen als den Gefährder Amri, der den größten islamistischen Terroranschlag in der deutschen Geschichte verübt hat? Der islamistische Terrorist Anis Amri war im Dezember 2016 mit einem Sattelschlepper, dessen Fahrer er kurz zuvor ermordet hatte, in den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast – elf Menschen starben. Später bekannte sich der "Islamische Staat" (IS) zu dem Anschlag. Vor der Tat hatte die Berliner Polizei Anis Amri überwacht. Beamte einer Observationseinheit des LKA folgten dem Tunesier über fünf Monate in eine vom Verfassungsschutz beobachtete radikale Berliner Moschee, in der U-Bahn und zu Drogengeschäften in den Otto-Park in Moabit. Sie wussten, dass Anis Amri Komplizen für einen islamistischen Anschlag suchte und dass er "beabsichtigte, sich mit Schnellfeuergewehren des Typs AK47 zu bewaffnen". Das steht in einer Observationsanmeldung der Berliner Polizei vom Juni des Jahres 2016, die der ZEIT vorliegt.

Das Interessante an dem vertraulichen Dokument aus dem LKA ist, dass es das letzte Mal war, dass die für die Beobachtung krimineller Personen zuständige Abteilung Amri als Gefahr einstufte. Im Amri-Observationsberichts vom 15. Juni 2016 heißt es: "Er begab sich zur Sophie-Charlotten-Straße in 14059 Berlin, wo er gegen 23:01 Uhr die Seituna-Moschee betrat. Die Maßnahmen wurden gegen 23:01 Uhr beendet." Mit diesen Worten endete die Observation des damals gefährlichsten Berliners plötzlich – trotz Terrorverdachts und seiner Kontakte zu radikalen Moscheen und trotz seiner Suche nach Kalaschnikows. Nur ein halbes Jahr später wurde Anis Amri zum Attentäter.

Wie konnte das passieren? Dazu muss man die Arbeitsweise des Landeskriminalamts verstehen. Im LKA 5 sind sämtliche Beamten zusammengezogen, die politische Straftaten aufklären sollen. Sie jagen kriminelle Ausländer, Islamisten, Linksextreme und Rechtsextreme. Jeden Mittwoch treffen sich die Leiter der Unterabteilungen und beraten, welche Personen überwacht werden sollen. Da es in der Regel mehr Gefährder als Leute gibt, die tatsächlich beschattet werden können, werden in diesen "Morgenrunden" Priorisierungen festgelegt: Welche auffälligen Personen sind besonders gefährlich? Wer sollte an welchen Tagen mit wie vielen Beamten überwacht werden

Haben sie sich auf linke Demonstranten statt auf Amri konzentriert?

Es ist eine Art Marktplatz – denn jeder Dezernatsleiter hätte gern die Erkenntnisse aus Überwachungen von Gefährdern. Observationen sind jedoch sehr aufwendig, teuer und personalintensiv. Oft müssen die Verfolger wechseln, um nicht aufzufliegen. Zum Beispiel bei Autofahrten müssen stets mehrere zivile Polizeiwagen im Einsatz sein. Es gibt gewerkschaftlich festgeschriebene Arbeitszeiten für Polizisten, an die sich Gangster eher nicht halten. Mehr als zwei bis drei politische Gefährder kann die Polizei in Berlin deshalb nie parallel beschatten. Darum wird in den Mittwochsrunden abgewogen, wie schwer das zu erwartende Delikt sein wird und ob eine akute Gefahr von bestimmten Personen ausgeht. Am Ende entsteht eine Liste mit drei bis vier Namen, die wie Musikcharts in einer Rangfolge geordnet sind. Wer oben steht, muss beobachtet werden. Wer weiter unten steht, wird nur überwacht, wenn noch Zeit ist. Im Juni 2016 rutscht Anis Amri in der Priorisierungsliste des LKA ab. Offizieller Grund: Er handele jetzt mit Drogen, verhalte sich "unislamisch", und es gebe "keinen verdachtsbegründenden Anhaltspunkt" mehr.

