"In Luft augelöst" - rechtsfehlerhafter Prozess um Besetzung der Carl-Zeiss-Straße 10 endet ohne Strafen

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Am 23.10.2018 waren zwei Aktivisten aus Jena wegen der Besetzung der Carl-Zeiss-Straße 10 am 17.10.2016 angeklagt. Beiden wurde Hausfriedensbruch vorgeworfen und einer von ihnen soll zusätzlich durch seine schlichte Anwesenheit im Haus die Ernst-Abbe-Stiftung, Eigentümerin des leerstehenden Hauses, zu Verhandlungen „genötigt“ haben. Der Verhandlung gingen zwei Strafbefehle voran, gegen die beide Betroffene Einspruch eingelegt hatten.

 

Foto von Libertad Media: https://libertad-media.de/2018/hausbesetzerprozess-freispruch-und-verfah...

Vor Prozessbeginn fanden sich ca. 20 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Jenaer Amtsgericht ein. Der relativ kleine Verhandlungssaal bot dann auch nicht genug Plätze für alle solidarischen Besucher*innen. Richter Preuss sah auf Anregung der Verteidigung hin jedoch keinen Anlass dafür, in den größeren und ungenutzen benachbarten Saal 2 auszuweichen.Die Angeklagten verweigerten die Aussage zu den Vorwürfen. Als erster Zeuge wurde dann der Geschäftsführer der Ernst-Abbe-Stiftung, Rolf-Ferdinand Schmalbrock, gehört. Mit seiner Aussage fielen gleich alle drei Anklagepunkte in sich zusammen: Schmalbrock konnte sich an keinen der beiden Angeklagten überhaupt erinnern. Er fühlte sich auch nicht von der Person im Haus, an die er sich nicht erinnern konnte, im Rahmen von Verhandlungen zu irgendetwas genötigt. Und zuguterletzt besaß er zum Zeitpunkt der Strafantragsstellung gegen „alle Personen im Haus“ nicht einmal eine dafür benötigte Vollmacht der Ernst-Abbe-Stiftung. Diese hätte nur der Vorstand gehabt.
Somit schritten die Prozessbeteiligten danach direkt zu den Plädoyers. Staatsanwalt Leicht forderte Freispruch im Anklagepunkt Nötigung und eine Einstellung auf Staatskosten im Punkt Hausfriedensbruch. Die Anklage hätte sich „in Luft aufgelöst“. Dem schloss sich die Verteidigung mit der eindringlichen Aufforderung an die Staatsanwaltschaft an, eine jeglicher Grundlage entbehrende Anklage wegen Nötigung in Zukunft zu unterlassen. Dementsprechend erging auch das Urteil: Zweimal Einstellung und einmal Freispruch.

Alle Aktivist*innen verließen somit gut gelaunt das Gericht. Bevor hier sich hier jedoch ein beruhigendes Gefühl der funktionierenden Rechtsstaatlichkeit einstellt:

 

Rolf-Ferdinand Schmalbrock von der Ernst-Abbe-Stiftung ist nicht nur ein durchschnittlicher Vertreter des Kapitals, sondern auch Jurist. Als Jurist hat er ohne Vollmacht Strafanträge gestellt, die ihm erst angesichts einer Zeugenvernehmung in der Hauptvehandlung so unangenehm waren, dass er vorher noch schriftlich um seine Abladung bettelte. Den Strafantrag einfach zurückzuziehen, erschien ihm jedoch auch nicht opportun. Anstatt willkürlich Aktivist*innen verfolgen zu lassen, hätte er zudem auch schon vor der Hauptverhandlung den Ermittlungsbehörden eigenständig mitteilen können, dass er sich nie genötigt gefühlt hat.

 

Dieselbe Staatsanwaltschaft Gera, deren Vertreter Freispruch und Einstellung gefordert hat, hatte vorher offensichtlich rechtsfehlerhafte Strafbefehle in Höhe von 225 und 300 Euro beantragt. Für den Rechtsaußen-Staatsanwalt Martin Zschächner aus Gera, der seit seinem Amtsantritt in der Abteilung für „Politisch Motivierte Kriminalität“ wie wild Verfahren gegen Nazis einstellt und alle Kriminalpolizeidirektionen Ostthüringens nach offenen Ermittlungsverfahren gegen Linke abgrast, ist der Verfahrensausgang keine wirkliche Niederlage. Für ihn und seine Handlangerin Kriminalhauptkommissarin Olejak vom Jenaer Staatsschutz zählt die schiere Menge der Ermittlungsverfahren, mit denen Kriminalitätsstatistiken gegen Links gefüllt und Ressourcen der radikalen Linken gebunden werden.

 

Derselbe Richter Preuss hatte die Strafbefehle – wie gemeinhin üblich – blind unterzeichnet. Es ist daher an den Beschuldigten gewesen, das Kostenrisiko (in der Regel 700-1200 Euro zzgl. der Strafzahlung) von Einspruch und Hauptverhandlung einzugehen. Die willkürlichen und rechtswidrigen Strafbefehle nicht zu akzeptieren war daher eine Entscheidung, die sie sich „leisten können“ mussten. Dafür sorgten in diesem Fall solidarische Netzwerke, die jedoch nur ein Bruchteil der gemeinhin Strafverfolgten in ihrem Rücken wissen.

 

Nach der Besetzung der Neugasse 17 im Dezember 2013, der Carl-Zeiss-Straße 11 im Juli 2014, des Linkspartei-Abschieberegierungs-Büros im Mai 2016, Am Planetarium 23 im August 2016, und der Carl-Zeiss-Straße 10 im Oktober 2016 lässt sich glücklicherweise nicht bilanzieren, dass die Strategie der Repressionsorgane in Jena aufgeht.
Ob es nun heißt „Nach der Besetzung ist vor Besetzung“ – die Zukunft wird es zeigen. Es bleibt vor allem zu hoffen, dass wir aus den vergangenen Aktionen gelernt haben und immer neue Strategien finden.

 

Einen angenehmen Ausblick auf anarchistisch inspirierte Raumergreifungen bot erst kürzlich die Jugend gegen Rechts, die anlässlich der Räumungsversuche im Hambacher Forst und der Verdrängung von Jugendlichen aus der Jenaer Öffentlichkeit im Paradiespark ein Baumhaus errichtete:

Berichte, Eindrücke und Analysen zu Besetzungen in Jena und anderswo seit 2013: https://wolja.noblogs.org/

 

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