Bericht vom 26. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren am OLG Dresden am 19.01.22.

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Am heutigen Tag waren zwei Sachverständige geladen, um sich zu einer gefundenen DNA Spur im Tatkomplex Enrico Böhm zu äußern. Die erste Zeugenvernehmung war eine Fortsetzung vom 09.09.2021. Der Zeuge sollte allgemeine Fragen zur DNA-Auswertung beantworten, der zweite Sachverständige hat 2018 als erster einen Spurenträger ausgewertet und sollte hierzu befragt werden.

Die Verhandlung begann an diesem Tag mit fast einstündiger Verspätung in Anwesenheit des Nebenklagevertreters Tripp.

Der erste geladene Sachverständige, Dr. Sebastian Lippold vom LKA Sachsen, brachte eine Präsentation mit, die die Schritte der Auswertung beleuchten sollte. Zunächst führte dies zu Unmut bei der Verteidigung, da Bilder aus dieser Präsentation nicht digital vorliegen und dies für die Verteidigung relevant ist, zumal zuvor ein Antrag gestellt wurde, derartige Unterlagen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Vorsitzende Schlüter-Staats gab an, dies seien nur Serviceleistungen und Hilfestellungen, es sei nicht von Nöten, diese für die Befragung bereits gesichtet zu haben. Die Verteidigung bekäme die Unterlagen später in digitaler Form.

Dr. Lippold erklärte zunächst Begrifflichkeiten, die für die Auswertung der DNA relevant seien und veranschaulichte dies anhand seiner Präsentation. Er stellte dar, welche Bereiche untersucht würden, um die DNA zuzuordnen und was dafür von Nöten wäre. Für die Analyse seien DNA-Elemente notwendig, die eine gewisse Qualität aufweisen.

Das LKA Sachsen nutzt drei verschiedene DNA-Kits zur Untersuchung, bei denen unterschiedlich viele Merkmalsysteme untersucht werden. Beim ersten Kit „Nonaplex“ sind es acht, bei den anderen beiden (ESX, ESS) jeweils sechzehn. Die DNA wird in einem sogenannten Elektropherogramm bildlich in sogenannten Peaks dargestellt, die Höhe der Ausschläge gibt die Signalstärke, also die Menge der vorhandenen Proteine in einem Merkmalsystem an. Der sogenannte Summationseffekt könne dazu führen, dass die Peaks deutlich höher dargestellt werden, wenn zwei Personen identische Merkmale in einem System aufweisen. Bei mehr als einer verursachenden Person sei es demnach auch nicht möglich, eindeutig Spuren zuzuordnen. Im hiesigen Fall lag die DNA des Geschädigten vor, die dazu genutzt worden sein soll, eventuelle andere Verursacher:innen besser zu filtern.

Die untersuchte Mülltüte, welche am Tatort gefunden worden sein soll, wurde an verschiedenen Stellen untersucht und es wurden zunächst drei Spurproben entnommen. Hierzu wurden Bilder der Tüte gezeigt und angegeben, wo welche Probe abgenommen worden sei. Der Knoten, durch den die Tüte verschlossen war, wurde von außen und innen untersucht, außerdem seien Abriebe an der Aussenseite der Tüte grob entnommen worden. Die entnommenen Proben wären Mischspuren mit mehr oder weniger eindeutigen Ergebnissen. Bei einer der Spuren soll nach Abgleich mit der DAD (DNA-Analyse-Datei) die DNA eines weiteren Beschuldigten, aber aktuell nicht Angeklagten im hiesigen Verfahren, gefunden worden sein. Bei den anderen Spuren sei die Menge der DNA sehr gering und laut der Aussage des Sachverständigen wären Spuren von mindestens drei bis vier Personen enthalten, sodass eine weitere Analyse laut seiner Einschätzung nicht zielführend wäre. Der Grund dafür seien stochastische Effekte, kurz: eine zu hohe Zahl an zufälligen Ausschlägen im Elektropherogramm, die keine eindeutigen Erkenntnisse ermöglichen würden.

Nach knapp zwei Stunden wurde die Befragung für die Mittagspause unterbrochen und die Verhandlung um 13:25 Uhr fortgesetzt.

Im zweiten Teil der Befragung ging es zunächst um die Erläuterung der Termini Drop-Out und Drop-In, wobei ersteres wesentlich häufiger auftrete, als letzteres. Der Sachverständige Dr. Lippold versuchte die Drop-Outs anhand des Beispiels einer Fruchtbowle darzustellen und erklärte, dass wenn es nur 3 Kirschen in der Bowle gäbe und alle anderen Früchte wesentlich häufiger vorkämen, wäre die Wahrscheinlichkeit auch wesentlich höher, mit einer Schöpfkelle keine der Kirschen aus der Bowle zu fischen. In diesem Beispiel stehen die Früchte für Allele und die Kirschen wären somit Allele, die fehlen würden, was bedeute, dass ein Merkmalsystem ausfallen würde.

Drop-Ins kämen sehr viel seltener vor, seien aber möglich. Hierbei würden Allele auftauchen, welche eigentlich nicht da seien und es sei sehr unwahrscheinlich, dass ein Drop-In in der Replikation vorkäme.

Im Anschluss ging es um die Einschluss-Ausschluss-Wahrscheinlichkeit, die sich auf die relative Häufigkeit in der Population bezieht. Hierbei wird anhand der Merkmale analysiert, wie viele Personen in einer bestimmten Population diese Merkmale teilen, wie sich also die Allele statistisch in der Bevölkerung verteilen und wie hoch dementsprechend die Wahrscheinlichkeit ist, dass es sich um eben diese Person handeln könnte. Laut Dr. Lippold hätten diese Berechnungen kaum eine Aussagekraft und würden aufgrund der schwierigen Interpretation heute kaum noch praktiziert.

