Ein Blick auf die Berliner Mieter*innenbewegung und was wir daraus ziehen

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06. April 2019, Mittags. 40.000 Menschen sind auf den Alex gekommen zur größten Mietendemo der jüngeren Geschichte Berlins. Die Mieter*innenbewegung kommt in ihrer ganzen Vielfalt zusammen. Die noch kleine Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen beginnt genau hier mit dem Sammeln von Unterschriften. Mieter*innengruppen von Spandau bis Köpenick sind dabei. Kurz vor dem Ende der Demo wird durch #besetzen am Rand der Route im Wrangelkiez ein leerstehender Laden besetzt und tatkräftig wenn auch erfolglos verteidigt.

Heute stehen wir als Mieter*innenbewegung an einem anderen Punkt. Der aktuelle Zyklus der Bewegung, die wie jede andere auch wellenförmig verläuft, ist vorbei. Wenn auch viel kleiner angekündigt und im Dauerregen im Prenzlauer Berg – die diesjährige Demo zum Housing Action Day mit knapp 400 Leuten erreichte nicht mal ein Hundertstel der 2019er Demo. Ein Sinnbild für den Stand der Bewegung. Doch gehen wir nochmal einen Schritt zurück.

2015 kann man vielleicht als Höhepunkt und Ende der letzten, wenn auch kleineren Welle der Mieter*innenbewegung beschreiben. Social Center for all besetzte als letzte Aktion im Herbst das alte Postamt in Neukölln und der Mietenvolksentscheid wurde über Hinterzimmerdeals verraten und beerdigt. Zwei Jahre später entstand mit dem Mietenwahnsinn-bündnis ein Zusammenschluss vieler kleiner Mieter*innenvernetzungen aus ganz Berlin. Das Bündnis spiegelte die ganze Breite der Bewegung wieder und hatte trotzdem klare außerparlamentarische und antikapitalistische Grundsätze, Politiker*innen oder Parteien wird keine Bühne geboten. 2018 brachte Mietenwahnsinn 25.000 auf die Straße, gefühlt jede Woche organisierte sich irgendwo ein Haus neu gegen den Verkauf. Angetrieben von diesem Aufwind startete auch #besetzen. Im Mai begann der „Frühling der Besetzungen“, 10 Häuser wurden zeitgleich in Berlin besetzt. Mit #besetzen hatte auch die linksradikale Bewegung eine offensive Ausdrucksform im Mietenkampf, die sich auf eine glamouröse Tradition bezog und auf erstaunlich viel Zustimmung traf, ungeachtet davon ob sie überhaupt funktionierte. Was sie schaffte, war eine Brücke zur Mieter*innenbewegung, um radikalere Ausdrucksformen ins Gespräche zu bringen. Einige Monate später veröffentlichte der Berliner Senat durch den Druck der Mieter*innen den Mietendeckel. Einerseits eine Befriedungsstrategie wegen den aufkommenden Enteignungsplänen aber doch ein konkreter Erfolg der Bewegung.

Doch in gewisser Weise war es einer der letzten. Die meisten Besetzungen wurden schnell geräumt und #besetzen zog sich zurück, die Interkiezionale entstand. Die Verteidigungskämpfe um die autonomen Projekte begannen und bis auf der Rigaer94 konnte bei keinem die Räumung verhindert werden. Der Mietendeckel fiel, dazu das Vorkaufsrecht. Zweiteres war zwar politisch nie besonders radikal, aber eines der wichtigsten Tools um neue Hausgemeinschaften entstehen zu lassen. Der Volksentscheid zu DWE wurde gewonnen, aber eine Umsetzung schien trotzdem nie möglich.

