Thessaloniki: Erklärung zum Angriff auf die Polizeistation Sykeon

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nach dem Angriff

 

Nicht ein Tropfen war umsonst

 

Die Blume unserer Jugend wurde gegossen

 

Unser steinerner Atem war schweigend und schreiend

 

Und nun, nachdem der Staats- und Medienterrorismus nachgelassen hat, ist es an der Zeit, dass wir uns zu Wort melden. Lasst es uns offen aussprechen, wie dieser Tag des 17. November im kollektiven Gedächtnis des Kampfes und des Widerstandes festgehalten werden soll. Mit Aufrichtigkeit und Demut gegenüber unserer Geschichte, mit Respekt vor all jenen, welche vor 47 Jahren ihren Teil der Verantwortung für den Ausbruch des Aufstandes am Polytechnio übernommen haben. Für uns alle lebt das Polytechnio, wenn wir es nicht im Maul der Macht sterben lassen.

 

 

 

Dies ist kein Gedenkgottesdienst, es ist keine Erzählung der Vergangenheit. Es ist eine lebendige Flamme, die den Widerstand von heute entzündet. Es ist der Funke, der die Notwendigkeit für soziale Umwälzungen verschärft. Es ist ein Leuchtfeuer für den Aufstand von morgen. Es ist eine revolutionäre Ehrerweisung über die Jahre hinweg, an Kämpfer*innen wie Kaltezas, Koumis, Kanelopoulou (1) und jede einzelne, der/die mit seinem/ihrem Blut, die Blume des Widerstandes, gegossen hat.

 

Im Verlauf des antiautoritären Krieges ist die Geschichte der einzige Erzähler, der Gewinner und Verlierer braucht. Die Geschichte richtet über diejenigen, die konsequent und eifrig die Sache der kollektiven Befreiung bis zum Ende verteidigt haben, trotz derer, die in einem Zustand der Unordnung geflohen sind.

 

Dieses Jahr, konzentrierte sich der Gedenk- und Kampftag an den Aufstand des Polytechnio auf die Polarisierung zweier Welten. Mit Methode und Strategie säten der Staat und seine Ableger ein allgegenwärtiges Klima von Angst, Panik und Terrorismus gegen den sich abzeichnenden sozialen Aufstand. Durch Maßnahmen, welche an die dunkle Vergangenheit erinnerten, nahm sich die uniformierte Wache dieser Republik die Straße, es wurde ein Bewegungsverbot ausgesprochen, eine Strafverfolgung wegen Aufwiegelung zum Ungehorsam durchgeführt und ein Versammlungsverbot für mehr als vier Personen erlassen. Am 17. November ging es nicht um ein Demonstrationsverbot, sondern darum das Schweigen des militanten Widerstands zu erzwingen. Dieses Schweigen wurde jedoch durch die Schreie von Tausenden von Kämpfer*innen durchbrochen, welche die Herrschaft des Staatstotalitarismus und der repressiven Barbarei durch die Praxis herausforderten.

 

Bereits am Morgen des Tages überfluteten Hunderte von Bullen die Straßen der Stadt. Doch nichts ist unmöglich im Angesicht der Entschlossenheit, mit der die Kräfte des sozialen Ungehorsams, die Barriere und das Verbot brechen, indem sie Kundgebungen in den besetzten Studentenwohnheimen und am Amerikanischen Konsulat abhalten. Die Demonstrationen wurden von den repressiven Kräften blockiert, weshalb die Demonstration im Stadtzentrum den gewaltsamen Angriff und die Verhaftung von sechs Kämpfer*innen in Kauf nehmen musste. Und hier war unser Moment, den Stab des Widerstands zu ergreifen. Am Dienstagnachmittag, dem 17. November, führten wir einen Angriff mit Molotovs auf die Polizeistation Sykeon in Thessaloniki durch. Dieser Angriff auf die Sicherheitskräfte ist nicht nur eine revolutionäre Entscheidung, sondern eine soziale Verpflichtung, welche den Tätern der staatlichen Gewalt gegenüber historisch gerechtfertigt ist. Mit unseren geringen Kräften senden wir unsere feurige Solidarität an jede*n einzelne*n Kämpfer*in, die während der Ereignisse in den Tagen vor und am 17. November ins Visier genommen, verfolgt, verhaftet oder gefoltert wurde.