Anschließend ging es um die Einstufung der Ergebnisse einer DNA-Untersuchung und die Lesart dieser. Die Beurteilungen „nicht auszuschließen“ oder „in Betracht zu ziehen“ werden von den Sachverständigen selbst vorgenommen und orientieren sich nur an Empfehlungen der Spurenkommission, können aber eben individuell unterschiedlich ausfallen. Nicht auszuschließen seien vor allem Teilprofile, bei denen nicht in allen sechzehn Merkmalsystemen Allele vorlägen. Hinzu kommen Abstufungen in der Qualität der Spuren, also zum einen Mischspuren, Spuren mit schwer oder nicht reproduzierbaren Allelen und Spuren mit Degradationseffekten, verursacht durch verschiedene äussere Einflüsse. Hieraus ergeben sich Spurentypen, die nach der Qualität der Spur bezeichnet werden. Die drei Typen sind A, B und C, wobei A ein Einzelverursacher ist, also eine qualitativ hochwertige Spur vorliegt und C eben eine Spur schlechter Qualität bedeute.

Im Folgenden wurde der Sachverständige von der Verteidigung vor allem zu den vorliegenden Spuren befragt, kurz unterbrochen durch das Eintreten den Nebenklagevertreters Martin Kohlmann. Dr. Lippold vermutete, dass die vorliegenden Spuren Hautkontaktspuren seien. Hierzu führte er aus, dass es verschiedene Parameter gäbe, um festzustellen, ob es sich um primäre oder sekundäre Spuren handeln würde, zu welchen beispielsweise die Oberflächenbeschaffenheit des Spurenträgers zählen würde, aber auch die Kontaktzeit und die Art der Spur selbst.

Bei dem Spurenträger hier sei festgestellt worden, dass dieser zunächst von der Spurensicherung in einer Tüte verpackt wurde, welche Geruchsspuren sichere, um diese einem Mantrailerhund zuzuführen, was auch geschehen sei. Erst danach wurde der Spurenträger in die für die DNA-Auswertung typische Tüte verpackt, die sicherstellen soll, dass der Spurenträger nicht kontaminiert und trocken bleibt. Auf die Frage hin, ob dieses Umverpacken und der Kontakt mit dem Hund eine Auswirkung auf die Spuren haben könnte, musste der Sachverständige eingestehen, dass dies möglich sei. Tierische Spuren würden nicht untersucht werden, da die DNA-Kits automatisiert humane Spuren filtern würden, der Hund könnte jedoch trotz dessen als Spurenüberträger humaner DNA gelten.

In Bezug auf die Qualität der Mischspur konnte insgesamt festgestellt werden, dass die vorhandenen Werte sehr niedrig und keineswegs optimal für eine Auswertung seien.

Zu der Frage wie Spuren abgeglichen werden, meinte der Sachverständige, dass es verschiedene Möglichkeiten gäbe. Es gäbe einen Meldebogen, wenn eine qualitativ hochwertige Spur vorläge und dieser würde in die DAD eingespeist und abgeglichen. Zudem gäbe es Rechercheprofile, die in der Regel eine Teilspur beinhalten, die mit der DAD abgeglichen, jedoch nicht dort gespeichert werden würde. Dieser Abgleich kann jedoch mehrfach erfolgen.

Zuletzt erklärte der Sachverständige noch das Prozedere, um die DNA von einem Spurenträger zu entnehmen und wie diese dann für die Weiterverarbeitung aufbereitet werden würde.

Um 15:55 Uhr wurde der Sachverständige Dr. Lippold entlassen und nach einer kurzen Unterbrechung sein Kollege Dr. Salomo in den Saal gerufen.

Der zweite Sachverständige, Dr. Karsten Salomo vom LKA Sachsen, war der erste der drei Sachverständigen, der die Mülltüte als Spurenträger untersuchte.

Zunächst erläuterte er im Detail und anhand der Bilder der Tüte, wo und wie die Spuren entnommen worden seien und er stellte heraus, dass es im Bereich unterhalb des Knotens keine Überschneidungen mit den Spuren auf und in dem Knoten gegeben hätte.

Auch er erklärte erneut und noch detaillierter, wie die DNA nach der Entnahme gereinigt und extrahiert wird und dass bei den vorliegenden Spuren der Optimalwert dessen, was an Material nötig wäre, wesentlich unterschritten worden sei.

Nach seiner ersten Auswertung der Spuren, habe er auf die weitere Verarbeitung verzichtet, da eben nicht genügend Material vorhanden gewesen sei und auch kein Vergleichsmaterial vorgelegen hätte. Sie hätten lediglich die DNA des Geschädigten gehabt und auch die Mitarbeitenden der Kriminaltechnik hätten ihre Spuren hinterlegt, um diese bei den Untersuchungen berücksichtigen zu können.

Der Vorsitzende wurde im Zuge der Befragung sichtlich unruhig, da sich abzeichnete, dass diese nicht mehr am heutigen Tag abgeschlossen werden würde und auch die Bundesanwaltschaft war hörbar erschöpft, da OStAin Geilhorn mehrfach vergaß ihr Mikro auszuschalten und alle mit Schnauben und Husten ihrerseits behelligte.

Somit wurde der Sachverständige für den morgigen Prozesstag erneut geladen und um 17:15 die Sitzung geschlossen.

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