Freie Sahne Wildfilet
re:volt-Autor Hendrik Keusch reflektiert über die Bedeutung von Form und Inhalt in der Musik für linke politische Praxis. Seine These ist, dass auch die impliziten Inhalte von Musik das persönliche Selbstverständnis, sowie die politische wie persönliche Praxis beeinflussen und überdacht werden müssen.
Was Musikgeschmack mit politischer Haltung zu tun hat
Neulich äußerte ein Redakteur dieses Magazins auf seinem privaten Social-Media Account sein Entsetzen darüber, dass der Autoplayalgorithmus von Youtube ihn mit der rechten Band Frei.Wild zu beglücken versuchte. Er hatte davor gerade wohl Punkrock gehört. In der Kommentarspalte wurde ähnliches berichtet: plötzlich war die Pop-Schnulzenband PUR aus den Boxen in die linke Glückseligkeit eingedrungen. Es ist zwar naheliegend , dass die Autoplayfunktion nach dem Prinzip „Kunden die auch Punkrock X hörten, hörten auch Frei.Wild“ arbeitet, sowie auf die gesetzten Tags zum Video zugreift und nicht mit einer ausgeklügelten Verschwörung rechter Propagandagenies zu rechnen ist. Es stellt sich dann allerdings doch die Frage, warum sich die Musik, die ein politisch unverdächtiger re:volt-Redakteur aus seinen Boxen dröhnen lässt, so wenig von der Musik der Rechtsrocker von Frei.Wild unterscheidet, so dass es offensichtlich große Überschneidungen in der Hörer*innenschaft gibt.
Abgesehen vom explizit politischen Hintergrund und dem gesellschaftlichen Engagement: Was ist eigentlich (musikalisch) der Unterschied zwischen z.B. Frei.Wild und der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet? Angenommen ein Mensch wäre der deutschen Sprache nicht mächtig, hat aber für auf rotzig gebürsteten Deutsch(„punk“)rock eine Schwäche und keine Ahnung vom politischen Background der Bands; wäre es nicht naheliegend, dass diese Person Feine Sahne Fischfilet und Frei.Wild auf ein Mixtape kopiert um das Herz eines geliebten Menschen zu erobern oder um diese Musik im Auto hören zu können?
Aus einer gewissen Perspektive könnte das völlig egal sein. Na und? Dann hören wir halt vom Prinzip die gleiche Musik wie Nazis und andere Menschen mit denen wir sonst nicht so sehr viel am Hut haben möchten - wie die Fans von PUR unter Umständen. Wir tragen auch die gleichen Klamotten z.B. von Alpha Industries, Fred Perry oder H&M, essen die gleiche Tiefkühlpizza und trinken das gleiche Bier. Um eine allgemeine Diskussion über den Sinn und Unsinn von sogenanntem kritischen Konsum an dieser Stelle mal zu umgehen (womit nicht gesagt werden soll sie sei unnötig), soll hier auf den verhältnismäßig speziellen Charakter von Musik, auch als Konsumware, hingewiesen werden:
Musik ist für die allermeisten Menschen ein wesentlicher Bestandteil des persönlichen Selbstverständnisses. Auch etwas gealterte Menschen tragen noch Bandshirts und haben vielleicht sogar noch Konzertposter an ihren Schlafzimmerwänden hängen. Beim Musikhören leben und erfahren viele Menschen sonst verdrängte oder von der Gesellschaft gegängelte Gefühle, Euphorie, Wut, Verzweiflung etc., bei etwas größeren Musikveranstaltungen außerhalb der eigenen Küche oft sogar eine Form von Zusammengehörigkeitsgefühl mit wildfremden Leuten. In einer sonst auf Konkurrenz und Vereinzelung geeichten Gesellschaft ist das mehr als bemerkenswert.
Einerseits aus diesen Gründen, aber ebenso weil Musik auch bei politischen Veranstaltungen, bei basisdemokratischen Straßenfesten, bei Solikonzerten, auf Demos durch den am Lauti angeschlossenen MP3-Player oder gar bei Rave- oder Tanzdemos omnipräsent ist, sollte es nicht egal sein, was es in welcher Weise mit welcher Musik auf sich hat. Andernfalls hieße das, es wäre egal, dass ein wichtiges Mittel der Entwicklung des persönlichen (und politischen) Selbstverständnisses und ein Teilaspekt der politischen Aktivität sich von Uneingeweihten kaum von den Mitteln der Nazis unterscheiden ließe.