So kommt es, dass Berlin die größte Wohnungskrise seit dem zweiten Weltkrieg erlebt und die Stadt von einer der günstigsten mittlerweile zur zweitteuersten hinter München geworden ist und die Mieter*innenbewegung trotzdem schwach ist. Es ist Druck auf dem Kessel, aber uns fehlt das Ventil. Kaum eine der Initiativen oder Gruppen hat derzeit einen Vorschlag, wie es weiter gehen kann, wie wir wieder Kämpfe gewinnen können. Denn genau darauf muss unser Fokus liegen. Kämpfe zu gewinnen und Zwischenerfolge zu erzielen ist zentral für den Drive jeder Bewegung.

Die Teuerungen werden die Situation für die Mieter*innen nicht erleichtern, im Gegenteil. Durch die steigenden Zinsen wird es für große Akteure wie Vonovia immer schwerer die steigenden Kosten zur Zinstilgung zu zahlen. Einige Vermieter*innen werden verkaufen müssen. Entweder springt hier die Stadt ein – oder die Häuser landen bei risikoaffineren Anleger*innen wie Blackrock. Besonders bei diesen Anleger*innen aber auch bei den jetzigen Eigentümer*innen ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass sie weiter sparen werden wo es geht – was vor allem die Instandsetzung und Reparaturen betreffen wird.

Gleichzeitig steigt der Druck auf den Wohnungsmarkt weiter. Eigentumswohnungen werden unbezahlbar und womöglich werden einige Eigentümer*innen ihre Kredite nicht mehr bedienen können, wenn die Zinsbindung ihrer Verträge ausläuft und sie jetzt neue viel teurere Kredite aufnehmen müssen. So werden weitere Menschen auf den Mietmarkt drängen. Und auch der von der Regierung geplante Neubau wird nicht kommen, weil die Baupreise eskalieren. Surprise, surprise: Dass der Markt dafür sorgt, dass die Mieten sinken ist also ausgeschlossen.

Für uns ist klar: Was uns als Mieter*innenbewegung fehlt, sind nicht nur Erfolge sondern auch langfristige und stabile Organisierung, durch die wir unsere Macht gegenüber den Vermieter*innen vergrößern können. Denn Organisierung und Erfolge bedingen sich gegenseitig, zweiteres scheint ohne ersteres fast nicht mehr möglich. Dafür müssen wir zurück in die Kieze und im Kleinen anfangen. Wir müssen Organisationsformen entwickeln, in denen sich Mieter*innen ohne großen Aufwand und effizient organisieren können. Wir müssen Wege finden ohne Anwält*innen mit direkten Aktionen Mietkämpfe zu gewinnen. Wir müssen uns darauf fokussieren gemeinsam in unseren Häusern zu kämpfen und nicht alleine. Wir müssen in die großen Blöcke und an die Haustüren.

Deshalb wollen wir als Wohnsektion von PS den Aufbau der Mieter*innengewerkschaft Berlin weiter vorantreiben. Vorbilder dafür finden wir Barcelona, London oder Saint-Denis bei Paris. Es gibt bereits einige Mieter*innengewerkschaften, die genau das erfolgreich machen: Strukturiertes Organizing, Kämpfe mit direkten Aktionen mit Mieter*innen führen – und gewinnen. Über kleine Erfolge wachsen, denn „gewinnen macht süchtig“ – das sagte uns schon Seattle Solidarity Network (deren Broschüre wir vor kurzem übersetzt haben). So können wir auch wieder eine Basis bilden um größere Kämpfe zu gewinnen. Denn am Ende geht es immer noch darum die Häuser in die Hände der Mieter*innen holen.

Unser nächster Schritt ist die Gründung einer neuen Ortsgruppe der Mieter*innen Gewerkschaft Berlin (MGB) im Stadtteil Moabit. Wir haben in den letzten Wochen Kontakt mit örtlichen Strukturen in Moabit geknüpft und uns mit mietenpolitisch Aktiven wie dem Runden Tisch Moabit oder dem B-Laden in der Lehrter Straße vernetzt. Nun wollen wir mit Haustürgesprächen erste Kämpfe unterstützen und neue Mitstreiter*innen für unsere Ortsgruppe gewinnen.

 

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