(B) Veranstaltungsbericht: „Cops raus aus unseren Demos!“

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Repression, Tatbeobachter, Tatbeobachter*innen, Strafrecht, Polizeirecht

 

Aktuell scheint auch in den bürgerlichen Medien der Einsatz von zivilen Tatbeobachter*innen der Polizei auf Demonstrationen skandalisiert zu werden. In der Hamburger Bürgerschaft wurde im Zuge der Aufarbeitung des G20-Gipfels 2017 der Einsatz von Beamt*innen der BFE-Einheiten besprochen. In Berlin fand am 24. Mai 2018 eine Veranstaltung zu den juristischen und politischen Hintergründen solcher unerkannten Zivilbeamt*innen und weiteren Repressionsmaßnahmen gegen Demonstrationen statt.

 

Am 24. Mai 2018 fand im Kreuzberger aquarium eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Cops raus aus unseren Demos“ statt. Es ging um die neuen Trends der Sicherheitsbehörden gegen politische Versammlungen: zivile Tatbeobachter*innen, Verschärfung der Strafzumessung für Landfriedensbrüche und ähnliches. Zusammen mit dem Rechtsanwalt und Cilip-Redakteur Tom Jennissen und der Roten Hilfe Berlin wurde diskutiert wie darauf reagiert werden kann.

Eingeladen hatten mehrere Gruppen, die sich seit Januar 2018 in einer Berliner Antirepressionsplattform vernetzen. Nach einem Workshoptag mit dem Titel „In die Offensive! Wie umgehen mit G20-Repression und autoritärer Formierung?“ im März wird sich nun mit einer losen Veranstaltungsreihe u.a. mit der Post-G20-Repression auseinandergesetzt. Denn nach den Protesten gegen den G20-Gipfel vor einem Jahr in Hamburg gibt es in der polizeilichen Bedrohung politischer Handlungsfähigkeit außerparlamentarischer Bewegungen einen neuen Schwung. Zu nennen sind hier die Einschränkung oder gleich das Verbot kritischer Internetplattformen (Indymedia) , die massenweise Öffentlichkeitsfahnungen gegen G20-Protestierer*innen, die Strafrechtsverschärfungen bei Angriffen auf Beamt*innen – gerade wenn es um das Agieren von größeren Gruppen geht. Aktuell steht auch noch die Reformierung der Polizeigesetze der Länder an.

Die Reaktionen von liberalen Grundgesetzliebhaber*innen bleiben leider verhalten. Zu sehr hat mensch sich auf den Diskurs der „drohenden Gefahren“ von islamistischer Gewalt bis linksradikaler Sachbeschädigung eingelassen. Die wenigen prominenten Stimmen, die zur Mäßigung aufrufen (wie der frühere Innenminister Baum/FDP) wirken aus der Zeit gefallen.

Und was macht die Bewegung? Zumindest wird selbstbewußt auf Angriffe reagiert. Mit Diskussionen, Prozessbeobachtung, Demos, Gegenmaßnahmen zur Öffentlichkeitsfahndung und direkter Aktion gegen politisch Verantwortliche. Um zu klären wie mit der gestiegenen Polizeipräsenz (Zivilbeamte, anlassloses Filmen) auf Demonstrationen bzw. den höheren Strafen bei Verfahren wegen Landfriedensbrüchen o.ä. offensiver umzugehen ist, war nun die Veranstaltung im aquarium gedacht.

 

Zivile Tatbeobachter*innen

Die „zivilen Tatbeobachter*innen“ (TABOs) die in den G20-Prozessen als Belastungszeug*innen auftreten, boten dafür den Aufhänger. Anders als die normalen Zivilbeamt*innen, die mit Funkgerät im Ohr, schnell zu erkennen sind und abschreckend (im Sinne der Gefahrenabwehr) wirken sollen, bewegen sich die TABOs in szenetypischer Kleidung unerkannt in Demonstrationen (z.B. vermummt bei welcome2hell), um einzelnen Personen länger zu folgen, Straftaten zu beobachten und später die Festnahme zu organisieren ohne selbst einzugreifen. Sie haben während des Einsatzes keinen Funkkontakt, sondern agieren entweder per Handy oder im direkten Kontakt mit Uniformierten.

Vor Gericht erscheinen sie dann maskiert und mit falscher Identität. Sie gelten bei Gerichten als „Berufszeug*innen“ (die sich sogar in Zeug*innen-Seminaren auf Aussagen vorbereiten) deren Aussagen besonders glaubwürdig sein sollten, obwohl alle wissenschaftlichen Untersuchungen dazu das Gegenteil beweisen und ihre Aussagegenehmigungen von Geheimnissen gespickt sind. Die TABOs sind Mitglieder von BFE-Einheiten, die zu polizeilichen Großlagen im ganzen Bundesgebiet eingesetzt werden können.

