Urteil im „Antifa-Ost“-Verfahren gesprochen

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Nach zweieinhalb Jahren, die Lina inzwischen im Knast sitzt, und über eineinhalb Jahren Gerichtsverfahren mit etwa 100 Prozesstagen, ist das sogenannte “Antifa-Ost“-Verfahren zu Ende gegangen.

Vier Angeklagte der bislang zehn Beschuldigten wurden verurteilt, davon erhält Lina mit fünf Jahren und drei Monaten Knast die längste Verurteilung. Nach der Untersuchungshaft bleiben ihr nun also etwa drei Jahre Knast. Die Mitangeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten und drei Jahren und drei Monaten verurteilt, unter anderem wegen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Nach jahrelangem politischen Druck linke Strukturen in Leipzig zu kriminalisieren, haben die Ermittler:innen der Soko-LinX aus verschiedenen militanten Aktionen gegen Nazifunktionäre eine kriminelle Vereinigung konstruiert, mit Lina eine Betroffene in Untersuchungshaft eingesperrt und nun, sie eingeschlossen, vier Leute zu langjährigen Knaststrafen verurteilt. Vom öffentlichen Ermittlungsdruck, über das Verfahren bis hin zu diesem Urteil ist der Komplex als politischer Generallangriff gegen linke und antifaschistische Strukturen in Ostdeutschland zu sehen.

 

Zur Anklage standen neun Tatkomplexe, die meisten davon Angriffe gegen organisierte und zumeist selbst gewalttätige Nazis. Die „Geschädigten“ sind sowohl innerhalb Deutschlands als auch international bis ins rechtsterroristische Milieu vernetzt und haben sich teilweise selbst auf bewaffnete Übergriffe vorbereitet. Mehr dazu unter der entsprechenden Rubrik der Seite des Solidaritätsbündnisses Antifa-Ost.

Obwohl nur Lina angeblich an allen Taten beteiligt gewesen sein soll, und die Zusammensetzung und Arbeitsweise die Polizei und Gericht den Angeklagten vorwerfen reine Spekulation sind, wird den Angeklagten zudem die Gründung einer kriminellen Vereinigung (§129) vorgeworfen. Dies ist sowohl der juristisch gewichtigste Anklagepunkt, als auch Grundlage für das gesamte Verfahren. Denn einige der anderen Vorwürfe hätten nicht ohne ein Ermittlungsverfahren nach §129 gestützt oder verfolgt werden können.

Erst 2017 wurde der §129 erneut verschärft. Zum einen wurde die Definition, was überhaupt eine Vereinigung ist, weiter gefasst. Zudem wurde ein „besonders schwerer Fall“ für Rädelsführer:innen eingeführt, was auch der Genossin Lina vorgeworfen wird. Diese Fassung des §129 wird hier zum ersten Mal gegen Linke angewandt. Der Staat schafft sich Paragraphen wie den 129er so, wie er sie gerade braucht, um die linke Bewegung zu kriminalisieren. Wenn diese Paragraphen dann konkret gebraucht werden, werden sie nochmals auf biegen und brechen weiter ausgelegt, um auch wirklich zu Verurteilungen zu führen.

Dass der 129er trotz des Fehlens jedweder erkennbaren oder gar nachgewiesenen Struktur oder Aufgabenteilung Anwendung findet, zeigt zum einen den politischen Verfolgungswillen der Klassenjustiz in diesem Fall und zum anderen wie weit interpretierbar die neue Fassung des Paragraphen ist. Die Rote Hilfe Leipzig und der EA Dresden haben die politische Bedeutung des Verfahrens und die Wichtigkeit der Solidarisierung mit den Betroffenen angesichts der Rolle des §129 in einer gemeinsamen Erklärung gut dargelegt.

Das wichtigste „Beweismittel“ der Anklage ist die Aussage des Verräters Johannes Domhöver.

Den Ermittler:innen muss es wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein, als Domhöver bei dem Versuch seine eigene Haut zu retten das Wenige seines angeblichen Wissens mit vielen Spekulationen ausschmückte. So wenig glaubwürdig, dass er sich in einem anderen Verfahren selbst widersprach und der vorsitzende Richter die eigentlich schon geschlossene Beweisaufnahme wieder eröffnete, um seinen Kollegen aus dem anderen Verfahren als Zeugen zu hören.

Domhöver hatte sich, nachdem er durch den Verfassungsschutz angesprochen worden war, der Polizei als Kronzeuge angeboten. Doch um es auch in das Kronzeugen-Programm zu schaffen und tatsächlich einer Verurteilung zu entgehen, musste er dann auch liefern. Entsprechend umfangreich waren seine Aussagen und sie entsprechen nicht zufällig genau dem, was Polizei und Justiz hören wollten.

