Familie aus Zierenberg erst geduldet, dann doch abgeschoben

Aus Zierenberg (Nordhessen) wurde jetzt eine sechsköpfige Familie aus Mazedonien abgeschoben. Dabei hatte die Familie gerade erst eine Verlängerung der Duldung bekommen. Behördliche Rechtfertigungsversuche.

„Die wurde aber telefonisch zurückgezogen mit den Worten, sie sei irrtümlich und rechtswidrig ausgestellt worden“, sagte Günter Hejl, Diakon in der Gemeinde Heilig Kreuz in Zierenberg. Keiner der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer hätte geglaubt, dass das per Telefon geht und auch Wirkung habe. Entsprechend groß ist das Entsetzen über das Vorgehen.

 

„Kein Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Kassel macht so eine telefonische Mitteilung“, sagte RP-Sprecher Michael Conrad. Bei der Abteilung Zuwanderung und Integration von Stadt und Landkreis Kassel heißt es ebenfalls, dass kein Mitarbeiter die Duldung telefonisch aufgehoben habe. Eine Duldung bedeute aber auch nicht die Bleibefrist bis zum angegebenen Datum, wie Conrad erklärte.

 

Einfacher wäre es für die Familie, die aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland kommt, zudem gewesen, freiwillig auszureisen. Dann könnten sie mit einem Visum zurückkommen. Bei einer Abschiebung gibt es eine Einreisesperre. Als sichere Herkunftsländer gelten die Mitgliedstaaten der EU, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien.

 

Die Omerovs nennen sie Oma

 

Edith Kupferschläger kann kaum einen Satz aussprechen, ohne mit den Tränen zu kämpfen, so sehr nimmt sie die Abschiebung der Familie Omerov nach Mazedonien mit. Nicht nur, weil sie die behördliche Vorgehensweise absolut unerklärlich findet, sondern auch, weil sie sehr viel mit der Familie zusammen war.

 

„Wenn wir jetzt telefonieren, fragen die Kinder, wann sie wieder nach Hause dürfen. Der Urlaub hätte doch jetzt lange genug gedauert“, sagte Edith Kupferschläger. Die Polizei habe bei der Abschiebung von „Urlaub“ gesprochen. Und sie weint, als sie erzählt, dass die Kinder Oma zu ihr sagen. Für Edith Kupferschläger sind die Omerovs ihre Familie. „Sie müssen einfach wieder zurückkommen“, sagte sie.

 

Die 70-jährige Witwe hat sich gebraucht gefühlt, sie hatte eine Aufgabe und konnte helfen. Sie brachte die Kinder zu Kindergarten und Schule, spielte mit ihnen, aß mit ihnen. Omerovs hatten in direkter Nachbarschaft ihre Wohnung. Beide waren geduldete Flüchtlinge und hatten Arbeit.

 

Er beim Unternehmen Fehr in Kassel, Omerovs Frau verdiente ihr Geld im Altenheim. Sie lebten in Zierenberg von ihren eigenen Einkünften, bezahlten ihre Miete, kauften sich ein Auto. Kindergeld gab es aufgrund des Duldungsstatus für keins der vier Kinder und die machten sich gut in Schule und Kita. Edith Kupferschläger kannte die Familie schon seit der Zeit, als sie in der Gemeinschaftsunterkunft untergebracht waren.

 

Mit vier Kindern kamen die Omerovs vor zwei Jahren nach Zierenberg. „Und die wollten lernen und arbeiten. Von Anfang an“, sagte Edith Kupferschläger. Regelmäßig nahm die Familie am Sprachunterricht teil, den die Ehrenamtlichen in Zierenberg anbieten. Die Flüchtlingshilfe in Zierenberg wird getragen von den beiden Kirchen und der Stadt Zierenberg. Sehr engagiert sind die Helfer dort.

 

Um so entsetzter sind sie aber auch jetzt über die Vorgehensweise der Behörden. Schutzgelderpressungen und Korruption sind nur einige der schlimmen Erfahrungen, die die Familie Omerov in Mazedonien gemacht hat.

 

Insbesondere die Mutter und eines der Kinder haben traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Sie waren auf einem guten Weg und hatten auch professionelle Begleitung. Jetzt sind sie wieder dort, wo für sie ein menschenunwürdiges Leben eine Flucht unumgänglich machte.

 

Das sagt die Stadt Kassel

 

Dass die Familie Omerov aus Zierenberg nach Mazedonien abgeschoben wurde, obwohl ihnen eine Duldung (Aussetzung der Abschiebung) bis zum 7. Januar 2019 erteilt wurde, diese aber kurz zuvor telefonisch entzogen wurde, erklären die beteiligten Behörden wie folgt: „Bei dem Vorgetragenen handelt es sich um einen ausländerrechtlichen Fall, für den nach der Zuständigkeitsverordnung das Regierungspräsidium Kassel (zentrale Ausländerbehörde) zuständig ist.

 

Die Duldung wurde zwar entsprechend den rechtlichen Regelungen von der Abteilung Zuwanderung und Integration Stadt und Landkreis Kassel ausgestellt, dies jedoch auf ausdrückliche Anweisung der fachvorgesetzten Behörde (RP Kassel), die auch für alle weiteren erfolgten Maßnahmen alleinverantwortlich zuständig war.

 

Der genannte Telefonanruf wurde nicht von einem/r Mitarbeiter/in der Stadt Kassel getätigt. Es wird angeregt, die Pressestelle des Regierungspräsidiums Kassel zu beteiligen“, teilte Pressesprecherin Petra Bohnenkamp von der Stadt Kassel mit.

 

Das sagt das Regierungspräsidium Kassel

 

Das Regierungspräsidium hatte zuvor erklärt, dass ein Datum einer Duldung nicht zwangsläufig eingehalten werden müsse. „Die Ausweisung kann jederzeit erfolgen, unabhängig vom Datum“, erklärte der Pressesprecher des Regierungspräsidium Kassel, Michael Conrad. „Eine Duldung wird dann ausgesprochen, wenn eine Abschiebung aus verschiedensten Gründen nicht möglich ist.

 

Das kann zum Beispiel auch eine Erkrankung sein“, erklärte Conrad. Laufe ein Attest ab, kann sofort abgeschoben werden – unabhängig vom Datum, das auf dem Duldungsdokument eingetragen ist. Letztlich entscheide aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über die Abschiebung.

 

Das Regierungspräsidium habe „die unangenehme Aufgabe“, die Abschiebung in die Wege zu leiten. Ganz sicher sei Conrad aber, dass keiner der Mitarbeiter des Regierungspräsidiums die Abschiebung beziehungsweise das Erlöschen des Dokuments telefonisch mitgeteilt habe. Das sei vielleicht mit dem Rückkehrberatungsgespräch verwechselt worden.

 

 

 

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