Rechtlich bewegen sie sich in einer Grauzone zwischen Gefahrenabwehr (Ländersache), Strafverfolgung (Bundessache), Strafvereitelung im Amt oder sogar Begehung von Straftaten (beides verboten). Bisher hat das die Strafgerichte beim Verknacken von G20-Protestierer*innen nicht interessiert. Weil nichts gesetzlich geregelt ist, kann auch nicht gegen bestimmte Gesetze geklagt werden. Ein Beispiel: Nach dem Versammlungsgesetz müssten sich auch Zivilbeamt*innen zumindest den Anmelder*innen zu erkennen geben. Über die Hintertür der allgemeinen Gefahrenabwehr wird dann argumentiert, sie wären zwar faktisch Teil der Demo, aber nicht aus versammlungsrechtlichen Gründen, sondern wegen dem Polizeigesetz (Gefahrenabwehr), weshalb das Versammlungsgesetz dann nicht greife.

 

Do’s and Don’ts

Die juristischen Scharmützel können die Praxis auf der Straße also wenig beeindrucken. Die Rote Hilfe packte deshalb die Basics für Demonstrationen, auch im Umgang mit den TABOs, aus: Tragt unauffällige Klamotten, um nicht unterscheidbar zu sein. Wenn ihr euch vermummt, dann macht das durchgängig und kollektiv. Wechselkleidung und ständige Bewegung kann hilfreich sein, um TABOs abzuschütteln. Sprecht nicht zu viel über Aktionen und Zusammenhänge auf Demos. Ihr wisst nicht, wer neben euch steht. Vermeidet auch bei späteren Anlässen auffällige Accessoires (Schuhe, Rucksack) die von TABOs wiedererkannt werden könnten. Bevor die Panik ausbricht ob mensch nur noch von TABOs umgeben ist: Sicher ist, wenn eine BFE-Einheiten am Start ist, dann werden auch TABOs in der Demo unerkannt mitlaufen. Die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten werden in Berlin eingesetzt, um durch „aggressives und offensives“ Vorgehen Eskalationen in Demos zu provozieren, um dann einzelne Demonstrant*innen mit Unterstützung der TABOs festzunehmen. Dazu gehört dann auch das exzessive Filmen aus mehreren Perspektiven.

Ein klares „Nein!“ kam von der Roten Hilfe auf die Frage, ob fotografische Gegenbeweise (z.B. von Polizeigewalt) vor Gericht was nutzen. Alle Erfahrungen verweisen darauf, dass Aufnahmen meist nur der Polizei und der Staatsanwaltschaft im Verfahren dienen. Außerdem ist die Gefahr zu groß auch Beweise für anderes bisher undokumentiertes zu liefern. Die Soko „Schwarzer Block“ hat nach G20 über 35 Personen durch überwiegend private Bilder identifizieren können. Im Umkehrschluss heißt das, dass ein offensiverer Umgang mit Kameras (ob nun polizeiliche oder private) bei Demos sinnvoll ist (No Camera, No Problem).

 

Strafrechtsverschärfung

Ob die Strafrechtsverschärfungen (Widerstand, Landfriedensbruch usw.) sich auch bei Gerichtsurteilen gegen Demonstrant*innen niederschlagen, kann noch nicht gesagt werden. Die erste Prozesswelle der G20-Verfahren am Amtsgericht sind zwar durch, mit teilweise drakonischen Urteilen, aber es gab noch keine konkrete Anwendung der neuen Paragraphen.

Zu erwarten ist in Zukunft, dass die hohen Mindeststrafen (ab ein Jahr aufwärts) zu langer Untersuchungshaft führen werden. Eine besondere Verschärfung ist der gemeinschaftliche Widerstand (also mindestens zu zweit), der nun sehr hart bestraft wird. Gerade weil der „Widerstand“ in Deutschland sehr weit gefasst ist („Hängenlassen“ beim Wegtragen von Blockaden o.ä.). Auch der „Bullenschubser-Paragraph“ ist Auslegungssache. Nicht die einfache Körperverletzung ist hier gemeint, sondern alles was nach „tätlicher Angriff“ aussieht. Diese Verschärfung entspricht einem rechtsphilosophischen Paradigmenwechsel. Während früher der Angriff gegen das Rechtsgut des hoheitlichen Akts (polizeilichen Maßnahme) verfolgt wurde, ist das schützenswerte Rechtsgut mittlerweile der Körper der Polizist*innen. Hier hatte die Propaganda der Polizeigewerkschaften offenbar Erfolg.

