[S] Städtischer Wohnkomplex in Cannstatt besetzt – gegen Wohnungsnot, Mietenwahnsinn und Verdrängung!

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Nach der Räumung der zwei besetzten Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 vor gut zwei Wochen wurden vielfach weitere Besetzungen in Stuttgart gewünscht und angekündigt. Nach einer erfolgreichen Kundgebung des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen auf dem Marktplatz mit mehreren Hundert Menschen, ist es heute so weit. Gerade eben, um ca. 18:45 Uhr haben mehr als 100 Menschen einen Wohnkomplex in Stuttgart-Cannstatt besetzt. Er befindet sich an der Ecke Daimlerstraße/Veielbrunnenweg 23, keine fünf Gehminuten vom Hinterausgang des Cannstatter Bahnhofs entfernt. Er steht seit vielen Jahren leer und wurde im Jahr 2007 von der Stadt Stuttgart gekauft. Mit der Besetzung soll auf die Untätigkeit der Stadt und ihre Möglichkeiten gegen die Wohnungsnot, Mietenwahnsinn und Verdrängung aufmerksam gemacht werden.

 

Die Besetzung wird bis spätestens 24 Uhr wieder freiwillig beendet werden. Derzeit feiern MieterInnen aus Cannstatt und Stuttgart in und vor dem Komplex ein kleines Fest. Polizei ist nicht vor Ort, die Stimmung ist . Kommt vorbei und beteiligt euch!

 

 

Kein Haus den Spekulanten!

 

Der Wohnkomplex besteht aus zwei Häusern, die direkt aneinander gebaut sind. Insgesamt befinden sich in diesen mehr als ein Dutzend Wohnungen sowie ein ehemaliges Restaurant. Die Häuser stehen seit mehreren Jahren vollständig leer und gehören der Stadt Stuttgart. Die Stadt hatte die Gebäude im Jahr 2007 gekauft. Die Häuser scheinen von der Grundsubstanz erhaltenswert, allerdings dringend renovierungsbedürftig. Bei der Besetzung handelt es sich um eine zeitlich begrenzte Besetzung. Bis spätestens 24 Uhr soll diese selbstbestimmt beendet werden

 

Die Stadt hatte den Komplex gekauft, um sich im „Sanierungsgebiet“ zwischen Cannstatter Bahnhof, Carré und Wasen Einflussmöglichkeiten zu verschaffen. Es steht die Möglichkeit im Raum, die Immobilie an private Investoren zu verkaufen.

 

„Sanierungsgebiete“ werden durch die Stadt und die Bezirke festgelegt. Besonders im Blick sind dabei oft Gebiete, in denen MigrantInnen oder finanziell schwache Menschen leben, so ist der Anteil an Hartz-IV-EmpfängerInnen ein Indikator für die Festlegung. Die formulierten Ziele der Stadt für solche Gebiete klingen dabei erst einmal bürokratisch aber gut. Je nach Gebiet liest man von „Aufwertung“, „Strukturierung und bauliche Neuordnung“ oder „energetische Sanierung“. Neben dem Bau von Grünflächen und Änderungen der Infrastruktur werden viele Sanierungen von Privathäusern staatlich bezuschusst . Praktisch führt die wohlklingende Agenda so oft im großen Stil zu Rauswürfen, Luxussanierungen und massiven Mietsteigerungen. Die alten BewohnerInnen können sich die neuen Mieten nicht mehr leisten und müssen wegziehen. Wenn sie Glück haben in die Randbezirke, wo die Mieten noch etwas niedriger sind, wenn sie Pech haben, finden sie gar nichts. So sieht der traurige Alltag der in Stuttgart aus, das ist Verdrängung.

 

 

 

Dementsprechend lauten die sehr moderat angesetzten Forderungen bezüglich des besetzten Wohnkomplexes:

 

  • Kein Verkauf an private Investoren! Die Stadt kann verhindern, dass diese Häuser zum Profitobjekt von Spekulanten werden.

  • Kein Verkauf an eine (städtische) Wohnungsbaugesellschaft wie die SWSG! Städtische Wohnungsbaugesellschaften wie die SWSG sind keine Unternehmen im Sinne der Allgemeinheit. Die Stadt drängt auf Rendite aus dem eigenen Unternehmen, darum verhält sich die SWSG nicht besser, als andere Immobilienfirmen.

  • Die Häuser sollen städtisches Eigentum bleiben.

  • Die Stadt soll sofort sanieren und im Gebäude Sozialwohnungen bereitstellen.

