Which side are you on? - Statement zur Absage der NEA beim »taz«-Podium zu Aktionsformen
Am 6. April 2019 findet das alljährliche »taz lab« in Berlin statt. Unter dem Titel »Europa – Heimat, Sehnsucht, Nachbarschaft« versammelt die »taz« verschiedene Veranstaltungen, von denen viele den gesellschaftlichen Rechtsruck zum Thema haben. Vor mehreren Monaten erhielten wir, die North East Antifa (NEA) die Anfrage, ob wir als Antifa-Aktivist*innen an einer Podiumsdiskussion zu Formen und Notwendigkeit verschiedener Protestformen teilnehmen wollen. Unsere Zusage für das Podium mit dem Titel »Latschdemo versus Direct Action – Brauchen wir neue Formen des Protests?« haben wir Anfang März zurückgezogen. Gründe dafür sind zum Einen die Besetzung des Podiums, als auch die Art, wie in den letzten Monaten in der »taz« einmal mehr über die Gewaltfrage debattiert wurde.
Strategiediskussion? Ja, aber nicht mit Cops!
Wir wussten von Lisa Fithian, die in den USA Direct Action-Workshops gibt und einer Hambacher Forst-Aktivist*in als weitere Podiumsteilnehmer*innen. Weitere Gäste sollten folgen, darunter auch jemand, die*der eine konträre Position zum Thema politische Militanz vertritt. Soweit klang die Veranstaltung zunächst nach einem Aktivist*innendialog, wie wir ihn in ähnlicher Form schon gemacht haben. Ende Februar wurde uns mitgeteilt, dass die Person, welche die konträre Position vertreten würde, keineswegs aus einer bürgerlich-linksliberalen NGO oder aus einer (radikal-)pazifistischen Richtung kommt, sondern dass wir zusammen mit Oliver von Dobrowolski auf dem Podium sitzen würden. Dobrowolski ist Vorsitzender von »Polizei Grün e.V.«, einem Verein der den Grünen nahesteht und eine ähnliche Ausrichtung vertritt wie der »Verein Kritische Polizisten«. Oliver von Dobrowolski wurde durch seine Kritik am Vorgehen der Polizei während der G20-Proteste in der Presse häufig zitiert und tritt gegen rechte Tendenzen in der Polizei ein. Das ist innerhalb dieser Strukturen sinnvoll und wichtig, ändert aber nichts an der Tatsache, dass er Teil eines Appartes ist, der unsere politische Arbeit bekämpft.
Wir würden uns niemals mit Polizist*innen oder anderen Staatsschützer*innen auf eine Bühne begeben, erst recht nicht um mit ihnen entspannt über Aktionsformen zu plaudern. Dabei geht es nicht nur um den Schutz unserer Leuten die dort reden, sondern auch darum, dass es mit den Cops einfach keine Diskussionsgrundlage gibt. Denn die Institution Polizei ist Hüterin dieses Staates und neben dem Verfassungsschutz das wichtigste Organ der Aufstands- und Organisierungsbekämpfung. Sie ist es, die Abschiebungen und Zwangsräumungen durchführt und die auf der anderen Seite des Vernehmungstisches sitzt. Verfolgung ohnehin gesellschaftlich Ausgeschlossener, Einschüchterung und Repression sowie (körperliche) Gewalt sind Teil ihrer regulären Aufgaben. Insofern kommt für Aktivist*innen, die eine befreite Gesellschaft anstreben, eine Diskussion über politische Strategien mit ihren Vertreter*innen – selbst wenn sie ihrer eigenen Zunft gegenüber kritisch sein mögen – grundsätzlich nicht in Frage.
Auf der Redner*innenliste des »taz lab« wird Dobrowolski derzeit noch geführt (1), ist als Teilnehmer*in des Podiums aber schon nicht mehr angegeben. (2) Stattdessen wird Berlins Polizeipressesprecher Thilo Cablitz, angekündigt. Über Cablitz heißt es in der Ankündigung:»Nach seinem Studium für den gehobenen Polizeivollzugsdienst, das er 2001 begonnen hat, arbeitete unter anderem in der Alarmhunderschaft sowie als Zivilfahnder.« (3).