Ein weiterer Angriff gegen das Versammlungsrecht ist die Behauptung es handle sich gar nicht um Versammlungen, sondern um verabredete Straftaten. Exemplarisch steht hierfür das G20-Rondenbarg-Verfahren. Eine Demo bewegte sich am Freitag-Morgen der Gipfelproteste zu Blockaden und wurde von der BFE aus Blumberg (bei Berlin) mit massiver Gewalt und Wasserwerfern aufgehalten. Viele Leute flohen, verletzten sich schwer und wurden in großer Zahl festgenommen. Diese massive Gewalt wurde von der Polizei damit begründet, dass es keine Versammlung war. An einem Teilnehmer der Demo, Fabio, wurde versucht ein Exempel zu statuieren: Ihm wurde angelastet einen schweren Landfriedensbruch nur durch das Mitlaufen in der Demo begangen zu haben. Konkrete Taten konnten nicht nachgewiesen werden. Der Prozess gegen ihn wurde vorerst, nach vier Monaten Untersuchungshaft, aus formalen Gründen ausgesetzt, könnte aber noch spannend werden. Denn diese Praxis war lange Teil der Strafgesetze (sog. Tumult-Paragraph) bevor die 68er diese durch Massenproteste abschafften. Um dennoch weiter Demos kriminalisieren zu können, wurde bspw. das Vermummungsverbot eingeführt.

Dass die Polizei durch gezielte Medienarbeit erst in die Lage versetzt wird. Demonstrationen zu kriminalisieren und Protest zu delegitimieren, hat auch damit zu tun, dass die Gegeninformation eher schleppend läuft. So lange die Polizei erklärt und definiert was friedlich und legitim sei und was nicht, kann sie auch mitentscheiden, welche Maßnahmen sie dagegen ergreifen kann und wann welche Strafen angemessen sind. Die polizeiliche Diskursmacht ist Ausdruck von gesellschaftlichen Entwicklungen und Kräfteverhältnissen. Deshalb betonte die Rote Hilfe wie wichtig eine politische Prozessführung ist, dass Einlassungen (auch das zeigen die G20-Prozesse sehr eindrücklich) die Strafzumessung weder verbessern noch verschlechtern und deshalb die Aussage generell verweigert werden sollte. Die Rechtsprechung gegen oppositionelle Bewegungen ist aus Sicht der Herrschenden immer auch politisch motiviert. Deshalb ist die Chance vor Gericht auf die Wahrheit zu pochen und Gerechtigkeit zu erfahren gering. Der Fokus sollte also darauf liegen, einerseits Prozesse zu vermeiden (schneller sein!) und andererseits die Betroffenen so zu unterstützen, dass sie die Sache (Prügel, Festnahme, U-Haft, Prozess, Haft) überstehen.

 

Autoritäre Formierung?

Erleben wir eine neue Qualität der Repression? Haben wir es mit einer „autoritären Formierung“ von Staat und Gesellschaft zu tun? Eine präventive Abwehr gegen politische Organisierung und Widerstand durch mehr oder weniger abgesprochenes Vorgehen der Sicherheitsbehörden mit Rückenwind gesamtgesellschaftlicher Paranoia und Straflust? Diese Fragen konnte nicht beantwortet werden. Einerseits ist sicherlich ein gesellschaftlicher Rollback im Sinne eines autoritär verfassten Nationalismus inklusive eines dazu passenden gesellschaftlich geteilten Wertesystems zu verzeichnen. Die Strafrechtsverschärfungen, die Überwachungstechnologien (Quellen-Telekomunikationsüberwachung usw.) und weitere Vorstöße der unterschiedlichen Sicherheitspolitiker*innen lassen erahnen, dass zumindest die Sicherheitsbehörden einem abgestimmten Plan folgen (zuständig hierfür das Bundesinnenministerium und die Innenministerkonferenz). Andererseits entdecken wir viele der jetzt beklagten Entwicklungen (wie die TABOs) schon in abgewandelter Form in der Vergangenheit. Repressionswellen nach Gipfel-Protesten gab es schon immer. Auch Öffentlichkeitsfahndung ist nichts neues. Ein entspannterer Umgang täte Not, um weiterhin politikfähig zu bleiben. Dazu gehört dann eben nicht das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen oder die Aufklärung vor Gericht, sondern in die kollektive Bearbeitung der Konsequenzen des gemeinsamen Regelübertritts. Zwar hat sich die Repression gewandelt (Verlagerung von der Strafverfolgung zur Gefahrenabwehr), aber ob sie drastischer geworden ist, weil sie politische Arbeit behindert oder stark einschränkt, müsste mal geklärt werden. <strong>Das Schlusswort der Veranstaltung: Don't panic!</strong>

 

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