Berufungsprozess wegen Noborder-Autobahnblockade

Am 21.1. wurde am Freiburger Landgericht über den Einspruch eines mutmaßlichen Teilnehmers der Noborder Action Days 2016 gegen seine Verurteilung wegen "Nötigung" durch das Lörracher Amtsgericht verhandelt. Das Landgericht hielt Verurteilung und Strafmaß aufrecht, außerdem bekam ein Prozessbeobachter eine Anzeige.

Zur Vorgeschichte: Nach dem kurzen Fest der "offenen" Grenzen Ende Sommer 2015 bemühten sich die europäischen Regierungen schnell, die Reiserouten von Flüchtlingen wieder zu blockieren. Grenzen wurden geschlossen, Zäune errichtet und das Militär aufgefahren. Insbesondere auf der Balkanroute saßen Zehntausende buchstäblich im Dreck fest, was letztlich dazu führte, dass Flüchtlinge wieder auf die gefährlicheren Strecken über das Mittelmeer ausweichen mussten, mit den bekannten tödlichen Folgen. Vielerorts gab es deswegen solidarische Proteste, teilweise auch direkt an den Grenzen. Bei den Noborder Action Days wurde am 2.4.2016 unter dem Motto "Grenze dicht -- blöd, was?" die Autobahngrenze zwischen Weil und Basel blockiert. Etwa hundert Leute stellten sich auf die A5 und zwei Menschen seilten sich von einer Brücke ab. Dazu wurden Transparente gezeigt und Flyer an die Menschen im Stau verteilt. Mit vereinten Kräften drängten deutsche und Schweizer Grenzpolizei die Demonstrierenden ab, kesselten einen Teil von ihnen neben der Autobahn ein und nahmen sie fest. Ein paar schöne Fotos fändet Ihr unter https://linksunten.indymedia.org/de/node/174613, wenn da das Schweinesystem nicht zugeschlagen hätte. Eins haben wir aber für Euch aus dem Giftkeller des Innenministeriums gerettet:

Bild: Die Kletteraktion bei der Räumung, im Hintergrund der Kessel mit anderen Aktivist_innen (@Mods, das Bild muss natürlich nicht dreifach, ich weiß nur nicht, wie ich es wieder rauskrieg, nachdem ich den "Einbetten"-Knopf zu oft gedrückt hab;)

Etliche Festgenommene verweigerten erfolgreich die Abgabe von Personalien und kamen erst nach ein bisschen Spazierfahrt und ED-Behandlung wieder frei. Die anderen wurden gleich an der Grenze laufengelassen, bekamen dafür aber größtenteils Strafbefehle wegen "Nötigung", weil Autofahrer_innen eine knappe halbe Stunde im Stau standen -- ein "empfindliches Übel", das den Menschen, die über die großen Autobahngrenzen von Österreich nach Bayern einreisen, durch die dortigen Grenzkontrollen tagtäglich ohne juristische Konsequenzen zugemutet wird und angesichts der Situation der Menschen auf den Fluchtrouten zur selben Zeit lächerlich bis zynisch wirkt. Unter anderen U. legte gegen seinen Strafbefehl über 60 Tagessätze Widerspruch ein, wurde allerdings am 1.2.2018 vom Lörracher Amtsgericht verurteilt; die Staatsanwaltschaft hatte sogar 80 Tagessätze gefordert, weil die Bezahlung eines Strafbefehls ja ein Schuldanerkenntnis beinhaltet und dieser "Geständnis-Bonus" nun weggefallen sei (U. sagte nichts zur Sache, sondern gab nur politische Erklärungen ab); die Richterin fand den Fall weniger gravierend, weil die Blockade der Fahrbahn Richtung Schweiz, wegen der U. angeklagt war, gemäß Beweisaufnahme nur 20 Minuten gedauert habe, und beließ es bei den 60 Tagessätzen.

