[DAN] Sechs Wochen Angriffe auf Ehrenmäler

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In der Nacht auf den 17. November haben wir erneut und vorerst zum letzten mal mehrere sogenannte “Ehrenmäler” im Landkreis Lüchow-Dannenberg mit Farbe attackiert. Vor sechs Wochen fingen wir an, im Landkreis koordiniert Ehrenmäler anzugreifen. Mit einem Aufruf auf de.indymedia.org begründeten wir unsere Aktionen und riefen zu ähnlichen Taten bis zum 18. November, dem sogenannten “Volkstrauertag”, auf. Seitdem hat es allein unserem gesicherten Kenntnisstand nach mehr als ein Dutzend der Steinklötze, Grabimitationen, Schrifttafeln und Plastiken getroffen.

In einem Kommentar in der lokalen Elbe-Jeetzel-Zeitung wurde uns unter Anderem vorgeworfen, wir brächten keine Argumente vor. Wir möchten unsere Irritation über dieses Argument ausdrücken und fragen, welche Argumente die Steine selber, die wir angegriffen haben, mit sich führen. Aus den Steinen selbst gehen sie nicht hervor, welche Argumente hatten die Aufstellenden also? Wurden sie mit Argumenten aufgestellt, in einem demokratischen Prozess der Mitbestimmung aller Betreffenden gar? Zuzutrauen wäre es den Deutschen ja. In der jetzigen, international unzählige male anzutreffenden Form stellen die Denkmäler eine Glorifizierung von Angriffskrieg, Rassenwahn und Vernichtungsantisemitismus dar. Wir kennen die Argumente hierfür zur Genüge, wie wir die Verharmlosungen, das Nichtwahrhabenwollen, das Verleugnen, die Schuldumkehr und die Abwehr kennen, die in diesem Land kultiviert wurden, nachdem die Welttournee der Wehrmacht auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden musste. Weder die Millionen von Opfer der deutschen Kriege, noch die dokumentierten Völkermorde, angefangen beim Völkermord an den Herero und Nama, noch die verheerenden Niederlagen waren den Deutschen Argument genug. Sie stellten trotzdem ihre Steine auf.

Die Ekelhaftigkeit, die sich seit Jahrzehnten in den Denkmälern manifestiert als unter der Hand vorbehaltene Möglichkeit, im Namen von Ehre und Vaterland aufs Neue loszuziehen, bekommt in der gegenwärtigen Periode neuerliche Brisanz. In Lüneburg findet von der Stadt veranstaltet jedes Jahr am “Volkstrauertag” am Mahnmal für die NS-Opfer eine Gedenkfeier statt. Seit zwei Jahren nimmt die AfD an dieser Veranstaltung teil, um die Opfer des Faschismus zu demütigen und ein würdiges Gedenken mit ihrer Anwesenheit zu verunmöglichen. Bei einer ähnlichen Veranstaltung zum 9. November, der bis heute als fröhliches Scheibeneinschmeißen verharmlosten Mordnacht von 1938, lief kürzlich der Berliner AfD-Mann Andreas Wild mit einer blauen Kornblume am Revers mit, einem Erkennungsmal der bis zum Anschluss verbotenen österreichischen Nationalsozialisten. In diesem Jahr will zudem der AfD-Mann und Holocaustleugner Wilhelm von Gottberg in Lüneburg eine Geschichtsrevisionistentagung abhalten, ebenfalls zum "Volkstrauertag". Im letzten Jahr besaß die Partei in Lüneburg die Dreistigkeit, an diesem Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus einen Kranz "für unsere gefallenen deutschen Soldaten" abzuwerfen, wobei "deutsche Soldaten" besonders hervorgehoben war, und damit Opfer und Täter in eins zu setzen. Doch all das wäre halb so schlimm, wenn der Nationalismus, die Bereitschaft zur als Vaterlandsliebe verklärten Provinzialität, Uneinsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit nicht auch abseits der rechtsradikalen Partei fröhlichst gedeihen würde. Der Rechtsruck wildert in allen politischen Spektren, macht früher undenkbares normal und schmiedet Bündnisse, auf deren Möglichkeit jahrzehntelang stets nur ernsthafte Antifaschistinnen und Antifaschisten hingewiesen hatten. Im Namen der Demokratie könnte die Lüneburger Stadtspitze schon morgen mit einem Holocaustleugner zusammen der Opfer des Nationalsozialismus "gedenken". "An einem Gedenkort denkt man an die Opfer. Aus Respekt", kommentierte dieses Szenario ohne jede Scham jüngst der Journalist Carlo Eggeling für die Lüneburger Landeszeitung.