Das alles heißt natürlich nicht, dass alle Musik, die der Musik von rechten oder staatstragenden Musikern wie Frei.Wild oder Paul Kalkbrenner ähnelt, gleich verdächtigt werden muss, der reaktionäre Wolf mit den politisch möglicherweise schafspelzmäßigen Lyrics zu sein. Linke Gruppen, die MP3-Player für Demos befüllen, oder Einzelpersonen, die sich mal ein musikalisches Ventil für ihre Wut suchen oder ähnliches, sollten aber dennoch bereit sein zu überlegen, welche impliziten Botschaften und welchen sozialen und politischen Gehalt die von ihnen bevorzugte Musik hat. Nicht zuletzt auch, wie diese überhaupt von der Zuhörer*innenschaft gelesen, oder vielmehr gehört werden.
Was bis hierher fürchterlich nach Soziologieseminar klingt, ist eigentlich gar nicht so abgehoben. Ein krasses Beispiel soll hier den Weg aus dem Elfenbeinturm auf die Straße erleichtern: Im Sommer des letzten Jahres löste sich die explizit-anarchistische Hardcore-Band Wolf Down nach Vorwürfen der sexuellen Gewalt bzw. Vergewaltigung auf. Garantiert ist keine gesellschaftliche Sphäre oder Subkultur dagegen immun, dass sich in ihrem Rahmen sexuelle Gewalt oder anderes verabscheuungswürdiges Verhalten vollzieht. Es sollte aber - insbesondere für diejenigen, die das Privileg haben, nicht direkt betroffen zu sein - durchaus überdenkenswert sein, in welchem Verhältnis die Musik der Band, die schließlich eine Band ist und über ihre Musik zu einer Gruppe wird (ähnlich wie eben eine musikalische Subkultur) und das Verhalten der Musiker zueinander steht.
Denn das Auftreten der meisten Hardcorebands und auch ihre Musik sprechen, wird die Annahme geteilt, dass Musik wesentlich zur Ausbildung des Selbstverständnisses beiträgt, Bände über die Bands. Die Verstärker werden aufgedreht und auf das Schlagzeug eingedroschen, das neben den elektrisch verstärkten Vocals kein Mucks mehr zu hören ist. Das kann sicherlich als Kommentar zu oder als Kritik an einer Welt, in der Unterdrückung, Gewalt und Zurichtung immer massiver wird gelesen und auch so gemeint sein. Allerdings spricht für weite Teile des Publikums und sicher auch für viele der Menschen auf der Bühne der Anspruch auf Macht aus dieser Selbstpräsentation, durchgesetzt mit den Mitteln der Überwältigung, die keine Gegenrede zulässt. Die Breitbeinige Performance, Lorbeerkranzästhetik und die Präsentation der muskulösen Oberarme auf Hardcoreshows sprechen ebenso dafür. Hiermit soll nun nicht gesagt werden, Hardcore sei exklusiv prinzipiell Vergewaltigungsmusik oder Hardcore sei die einzige Musik, in der Bilder von dominanter und gewaltsamer Männlichkeit präsentiert und reproduziert würden, wovon aufgrund der gesellschaftlichen Einbettung von Musik wahrscheinlich keine Musik und die dazugehörige Szene frei ist. Es gibt außerdem wie oben beschrieben andere mögliche Lesarten dieser brachialen Musik und garantiert einen beträchtlichen Teil der Hardcorefans, die mit sexueller Gewalt nichts oder zumindest nicht mehr, als der Rest der Gesellschaft, am Hut hat. Würde anderes behautet, wäre das hier aufgeführte Argument ähnlich reduktionistisch wie die wiederkehrende Schuldzuweisung bzgl. Amokläufen an vermeintliche Killerspiele oder könnte gar als Schuldumkehr a la: „ist doch klar, dass bei Hardcoreleuten mit sexueller Gewalt gerechnet werden muss“, missverstanden werden.
Sich jedoch klarzumachen, dass Musik einen Gehalt hat, (männliche Dominanz und Gewalt war hier nur eines von unzähligen möglichen Beispielen) und das nicht nur wegen ihrer Texte, sondern auch wegen der Musik selbst, ihrer Performance, sowie ihrer jeweiligen historischen Wurzeln und Vorbilder, ist wichtig für das Verstehen von Persönlichkeit, sowie für die auf Musik zurückgreifende politische Praxis. Ein Problem besteht nämlich, wenn Musik auf Demos oder bei anderen politischen Veranstaltungen zur Wohlfühlberieselung wie im Supermarkt wird. Wenn es vom Inhalt völlig losgelöster oder dem Inhalt sogar widersprechender Streicheleinheiten für die Ohren an permanenten Konsum und Berieselung Gewöhnter bedarf, um diese bei der Stange zu halten, sollte sowohl die Aktionsform, als auch der Inhalt der Veranstaltung nochmal gehörig überdacht werden.