Eine (weitere) Auseinandersetzung mit Outings und dem Umgang mit sexualisierter Gewalt in unseren Strukturen

+++ CN: Sexualisierte Gewalt +++

Disclaimer: Wenn wir von Tätern/sexualisiert Gewalt schreiben, nutzen wir das generische Maskulinum, da wir deutlich machen wollen, dass sexualisierter Gewalt in einer deutlichen Mehrheit von cis-Männern ausgeübt wird. Wir wollen aber darauf hinweisen, dass alle Menschen durch unsere patriarchale Sozialisierung geprägt wurden und Gewalt ausüben können, unabhängig ihrer Genderidentität.
Es sind nicht nur cis-Männer, die sexualisierte Gewalt ausüben und sich zu Täter:innen machen.

Am 30.07.22 wurde der Text „Zum Sexualstrafverfahren gegen den Kronzeugen Johannes Domhöver“ veröffentlicht: https://de.indymedia.org/node/212459
Dieser bringt so vieles so gut auf den Punkt, dass es uns schwer fällt da noch etwas zu ergänzen. Uns ist es wichtig, die Arbeit, die damit geleistet wurde, wertzuschätzen und uns für diesen notwendigen Text ausdrücklich zu bedanken.
Wir bedauern, dass die Arbeit der Transparenzmachung an den Betroffenen und ihren Strukturen hängen geblieben ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass Betroffene und ihre Unterstützungsstrukturen so viel Druck abbekommen haben und ihnen Schuld für Repressionen zugeschoben wurde, empfinden wir es als ein Unding, dass nicht von anderer Seite die Aufgabe der Transparenzmachung übernommen wurde.
So bleibt uns nichts anderes übrig, als uns wieder einmal bei Betroffenen für ihre Arbeit zu bedanken. Solch einen Text mit dem Wissen zu veröffentlichen, sich erneut angreifbar zu machen, zeugt von großer Stärke, die auch uns Kraft gegeben hat.
Wir halten diesen Text nicht nur wegen seiner stabilen feministischen Haltung für wichtig, sondern auch, weil mit ihm viele konkrete Infos und Fakten geteilt und transparent gemacht wurden. Damit ist er neben den Outings selbst der erste Text zu misogynen Strukturen rund um das Verfahren, der es ermöglicht, sich konkret zu positionieren.
Darüber hinaus wirkt er Spekulationen entgegen und baut Wissenshierachien ab.

Der Vorwurf gegenüber der Betroffenen, sie habe einfach die Bullen gerufen, wird komplett entkräftet. Aus der Erklärung, wieso die Betroffene sich auf eine Vernehmung eingelassen hat, können wir nur einen weiteren Vorwurf an Leute aus J.D.'s Umfeld richten: Dadurch, dass ihr die betroffene Person im Stich gelassen habt, Vorwürfe nicht ernst genommen habt, den Täter lieber geschützt habt, anstatt die Betroffene zu unterstützen, habt ihr die Betroffene, die sich irgendwelche Konsequenzen für Domhöver erhofft hat, habt ihr die Entscheidung der Betroffenen, sich unter Druck der Bullen zu einer Zeugenaussage überreden zu lassen, begünstigt.
Wer Bullen wirklich hasst, muss auch Strukturen der Verantwortungsübernahme jenseits staatlicher Justiz bei sexualisierter Gewalt schaffen!

In dem Text heißt es dazu: „Wir müssen Tätern das Sicherheitsgefühl, dass ihnen gegeben wird nehmen und Betroffenen andere Handlungsmöglichkeiten bieten, damit sie sich nicht darauf angewiesen fühlen, Täter anzuzeigen, in der Gefahr, retraumatisiert und zusätzlicher Gefahr ausgesetzt zu werden.“

Für uns und unzählige weitere FLINTA* ist es eine wichtige Information, welcher vermeintlich solidarische Anwalt J.D. in seinem Sexualstrafverfahren vertreten hat. Unser Anspruch an sich als solidarisch verstehende Anwält*innen ist es, dass diese keine Bullen, keine Faschos und auch keine Vergewaltiger vertreten - erst recht nicht in Strafverfahren, wo es genau um diese Vorwürfe geht.
Die Auseinandersetzung mit Repression ist ohnehin oft nervenaufreibend und belastend, der Kontakt mit unseren Anwält*innen sollte von einem Mindestmaß an Vertrauen geprägt sein. Weder möchten wir in Beratungsgesprächen Schweinen begegnen, noch wollen wir uns Personen anvertrauen, die diese unterstützen.
Wir erwarten von unseren Anwält*innen, dass bei Bullen und Rassist*innen/Nazis der gleiche Maßstab wie für Vergewaltiger gilt: nämlich, dass ein Mandatsverhältnis mit diesen gleichermaßen ausgeschlossen wird.
Wir wünschen uns von Antirepstrukturen wie der Roten Hilfe und dem Ermittlungsausschuss, dass diese mit solidarischen Anwält*innen dieses Thema diskutieren. Vermutlich bedarf es einer vertiefenden inhaltlichen Auseinandersetzungen wo genau die Grenze liegt, ab wann ein mensch, der sexualisierte Gewalt ausgeübt hat, nicht vertreten wird.