Das war aber nicht Domhövers erster Verrat. Zuvor war er von seiner Exfreundin als Vergewaltiger geoutcalled worden und weder war sie die einzige Betroffene, noch dies der erste Versuch seine Person in diesem Zusammenhang zu thematisieren. Angesichts dessen und der politischen Kurzsichtigkeit, welche Domhöver in seinen eigenen Aussagen vor Gericht offenbarte, ist schwer nachzuvollziehen, wie er überhaupt eine solch vertrauensvolle Rolle in so brenzligen Aktionsformen bekommen konnte. Wir sollten kollektiv als linke Bewegung eine Lehre daraus ziehen, die politische Überzeugung unserer Mitstreiter:innen zu hinterfragen, bevor wir ihnen unsere Sicherheit und Freiheit anvertrauen.

Als wären ein paar verhauene Neonazis allein die Lösung für den Rechtsruck in der BRD. Gerade die Trennung in die eine und die andere Seite sorgen für die Isolation militanter und klandestiner Organisierung, wo sie eigentlich mit anderen Formen des Widerstands zusammen kommen müssten. Stattdessen schlagen sie den Irrweg einer militaristischen Logik ein, bei der es nur noch darum geht, dem Feind noch krassere Verletzungen und Schäden zuzufügen.

EA Dresden über die politischen Mängel Domhövers in „Tschüss und auf nimmer Wiedersehen!“

In diesem Zitat ist zugleich ein allgemeines Problem angedeutet, das ein rein militanter Antifaschismus mit sich bringt: Die reine Konfrontation hat, insbesondere in der aktuellen Situation und mit den aktuellen Kräfteverhältnissen, wenig politischen Effekt. Ohne eine massenorientierte, offene Arbeit, verschwindet die Wirkung der Militanz so schnell wie die Wunden heilen, ist dabei aber um einiges kriminalisierbarer. Die Militanz wird erst als Komplement zu breiter gesellschaftlicher Mobilisierung wirkmächtig und nachhaltig.

Wer die Rechten daran hindern will, weiter zu erstarken, kommt nicht umhin, sich ihnen entgegen zu stellen – auf allen Ebenen, die notwendig sind. Ein gewichtiger Teil davon ist und bleibt das konsequente und offensive Vorgehen gegen Nazis. Aber am Ende werden wir als antifaschistische Bewegung den Kampf nicht rein militant bestreiten können, sondern kommen nicht umhin, gegen die Rechten politisch zu gewinnen. Dazu brauchen wir auch einen breiten, von vielen Menschen getragenen und organisierten antifaschistischen Widerstand.

Antifaschistische Aktion Süd in „Solidarität mit den in Ungarn verhafteten Antifaschist:innen“

Wer einen tieferen Einblick in das Verfahren, die Hintergründe, die fragwürdigen Ermittlungsmethoden der Polizei, den unverhohlenen politischen Verfolgungswillen der Klassenjustiz und ihre Unterstützung durch die bürgerlichen Medien in diesem Fall erfahren möchte, dem und der möchten wir gerne die Seite der Kampagne Soli-Antifa-Ost an Herz legen. Insbesondere die Timeline zu den Ermittlungen nach §129 gegen Antifas in Dresden und Leipzig und den Zwischenstandbericht vom März letzten Jahres, welcher das Verfahren als Ganzes recht gut zusammenfasst.

Dort sind auch Solidaritätsbekundungen und tiefer gehende Analysen zum Verfahren und seiner Konsequenzen für uns als Bewegung gespiegelt, welche Genoss:innen aus anderen Gruppen und Kontexten verfasst haben.

Wir möchten an dieser Stelle den Verurteilten, insbesondere Lina, und den weiteren Betroffenen, gegen die noch Verfahren laufen, unsere Solidarität aussprechen. Ungeachtet des Wahrheitsgehalts der Vorwürfe, egal ob die eine gelobte oder die andere kritisierte Aktion oder Praxis auf die einzelne zutrifft; alle Verurteilten sind Teil einer antifaschistischen Bewegung im schwierigen und gefährlichen ostdeutschen Terrain und müssen für eben diesen Einsatz für unsere Bewegung unfassbare Entbehrungen erdulden. Getroffen hat es einzelne, die zermürbt werden sollen, gemeint sind wir alle, die abgeschreckt und gespalten werden sollen.

Solidarität mit den Betroffenen des Antifa-Ost-Verfahrens!
An uns liegt es, den Kampf hier draußen weiter zu führen und sie nach Möglichkeit einzubinden. An ihnen liegt es, im Knast weiter zu kämpfen und sich nicht brechen zu lassen – mit unserer Solidarität als Stütze für ihre politische Persönlichkeit.

 

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Ergänzungen

An dieser Stelle wollen wir noch auf die Erklärung der Antifaschistischen Aktion Süd aufmerksam machen zum heutigen Urteilsspruch und den Konsequenzen für uns als Antifaschist:innen: Nicht kriminell, sondern notwendig!

Alle Infos zu Soliaktionen und -kundgebungen in Süddeutschland findet ihr auf antifa-info.net - reicht eure Beiträge gerne bei uns zur Veröffentlichung ein und schickt sie an Soli Antifa-Ost!

Ihr schreibt: "Vom öffentlichen Ermittlungsdruck, über das Verfahren bis hin zu diesem Urteil ist der Komplex als politischer Generallangriff gegen linke und antifaschistische Strukturen in Ostdeutschland zu sehen." Das ist ein Angriff auf uns alle in der ganzen Republik.