Abbattere le frontiere

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Anfang Mai 2016 kam es im Zuge politischer Diskussionen zum Thema der Grenzschließung am Brenner, um die Fluchtroute aus dem Süden in den Norden zu schließen, zu mehreren Kundgebungen vor Ort. Am 07.Mai 2016 kam es dann zum unvermeidlichen Knall. Sowohl Aktivist_Innen aus Italien, als auch Österreich und Deutschland waren angereist um unter dem Motto „ABBATTERE LE FRONTIERE“ auf die Straße zu gehen.

 

 

Die ersten Kundgebungen verliefen weitgehend friedlich und präsentierten eine bunte Mischung an Menschen, die sich zu dem Thema äußerten.

Da die friedlichen Kundgebungen wenig Wirkung zeigten, radikalisierten sich die Protestformen zunehmend und wurden immer vehementer. Auch von Seiten des österreichischen und italienischen Staates wurde exzessiv aufgerüstet – sowohl medial populistisch als auch mit Repressionsressourcen.

Am 07.Mai 2016 kam es dann zum unvermeidlichen Knall.

https://www.youtube.com/watch?v=-7jvK1RGCc0

Sowohl Aktivist_innen aus Italien, als auch Österreich und Deutschland waren angereist um unter dem Motto „ABBATTERE LE FRONTIERE“ auf die Straße zu gehen und die Italienisch-Österreichische Grenze, wie schon bei den Malen zuvor, vom Süden in den Norden symbolisch zu überqueren.

Schon beim Einfahren des Zuges in den Bahnhof wurde sehr schnell klar, was das Ziel der italienischen und österreichischen Staatsgewalt an diesem Tag sein würde – Provokation, Chaos und Gewalt.

Die Polizei war mit mehreren hundert Personen starken Truppen gekommen. Wasserwerfer, Helikopter, tonnenweise Tränengas und Schockgranaten standen parat. Der Brenner glich mehr einer Militärbasis, als einem Ort an dem friedlich demonstriert werden konnte.

Wie zu erwarten eskalierte die Situation, es kam zu Ausschreitungen und gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Aktivist_innen. Sehr schnell wurde klar, dass es der italienischen Staatsgewalt nicht darum ging einzelne Störenfriede zu verhaften, als vielmehr darum, ihre Macht zu demonstrieren und ein Exempel zu statuieren. Auch konnte die überregionale Zusammenarbeit der Polizei in Krisensituationen erprobt werden.

Es wurde massenhaft Tränengas eingesetzt, um die Menschen zu desorientieren, Schockgranaten und Schlagstöcke, um sie in eine Richtung zu treiben. Ganz klar Richtung Süden und weg von der Grenze. Der Zugverkehr wurde eingestellt, die Brenner Autobahn und die Bundesstraße gesperrt.

Während des polizeilichen Übergriffes kam es kaum zu Verhaftungen und oder Personenfeststellungen. Vielmehr wurde flächendeckend Video- und Bildmaterial erstellt, anhand dessen die Personen im Nachhinein identifiziert werden sollten.

Die Rechnung am Ende des Tages: Über 130 Anzeigen bei einer Anzahl von ca. 600 Demo-Teilnehmer_innen! Die meisten Anzeigen enthielten fast ausschließlich Vorwürfe die ein und denselben Wortlaut teilten: 

„…. der fortgesetzten strafbaren Handlung der aufrührerischen Zusammenrottung und der Vermummung gemäß Artikel 81, 2 Abs., 655 ital. StGB und Artikel 5 des Gesetzes Nr. 152 vom 22. Mai 1975.“

Copy paste! Individuen wurden auf eine Masse reduziert. Der Staatsmacht ging es nicht um die differenzierte Verfolgung von einzelnen Menschen, als vielmehr darum eine politische Gruppe zu kriminalisieren, einzuschüchtern und mundtot zu machen.

Es kam zu einer Aufteilung von drei Verfahrensgruppen, mit zwei unterschiedlichen Verhandlungsstrukturen – Schnellverfahren und reguläre Verfahren.

SCHNELLVERFAHREN

Einigen Italiener_innen wurde das Schnellverfahren gemacht. Welches in Italien besonderen Ausnahmekriterien unterliegt. Ebenso fünf Aktivist_innen aus Deutschland und zwei aus Österreich.

Die im Schnellverfahren ausgewerteten Bild- und Videomittschnitte hatten eine erschreckend hohe Qualität und Auflösung. Ein Bild, welches Anfangs den gesamten Demonstrationszug zeigte (ca. 600 Menschen) wurde so vergrößert, dass man einzelne Personen gestochen scharf erkennen konnte. Schuhe, Jacke, Hose, körperliche Merkmale (Statur, Größenverhältnisse, etc.) wurden als Indiz verwendet um Personen im Nachhinein, aus Sicht der Behörden, in Bezug zu einander zu setzen und vermeintliche Gruppen daraus zu bilden.

In den wenigsten Fällen wurden jene, die nun vor Gericht gestellt wurden, vor Ort (bei der Demonstration) identifiziert. Der Großteil wurde erst im Nachhinein von den italienischen, deutschen und österreichischen Behörden ausfindig gemacht.

Es wurden private und öffentliche social Media Textnachrichten als Beweise angeführt. Der Staatsanwalt spielte Tonmittschnitte von Telefonaten und Aufzeichnungen von Sprachnachrichten der Aktivist_innen ab. Die als Beweismittel angeführten Bildmaterialien zeigten teilweise den gesamten Anfahrtsweg der Aktivist_innen. Dadurch wurden jene bloß gestellt die sich vor den dutzenden Kameras schützen wollten.

Diese konstruierten Indizien reichten der Staatsanwaltschaft aus, um Menschen angebliche Straftaten zuzuordnen. Auch das Gericht nutzte in vielen Fällen diese Indizien als Beweise um ein Urteil zu sprechen.

Nach fast 2,5 Jahren wurden die Schnellverfahren am 25.01.2019 abgeschlossen.

Zwei italienische Aktivist_innen erhielten unbedingte Freiheitsstrafen von bis zu 2 Jahren. Die zwei Aktivist_innen aus Österreich erhielten neun Monate bedingt auf fünf Jahre Bewährung. Zweien der fünf aus Deutschland angereisten Menschen wurde die Strafe von sieben Monate Bewährung auf fünf Jahre ausgesprochen.

Im Schnellverfahren wurde deutlich gemacht, was der italienische Staat für eine repressive und autoritäre Position in politischen Prozessen einnimmt.

 

REGULÄRES VERFAHREN

In zwei voneinander getrennten „regulären Verfahren“ müssen sich à 63 italienische Aktivist_innen vor Gericht dem Urteil des Staates stellen. Wobei den Menschen aus einer der beiden Verfahrensgruppen schwerwiegende Vorwürfe gemacht werden. Aus deren Folge ihnen mehrjährige Haft- und unverhältnismäßig hohe Geldstrafen drohen.

Für die regulären Verfahren wurden bereits mehrere Termine angesetzt – doch bis dato jedes Mal vertagt.

Einzelne Personen, denen im Zusammenhang mit anderen politischen Aktionen Straftaten vorgeworfen werden, wurden bereits in Untersuchungshaft genommen und/oder sogar langjährige Haftstrafen angehängt.

Die neu angesetzten Verhandlungstermine für die je 63 Personen sind der 22.April 2019 und der 10.Mai 2019. Beide Termine finden in Bozen statt.

 

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