Pegida-Verharmlosung für Fortgeschrittene

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„Pegida“-Aufmarsch am 24. November in Dresden. Foto: Johannes Grunert/flickr

Montag Abend wurde in Dresden der mittlerweile neunte Aufmarsch „gegen die Islamisierung des Abendlandes“ erwartet, die Zahl der Teilnehmenden rangiert längst im fünfstelligen Bereich. Nun nimmt ausgerechnet ein bekannter Zivilgesellschafts-Verein rassistische Demonstrationen vor Kritik in Schutz.

Eine am Sonnabend veröffentlichte Erklärung des Zivilgesellschafts-Vereins Kulturbüro Sachsen, die Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) als eine „chauvinistische“ Bewegung einschätzt, die sich „asylkritischer Töne“ bediene, stößt auf Widerspruch in der antifaschistischen und antirassistischen Bewegung. Timo Allendorf, Sprecher des Antifa-Komitee Leipzig (AKL), sagte auf Anfrage, er sei vom Kulturbüro „negativ überrascht. Die Einschätzung ist zu einem kleinen Teil richtig und wichtig, zu einem größeren Teil aber verharmlosend und falsch.“

 

So falle das Kulturbüro-Papier hinter die Tagespresse zurück, die sich wochenlang um eine klare politische Verortung von Pegida gedrückt habe. „Diese so genannte Bewegung ist nicht ‚asylkritisch’, sondern bedient sich eines aggressiven, vorrangig antimuslimischen Rassismus“, so Allendorf. Auch sei es ein falsches Zeichen, wenn das Kulturbüro es ausdrücklich „begrüßt“, dass „Menschen für ihre Ideen auf die Straße gehen“.

 

„Reines Wunschdenken“

Allendorf erwidert, es komme vielmehr darauf an, warum jemand auf die Straße gehe. Teile der Zivilgesellschaft würden so die Kräfteverhältnisse, die aktuelle Tendenz einer Vermassung des „Protests“ und die drohende Politisierung von rechts verkennen, die mit Pegida einhergingen: „Das Kulturbüro rechnet vor, dass eine Versammlung aller Ehrenamtlichen, die sich für Geflüchtete engagieren, Pegida keinen Platz lassen würde. Im Hinblick auf Sachsen ist das reines Wunschdenken.“ Eine repräsentative Umfrage hatte erst vor wenigen Tagen ergeben, dass ein Drittel der Bevölkerung der paranoiden Pegida-Parole zustimmt, wonach eine „Islamisierung“ stattfinde.

 

Das Kulturbüro nimmt Pegida überdies in Schutz gegen die Behauptung, dass es sich um eine Bewegung der extremen Rechten handle: „Weder die Organisator_innen, noch die Inhalte und Forderungen von Pegida sind nach derzeitigem Kenntnisstand mit diesen Kategorien zu fassen“, behaupten die ZivilgesellschafterInnen. VertreterInnen der kritischen Rechtsextremismusforschung sowie engagierte AntifaschistInnen und AntirassistInnen gelangen freilich zu einem ganz anderen Schluss.

 

Rechte Hooligans mischen mit

Für die abweichende Einschätzung sprechen neue Erkenntnisse des Nachrichtenmagazins Spiegel. Der aktuellen Ausgabe zufolge seien unter den montäglich Demonstrierenden etwa 300 Personen mit Bezügen zur Dynamo-Fanszene, die meisten davon seien „Problemfans“. Nach Einschätzung der Polizei, auf die sich das Magazin stützt, seien die wiederum den Gruppierungen „Faust des Ostens“ (FdO) und den „Hooligans Elbflorenz“ (HE) zuzurechnen.

 

Diese Gruppierungen sind weithin bekannt. So waren fünf mutmaßliche Rädelsführer der HE im April 2013 durch die Staatsschutzkammer am Landgericht Dresden zu Geld- und Freiheitsstrafen bis zu vier Jahren verurteilt worden. Die Tatvorwürfe: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, teils auch Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung. Eine Entscheidung im aktuellen Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof steht noch aus. Mit dem Urteil wird auch eine Grundsatzentscheidung hinsichtlich der Strafbarkeit verabredeter Schlägereien erwartet.

 

„Spektrenübergreifende“ Verbindungen

Weiterhin laufen gegen mutmaßliche Anhänger von FdO und HE zwei Ermittlungsverfahren wegen Bildung krimineller Vereinigungen (§129 StGB), insgesamt sind mehr als 140 Beschuldigte betroffen. Bei den Strukturermittlungen ergaben sich Anhaltspunkte für personelle Überschneidungen mit bekannten Neonazigruppen, darunter den 2001 verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS). Frühere SSS-Mitglieder waren Mitte der 2000er Jahre auch beim rechtsoffenen Dresdner Chapter des mittlerweile in Sachsen verbotenen „Gremium MC“ aufgetaucht – und auch frühere „Gremium“-Mitglieder wurden unter den Pegida-Demonstranten gesichtet, freilich ohne Kutten.