Wir hätten auf dem Podium aus der Perspektive einer Antifa-Gruppe gesprochen. Auf einer Veranstaltung zum Thema Politische Gewalt keine Aussagen zu treffen, die in Folge durch die Repressionsorgane gegen uns verwendet werden könnten – beispielsweise als »Aufruf zu Straftaten« oder »Billigung von Straftaten« – ist ohnehin schon schwer. Da hilft unseren Aktivist*innen auch das Sprechen in der dritten Person nicht viel, wenn der Dienstherr den Podiums-Polizist über Infos zu den Referent*innen befragt. Da genau solch eine Podiumsbesetzung fast magnetisch auf rechtes Troll-Volk wirkt, wäre auch ein Shitstorm durch rechte Socialmedia-Bubbles nicht auszuschließen gewesen, der darauf abzielt bei der Polizei Ermittlungsdruck zu erzeugen.
Als Antifaschist*innen und Revolutionär*innen haben wir begründetes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, wir kennen den Druck ihrer Repression gegen unsere Strukturen und unsere Genoss*innen. All dies unterstreicht für uns die Richtigkeit der Entscheidung, unsere Teilnahme am Podium abzusagen. Bei der Konzipierung einer solchen Veranstaltung billigend davon auszugehen, dass wir Menschen aus unserer Gruppe einem so unsicheren Umfeld aussetzen, hinterlässt bei uns nur Fragezeichen in Richtung der »taz«.
Eine Gewaltdebatte die keine*r braucht
Ein weiterer Grund für die Absage ist die Artikelserie in der »taz«, die sich von Januar bis Februar 2019 mit der Frage der Richtigkeit antifaschistischer Militanz beschäftigte. (4). Ausgangspunkt war der Angriff auf den Bremer AfD-Politiker Frank Magnitz, den die AfD ideenreich ausschmückte und der zahlreiche Politiker*innen und Zeitungen dazu veranlasste über das Stöckchen zu springen, dass Magnitz und die AfD ihnen hinhielt. In vielen der »taz«-Texte (Ausnahmen sind »Gewalt als Agenda« und »Nicht erpressen lassen«) wurde ein meist undifferenzierter Gewaltbegriff verwendet und der historische Ursprung der Antifaschistischen Aktion als revolutionär und anti-staatlich völlig unter den Tisch gekehrt. Dies läuft unserem Verständnis von linker Geschichte und ihrer wirklichen Aneignung durch Aktivist*innen heute zuwider. Antifa erscheint in den meisten Texten als effizientere Alternative zu Polizei und Staat im Kampf gegen Nazis und zur Verteidigung der FDGO – Eine gefährliche Verwässerung der Grundlagen antifaschistischer Politik, der wir uns auch beim besten Willen um eine offene Debatte nicht anschließen möchten. Dass diese Debattenserie im Rahmen des Podiums zusammenlaufen und eine konstruktive Praxis-Diskussion torpedieren würde, erschien uns zum Zeipunkt unserer Absage als realistisch.
Gerade jetzt sollte es darum gehen sich über die Vielfalt der Mittel auszutauschen und darüber zu diskutieren wie diese sich ergänzen können. In der »taz«-Artikelserie wurde jedoch lediglich darüber sinniert ob Gewalt gegen Nazis und AfD’ler nun legitim sei oder nicht. Wenn Linksradikale in der Interim sich über die Verhältnismäßigkeit von Militanz gegenseitig Briefe schreiben: geschenkt. Wenn die »taz«, es so tut, wie sie es tut, fällt sie damit denen in den Rücken, die vor allem in den Provinzen und Randbezirken ihre Haut riskieren, wenn sie sich auch mit körperlicher Gewalt den Nazis entgegenstellen. Ein sich als links verstehendes Blatt mit einer Auflage von 49.895 Exemplaren (IVW 4/2018, Mo – Sa) trägt einfach eine andere Verantwortung für seine Diskurse und deren Wirkung.
