Stellungnahme zur Kundgebung am Oranienplatz am 20.05.2023

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Am Samstag, den 20.05.2023 gab es am Oranienplatz in Berlin eine gemeinsame Kundgebung jüdischer und palästinensischer Teilnehmender. Die Jüdische Stimme hatte dazu aufgerufen, und um Solidarität mit Palästina auszudrücken und der Nakba zu gedenken. Nach einem konsequenten Verbot aller bisherigen Nakba-Veranstaltungen, zuletzt der für den selben Nachmittag geplanten großen Demonstration “#Nakba75” am Hermannplatz, war dies also die einzige Möglichkeit, an die vergangene und fortlaufende Enteignung und Unterdrückung von Palästinenser:innen zu erinnern.

Es gab viele Ordner:innen und es wurde beim Organisieren des Verlaufs vollständig mit der Polizei kooperiert. Die Polizei wiederum war die ganze Zeit aggressionsbereit, und hat irgendwann einen Teil der Menge eingekesselt. Sie hat dann verlangt, dass Rufe von "From the river to the sea, Palestine will be free" unterbunden werden. Wir erkennen keinen Antisemitismus in diesem Ruf und wir stehen zu seiner Botschaft einer ausnahmslosen Gleichberechtigung zwischen Jordan und Mittelmeer. Dennoch hat die Polizei ihn zum Vorwand genommen, um die Demonstration aufzulösen. Es war also gerade knapp möglich, in Berlin der Nakba zu gedenken, die Polizei ist bei dieser einzigen Kundgebung aber letztlich eingeschritten, es kam auch zu offensichtlicher Polizeigewalt und Festnahmen. Die Botschaft: In Berlin soll kein Nakba-Gedenken stattfinden.

Am nächsten Tag fing in den sozialen Medien gleich die Kampagne gegen die Kundgebung mit Bezug auf das Thema Pressefreiheit an. Auf der Kundgebung waren diverse Pressevertreter:innen anwesend, die sich als solche zu erkennen gaben und von den Demo-Organisator:innen freundlich und professionell behandelt wurden. Aktivist:innen von staatlich finanzierten politischen Organisationen, die der Demo feindlich gesinnt sind und pro-palästinensische Bewegungen regelmäßig überwachen, waren auch anwesend und haben Porträtaufnahmen von Teilnehmenden gemacht, manchmal auch versucht, sie mit Hilfe der Polizei einzuschüchtern. Auch auf höfliche Anfragen zu ihrer Arbeit wollten sie nicht antworten, obwohl es im Pressekodex Richtlinie 4.1 heißt: “Journalisten geben sich grundsätzlich zu erkennen.” Es gab zahlreiche Versuche der Ordner:innen, auf ihr provokantes Auftreten deeskalierend zu agieren, manche Teilnehmende ließen sich aber auch provozieren. Es ist offensichtlich, dass das provokante Auftreten dieser politischen Aktivist:innen um Jörg Reichel, die mit Presseausweisen von ver.di akkreditiert sind, einer Strategie dient: Fälle von “Pressefeindlichkeit” zu provozieren, um sie später als Grund für Einschränkungen und Verbote für die Polizei zu liefern. Diese Stellungnahme geht entsprechend auch an ver.di.

Auch in den tatsächlichen Presseorganen wurde nach der Kundgebung Falschinformation der Polizei verbreitet. In der Berliner Zeitung war zu lesen: “Trotz des Verbots einer geplanten palästinensischen Demonstration in Berlin ist es am Samstagnachmittag zu antisemitischen Übergriffen in Kreuzberg gekommen. Zwischen 80 bis 100 Palästinenser-Anhänger sollen die angemeldete Kundgebung des Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost auf dem Oranienplatz massiv gestört haben, erklärte ein Polizeisprecher.” Das heißt, Teilnehmenden wurde unterstellt, unsere Kundgebung gestört zu haben, während sie in Wahrheit ein Teil von ihr waren. Mit dem Hinweis auf fiktive antisemitische Übergriffe wird also ein Bild vermittelt, bei dem wohlmeinende jüdische Aktivist:innen von palästinensischen Judenhassern überrollt wurden. Dies bildet den rassistischen Antisemitismusdiskurs in Deutschland perfekt ab. In der Online-Ausgabe gab es dazu ein Foto, auf dem der jüdische Aktivist Adam Broomberg von der Polizei abgeführt wurde, nachdem sie ihn gewaltsam festgenommen hatte. Wer hat also wen vor wem geschützt, und wer hat wirklich gestört?

Die taz war wenig besser. Unter der Überschrift “Rangelei trotz Verbot: Palästinensische Versammlung statt verbotener Demo” druckte sie einen Artikel der dpa ab, dessen Titel die Kundgebung bereits delegitimieren sollte. Der Tagesspiegel ging sogar noch weiter und machte aus der Andeutung eine Behauptung: “Dutzende versammeln sich trotz Verbots in Kreuzberg”. Diesen Satz über eine amtlich angemeldete Demonstration zu schreiben ist falsch. Lediglich auf rbb24 war ein ausgewogener Bericht zu sehen, in dem auch Teilnehmende zu Wort kamen. Allerdings nicht Palästinenser:innen.

Fazit: Wer sich öffentlich mit Palästina solidarisieren will, kann sich weder auf ein verfassungskonformes Verhalten der Polizei noch auf objektive Berichte in der deutschen Presse verlassen. Wir laden ausdrücklich Pressevertreter:innen ein, unsere Veranstaltungen zu besuchen, zu besprechen und uns sowie andere Teilnehmende dazu zu befragen. Was wir weiterhin kritisieren werden, sind Provokationen durch einzelne Aktivist:innen pro-Israelischer Organisationen mit Presseausweis, die vulnerable Gruppen wie z. B. Teilnehmende ohne gesicherten Aufenthaltsstatus mit Kameras ohne Mindestabstand bedrängen, um eine emotional wehrhafte Reaktion zu provozieren, damit sie danach ein Narrativ von angeblicher Pressefeindlichkeit konstruieren können.

Der Vorstand, 23.05.2023

 

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Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost
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