 

Der Angriff auf die Folterer der Macht ist eine minimale Erwiderung jener Gewalt, die mit der Existenz von Staat und Kapital einhergeht. Denn wenn die Kämpfer*innen sagen, dass nichts unbeantwortet bleiben wird, dann meinen sie dies auch so. Unsere Brände sind eine minimale Reaktion auf die alltäglichen Erniedrigungen, Folterungen, sexistischen Übergriffe, Verhaftungen und Inhaftierungen durch den uniformierten Müll, welche allmählich zu einer neuen Norm werden. Es ist eine Antwort auf die Angriffe und den Terrorismus, welcher den widerständigen Gemeinschaften zuteil wird (Räumung von Hausbesetzer*innen, Polizeitaktiken, Inhaftierung und Verfolgung von Kämpfer*innen, etc.). Es ist eine Antwort auf den täglichen Tod von Migrant*innen in den Gefängnissen, Grenzen, Meeren und Metropolen. Schlussendlich ist es der praktische Beweis für die Herausforderung jeder repressiven Maßnahme, die zur Intensivierung der sozialen Kontrolle beiträgt. Wir haben das moderne Panoptikum in einem seiner Tempel getroffen.

 

Wir haben eine Verantwortung, die vergangenen Aufstände am Leben zu erhalten, um unsere eigenen Kämpfe mit ihrer Flamme zu entfachen. Aber wir tragen auch die Verantwortung auf unserem Schultern, diejenigen zu zerschlagen, die die Aufständischen jeden Tag mit ihren Aktionen töten. Die Statisten, die die Toten des Polytechnio entweihen, indem sie gleichzeitig Kränze der Heuchelei und der Politik legen und diejenigen abwerten und unterdrücken, die die Fortführung des Aufstandes verteidigen. Die Deppen von der verräterischen Linken, welche den Aufstand ausverkauft haben, als sie die Militanten damit beschimpften, dass sie Provokation betreiben würden, und welche sich nun aufmachen, um das Polytechnio unter dem Parteisiegel zu nutzen. All jene, die unabhängig von ihrer jeweiligen politischen Identität und ihren jeweiligen Zweckmäßigkeiten das Polytechnio als billiges Juwel im Fenster von gestern sehen wollen. Für sie alle ist das Polytechnio und jeder Aufstand eine lebendige Bedrohung durch die Konsequenz, den Glauben und den Einsatz des zivilen Ungehorsams für das gleiche Projekt des totalen Umsturzes. Das Polytechnio gehört allen selbstlosen Kämpfer*innen, welche es mit einem Gedanken, einer Blume, einer Parole, einem Molotov Cocktail, einer Kugel ehren.

 

Das Polytechnio lebt in der Sturheit von uns allen.

 

Nieder mit der Macht, der Kampf geht weiter …

 

Tropfen des November

 

 

(1) Anm. d. Übers.: Michalis Kaltezas, 15 Jahre alt, am 17. November in Exarchia von einem Bullen erschossen, Iakovos Koumis (26) und Stamatina Kanelopoulou (20) wurden am 17. November 1980 vor dem Parlament von Bullen erschlagen.

 

(Eine genauere Version der zuvor bei https://enough-is-enough14.org/2020/12/02/molotow-angriff-auf-polizeistation-in-thessaloniki/ veröffentlichten Übersetzung von https://athens.indymedia.org/post/1608717/, es gibt auch ein Video des Angriffs https://www.youtube.com/watch?v=_eeIVIaUxTU )

 

 

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