U. hatte Freispruch gefordert und ging umgehend in Berufung, worüber nun verhandelt wurde. Im Wesentlichen ging es wieder mal darum, ob eine Blockade "Nötigung" sein kann, eine Straftat, die im StGB zwischen Bedrohung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme steht. Für den Tatbestand ist "Gewalt" oder "Drohung mit einem empfindlichen Übel" nötig und außerdem, dass die Anwendung dieser Mittel für den angestrebten Zweck "verwerflich" ist. Für Kasernentore, Castorgleise und ähnliches gibt's da schöne Urteile vom Bundesverfassungsgericht, bei einer Autobahn schaut's dagegen eher schlecht aus, vor allem, weil es dort viel gefährlicher ist. Wegen Nötigung auf Autobahnen werden gewöhnlich Raser_innen verurteilt, die andere Leute durch Lichthupe und dichtes Auffahren von der Überholspur zu drängeln versuchen. Das ist verwerflich, weil für ein egoistisches Ziel Leute gefährdet werden.

Die juristische Konstruktion zur Kriminalisierung von Blockaden besteht in der "Zweite-Reihe-Rechtsprechung": Die Autos, die unmittelbar vor der Blockade anhalten, müssten ja nur über die Blockierenden drüberfahren, das ist noch kein "empfindliches Übel", weil's ja bloß die Täter_innen trifft. Aber die nachfolgenden müssen anhalten, um Unfälle mit den stehenden Autos zu vermeiden, und diese drohende Massenkarambolage ist die für den Tatbestand der Nötigung nötige Gewalt.

Den Tathergang ließ sich das Landgericht von dem Polizeizeugen K. erklären, der schon vor dem Amtsgericht ausgesagt hatte und seine Aussage im Wesentlichen wiederholte. Wie schon in Lörrach durfte er auch einige der Videos von Überwachungskameras und Einsatzkräften kommentieren, die übrigens im Gegensatz zur Lörracher Verhandlung auch die Öffentlichkeit auf dem Laptop des Richters anschauen durfte. Ein Unterschied in den Aussagen war, dass K. in Lörrach noch gesagt hatte, im Bereich der Blockade gebe es wechselnde Tempolimits und es müsste wohl eine 60er-Beschränkung gegeben haben, während er diesmal meinte, dort werde das Tempo von 60 auf 40 reduziert. Zum Ende seiner Aussage fragte der Vorsitzende Richter, ob er noch eine Bestätigung für seine Dienststelle brauche, worauf er antwortete, er sei sowieso im Dienst, und sich in den Zuschauerraum setzte.

U.s Verteidiger argumentierte wortreich, warum die Blockade eine Versammlung und keine Nötigung sei und warum ein Protest gegen Grenzen berechtigterweise an einer Grenze stattfindet, der Staatsanwalt plädierte ebenso engagiert dagegen, wobei ihm ziemlich der Gaul durchging. Was es denn für eine krassere Form von Gewalt gebe als ein Auto von 130km/h zwangsweise zum Stillstand zu bringen, fragte er beispielsweise. Flüchtlingsboote nach Libyen zurückschicken vielleicht, oder zahlreiche Gewaltdelikte, mit denen so ein Gericht tagtäglich konfrontiert ist, könnte man meinen, der Staatsanwalt fand das aber gar nicht zynisch. Zynisch fand er hingegen eins der Flugblätter, die an die Menschen in den Autos verteilt wurden, weil diese darin als Teil der Aktion begrüßt und somit "vereinnahmt" wurden. Die Zahl der vom Amtsgericht Lörrach angenommen 300 Staubetroffenen fand er viel zu niedrig und rechnete U. auch gleich das ganze Demonstrationsgeschehen einschließlich der von der Brücke abgeseilten Aktivistinnen an, da sowas ja auf den Vorbereitungstreffen abgesprochen worden sei, obwohl es dazu überhaupt gar keine Beweisaufnahme gegeben hatte -- na vielleicht wollte er auch nur ne Aussage provozieren. Mehr als die 60 Tagessätze aus der Vorinstanz konnte er allerdings nicht fordern, weil die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu U. gegen das Lörracher Urteil nicht in Berufung gegangen war.

