Das staatliche Versagen der pandemischen Fürsorgepolitik

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In den Diskussionen rund um Lockerung und Verschärfung der Corona-Maßnahmen herrscht ein bestimmter Blickwinkel vor. Es wird mit einem Blick von oben die Pandemie innerhalb der gesamten Gesellschaft analysiert. Dementsprechend gibt es Empfehlungen und Verordnungen, die alle Menschen unterschiedslos treffen. Doch die Menschen sind in unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Positionen, durch die sie besser oder schlechter schützen können. Würde der Blick mehr dorthin gerichtet, wo und wie sich Menschen anstecken, würden diese Differenzen sichtbar werden. Besonders dramatisch ist die Lage für jene Menschen, die auf die staatliche und städtische Fürsorge angewiesen sind, die in Heimen und Massenquartieren leben.

 

 

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Ca. die Hälfte der Corona-Toten lebte zuvor in einem Alten oder Pflegeheim. In einem Drittel dieser Heime kam es zu Clustern, mit teilweise mehr als 100 Infizierten. Zwar hat sich durch die Impfungen die Lage etwas entspannt, dennoch kommt es nach wie vor zu Neuinfektionen. In anderen Quartieren, wie jenen für Refugees und Obdachlosen, sind für die dortigen Klient*innen die Impftermine noch in weiter Ferne.

 

 

Die Lage in den Heimen ist kein Unfall, keine Naturkatastrophe, sondern Ergebnis massiven staatlichen Versagens. Schon zu Beginn der Pandemie wurde klar, dass Massenquartiere Orte sind, an denen sich das Virus unkontrolliert ausbreiten kann. Dennoch wurde nur wenig reagiert. Vor allem letzten Sommer, als die Pandemie für ein paar Monate an Dynamik verlor, wäre Zeit gewesen für infrastrukturelle Verbesserungen. Durch mehr Personal, mehr Raum und bessere Betreuungsschlüssel hätte die Verbreitung innerhalb der Einrichtungen deutlich gebremst werden können. Stattdessen gab es Besuchsverbote, Maskenpflicht, etc. - also Maßnahmen, die vergleichsweise wenig bringen, wenig kosten und stets zu lasten der Klient*innen geht. Die Heime blieben so Brandbeschleuniger in der Pandemie.

 

 

Betroffen sind nicht nur die dortigen Klient*innen, sondern auch die Basismitarbeiter*innen. Ihre Arbeitssituation hatte sich in den letzten Monaten massiv verschlechtert hatte. Von den Clustern bleiben ja auch die Basismitarbeiter*innen nicht verschont. Die Krankenstände sowie das Fernbleiben aus Angst vor Ansteckungen führte vielerorts dazu, dass die ohnehin schon chronische Unterbesetzung sich noch weiter verschärft. Dazu kamen viele neue, manchmal auch widersprüchliche Regeln, die exekutiert werden müssen. Auch viele Chef*innen, waren von der neuen Situation überfordert, doch konnten sie den Druck und die Verantwortung nach unten weitergeben.

 

 

Erstaunlich war und ist, dass unter diesen Umständen so wenig von den Skandalen in der Betreuung, von den Missständen in der Arbeit, von dem massiven staatlichen Versagen in der Pandemie, ans Licht kommen. Wenn schon Klient*innen dank ihres geringen sozialen Status nicht gehört werden, so könnten doch Angehörige und noch viel mehr Basismitarbeiter*innen Missstände ansprechen. Meine Erfahrung nach machen das auch viele Menschen – allerdings mehr auf einer privat-individualistischen Ebene als auf eine öffentlich-kollektive Art und Weise. Der Frust wird in Gesprächen mit Freund*innen rausgelassen. Als einzige Lösungswege, den auch ein paar meiner Freund*innen gewählt haben, erscheinen Krankenstand und Kündigung. Kollektives Aufbegehren und Protest werden durch fehlendes Interesse von außen, von der Schwierigkeit der Organisation innerhalb der Einrichtungen und von fehlenden echten Interessensvertretung erschwert. Hier ist ein Bericht einer gescheiterten Organisierung in einem Kindergarten im zehnten Wiener Gemeindebezirk.

 

 

Möglicherweise ändert sich das im Moment: Die Situation in einem Notquartier ebenfalls in Favoriten eskalierte in einer Art und Weise, die - siehe oben - typisch für das massive staatliche Versagen ist. Zu den Unterbesetzungen kamen mehr und mehr Corona-Infektionen, die zu einem Cluster anwuchsen. Betroffen waren auch Basismitarbeiter*innen. Als Ersatz gab es nur das ohnehin schon dezimierte Team. Nach Protesten gab es zwar kurzfristige Erleichterungen, doch kurz darauf wurde verkündet, dass das ganze Quartier schließen – laut Vermutung der Basisarbeiter*innen, um ihren Protest zu unterdrücken.

 

 

Auf den ersten Blick geht es hier um einen einzelnen Arbeitskampf, auch wenn dieser systematische Ursachen hat. Doch der Protest hat das Potenzial, viel weiterzugehen, nämlich die Corona-Politik von unten neu zu verhandeln. Das momentane System der privaten Kontaktbeschränkungen als pandemischer Feuerlöscher kann nicht funktionieren, wenn gleichzeitig die Brandbeschleuniger der Massenquartiere unangetastet bleiben. Logischerweise wäre ein umgekehrtes Vorgehen notwendig: Zuerst müssten es statt der Massenquartiere dezentrale Unterbringung mit guter Versorgung geben, damit so die Dynamik der Pandemie gebremst werde. Danach kann geschaut werden, ob und welche weiteren Maßnahmen es braucht. So könnte ein anderer, ein fairerer, ein sozialer Umgang mit der Pandemie. Schon alleine deswegen ist es wichtig, Solidarität mit den Basismitarbeiter*innen der NQ Gudrunstraße zu zeigen. Diese treten am Mittwoch, 17. März, um 15:00 in einen Warnstreik. Gleichzeitig gibt es eine Kundgebung am Keplerplatz.

 

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