[DAN] Polizei verhindert würdiges Gedenken an Sebastien Briat – ein Erlebnisbericht
zum Hintergrund: vor 14 Jahren starb der französische anti-atom Aktivist Sebastien, beim Versuch einen Castortransport nach Gorleben mit einem Lockon zu blockieren. Der tragische Unfall war ein tiefer Einschnitt, auch in die Geschichte des hiesigen Widerstandes gegen das atomare Endlager. Seither treffen sich jährlich am 7. November ein überschaubarer Kreis Menschen aus der anti-atom Bewegung, um gemeinsam dem Tod Sebastiens zu gedenken. Dies geschieht meist in Form einer Mahnwache entlang der Castorstrecke. Auch in diesem Jahr wurde dazu eingeladen, zu einem gemeinsamen Gedenken am Bahnhof Dannenberg(Ost) zusammen zu kommen.
Als wir am Mittwoch vor Ort eintrafen, bot sich uns ein groteskes Bild staatlicher Selbstinszenierung: Neben mehreren Zivis, von denen mindestens einer dem hiesigen Staatsschutz zugeordnet werden kann, postierten sich zwei Einsatzhundertschaften (!) aus Lüneburg und Braunschweig, sowie lokale Polizeikräfte auf dem Bahnhofsvorplatz und in den umliegenden Seitenstraßen. Als sich die trauernden (zu diesem Zeitpunkt 10 Personen) mit 2 Grablichtern, Thermokannen, Akkordeon und einem zusammengerollten Transparent zum Bahnsteig begeben wollten, riegelte eine Polizeikette in Kampfmontur den Zugang zu diesem ab. Eine Begründung für das Verbot, den öffentlich zugänglichen Bahnsteig zu betreten, wurde nicht gegeben. Stattdessen versuchte die Einsatzleitung (oder besser der Dirigent dieses absurden Ensembles) einen der anwesenden zu nötigen, sich als Veranstalter zur Verfügung zu stellen. Als dies abgelehnt wurde, war die Antwort, dass somit ein Betreten des Bahngeländes nicht möglich sei und wir ja auf dem Parkplatz gedenken könnten.
Was wir auch taten! Bei Tee und Schokolade kam es zu Gesprächen zum Stand der Bewegung und natürlich zur Pietätlosigkeit dieses völlig überzogenen Polizeieinsatzes. Es folgten ein spontaner Redebeitrag zum französischen Endlagerprojekt in Bure, wo derzeit mit dem Bau der Castorstrecke begonnen wird und einige Lieder auf dem Akkordeon. Im Laufe der Zeit, wuchs die Gruppe der trauernden auf 15 Personen. Das gemeinsame Gedenken dauerte ungefähr eine Stunde. Gerade wegen der recht geringen Beteiligung: Vielen Dank an alle die da waren!
Unklar bleibt indes, aufgrund welcher fragwürdigen Lageneinschätzung dieses völlig unverhältnismäßige und vermutlich recht kostspielige Bullenaufgebot bestellt wurde. Vielleicht nur ein kleiner Beitrag zur Einstimmung auf die Veranstaltung in Platenlaase am Abend darauf?
Dass die Obrigkeit im Landkreis auch nach der einstweiligen Aussetzung der Castortransporte, weiter durch unangemessene Polizeieinsätze glänzt (und sich damit regelmäßig lächerlich macht), ist eigentlich nichts neues. Wir erinnern uns da z.B. an die 80 Schwerbewaffneten Bullen, die ein (legales) Transparent vom Gasthof Meuchefitz abhängten, statt einfach anzurufen,
an den brutalen Polizeiüberfall auf Teilnehmer*innen eines Straßenkonzerts in Hitzacker… und viele weitere Gelegenheiten. Es stellt sich jedoch schon zunehmend die Frage, wie lange sich die Lüneburger Polizeidirektion noch aufgrund der zweifelhaften Prognosen eines völlig frei drehenden und offensichtlich von privaten und karrieristisch geleiteten Motiven, Staatsschutz- Dezernats in Lüchow öffentlich zum Löffel machen will.