 

Einzelne „Elbflorenz“-Anhänger waren in der Vergangenheit unter anderem an Aufmärschen anlässlich des 13. Februars in Dresden beteiligt und sollen dort Polizeibeamte angegriffen haben. Personen aus dieser Gruppe sollen ferner im Juni 2008 – nach dem Fußball-EM-Halbfinale Türkei-Deutschland – in führender Rolle bei der „Stürmung“ zweier Dönerimbisse und eines türkischen Cafés in der Dresdner Neustadt mitgemischt haben, wobei mehrere Personen verletzt wurden. Der Aufsehen erregende Vorfall hatte zur Einleitung des Paragraph-129-Verfahrens geführt. In einer neuen Studie des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT) wird auf die „spektrenübergreifende“ Rolle der HE bis hinein in die Rocker- und Türsteherszene, deren Affinität zu „größeren Gewaltereignissen“ sowie die Einbindung rechts motivierter Gewalttäter hingewiesen.

 

Schnittstellen von Pegida und HoGeSa

Die Dresdner Gruppen FdO und HE gelten im übrigen neben „New Society“ (alias „NS-Boys“) in Chemnitz und „Scenario Lok“ (zum Schein aufgelöst) in Leipzig als zwei der vier großen Fangruppierungen in Sachsen, die jeweils deutliche Verbindungen zum Neonazispektrum aufweisen. Die Ultras Dynamo hatten sich in der Vergangenheit von FdO und HE distanziert.

 

Ungeschadet dessen haben an mehreren Pegida-Demonstrationen Personen in „Elbflorenz“- und SGD-Kleidung teilgenommen. Auch ein so genannter „HoGeSa-Leiter Ost“ verortet sich selbst in diesem Spektrum. Nach Angaben des Spiegel mehren sich die Indizien für eine Verbindung zwischen den „Hooligans gegen Salafisten“ und Pegida: „Ein 42-Jähriger aus Meißen soll Organisator beider Protestbewegungen sein.“ Die Informationen des Magazins bestätigen damit eine kürzlich auf leipzig.antifa.de veröffentlichte Analyse.

 

Nur „Einzelpersonen“?

In einem Interview mit der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ erklärte Pegida-Kopf Lutz Bachmann dagegen, unter seinen Demonstranten befänden sich nur wenige „politische Rechtsextremisten“ und Hooligans – die man weder ausschließen könne, noch überhaupt kennen würde. In einem Onlinebeitrag zitiert die JF einmal mehr das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen: Der Geheimdienst behauptet demnach, bei Pegida würden sich „Rechtsextremisten“ lediglich „als Einzelpersonen“ beteiligen.

 

Dem widersprechen nicht nur die dem Spiegel vorliegenden Informationen. Vielmehr konnten erst am vergangenen Montag in Dresden das Schwenken von Berlin-Fahnen und das Aufspannen eines Transparents einer Kameradschafts-Gruppe aus Mecklenburg-Vorpommern beobachtet werden. „Nach unseren Informationen gab es zu den letzten beiden Pegida-Märschen überregionale Anreisebewegungen. Sie wurden teils durch Neonazis organisiert“, sagt dazu AKL-Sprecher Allendorf.

 

Gebrochen ist der Zustrom noch nicht, Montag sollte der mittlerweile neunte „Abendspaziergang“ des Pegida-Bündnisses in Dresden stattfinden. Bachmann hält zukünftig gar 20.000 Teilnehmende für möglich, „irgendwann kann die Politik einfach nicht mehr an uns vorbei.“ Sachsens Innenminister Ulbig hatte Pegida bereits zum „Dialog“ aufgefordert, Ministerpräsident Tillich schloss sich dem Appell inzwischen an. So weit geht das Kulturbüro immerhin nicht.

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Ergänzungen

Am Montag, den 22. Dezember kam es nach einer PEGIDA-Großkundgebung zu einem brutalen Überfall auf migrantische Jugendliche in der Centrum-Galerie. Im einen Tag später veröffentlichten Polizeibericht war lediglich von einem verletzten PEGIDA-Demonstranten die Rede. https://www.addn.me/nazis/interview-hetzjagd-auf-migranten-in-dresden/

In Dresden sollen Pegidisten migrantische Jugendliche angegriffen haben. Eine Strafanzeige wollte die Polizei jedoch nicht aufnehmen. https://www.taz.de/!152095/