Kürzlich erklärte der Oberbürgermeister Lüneburgs, Ulrich Mädge (SPD), die Veranstaltung zum Staatsakt und zur staatlichen Selbstdarstellung, um auf dieser Grundlage eine antifaschistische Kundgebung gegen die AfD-Teilnahme am Ort untersagen zu können. Nicht also die Teilnahme der politischen Enkelkinder der Nationalsozialisten an einer Gedenkfeier für die Opfer der Nationalsozialisten und ihrer ausführenden Soldaten sind einem SPD-Politiker und der Stadtspitze ein Dorn im Auge. Es ist der antifaschistische Protest gegen diesen Schulterschluss mit dem Faschismus, es sind die politischen Nachkommen der Opfer und Gegner des NS. Wenn Mädge davon spricht, die Feier sei eine Selbstdarstellung des Staates, um das faktische Verbot zu begründen, spricht das Bände. Es geht bei diesen und ähnlichen Veranstaltungen längst nicht mehr um die Erinnerung an das, was geschehen ist und folglich wieder geschehen kann. Erst recht nicht geht es um die Etablierung einer Tradition, die ausschließen soll, dass es wieder geschieht. Vielmehr kannibalisiert ein so verstandener postnazistischer deutscher Staat die Opfer des Nationalsozialismus und missbraucht sie zur Darstellung eines Selbstverständnisses, das die Tat braucht, um es selbst zu sein. Die Vergangenheit ist längst nach ganz vorn ins Portfolio dieses deutschen Staates gerückt und so kann es nicht verwundern, dass die Erinnerung an sie früher oder später den Schulterschluss mit den Faschisten eingeht. Es geht beim Lüneburger “Staatsakt” also keineswegs um die Opfer des Nationalsozialismus, erst Recht nicht um Trauer, sondern um die Demonstration eines neuen deutschen Selbstbewusstseins und eines Nationalverständnisses durch die Opfer hindurch, durch ihre schamlose Benutzung und die Propagierung einer Versöhnung der Opfer mit ihren Tätern, der die Opfer nicht mehr zustimmen konnten. Man hatte sie ermordet.

Diese Haltung steckt und steckte immer auch in den Ehrenmälern mit ihrer seit jeher revanchistischen Geschichte. Sie sind eine Karikatur der so oft zu ihrer Verteidigung angeführten Trauer. Sie sind die in Stein gemeißelte Unfähigkeit zur Trauer, die grenzenlose Empathielosigkeit mit den Opfern und die familiär verwickelte Schuldabwehr, in der aus Tätern diejenigen werden, die irgendwie eigentlich Opfer gewesen sein müssen. Darum ist jeder Bezug auf eine Trauer, eine würdevolle gar, die in Stellung gebracht wird gegen antifaschistische Intervention, sei es in Lüneburg, sei es an den wendländischen Ehrenmälern, eine Farce, eine Verhöhnung. Erinnerung im Sinne der Opfer des nationalsozialistischen Wütens ist untrennbar verknüpft mit der Maxime, alles zu tun, damit es nicht noch ein mal geschehe. Im Sinne der antifaschistischen Bewegung in Deutschland heute bedeutet dies: Erinnern heißt Kämpfen!

Wir haben in der Nacht auf den 17. November zwei Denkmäler im Osten sowie eines im Süden des Landkreises mit Farbe angegriffen. Wir hoffen, dass sich die Feiernden des Volkstrauertags am Sonntag beim Abwurf ihrer geschmacklosen Kränze und dem Absingen des Deutschlandliedes an den Farben und Farbresten erfreuen werden.

Weitere Aktionen gab es übrigens in Rostock (https://de.indymedia.org/node/26021) und Hamburg (https://de.indymedia.org/node/26015) und darüber hinaus mutmaßlich noch an vielen weiteren Orten.

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