Als eine Partei, die im jahrzehntelangen und anhaltenden Konflikt um die Atomenergie nicht gerade unbeteiligt war und ist, mit 200 bewaffneten Bullen eine Trauerfeier für unseren verstorbenen Gefährten zu stören, empfinden wir in hohem Maße als Pietätlos und unangebracht! Der Vorwand, veranstaltungsrechtliche Fragen klären zu wollen, ist bei dieser Form der Selbstinszenierung mehr als unglaubwürdig. Es wäre schön zu sehen, wie die Zivilgesellschaft Lüchow-Dannenbergs in diesem Falle ein ähnliches Ausmaß an moralischer Empörung entwickeln würde, wie wir es derzeit in Bezug auf anti-militaristisch markierte Nazimonumente erleben. Wir haben da jedoch unsere Zweifel… in Anlehnung an das diesjährige Motto zum Gedenken an Sebastien „Trauer & Wut zu Widerstand“ bleibt zu sagen: Unsere Trauer könnt ihr stören, die Wut bleibt (und hat heute neue Nahrung bekommen)!
Liebe & Kraft unseren Gefährt*innen in Bure, dem Hambacher Forst und überall wo Menschen gegen staatliche Repression und sinnlose Industrieprojekte kämpfen!
Monique Lapolice
Ps: Mehr zu den Hintergründen des Unfalls, bei dem Sebastien 2004 ums Leben kam, in einer heute Veröffentlichten Erklärung der französischen Umweltaktivistin Cécile Lecomte „Eichhörnchen“ http://blog.eichhoernchen.fr/post/Ob-CASTOR-oder-KOHLE-Protest-passt-aufeinander-auf
Ergänzungen
zivikarre
bei dem schwarzen opel handelt es sich um eine ziviles polizeiauto, das in letzter zeit öfters in lüchow-dannenberg an einsätzen beteiligt war, oder gesichtet wurde.
Pressersprecher Kai Richter
Gedenken mit viel Polizei
Dannenberg. Eine nicht angemeldete Versammlung am Dannenberger Ostbahnhof hat dort am Mittwoch mehrere Dutzend Polizeikräfte aus Lüchow-Dannenberg, Lüneburg und Braunschweig auf den Plan gerufen. Am Bahnhof wollten etwa zehn Anti-Atomkra -Aktivisten nach eigenen Angaben des Franzosen Sébastien Briat gedenken, der bei einer Protestaktion vor 14 Jahren in Frankreich vom Zug überrollt wurde und starb. „Die Versammlung war nicht angemeldet. Der Leiter konnte im Vorfeld nicht ermittelt werden“, sagte Polizeipressesprecher Kai Richter auf Nachfrage der EJZ. Die Polizei hat die Veranstaltung dem gleichen Personenkreis zugeordnet, der im Mai vor dem Haus eines Polizisten demonstrierte (EJZ berichtete). Auch deswegen seien am Mittwoch 30 bis 40 Beamte im Einsatz gewesen. Mathias Schere, einer der Demonstranten, meint, dass deutlich mehr Polizisten mit etwa 20 Einsatzfahrzeugen vor Ort gewesen seien. Er kritisiert die hohe Polizeipräsenz als unangebracht und pietätlos: „Das war eine Gedenkveranstaltung, die in jedem Jahr stattfindet, und keine politische Versammlung.“ Die Polizisten haben der Gruppe verwehrt, direkt an den Gleisen symbolisch Briat zu gedenken auch, weil das Kooperationsgespräch zwischen Polizei und Veranstaltungsteilnehmern laut Kai Richter konfrontativ verlaufen sei und sich kein Versammlungsleiter habe ausfindig machen lassen. Die Atomkraftgegner fühlten sich ihrerseits vom Auftritt der Polizei provoziert. Laut Pressesprecher Richter hätten einige Aktivisten bengalische Feuer angezündet. Es gab keine gewalätigen Auseinandersetzungen – zumindest darin sind sich alle Beteiligten einig. jz