  • Die Stadt soll diesbezüglich konkrete Zeitangaben und Zusagen machen

  • Die Stadt soll Transparenz schaffen und benennen, wie viele Gebäude in städtischer Hand sich aktuell im Leerstand befinden.

 

 

 

Weitergehend sind die Forderungen:

 

  • Um etwas Druck aus dem Stuttgarter Wohnungsmarkt zu nehmen, soll die Stadt als alleinige Eigentümerin der SWSG dafür sorgen, dass die SWSG die Mieten bis auf weiteres nicht mehr erhöht.

  • Eine dauerhafte Lösung des Wohnungsproblems ist auf einem kapitalistischen Wohnungsmarkt nicht möglich. Statt Baulöwen und Miethaie zu subventionieren, soll die Stadt Möglichkeiten zur zeitgemäßen, demokratischen und nicht-profitorientierten Verwaltung von Wohnraum fördern. Etwa durch aktive Unterstützung von Projekten wie dem Mietshäusersyndikat (www.syndikat.org) oder perspektivisch die rein-demokratische Verwaltung der Wohnungen der Stadt und der SWSG durch die MieterInnen.

 

 

 

Wem gehört die Stadt?

 

Bezüglich des nun besetzten Wohnkomplexes tönte bereits die Cannstatter CDU, man solle sich angesichts der Wohnungsbesetzung in Cannstatt rasch etwas überlegen, „bevor jemand auf dumme Ideen kommt“. Die Dummheit der Idee einer Besetzung darf wohl bestritten werden. Nach der Besetzung der Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße, titelten sogar die Stuttgarter Zeitung von einem „Weckruf aus Heslach“. Seitdem ist die Stuttgarter Wohnungsproblematik auch in aller Munde. Einzig die Stadtverwaltung und der Gemeinderat tun sich schwer, angesichts des sich seit Jahren verschärfenden Problems vieler Tausend Menschen im Großraum Stuttgart Lösungsansätze auch nur anzudeuten. Vielmehr flüchtet man sich in die Diskreditierung und Kriminalisierung von BesetzerInnen. Heute debattierte der Gemeinderat mal ganz generell zum Thema „Wohnen“. Was dabei herausgekommen ist, ist aktuell noch nicht bekannt. Bahnbrechend wird es aber kaum sein. Auch wenn in den vergangenen Wochen viel über Wohnungsnot und Mietenwahnsinn gesprochen wurde, ist der Status Quo viel zu stark zementiert. In der aktuellen Situation verdienen sich jene, für die Wohnraum ein Spekulationsobjekt ist, eine goldene Nase mit der Not vieler Menschen. Und wie es im Kapitalismus nun einmal ist, haben jene die Macht und einen kurzen Draht zur Politik, die das Geld haben. Dazu kommt noch, dass auch die gesamte Konstruktion dieses Staates mit seinen Gesetzen und Institutionen auf dieses undemokratische Gleichgewicht zugunsten der Reichen ausgerichtet ist. Es gibt zahllose Gesetze, die die Interessen der Wenigen schützen, die Häuser oder Unternehmen besitzen. Die Rechte der anderen, der Meisten, mussten mühsam erkämpft werden und wurden gerade in den vergangenen Jahren immer mehr abgebaut. In diesem Zusammenhang kann es also keine Lösung sein, die Ungerechtigkeit zum Beispiel abzuwählen. Zum Beispiel wurde in mehr als 10 Jahren rot-rotem Senat in Berlin die Politik des Ausverkaufs der Stadt an die Investoren fortgesetzt. Städtische Wohnungsgesellschaften wurden verkauft, Aufwertung und Verdrängung beschleunigten sich. Auch wenn die Linken sicher einiges im Sinne der Menschen besser machen wollten, ist dies in der kapitalistischen Wirklichkeit kaum möglich. Wenn es eine starke Bewegung in der Bevölkerung gibt, dann sind vielleicht ein paar Zugeständnisse, wie wirksame Mietbegrenzungen oder der Bau von mehr Sozialwohnungen möglich. Aber auch das schnell wieder zu Nichte gemacht werden, wenn der Wind sich dreht. Dauerhaft hilft eben nur die Überwindung des Kapitalismus. Dabei können Leute, die in Parlamenten sitzen sicher helfen. Ihnen wird von Medien eher zugehört und sie können Informationen anfragen, die sonst nicht öffentlich sind. Aber sie sind sicherlich nicht die, die im Alleingang alles umkrempeln werden. Dafür braucht es Viele.

 

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