Unsere Recherchen zeigen nun, dass noch ein anderer Grund ausschlaggebend gewesen sein könnte: Die Beschatter wurden von Anis Amri abgezogen, um sie auf zwei Personen der linken Szene aus dem Umfeld des besetzten Hauses in der Rigaer Straße 94 anzusetzen. Plötzlich waren zwei Linksautonome das wichtigste Observationsziel der Berliner Polizei. Vorbereitet hatte diese Entscheidung auch Zarah P., die Lebensgefährtin des verurteilten "Linken-Jägers" Sebastian K. Als Mitglied der Auswerteeinheit 3 der Linksextremismus-Abteilung der Polizei hatte sie Fakten gesammelt und bewertet, die die Gefährlichkeit der linken mutmaßlich Kriminellen untermauern sollten. Auch auf Grundlage dieser Informationen entschied das LKA im Juni 2016, nicht mehr Anis Amri zu verfolgen, sondern zwei Männer aus der linken Hausbesetzerszene. Mit beiden hat die ZEIT mehrere Gespräche geführt. Es sind zwei der Personen, die Z.s Lebenspartner Sebastian K. ein Jahr später mit den Drohbriefen erpressen wollte.

Der Verdacht: Haben sich Ermittler auf linke Demonstranten statt auf Amri konzentriert?

Um die Überwachung juristisch zu rechtfertigen, beriefen sich die Staatsschutz-Beamten auf das Berliner Polizeigesetz und nicht auf das Strafrecht. Eine Observation ist ein tiefgehender Eingriff in die Privatsphäre. Darum erlauben Richter dieses Mittel meist nur bei den großen Bedrohungen, beispielsweise wenn bei politisch Straffälligen der Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung vorliegt. Solche schwerwiegenden Pläne konnten den Linken nicht nachgewiesen werden. Darum wurde gegen sie eine sogenannte ASOG-Anordnung erlassen – eine Verfolgung nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz des Landes Berlin. Bei diesen Verfahren kann die Polizeiführung selbst entscheiden, ob überwacht wird oder nicht. Die Polizei muss keinen Richter um Erlaubnis fragen, sie muss als Begründung nur eine "vorzeitige Gefahrenabwehr" angeben. Es gibt keine unabhängige Kontrollinstanz mehr, die prüft, ob die von der Polizei eingesetzten Mittel wirklich angemessen sind.

Während Amri im Sommer 2016 also plötzlich ohne polizeiliche Beobachtung in Ruhe seinen Anschlag vorbereiten konnte, wurden die Linken Ziel einer "gefahrenabwehrenden Observation". Der ZEIT liegen Ausschnitte der Protokolle dieser Überwachung vor. Im Juli 2016 etwa schreibt ein Ermittler in Zivil, dass die Linken im Volkspark Hasenheide auf einer Wiese saßen und sich unterhielten. Notiert wird auch, dass ihre Freunde an Gepäckträgern ihrer Fahrräder "hantierten". Was genau sie da machten, konnte der Polizist aber nicht erkennen. Krimineller Höhepunkt der wochenlangen Observation: Es könnte sein, dass Personen aus dem Umfeld der beiden linken Gefährder an "Straftaten im Rahmen einer Fahrraddemonstration" beteiligt gewesen sind. Beweisen könne man dies aber nicht.

Nur drei Wochen nach der Entscheidung, die Hausbesetzer ins Visier zu nehmen, fand ein Polizeieinsatz in dem Haus in der Rigaer Straße 94, einem Zentrum der linken Berliner Szene, statt, die später als rechtswidrig eingestuft wurde. Anscheinend diente die Überwachung der beiden Männer aus dem Umfeld des besetzten Hauses auch zur Vorbereitung dieser Teilräumung. Möglicherweise passte dies auch in die politische Stimmung: Zu dieser Zeit bewegte sich der Landtagswahlkampf in Berlin seinem Höhepunkt entgegen. Der damalige Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) versuchte 2016, mit dem Thema Innere Sicherheit und einem harten Vorgehen gegen Linksradikale Stimmen zu sammeln. Weder das Polizeipräsidium Berlin noch der Berliner Senat möchten sich auf Anfrage zu diesem Thema äußern.

Erstmals hatte die taz über Gerüchte berichtet, dass 2016 die Fokussierung der Berliner Polizei auf die linke Szene zu Fehlern im Fall Amri geführt haben könnte. Die nun vorliegenden Dokumente bestätigen diesen Verdacht. Die ZEIT bat die Berliner Polizei um eine Stellungnahme zu den Ergebnissen dieser Recherche. Bis Redaktionsschluss gab es keine Antwort.

 

 

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Ergänzungen

sebastian k. ist sebastian kayser

zarah p. ist sarah pulver

zu den Konstrukten des LKA's - gegen das Umfeld der Rigaer Straße - "linke Gefährder", ASOG und das LKA findet ihr auf dem Blog:

https://gefaehrlich.noblogs.org/

dort findet ihr auch eine Umfangreiche Broschüre mit Chronik und Erklärungen:

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