U. ging im Schlusswort nochmals auf die Problematik der Abschottung der Festung Europa ein, erklärte dem Staatsanwalt, dass er an dieser Stelle sowieso nicht 130, sondern nur 40 fahren darf und dass die Autobahn gerade an der Grenze durch eine entsprechende Beschilderung und weitere Einrichtungen sehr wohl für Rückstau ausgelegt ist, so dass durch die Blockade keine zusätzliche Gefährdung entstanden sei. Außerdem habe von diesen "weit über 300" Betroffenen einer so "schweren" Straftat keine_r Anzeige erstattet, so dass die Beeinträchtigung offensichtlich nicht als besonders schwerwiegend empfunden worden war.

Nach kurzer Beratung des Richters und der beiden Schöffen (die übrigens zu Beginn der Verhandlung vereidigt wurden, so dass es wohl ihre erste Verhandlung gewesen sein dürfte) kam auch schon das Urteil: Berufung verworfen, es bleibt bei den 60 Tagessätzen. Im Wesentlichen berief sich der Vorsitzende darauf, dass die Zweite-Reihe-Rechtsprechung (s. o.) inzwischen höchstrichterlich anerkannter Standard sei. Dass die Blockade eine Versammlung sei und das ganze eine altruistische Motivation hatte, gestand er zu. Dass das Landgericht sich trauen würde, den gängigen Missbrauch des Nötigungsparagrafen trotz der in diesem Fall zutage getretenen Absurditäten und der aufgezeigten Unverhältnismäßigkeit zu durchbrechen, war von vornherein nicht zu erwarten; U. hatte noch gewisse Hoffnungen auf den gesunden Menschenverstand der Schöffen gesetzt, aber die haben sich natürlich auch nicht getraut, sich gleich bei ihrem ersten Einsatz mit dem Richter anzulegen. Umgekehrt hätte ein positives Urteil in dieser Instanz auch noch keine allgemeinen Auswirkungen (außer auf Verfahren in derselben Angelegenheit) gehabt, erst ab dem Oberlandesgericht handelt es sich um "obergerichtliche Rechtsprechung", auf die sich andere Angeklagte berufen können. U. freut sich also, vor dem OLG ein solches Urteil zu erstreiten, und hat seinen Anwalt unmittelbar nach dem Verfahren mit der Revision beauftragt.

Zu unschönen Szenen kam es nach der Urteilsverkündung im Saal, als zwei Polizist_innen hereinkamen. Polizeizeuge K. hatte die allerdings nicht bestellt, um dem Staatsanwalt, der trotz polizeilicher Belehrung über die 40km/h-Begrenzung darauf bestanden hatte, mit 130 Sachen über die Autobahngrenze zu brettern, die Fahrerlaubnis abzunehmen und ihn zum Idiotentest zu schicken. Stattdessen verlangten sie die Personalien und den Schreibblock eines Prozessbeobachters. K. hatte sich nach seiner Aussage neben diesen gesetzt und sehr interessiert mitgelesen, was er so zu schreiben hatte. Angeblich reagierte dieser darauf, indem er eine beamtenbeleidigende Äußerung auf seinen Block schrieb. Der Einwand des Beobachters, wie K. denn überhaupt dazu komme, irgendwas auf diesem Block zu lesen, der ihn überhaupt nix angehe, wurde als unerheblich abgetan. Der Staatsanwalt stellte sich gleich mit heftigen Worten als Zeuge zur Verfügung. Den Block bekamen sie trotzdem nicht, nur eine Kopie der beanstandeten Äußerung, wobei der Rest der Seite abgedeckt wurde; die Prozessgruppe sieht der anstehenden Anzeige gelassen entgegen.

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