Die Krux mit der Pressearbeit
Grundsätzlich versuchen wir an Podien oder Veranstaltungen teilzunehmen, machen selbst Pressearbeit und geben Interviews, um einem breiteren Publikum linksradikale und revolutionäre Praxis und Positionen zugänglich zu machen. Da es sich hier jedoch selten um eine selbstbestimmte Darstellung handelt und die jeweiligen Veranstaltenden oder Medienhäuser die Macht darüber haben, wie sie unsere Standpunkte schließlich dargestellen möchten, diskutieren wir solche Anfragen jedes Mal neu. Bei einer Interviewanfrage aus dem Springerpresse-Kosmos oder anderen konservativen Medien ist im Vorhinein schon klar, dass unsere Aussagen eher zur Garnierung von Artikeln genutzt würden, die sich gegen Antifa-Politik richten. Ein Beispiel wäre u.a. ein Tagesspiegelartikel aus dem April 2017 (4), der den AfD-Zahnarzt Marius Radtke in höchsten Tönen bemittleidet, antifaschistische Intervention und politische Aufklärung hingegen kriminalisiert. Der Umgang mit bürgerlichen Medien ist eine Gratwanderung, weshalb es unser langfristiges Ziel – nicht als einzelne Gruppe, sondern als Bewegung – sein muss, unsere eigenen Medien zu stärken und zu Massenmedien aufzubauen, wie es beispielsweise das »re:voltmag«, die »junge welt«, das »Neue Deutschland« oder »Left Report« und »Leftvision« vormachen.
Wir müssen uns entscheiden, wo wir stehen wollen
Obwohl die »taz« regelmäßig überaus zweifelhafte Texte veröffentlicht, die in jedem Springer-Blatt stehen könnten und auch mit Blick auf die autonome Bewegungen in Deutschland keine rühmliche Rolle einnimmt (siehe »taz lügt!«-Kampagne oder auch die Geschichte der Hamburger Hafenstraße), wissen wir, dass es dort auch sehr solidarische, korrekte Leute gibt. Das zeigte sich auch in den Debattenbeiträgen. Wir wissen, dass die Besetzung von Podien oder der Abdruck von Artikeln letzten Endes nicht von einzelnen »taz«-Mitarbeiter*innen, sondern durch die Redaktion entschieden wird. Die »taz« pflegt in diesem Zusammenhang einem, aus unserer Sicht überhöhten Fetisch für Objektivität und Pluralismus, der völlig verquere Züge annimmt. Das führt im Falle der »taz« dann dazu dass Bundeswehr- und AfD-Werbung abdruckt wird und sich Antifaschist*innen mit dem Berliner Polizeipressesprecher das Podium teilen dürfen.
Die »Gewaltdebatte«, wie sie in der »taz« geführt wurde dient nicht dazu, Kämpfe gegen den Rechtsruck zu fördern und zu strukturieren. Sie dient der Unterhaltung ihrer Leser*innenschaft. Bequem kann darüber sinniert werden was den angemessen sei, während Geflüchtetenunterkünfte brennen und die AfD immer stärker wird. Dabei gilt es gerade jetzt die eigenen Leute, die Linke in ihren verschiedenen Ausformungen, zu mobilisieren. Stattdessen wird Distanzierung und Unentschlossenheit in Teilen der eigenen Leser*innenschaft gefördert. Der abwertende Blick auf Aktive, die sich den Exzessen des Staates oder der Dominanz der Nazis auch mit »extralegalen« Mitteln entgegenstellen, muss endlich aufhören. Diese (militanten) Aktivist*innen haben sich entschieden, auf welcher Seite sie stehen. Wir müssen uns alle entscheiden, wo wir stehen wollen. taz – entscheidet ihr euch doch auch.
North East Antifa (NEA)| 29.03.2019
www.antifa-nordost.org
Quellen:
1 | Wer kommt zum taz lab 2019? (Stand: 29.03.2019)
2 | Latschdemo versus Direct Action – Brauchen wir neue Formen des Protests? (Stand: 29.03.2019)
3 | Referierende: Thilo Cablitz, Leiter Pressestelle Polizei Berlin (Stand: 29.03.2019)
4 | Texte aus der taz-Artikelserie „Debatte: Politische Gewalt“
– Danke, Antifa (Lalon Sander, 15. 1. 2019)
– Gewalt öffnet das Tor zur Hölle (Stefan Reinecke, 20. 1. 2019)
– Gewalt als Agenda (Christian Jakob, 23. 1. 2019)
– Antifa ohne Faschismus (Silke Mertins, 03. 2. 2019)
– Nicht erpressen lassen (Anna Böcker, 05.2.2019)
5 | Protest der AfD-Gegner Kampf gegen rechts: Die Intoleranz der Toleranten (Verena Hasel , 04.07.2017)