Trotz jahrelanger hartnäckiger feministischer Arbeit sind Doppelstandarts, wenn es um Täterschaft, sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung geht, nach wie vor an der Tagesordnung - auch in unseren eigenen, sich als emanzipatorisch verstehenden Kontexten, da diese nach wie vor patriarchal strukturiert sind.
Die Reaktionen um das Outing J.D.'s als Vergewaltiger und um das Bekanntwerden seiner Zusammenarbeit mit dem LKA waren völlig verschieden. Als er als Vergewaltiger geoutet wurde, gab es bestenfalls Mitleidsbekundungen mit den Betroffenen, wenn sie nicht sogar in Frage gestellt wurden. Erst als bekannt wurde, dass er umfassend beim LKA ausgesagt hat, wurde er voller Wut als politischer Verräter benannt - Zwar zu Recht, aber wo bleibt die Wut über den politischen Verrat, wenn eine*r aus unseren eigenen Kontexten sich gewaltvoll gegenüber FLINTA*s verhält? Die Verfasser*innen des Textes schreiben ganz richtig: "Wenn man mit dem Konzept „politischer Verrat“ arbeiten möchte, dann muss das auch konsequent passieren. Dann ist er mit seiner Gewalt gegenüber Flintas schon seit Jahren ein „politischer Verräter“

Auch mit der Frage, wie wichtig Outings sind und zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form sie als ein geeignetes Mittel gegen patriarchale Verhaltensweisen wirken, muss sich intensiver auseinandergesetzt werden.
Wir denken, sie können ein sinnvolles Mittel sein, denn sie dienen dazu, uns und weitere potentiell Betroffene vor gewaltausübenden Personen zu schützen. Der Zeitpunkt des Outings von J.D. war insofern passend, als dass es bis dahin keinen effektiven Umgang mit J.D. durch sein Umfeld, keine ernstgemeinte Auseinandersetzung durch J.D. selbst und keine ausreichende Warnung und Transparenz zu seinem Verhalten gab und er sich der Verantwortung komplett entzog, als er sich ein neues Leben durch Umzug aufbauen wollte. Es war außerdem allerhöchste Zeit für sich solidarisch erklärende Personen mit den von Repression betroffenen im Antifa-Ost-Verfahren die Möglichkeit zu schaffen, sich zu positionieren und eine Unterstützuung von J.D. klar abzulehnen.
Anders gesagt: Es hätte gerne auch früher schon Veröffentlichungen zu J.D. durch sein Umfeld oder die Soli-Antifa-Ost geben können.

Es geht hier aber nicht nur um J.D. oder seine Taten, sondern um ein strukturelles Problem. Täter und Täterschützer fühlen sich nach wie vor viel zu wohl in linken, emanzipatorischen Kontexten. Männerbündeleien sorgen dafür, dass Täterschaft nicht als Problem erkannt und benannt wird, sondern als vermeintlich privates Beziehungsproblem entpolitisiert und damit auch nicht besprechbar gemacht wird. Täterschaft und sexualisierte Gewalt sind nicht nur Handlungen, die J.D. vorgeworfen werden, Täterschaft und sexualisierte Gewalt beginnen viel früher und finden viel zu häufig statt. Schaut in euren eigene Zusammenhängen auf einander und euch selbst und reflektiert, wo patriarchale Verhaltensmuster reproduziert werden. Beachtet auch eure und die (Liebes-)Beziehungen eurer Freund*innen und besprecht diese miteinander. Ein emanzipatorisches Selbstbild schützt nicht davor, selbst Gewalt auszuüben.
Das private bleibt politisch!
Sexualisierte Gewalt findet eben auch in unseren Kontexten regelmäßig statt und wird besonders oft in (Liebes-)Beziehungen bzw. aus dem Nahumfeld heraus verübt. Dies macht auch deutlich, dass Feminizide nicht nur etwas sind, was "den anderen" passiert, sondern auch Teil von Lebensrealitäten Betroffener aus unseren Kontexten sein kann.

Wir feiern an dem Text außerdem, dass queere Realitäten mitgedacht und benannt werden.
Das Patriarchat und das binäre Geschlechtersystem sind aus sich heraus gewaltvoll und wir müssen uns alle (!) damit auseinandersetzen, wo wir selbst solche Verhaltensweisen verinnerlicht haben und diese reproduzieren und welche queeren Alternativen dazu möglich sind - es gibt sie.

Wir stehen gemeinsam mit Betroffenen für einen tatsächlich emanzipativen Umgang mit (sexualisierter) Gewalt in unseren Strukturen ein. Lasst uns daran arbeiten, dass wir in Zukunft bessere Strategien finden und Täter früher erkannt werden.

Feuer und Flamme dem Patriarchat!

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