Seehofer durch Augenklappe verunglimpft? - Strafantrag wegen Adbusting

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Das Plakatkunst-Kollektiv "DIES IRAE" platzierte unerlaubt bundesweit über 500 Plakate in Werbevitrinen, die Horst Seehofer mit einer Augenklappe auf dem rechten Auge blind darstellen. Die Polizei ermittelt wegen „Verunglimpfung der Regierung". Bereits 2020 war das von Seehofer geleitete Innenministerium in den Nachrichten, weil der Verfassungsschutz und das "Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) statt Terror lieber von Linken umgestaltete Werbeplakate verfolgten. Seda Başay-Yıldız, Rechtsanwältin aus Frankfurt und Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE solidarisieren sich mit den Betroffenen. „Die neue Innenministerin Nancy Faeser steht in der Verantwortung, diese Posse zu beenden!" sagt DIES IRAE.

In Frankfurt/Main, Berlin, Köln, München und über 20 weiteren Städten waren sie bereits zu sehen: Vermeintliche Werbeplakate mit dem Gesicht des damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und einer Augenklappe über dem rechten Auge. Mit der groß angelegten Plakat-Aktion kritisierte das Adbusting-Kollektiv DIES IRAE die Politik des Ministers. Nachdem zahlreiche rechte Vorfälle in der Polizei bekannt wurden, weigerte sich Seehofer, untersuchen zu lassen, wie weit rechte Einstellungen in der Polizei verbreitet sind. Die Plakate kritisieren dies mit dem Text: „NEU NEU NEU: Augenklappe "Korpsgeist". Die einfache Lösung gegen Rechtsextremismus! Der rechte Rand verschwindet sofort! 100% blickdicht! Undurchlässig für Aufklärung! Macht Studie zu rassistischer Polizei überflüssig!“

Anzeige gegen den üblichen Verdächtigen
Mit den Plakaten beschäftige sich nun der Staatsschutz, erklärt das Adbusting-Kollektiv DIES IRAE: „Wir wurden von Tobias kontaktiert. Er hat eine Vorladung der Polizei  wegen Verunglimpfung der Regierung bekommen“. Tobias stand schon im Herbst 2019 vor Gericht. Der Staatsschutz des LKA Berlin warf ihm nach einer Hausdurchsuchung vor, Plakate der Gruppe DIES IRAE unerlaubt in Werbevitrinen aufgehängt zu haben. Der Prozess endete mit einer Einstellung, da das Gericht keine Strafbarkeit erkennen konnte, wenn man eigene Plakate in Werbevitrinen hängt. „Aber als Revanche-Foul hat die Polizei mich beim BKA in eine Datenbank eingetragen“, sagt Tobias. Trotz der Einstellung des Verfahrens stünde nun in der Datenbank, dass Tobias das Adbusting-Kollektiv DIES IRAE sei. „Ich bin also der übliche Verdächtige…"

Tobias erhielt die Vorladung bereits im August 2021 (Staatsanwaltschaft Wiesbaden Geschäftszeichen: 1848 UJs 57700/21). „Ich habe so lange mit der Veröffentlichung gewartet, weil ich nach dem anstrengendem Gerichtsverfahren und der traumatisierenden Hausdurchsuchung vor allem meine Ruhe haben wollte“, erklärt Tobias. Doch die Hausdurchsuchungen beim Peng-Kollektiv und dem Zentrum für Politische Schönheit in den letzten Wochen hätten ihm gezeigt, dass die Ermittlungen gegen ihn kein Einzelfall sind: „In diesem Land läuft was gehörig schief, wenn laufend gegen satirische und politische Kunst vorgegangen wird.“

 

Ansehen des Staates gefährdet?
Seda Başay-Yıldız, Rechtsanwältin aus Frankfurt/Main, erklärt: „Der §90b StGB sagt, dass mit mindestens drei Monaten Gefängnis bestraft wird, wer öffentlich durch Verbreiten eines Inhalts die Regierung oder eines ihrer Mitglieder in dieser Eigenschaft in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise verunglimpft." Aus Absatz 2 gehe hervor, dass die Tat nur mit Ermächtigung des betroffenen Regierungsmitglieds verfolgt wird. „Hier wird das Strafgesetz für eine Strafverfolgung wegen satirischer Plakate missbraucht!"

Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE, erklärt dazu: „Das Plakat ist keine Verunglimpfung von Verfassungsorganen, sondern berechtigte Kritik an Innenminister Seehofer, die durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt ist. Die neue Innenministerin Nancy Faeser hat bei ihrer Vorstellung deutlich gemacht, dass sie es anders machen und den Kampf gegen rechts aufnehmen will. Nun soll sie sich für die Einstellung des Verfahrens einsetzen und damit zeigen, dass es ihr damit ernst ist. Wir sind solidarisch mit dem Adbusting-Kollektiv DIES IRAE. Wir brauchen gerade in diesen Zeiten mehr und nicht weniger engagierte politische Kunst. Politische Aktionskunst vom Verfassungsschutz und dem ,Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum' verfolgen zu lassen ist einer Demokratie eine dramatische Fehleinschätzung."

Zur Strafverfolgung bezieht Klaus Staeck, Ehrenpräsident der Berliner Akademie der Künste, wie folgt Stellung: „Kritik von Kulturschaffenden in der Kunstform der Satire wird immer wieder versucht zu kriminalisieren. Ich hatte als Künstler über 40 juristische Auseinandersetzungen wegen meiner satirischen Plakate, die ich alle gewonnen habe. Schon Heinrich Böll hat mit Blick auf meine künstlerisch-politische Arbeit erklärt: ‚Satire ist kein Himbeerwasser'“.

Die Stuttgarter Polizei kam bei einer Prüfung zu einer ganz anderen juristischen Einschätzung. Dort hingen die Augenklappen-Plakate bereits im Juli 2021. Der Stuttgarter Zeitung sagte die Pressesprecher*in der Polizei: „Es liegt keine Straftat vor."

Nicht das erste Mal
Das Innenministerium und Horst Seehofer ärgern sich nicht zum ersten Mal über Adbustings. Bereits 2019 erschien mit einem persönlichen Vorwort des Ministers Hetze gegen Adbusting im Bundesverfassungsschutzbericht. Die Geheimen aus Heimat-Horsts Ministerium stellten in ihrem Bericht das Verändern von Werbeplakaten auf eine Stufe mit Angriffen auf Beamte: „Neben physischen Angriffen auf Polizeikräfte versuchen Linksextremisten gezielt, die Polizeibehörden allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dazu bedienen sie sich neben den klassischen Verbreitungsformen wie Printmedien auch der Aktionsform des ,Adbustings‘“ (Bundesverfassungsschutzbericht 2018, S. 127).

Ein Fall fürs Terrorabwehrzentrum?
Die geheimdienstliche Hetze hatte konkrete Folgen. 2018/19 war Adbusting viermal Thema im in der Verantwortlichkeit des Innenministerium liegendem Terrorabwehrzentrum GETZ. „Dass sich ein Terrorabwehrzentrum statt mit Terror mit veränderten Werbeplakaten beschäftigt, zeigt, wie sehr das Innenministerium unter Horst aus dem Ruder gelaufen ist“, kommentiert Klaus Poster von der Soligruppe plakativ. „Wir fordern von der neuen Ministerin Faeser, dass sie die Verfolgung von Adbusting durch das BMI, das Terrorabwehrzentrum und das BfV sofort unterbindet!“

Alles Einzelfälle?
„Fast jede Woche werden neue Fälle bekannt, in denen sich Polizist*innen Nazibilder schicken, Gewalt gegen migrantisierte Personen verüben oder ,Racial-Profiling‘ als normale Polizeiarbeit deklarieren“, sagt eine Sprecher*in von DIES IRAE. Rechte Netzwerke werden bei der Polizei systematisch geduldet. Institutionalisierter Rassismus in der Polizei sei vom Innenminister Seehofer billigend hingenommen worden. „Statt etwas gegen institutionellen Rassismus zu unternehmen, ärgern sich Leute wie Seehofer lieber über Adbustings. Um die neue Regierung an den bestehenden Handlungsbedarf zu erinnern, werden wir auch weiter Plakate aufhängen."

Mehr Informationen:
Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Wiesbaden: 1848 UJs 57700/21

Einstellung des Prozesses gegen Tobias im Herbst 2019
https://taz.de/Ermittlungen-gegen-Adbusting-in-Berlin/!5628984/?goMobile2=1576972800052

„Die Stuttgarter Polizei rechnet bei den Plakaten mit Horst Seehofer nicht mit juristischen Konsequenzen für die Urheber der Aktion. Es liege keine Straftat vor.“
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.adbusting-in-stuttgart-plakat-aktion-gegen-polizei.22abfcda-af5c-4aef-af8d-c88b858c7be6.html

Mit dem Terrorabwehrzentrum gegen Adbusting
https://netzpolitik.org/2020/mit-geheimdienst-polizei-und-terrorabwehrzentrum-gegen-ein-paar-veraenderte-plakate/

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